Claudia Piñeiro | Der Privatsekretär

Claudia Piñeiro | Der Privatsekretär

Wieder wäre ich am liebsten mit den Fäusten auf ihn losgegangen. Aber damit hätte ich mir keinen Gefallen getan. Das Spiel um die Macht, das zwischen uns ausgetragen wurde,entschied sich auf einem anderen Feld und bei einer anderen, womöglich kaum wahrnehmbaren Gelegenheit. Irgendwann würde es so weit sein, dass er, der Herr, seinem Knecht unterlegen wäre. Aber wie würde ich merken, dass dieser Augenblick gekommen wäre. Nun – er war es, jetzt. (Auszug Seite 211).

Der junge Román Sabaté bewirbt sich mehr durch Zufall für einen Job bei „Pragma“, einer aufstrebenden populistischen Partei in Argentinien. Der Parteichef Fernando Rovira ist ein charismatischer Mann, der nur ein Ziel kennt: Das Präsidentenamt. Román schafft es bis in den innersten Zirkel um Rovira und erkennt irgendwann das Ausmaß der Polittricks, Lügen und Manipulationen. Doch sein Versuch, aus diesem Netz auszubrechen, wird für Román höchstgefährlich.

Der Roman beginnt mit einer Flucht: Román wartet im Busbahnhof auf einen Bus, der ihn aus Buenos Aires herausbringen soll. Aber er tritt die Flucht nicht alleine an: Er hat Joaquín bei sich, Fernando Roviras kleinen Sohn. Die Geschichte wird nun abwechselnd aus verschiedenen Perspektiven erzählt und mit Rückblicken wird offenbart, wie es so weit kommen konnte.

Román Sabate ist gerade erst nach Buenos Aires gezogen, benötigt dringend Geld, um sich über Wasser zu halten und probiert es einfach mal bei dem Vorstellungsgespräch bei dieser Partei „Pragma“, zu dem ihn sein Zimmergenosse Sebastián Petit mitgeschleppt hat. Anders als sein Kumpel, der Politikwissenschaft studiert, hat Román mit Politik nicht viel am Hut, trotzdem erhält überraschend er den Job und nicht Sebastián (der allerdings später über Román in die Partei kommt). Der Parteichef Fernando Rovira hält von Anfang an große Stücke auf Román, obwohl dieser nicht unbedingt ein politischer Stratege ist. Román wird Privatsekretär und Fitnesstrainer von Rovira und erhält auch Zugang zu dessen Frau und später zu dessen Sohn. Doch nach und nach wird in dieser Geschichte Unglaubliches aufgedröselt, eine Manipulation ungeheuren Ausmaßes, in der Rovira Román verwickelt hat und die diesen schließlich veranlasst, sich Rovira entgegenzustellen. Dabei erhält er Unterstützung durch die Journalistin Valentina Sureda (wegen ihrer asiatischen Augen „China“ genannt), in die sich Román verguckt hat (und umgekehrt). China ist Reporterin eines TV-Senders und schreibt gerade ein Buch, durch das sie Kontakt zu Rovira und Román hat. Dieses Buch (das in Skizzenform auch als Kapitel in diesem Roman vorkommt) handelt vom sogenannten Alsina-Fluch. Ein hartnäckiger Fluch, der von allen Politikern in Argentinien bestritten wird und doch im Verborgenen durch den verbreiteten Aberglauben das Handeln bestimmt. Dieser Fluch besagt, dass es keinem Gouverneur der Provinz Buenos Aires (zu dem die Hauptstadt wegen eines Sonderstatus nicht gehört) gelingt, argentinischer Präsident zu werden. Besondere Bedeutung erlangt dabei die Planstadt und Provinzhauptstadt La Plata, um deren Gründung sich ebenfalls merkwürdige Gerüchte ranken.

Fernando Rovira war erfolgreicher Bauunternehmer, bevor er dann in die Politik ging, eine Bürgerbewegung gründete und bei der Wahl des Gouverneurs gewann. Doch Rovira weiß um diesen Fluch, er hat einen umtriebigen Spin-Doctor und eine Mutter, die so etwas wie eine Seherin ist, die ebenfalls darauf hinarbeiten, diesen Fluch zu bezwingen. Und so arbeitet Rovira verbissen auf sein Ziel, das Präsidentenamt, hin und ist sich dabei keiner Täuschung und poltischen Instrumentalisierung zu schade. Sein wichtigstes politisches Projekt aktuell: Die Teilung der Provinz Buenos Aires in zwei neue Provinzen, um damit den Fluch zu brechen.

Sehr faszinierend ist der Einblick in die Mechanismen der Macht, den die Autorin hier bietet. Eine sklavische Unterordnung an Umfragewerte, Meinungsbilder und Statistiken, garniert mit einer großen Portion Aberglaube. Fernando Rovira ist eine dieser skrupellosen, populistischen, aber charismatischen Politaufsteiger, die ohne große eigene Visionen sich allerlei Tricks und Lügen (und Schlimmeres) zu Nutze machen. Dies fällt irgendwann auch Román auf, der dann auf einer Busfahrt ein Aha-Erlebnis hat. Er kommt ins Gespräch mit einer Philosophielehrerin, die ihn auf Hegels Dialektik von Herr und Knecht aufmerksam macht. Obwohl das Verhältnis eindeutig scheint, sich der Knecht untergeordnet hat, ist der Herr in Wirklichkeit ebenfalls von seinem Knecht abhängig.

Autorin Claudia Piñeiro ist eine der erfolgreichsten argentinischen Autoren. Sie schreibt auch Kinder- und Jugendbücher, arbeitet als Regisseurin und beim Theater. Piñeiro ist studierte Wirtschaftswissenschaftlerin und arbeitete vor ihrer schriftstellerischen Karriere als Rechnungsprüferin. Ihr Debütroman „Ganz die Deine“ erschien 2003. Ihre Romane sind zumeist Dramen mit aktuellen gesellschaftlichen Themen, oftmals verpackt in eine Kriminalgeschichte.

Der Privatsekretär ist ein wirklich exzellent komponierter Roman. Die ganzen Perspektivwechsel, Rückblenden und Buchauszüge fügen sich sehr gekonnt zu einer starken Geschichte zusammen. Auch die Figuren überzeugen in ihren jeweiligen Rollen. Was ich bemerkenswert fand: Der Roman zeigt den Niedergang einer demokratischen politischen Kultur und kommt gleichzeitig ohne politische Themen aus. Wofür Rovira und „Pragma“ eigentlich stehen, bleibt völlig offen. Entscheidend ist die entblößende Darstellung und Analyse eines Politikstils der Täuschung und Machtgier ohne Inhalte. Trotz der anspruchsvollen Konzeption des Romans gelingt Claudia Piñeiro auch noch ein gelungener Spannungsbogen. Lediglich das Ende fühlte sich (ohne zu spoilern) relativ unspektakulär an, bietet aber dafür eines der großartigsten Schlussbilder, die ich bisher in einem Thriller gelesen habe. Das Buch ist definitiv ein Highlight in diesem Jahr!

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Der Privatsekretär | Erschienen am 1. Februar 2018 im Unionsverlag
ISBN 978-3-293-31014-8 (EPUB)
eBook: 288 Seiten | 18.99 Euro
ISBN 978-3-293-00534-1 (Hardcover)
320 Seiten | 22. Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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