Tade Thompson | Fern vom Licht des Himmels
Das Raumschiff „Ragtime“ soll knapp 1000 Menschen zur Kolonie auf dem Planeten Bloodroot bringen. Michelle „Shell“ Campion die frisch ausgebildete erste Maat auf dem Schiff und für die Passagiere verantwortlich. Doch eigentlich übernimmt eine KI das Schiff vollständig auf der knapp zehnjährigen Reise durchs All. Somit werden alle Passagiere, auch Shell, in einen künstlichen Schlaf versetzt. Als Shell schließlich im Orbit von Bloodroot wach wird und alles kontrolliert, stellt sie entsetzt fest, dass 31 Passagierkapseln leer sind. Sie findet schließlich einen großen Haufen zerstückelter Leichen. Auch die KI des Schiffs verhält sich merkwürdig, führt nicht alle Befehle aus. Auf Shells Notruf hin begibt sich der Ermittler Rasheed Fin mit seinem künstlichen Ermittler Salvo von Bloodroot aus zur „Ragtime“.
Fin ermittelt offen, verdächtigt auch Shell. Oder ist noch jemand an Bord? Während der Ermittlungen geschehen weitere seltsame Dinge, sie werden sabotiert, von Bots angegriffen. Von der Raumstation „Lagos“ gelangen schließlich noch Shells Patenonkel Larry, ein erfahrener Raumfahrer, und seine Tochter Joké, halb Mensch, halb Alien, zur „Ragtime“. Die Unfälle und Attacken an Bord häufen sich, die „Ragtime“ wird zunehmend instabil. Irgendjemand will die Aufklärung der Ereignisse um jeden Preis verhindern. Bald kämpfen die fünf ums nackte Überleben.
Fin fürchtet, dass er im Tumult des Überlebens etwas übersehen wird. Noch dazu sind sie im All. Am Abgrund. Möglich, dass er tatsächlich sterben wird. Der üble Scheiß, dass weiß Fin auf einer instinktiven, molekularen Ebene, kommt auf ihn zu wie ein Drecksasteroid oder ein Herzinfarkt oder so. Auf diese Art wird er sterben. Im All. Er wird inmitten von Fremden und Robotern ersticken. (Auszug S.112)
Zu Beginn des Jahres hatte ich bereits mit „Athos 2643“ von Nils Westerboer einen spannenden Science Fiction-Roman gelesen. Nun habe mit Tade Thompson einen äußerst erfolgreichen Autor des Genres ausprobiert. Thompson ist in London geboren, in Nigeria aufgewachsen, Arzt und Psychiater, und hat schon mehrere renommierte Science Fiction-Preise gewonnen, vor allem für seine „Wormwood Trilogy“. Diese Romanreihe ist allerdings auf der Erde in der Zukunft angesiedelt, mit „Fern vom Licht des Himmels“ begibt er sich in fiktive Weiten des Weltraums und hat dabei einen interessanten Genre-Mix aus klassischer Science Fiction, Thriller, Afrofuturismus und Krimi geschaffen. In Sachen Krimi wagt sich Thompson an die hohe Kunst des Locked-Room Mystery. Ausgehend von der vermeintlich ersten und berühmtesten dieser Geschichten, „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ von Edgar Allen Poe, haben sich viele AutorInnen dem Mysterium eines Mordes im verschlossenen Raum gewidmet. Thompson übernimmt diesen Ansatz nun in den Weltraum, in ein jahrelang reisendes Raumschiff ohne Zugang von außen.
Der Autor bleibt dabei nicht nur auf der „Ragtime“, sondern wechselt ab und an den Schauplatz nach Bloodroot und vor allem nach Lagos, um die politischen Hintergründe um das Drama aufzuzeigen. Daneben beleuchtet er vor allem die beiden Protagonisten Shell und Fin intensiver. Dennoch bleibt einiges gewollt mysteriös, vor allem das Verhältnis zwischen Menschen und Aliens sowie künstlichen Personen oder Hybriden. Vermutlich hat Tade Thompson seine Aufgaben gut gemacht und zahlreiche Referenzen auch des Science Fiction-Genres eingebaut, da bin ich allerdings zu wenig bewandert, um das alles zu identifizieren.
Der Plot ist über weite Strecken abwechslungsreich und spannend, allerdings muss ich gestehen, dass für mich ab der Auflösung ein kleiner Bruch drin war. Die Geschichte kann nur noch kurz die Spannung halten, wechselt auch in die Perspektive des Täters und kann die Intensität nicht mehr halten. Auch die Auflösung selbst war für mich nicht der große Wurf, geradezu irdisch und für den Weltraum etwas banal, wie es mir schien. In der Hinsicht hatte das philosophisch geprägte „Athos 2643“ mir mehr zu bieten. Interessant ist die Konstellation, dass die Transitstation Lagos überwiegend von nigerianischen Kolonisten bewohnt wird. So bleibt es aber ein weitgehend gelungener Weltraumkrimi mit verschiedenen interessanten, auch gesellschaftskritischen Versatzstücken, bei dem mich der Plot aber zum Schluss nicht vollständig überzeugt hat.
Foto & Rezension von Gunnar Wolters.
Fern vom Licht des Himmels | Erschienen am 27.10.2022 im Golkonda Verlag
ISBN 978-3-96509-059-0
381 Seiten | 20,- €
Original: Far from the light of heaven | Übersetzung aus dem Englischen von Jakob Schmidt
Bibliografische Angaben & Leseprobe