Eric Ambler, ein Porträt

Eric Ambler, ein Porträt

Er gilt bis heute als Meister des Politthrillers. John le Carré sagte über ihn: „Amblers Werk ist die Quelle, aus der wir alle schöpfen“. Graham Greene soll an ihn telegrafiert haben: „An den Meister, von einem seiner Schüler.“ Eric Ambler war der Chronist der 20. Jahrhunderts. Sein erster Roman erschien 1936 unter den drohenden Vorzeichen des kommenden Zweiten Weltkriegs, der letzte 1982 im Ost-West-Konflikt mit seinen schmutzigen Stellvertreterkonflikten. Seine Thriller handeln durchgehend von Machtpolitik, (Staats-)Terrorismus und den Auswüchsen des Kapitalismus. „Der Geschichtsprozeß, wie er ihn sieht, ist schmutzig, und zwar auf allen Ebenen und zu allen Zeiten – diese illusionslose Sicht bestimmt das Gesamtwerk“ (Schwarz, Seite 62-63). Im Rahmen unseres Klassiker-Spezials hatte ich die erste Begegnung mit Eric Ambler. Ich war sehr angetan vom feinen und eleganten Stil von Die Maske des Dimitrios. Dies nahm ich zum Anlass, mich ein wenig näher mit dem Autor zu beschäftigen.

Eric Ambler wurde 1909 in Londoner Stadtteil Charlton geboren. Seine Eltern Reg und Amy betrieben ein Kleinkunst- und Marionetten-Theater, sein Vater war daneben auch Werbeagent. Der Großvater zog während des Ersten Weltkriegs zur Familie, ermunterte Ambler zum Lesen. „Der erste Vielsilber, den ich erfolgreich über die Lippen brachte, war ‚me-di-ter-ran‘. Großvater freute sich und brachte mir sofort noch ein anderes einschüchterndes Wort bei: ‚Ka-pi-ta-lis-mus‘. Er sagte, ich solle es mir gut merken, denn nach dem Krieg würde es nicht mehr existieren.“ (Ambler, Seite 59). Mit einem Schulfreund macht er chemische und physikalische Experimente. Nach dem Schulabschluss bekommt Ambler sogar ein Stipendiat für das Northampton Engineering College. Dort hält er es aber nur ein knappes Jahr aus. Sein Vater vermittelt ihm einen Job als technischer Praktikant bei einem elektrotechnischen Unternehmen. Er wird dann zu einer Werbeagentur weitervermittelt und tritt in die Fußstapfen des Vaters. Anfang der 1930er Jahre beginnt Ambler Stücke und Kurzgeschichten zu schreiben. Er gründet das Entertainer-Duo „Barclay & Ambrose“ und schreibt Einakter für die Schauspielschule „Guildhall School“, allerdings mit mäßigem Erfolg.

Als ein markantes Ereignis beschreibt Ambler in seiner Autobiografie den Besuch eines Freundes aus der Werbeagentur in Italien in den frühen 1930er Jahren. Die beiden besuchen unter anderem eine faschistische Ausstellung in Rom. Mittelpunkt der Ausstellung ist ein „Schrein“ zur Erinnerung an die gefallenen Helden und Märtyrer der Bewegung. Ambler und sein Freund tauschten sich über die Absurdität des Mahnmals aus, ehe sie von einem Schwarzhemd mit vorgehaltener Waffe verscheucht werden.

Ambler schreibt seinen ersten Thriller Der dunkle Grenzbezirk. „Ein Thriller. Oder eine Thriller-Parodie. Ich weiß es nicht so genau.“ (Ambler, Seite 216). Der Roman erscheint 1936 im Verlag Hudder & Stoughton und wird zunächst nur ein Achtungserfolg. Inhalt dieses auch später von Ambler selbst literarisch etwas kritisch gesehenen Werkes ist das Streben eines fiktiven diktatorischen Balkonstaates nach der Atombombe – für das Jahr 1936 allerdings ein überraschend weitsichtiger Plot. Es beginnt Amblers „naiv-idealistische Phase“ (Schwarz, Seite 63). Als junger englischer Schriftsteller war es damals allerdings alles andere als ungewöhnlich gegen das Establishment, antikapitalistisch und antimilitaristisch zu sein. Der Erste Weltkrieg ist noch nicht lange her, die Weltwirtschaftskrise noch nicht ausgestanden und der sowjetische Kommunismus hatte sich in der westlichen Intelligenzija noch nicht diskreditiert. Tatsächlich taucht in Amblers frühen Werken noch ein eher positiv konnotierter Sowjetagent auf. Erst mit dem Hitler-Stalin-Pakt bricht er mit der Sowjetunion und wird zitiert: „Plötzlich war Licht auf der Bühne, und man sah, wie der Held mit dem Schurken ins Bett stieg.“ (Schwarz, Seite 78). Doch seine antikapitalistische Haltung in der Tradition seines Großvaters wird Ambler bis zum Ende seiner Schriftstellerkarriere begleiten.

Mit seinem zweiten Buch Ungewöhnliche Gefahr gelingt Ambler 1937 dann endgültig der Durchbruch. Er findet einen Verleger in den USA, Alfred A. Knopf, und kündigt seinen Job, um sich fortan komplett dem Schreiben zu widmen. 1938 zieht er nach Paris und lernt dort seine erste Ehefrau kennen, die Modejournalistin Louise Crombie.

Die nächsten Romane festigen seinen Erfolg und Ruf als „Porträtist der Vorkriegszeit vor der Katastrophe“ (Schwarz, Seite 76). In Anlass zur Unruhe gerät ein Ingenieur eines britischen Waffenherstellers in eine gefährliche Gemengelage im faschistischen Italien, in Nachruf auf einen Spion wird ein ungarischer Staatenloser unfreiwillig Teil wilder Geheimdienstaktionen in Südfrankreich. Beide Bücher dokumentieren Amblers Faible für Anti-Helden als Protagonisten. Seine Hauptfiguren sind einfache, normale Leute, die plötzlich in ungewohnte, gefährliche und undurchsichtige Situationen hineinkatapultiert werden. „Amateure und Ahnungslose, die strampeln müssen, um nicht vom Räderwerk der Geschichte zermalmt zu werden“ (Matussek, Seite 152).

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Ein solcher Normalo ist auch Charles Latimer, Volkswirtschaftsdozent und Krimiautor, der sich in Die Maske des Dimitrios auf die Spur eines vermeintlich toten Mörders, Kriminellen und Terroristen begibt. Der 1939 fast genau zum Kriegsausbruch erschienene Roman gilt als Amblers Meisterwerk. In einer episodenhafter Struktur, elegant und fein konzipiert, beschreibt Ambler seine Vorstellung des unheilvollen Geflechts von Politik, Kapital, Kriminalität und Terrorismus, das sich vor allem auf dem Balkan manifestiert. In seiner Autobiografie gibt er später etwas schamhaft zu, dass seine Recherche nicht vor Ort, sondern in der türkische Exilkolonie in Nizza stattfand. Während es an der Westfront noch ruhig ist, erscheint 1940 sein letztes Buch der ersten Schaffenszeit: Die Angst reist mit. Dort wird ein britischer Ingenieur von Schiffsgeschützen im Winter 1939/40 auf der Rückreise von Istanbul auf einem italienischen Dampfer das Ziel deutscher Agenten.

Ambler tritt in die Army ein. Er dient zuerst in einem Kraftfahrerausbildungsregiment, dann macht er die Offizierausbildung zu einem Flakoffizier. Er macht Dienst in Dorset und seine Batterie sorgt für den persönlichen Schutz des Premierministers in dessen Landhäusern. Dabei nimmt Ambler auch an Vorführungen in Churchills Privatkino teil. Zur gleichen Zeit kommt er in Kontakt mit der Armeefilmeinheit DAK. Dort kommt es unter anderem zur Zusammenarbeit mit Größen wie Carol Reed , Peter Ustinov und David Niven. Ambler arbeitet als Drehbuchautor und lernt von den Großen des Films. Er bekommt schließlich den Auftrag, gemeinsam mit John Huston einen Film über das zivile Italien nach der Befreiung zu drehen. Dort wird er mit dem Problem konfrontiert, dass aus pragmatischen Gründen zahlreiche Faschisten wieder in Amt und Würden kommen („Gebt mir einen Antifaschisten, der sich mit der Kanalisation auskennt.“, Ambler Seite 348). Bei dem Versuch, den Film dokumentarisch zu drehen (der sich als untauglich erweist), geraten Huston, Ambler und ihr Team in der Ortschaft San Pietro unter argen Beschuss und kommen nur knapp mit dem Leben davon. Auf dem Rückweg nach England verbringt er noch einen trinkfesten Abend mit Humphrey Bogart in Neapel. Seine Erlebnisse in Italien wird er später noch literarisch verwerten.

Obwohl er nach Die Angst reist mit für elf Jahre nichts mehr veröffentlicht, steigert sich während des Krieges Amblers Popularität durch die Verfilmungen seiner Bücher. Vier seiner Romane werden verfilmt, die bekannteste ist sicherlich Die Maske des Dimitrios unter der Regie von Jean Negulesco. Ambler selbst ist nur mäßig zufrieden: „Der Film war gar nicht so schlecht.[…] Als ich ihn an jenem Tag aber zum ersten Mal sah, war ich niedergeschlagen. […] Daraus schloß ich – wie andere Schriftsteller vor und nach mir – , daß Filme im großen und ganzen wahrscheinlich besser sind, wenn der Drehbuchschreiber als Autor-Produzent oder Autor-Regisseur eine gewisse Kontrolle über die Bearbeitung des Stoffes behält. Vielleicht darf ich hier daran erinnern, daß ich schließlich zwar ein guter Drehbuchschreiber wurde, daß es sich aber bei dem einzigen Mal, als ich eine Romanvorlage auf absolut laienhafte Weise für die Leinwand verpfuschte, um eines meiner eigenen Bücher handelte.“(Ambler, Seite 400-401).

Dementsprechend nutzt Ambler seine Erfahrungen bei der Armeefilmeinheit und seine Kontakte für eine Karriere als Drehbuchautor. Von 1958 bis 1968 lebt er sogar in Hollywood. Dort begegnet er auch seiner zweiten Frau, der Hitchcock-Produzentin Joan Harrison. Er schreibt mehr als ein Dutzend Drehbücher. Am bekanntesten sind die Filme Der große Atlantik, der ihm 1952 eine Oscar-Nominierung für das beste adaptierte Drehbuch (nach einem Roman von Nicolas Monserrat) einbringt, oder Die letzte Nacht der Titanic aus dem Jahr 1958. Er arbeitet auch am Drehbuch von Meuterei auf der Bounty mit, verzichtet aber auf eine Nennung im späteren Film und stellt später desillusioniert fest: „Ich verbrachte die Zeit damit, die historischen Fakten so weit umzuschreiben, dass die kindischen Phantasien von Marlon Brando darin Platz fänden.“ (Matussek, Seite 153). Nach zehn Jahren Los Angeles zieht er Ende der 1960er Jahre in die Schweiz an den Genfer See.

1951 ist das Jahr der Wiederkehr als Thriller-Autor. Der Fall Deltschev spielt in Bulgarien vor dem Hintergrund eines stalinistischen Schauprozesses. Seine linksradikale Phase ist vorbei, aber mit der Gegenseite mag Ambler auch nicht sympathisieren. Ambler registriert mit Wohlwollen, dass Der Fall Deltschev „als antistalinistischer, sozialistischer Roman bezeichnet worden [ist], eine durchaus schmeichelhafte Beschreibung“ (Ambler, Seite 408). Auch hier wie auch im folgenden Roman Schirmers Erbschaft spielt der Balkan als Schauplatz wieder eine entscheidende Rolle.

Insgesamt veröffentlicht Ambler in der zweiten Phase 12 Romane (dazu fünf unter dem Pseudonym Eliot Reed, gemeinsam mit Charles Rodda, diese wurden nicht ins Deutsche übersetzt). Amblers Thriller spielen nun auch vermehrt außerhalb Europas auf verschiedenen Schauplätzen. Den von anderen Autoren stark thematisierte Ost-West-Konflikt streift Ambler meist nur am Rande. Er findet in Übersee weiterhin brisante Themen: In Besuch bei Nacht (1956) geht es um einen Putsch auf einem Sunda-Archipel Indonesiens, in Schmutzige Geschäfte aus dem Jahr 1967 thematisiert er von internationalen Konzernen gelenkte Söldnerkriege in Zentralafrika um seltene Rohstoffe. 1972 widmet Ambler sich in Der Levantiner dem palästinensisch-israelischen Konflikt. Ambler mag ein politischer Beobachter des 20. Jahrhundert sein und doch fällt ein Gespür für eine gewisse Zeitlosigkeit bei seiner Themenwahl auf. So bei seinem vorletzten Roman Bitte keine Rosen mehr, in dem die Machenschaften einer Kanzlei für Geldwäsche und Steuerhinterziehung beschrieben werden. Sein bekanntester Roman der zweiten Schaffensperiode ist jedoch Topkapi aus dem Jahr 1962, eine Gaunergeschichte, die in Istanbul spielt. Die äußerst erfolgreiche Verfilmung zwei Jahre später mit Peter Ustinov, Melina Mercouri und Maximilian Schnell ist jedoch deutlich komödiantischer ausgelegt als die literarische Vorlage.

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1981 erscheint sein letzter Roman Mit der Zeit. Vier Jahre später veröffentlicht er unter dem zweideutigen Titel He Lies Eric Ambler (in der deutschen Übersetzung leider ohne Wortspiel). Eine interessante Rückschau auf sein Leben, „mit der ihm eigenen Mischung aus Selbstgefälligkeit und Selbstironie“ (Schwarz, Seite 67). Ambler erzählt dort relativ wenig von seinen Büchern, kaum über Politik. Er erzählt von Kindheit, Jugend und den Weg zum Schriftsteller, viel auch über seine Kriegserlebnisse. Die Nachkriegszeit spielt allerdings nur auf etwa 20 Seiten der Autobiografie eine Rolle. Einige Jahre später veröffentlicht Ambler einen weiteren Band mit autobiografischen Geschichten. Am 22. Oktober 1998 stirbt Ambler in seiner Geburtsstadt London.

Etwa vierzig Jahre lang betreute der Zürcher Diogenes Verlag Amblers Gesamtwerk, nun waren die meisten Bücher nur noch antiquarisch erhältlich. Aber seit diesem Jahr werden seine Klassiker bei Hoffmann & Campe neu aufgelegt: Bislang neu aufgelegt wurden Die Maske des Dimitrios und Ungewöhnliche Gefahr, im Juli folgt Nachruf auf einen Spion. Weitere Titel sind in Vorbereitung. Diese Wiederentdeckung ist erfreulich, denn Amblers Romane sind von einer bestechenden literarischen Qualität. Seine Thriller sind alles andere als Mainstream. Zwar hat auch er Verfolgungsjagden und Schießereien zu bieten, aber er feilt lieber an intelligenten und raffinierten Plots, die die Wirklichkeit so darstellen, wie sie ist, komplex, undurchsichtig und zumeist zynisch. Zugleich überrascht er immer wieder durch seine Figurenwahl und porträtiert damit „die zentrale Figur des 20. Jahrhunderts (und wohl auch des 21.) […] – den Flüchtling, den Staatenlosen, den Erpressbaren“ (Matussek, Seite 153).

 

Text und Fotos von Gunnar Wolters.

 

Verwendete Literatur:

  • Eric Ambler | Ambler by Ambler
    Eric Amblers Autobiografie, erschienen 1986 im Diogenes Verlag, nur noch antiquarisch erhältlich
  • Hans-Peter Schwarz | Phantastische Wirklichkeit
    Das 20. Jahrhundert im Spiegel des Polit-Thrillers, erschienen 2006 bei der Deutschen Verlags-Anstalt
  • Matthias Matussek: Unser Mann in der Gefahrenzone, in: Der Spiegel 26/2009

Weiterlesen: Rezensionen zu Eric Ambler

Dieser Text erscheint im Rahmen des Mini-Spezials Ein langes Wochenende mit … Eric Ambler.

2 Replies to “Eric Ambler, ein Porträt”

  1. Wow, mit der Besprechung hast du Dich selbst übertroffen. Eine klasse Text zu dem Autor, der eigentlich für alle späteren Polit- und Agententhriller die Saat ausgelegt hat. Und auf welch durchgängig hohem Niveau. Ich freue mich darüber, dass Hoffmann & Campe bzw. Atlantik sich Amblers annehmen, wenngleich mich das wieder in eine Bredouille bringt. Die neuen Ausgaben kaufen oder die alten Diogenes-Titel im Regal belassen. Soweit ich das sehe, bleiben die Übersetzungen gleich, weswegen es eher eine ästhetische Entscheidung wäre.

    Danke übrigens auch für den Link und den Verweis auf meinen Blog. Ich werde mich jetzt wieder King und Ellroy widmen. Schönen Samstag noch! 🙂

    1. Vielen Dank! *rot werd*
      Du hast recht, die Neuauflagen sind keine Neuübersetzungen, die Cover sind nun in Retrochic gehalten. Aber wichtig ist eh der Inhalt…;-)

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