Holger Karsten Schmidt | Finsteres Herz (Band 2)
Seit langem ist Holger Karsten Schmidt einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren in Deutschland. Der mehrfache Grimme-Preisträger und Fernsehkrimi-Preisträger (u.a. Für „Mord in Eberswalde“) hielt sich lange Zeit mit Romanveröffentlichungen zurück. Der große Erfolg auch auf diesem Segment stellt sich mit der Reihe „Lost in Fuseta“ ein, die er unter dem Pseudonym Gil Ribeiro verfasst. Mitten in diese erfolgreiche Reihe fiel 2020 der Roman „Die Toten von Marnow“ samt dazugehörigem Drehbuch und erfolgreichem TV-Mehrteiler (ebenfalls Gewinner des Deutschen Fernsehkrimipreises). In diesem Roman, angesiedelt in Mecklenburg-Vorpommern, ermitteln die Kommissare Lona Mendt und Frank Elling in mehreren Morden, die offenbar in Zusammenhang mit Medikamententests westdeutscher Pharmafirmen in der ehemaligen DDR stehen. Schmidt hat sich eine Fortsetzung offengelassen und veröffentlichte nun einen zweiten Band – „Finsteres Herz“. Die TV-Ausstrahlung erfolgt ab dem 07.12.2024.
Lona erspürte das Erstarren Sarahs direkt neben sich. Als wäre das Mädchen binnen eines Wimpernschlags erfroren. Selbst seine Gesichtsmuskeln wirkten versteinert.
Lona sah, wie sich ein dunkler Fleck im Schritt der kleinen Zeugin bildete, der sich ausbreitete. Genau der Moment, in dem Bennat von Elling zu Sarah schaute und es ebenfalls bemerkte. (Auszug E-Book Pos. 189)
Mit einem Paukenschlag führt der Autor in diesen Roman ein: Silvester 2006. Ein Ferienhaus im Schnee an einem Mecklenburger See. Ein Zeugenschutzhaus. Lona Mendt, Frank Elling und ihr Chef Mertens betreuen drei Zeugen im Zusammenhang mit Menschenhandel und mehreren Morden, darunter die 12jährige Sarah aus Bulgarien. An diesem Tag sollen die Zeugen eine Aussage bei einer Richterin in Rostock machen. Dazu werden sie von einem Fahrdienst der Bereitschaftspolizei abgeholt. Doch mitten in der Abholung merkt die junge Zeugin, dass dies keine echten Polizisten sind. Es kommt zu einem mehrminütigem Schusswechsel, bei dem am Ende zwei Zeugen und Mertens sowie mehrere Angreifer tot sind, Mendt und Elling schweben am Rande des Todes. Doch es ist ihnen dennoch geglückt, dass Sarah fliehen konnte. Nun sucht nicht nur die Polizei nach der jungen Zeugin.
Staatsanwalt Rost beauftragt Hagen Dudek vom LKA und Maja Kaminski von der Bundespolizei mit den weiteren Ermittlungen. Es gibt offensichtlich ein undichte Stelle bei der Rostocker Polizei und Mendt und Elling hatten in weiser Voraussicht offizielle dienstliche Unterlagen über die Zeugen vernichtet. Zudem befinden sich beide im künstlichen Koma. Dudek und Kaminski müssen die Ereignisse ganz von vorne aufrollen, aber gleichzeitig stehen sie unter engem Zeitdruck, Sarah als erste zu finden.
Das Besondere an diesem Kriminalroman ist die Konstruktion der zeitlichen Ebenen. Der Leser verfolgt nicht nur die Ermittlungen von Dudek und Kaminski in weiterer chronologischer Reihenfolge (wobei bald klar wird, dass einer der beiden seine eigende Agenda verfolgt), sondern der Autor springt auch einige Wochen vor die Silvesternacht zurück und schildert die Ermittlungen von Mendt und Elling, die zu dieser Situation geführt hat. Da sich Dudek und Kaminski auf Mendts und Ellings Spuren bewegen, kommt es dazu, dass innerhalb weniger Buchseiten dieselben Zeugen befragt werden. Diese zeitlichen Sprüngen sind ungewöhnlich, machen aber einigen Reiz an diesem Roman aus.
Schmidt gelingt ein wirklich starker Kriminalroman, der nicht nur mit einem aktuellen Thema wie dem Kampf gegen organisierten Menschenhandel und der schwierigen Rolle der Ermittlungsbehörden punktet, sondern insgesamt einen sehr durchdachten Spannungsaufbau abliefert. Traditionell als Drehbuchschreiber sind die Dialoge sehr überzeugend und nicht zuletzt beeindruckt auch nebenbei die akribische Zeichnung der wichtigsten Figuren, deren private Dinge sich harmonisch in die Story einfügen. Was den deutschsprachigen Kriminalroman betrifft, ist „Finsteres Herz“ mit Sicherheit einer der Highlights diesen Jahres.
Foto und Rezension von Gunnar Wolters.
Finsteres Herz | Erschienen am 10.10.2024 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-00616-2
464 Seiten | 17,- €
E-Book: ISBN: 987-3-462-31245-4 | 14,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Weiterlesen: Gunnars Rezension zu „Die Toten von Marnow“