Kategorie: Gunnar Wolters

Holger Karsten Schmidt | Finsteres Herz (Band 2)

Holger Karsten Schmidt | Finsteres Herz (Band 2)

Seit langem ist Holger Karsten Schmidt einer der erfolgreichsten Drehbuchautoren in Deutschland. Der mehrfache Grimme-Preisträger und Fernsehkrimi-Preisträger (u.a. Für „Mord in Eberswalde“) hielt sich lange Zeit mit Romanveröffentlichungen zurück. Der große Erfolg auch auf diesem Segment stellt sich mit der Reihe „Lost in Fuseta“ ein, die er unter dem Pseudonym Gil Ribeiro verfasst. Mitten in diese erfolgreiche Reihe fiel 2020 der Roman „Die Toten von Marnow“ samt dazugehörigem Drehbuch und erfolgreichem TV-Mehrteiler (ebenfalls Gewinner des Deutschen Fernsehkrimipreises). In diesem Roman, angesiedelt in Mecklenburg-Vorpommern, ermitteln die Kommissare Lona Mendt und Frank Elling in mehreren Morden, die offenbar in Zusammenhang mit Medikamententests westdeutscher Pharmafirmen in der ehemaligen DDR stehen. Schmidt hat sich eine Fortsetzung offengelassen und veröffentlichte nun einen zweiten Band – „Finsteres Herz“. Die TV-Ausstrahlung erfolgt ab dem 07.12.2024.

Lona erspürte das Erstarren Sarahs direkt neben sich. Als wäre das Mädchen binnen eines Wimpernschlags erfroren. Selbst seine Gesichtsmuskeln wirkten versteinert.
Lona sah, wie sich ein dunkler Fleck im Schritt der kleinen Zeugin bildete, der sich ausbreitete. Genau der Moment, in dem Bennat von Elling zu Sarah schaute und es ebenfalls bemerkte. (Auszug E-Book Pos. 189)

Mit einem Paukenschlag führt der Autor in diesen Roman ein: Silvester 2006. Ein Ferienhaus im Schnee an einem Mecklenburger See. Ein Zeugenschutzhaus. Lona Mendt, Frank Elling und ihr Chef Mertens betreuen drei Zeugen im Zusammenhang mit Menschenhandel und mehreren Morden, darunter die 12jährige Sarah aus Bulgarien. An diesem Tag sollen die Zeugen eine Aussage bei einer Richterin in Rostock machen. Dazu werden sie von einem Fahrdienst der Bereitschaftspolizei abgeholt. Doch mitten in der Abholung merkt die junge Zeugin, dass dies keine echten Polizisten sind. Es kommt zu einem mehrminütigem Schusswechsel, bei dem am Ende zwei Zeugen und Mertens sowie mehrere Angreifer tot sind, Mendt und Elling schweben am Rande des Todes. Doch es ist ihnen dennoch geglückt, dass Sarah fliehen konnte. Nun sucht nicht nur die Polizei nach der jungen Zeugin.

Staatsanwalt Rost beauftragt Hagen Dudek vom LKA und Maja Kaminski von der Bundespolizei mit den weiteren Ermittlungen. Es gibt offensichtlich ein undichte Stelle bei der Rostocker Polizei und Mendt und Elling hatten in weiser Voraussicht offizielle dienstliche Unterlagen über die Zeugen vernichtet. Zudem befinden sich beide im künstlichen Koma. Dudek und Kaminski müssen die Ereignisse ganz von vorne aufrollen, aber gleichzeitig stehen sie unter engem Zeitdruck, Sarah als erste zu finden.

Das Besondere an diesem Kriminalroman ist die Konstruktion der zeitlichen Ebenen. Der Leser verfolgt nicht nur die Ermittlungen von Dudek und Kaminski in weiterer chronologischer Reihenfolge (wobei bald klar wird, dass einer der beiden seine eigende Agenda verfolgt), sondern der Autor springt auch einige Wochen vor die Silvesternacht zurück und schildert die Ermittlungen von Mendt und Elling, die zu dieser Situation geführt hat. Da sich Dudek und Kaminski auf Mendts und Ellings Spuren bewegen, kommt es dazu, dass innerhalb weniger Buchseiten dieselben Zeugen befragt werden. Diese zeitlichen Sprüngen sind ungewöhnlich, machen aber einigen Reiz an diesem Roman aus.

Schmidt gelingt ein wirklich starker Kriminalroman, der nicht nur mit einem aktuellen Thema wie dem Kampf gegen organisierten Menschenhandel und der schwierigen Rolle der Ermittlungsbehörden punktet, sondern insgesamt einen sehr durchdachten Spannungsaufbau abliefert. Traditionell als Drehbuchschreiber sind die Dialoge sehr überzeugend und nicht zuletzt beeindruckt auch nebenbei die akribische Zeichnung der wichtigsten Figuren, deren private Dinge sich harmonisch in die Story einfügen. Was den deutschsprachigen Kriminalroman betrifft, ist „Finsteres Herz“ mit Sicherheit einer der Highlights diesen Jahres.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Finsteres Herz | Erschienen am 10.10.2024 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-00616-2
464 Seiten | 17,- €
E-Book: ISBN: 987-3-462-31245-4 | 14,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu „Die Toten von Marnow“

Morgan Audic | Das kalte Schweigen der See

Morgan Audic | Das kalte Schweigen der See

Fangen wir mal ausnahmsweise mit einem kleinen Rant an. Der betrifft den deutschen Titel des Buches und das Cover. Als Nicht-Autor stelle ich es mir schwierig vor, einem Buch seinen Titel zu geben. Wenn es allerdings aus einer fremden Sprache übersetzt wird, hat der Autor natürlich schon eine Vorgabe gegeben, an die man sich allerdings nicht halten muss. Wenn man in der deutschen Übersetzung vom Originaltitel abweicht, sollte man allerdings gute Gründe dafür haben. Ich kann es vorwegnehmen, die gab es hier aus meiner Sicht nicht. Autor Morgan Audic gab seinem Thriller den wie ich finde wunderbaren Titel „Personne ne meurt à Longyearbyen“, „Niemand stirbt in Longyearbyen“. Ein Titel, der zum einen mit dem Inhalt verknüpft ist, denn es wird erläutert, dass man auf Spitzbergen Todesfälle tunlichst vermeidet. Die Einwohner bleiben meist nur temporär auf diesem kargen Stück Land im Nordpolarmeer, es gibt nur wenige wirklich alte Menschen, ernste Krankheitsfälle werden ans Festland nach Norwegen gebracht. Und dennoch zeigt der Plot, dass sehr wohl jemand stirbt, in diesem Fall gewaltsam – und führt den Titel charmant ad absurdum. Der deutsche Titel „Das kalte Schweigen der See“ kann zwar behaupten, dass es im Buch um Meeresforschung geht, ist aber letztlich ein langweiliges Marketingkalkül. Dass noch durch den furchteinflössenden Eisbären auf dem Cover ergänzt wird (die französische Ausgabe macht es leider auch). Ja, ein Eisbär kommt am Anfang prominent vor, aber das wirkt auf mich etwas plump. Echt schade, dass der Verlag hier Cover, Titel und Inhalt nicht angemessen zusammenhalten kann

Nun aber zum Inhalt. Longyearbyen auf Spitzbergen, eine der nördlichsten Siedlungen der Erde. Früher wurde vor allem Kohle gefördert, heute lebt die Stadt hauptsächlich von Tourismus und Forschung. Die Besonderheit von Spitzbergen: Durch einen alten Vertrag besitzen auch die Russen Schürfrechte und haben ihre Präsenz aus geostrategischen Grund nie aufgegeben. Auf Spitzbergen ist der Eisbär das größte Raubtier, daher müssen alle Bewohner außerhalb der Siedlungen eine Waffe mit sich führen. Dies scheint auch der jungen Forscherin Agneta Sørensen zum Verhängnis geworden sein, die den Kadaver einer Pottwals untersuchen wollte. Offenbar wurde sie von einem Eisbär überrascht, hatte kein Gewehr dabei und wurde getötet. Doch die ermittelnde Kommissarin Lotte Sandvik hat von Beginn an ein komisches Gefühl. Die Forscherin galt als gewissenhaft, hatte sonst immer ihr Gewehr dabei. Die beiden russischen Sicherheitsleute, die die Leiche gefunden haben, scheinen ihre Aussagen abgestimmt zu haben. Bald wird es Gewissheit: Die junge Frau wurde ermordet und später einem Eisbären zum Fraß vorgelegt.

Sie wurde von einem vagen Unbehagen ergriffen. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem menschlichen Körper. Natürlich waren da die offenkundlichen Spuren der Bestialität des Bären. Bisse, Kratzspuren, zerfetzte Haut. Aber sie hatte das gefühl, noch etwas anderes wahrzunehmen. Etwas wie eine menschliche Absicht. (Auszug E-Book Pos. 149)

Währenddessen fliegt der Reporter Nils Madsen nach Tromsø. Auf den Lofoten hat seine langjährige Kollegin und ehemalige Lebenspartnerin Åsa Hagen Selbstmord begangen, ist einfach von einer Brücke ins kalte Meer gesprungen. Madsen – voller Trauer – kann sich nicht so einfach mit dem Selbstmord abfinden und beginnt zu recherchieren. Dabei kommt schnell heraus, dass Åsa bedroht wurde. Sie betrieb ein Unternehmen für Whalewatching und setzte sich auch sonst sehr für die Meeressäuger der Region ein. Ein Engagement, für das sie von den lokalen Fischern angefeindet wurde. Madsen sammelt immer mehr Indizien, die für einen Mord sprechen – und bringt sich selbst in die Schusslinie.

Autor Morgan Audic ist im Hauptberuf Gymnasiallehrer für Geographie und Geschichte. „Das kalte Schweigen der See“ ist sein dritter Roman, der erste in deutscher Übersetzung. Die Grundidee zu diesem Plot kam ihm nach eigenen Angaben bei einer Fahrt auf einem Schiff einer Umweltorganisation in der Normandie. Der Background des Autors wirkt sich auch auf das Geschehen im Buch aus. Der Mord an zwei Personen, die Meeresforschung betreiben oder sich für den Schutz des Meeres einsetzen, lässt auf einen Ökothriller schließen. Tatsächlich dreht sich einiges um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur. Doch Audic fächert es breiter auf, bringt viel Landeskunde, Historie und vor allem auch Geopolitik mit in die Handlung ein.

Nicht ganz neu ist die Wahl der Protagonisten und vor allem ihr angeknackstes Seelenleben. Während Lotte Sandvik aufgrund eines traumatischen Einsatzes in ihrer vorherige Dienststelle in Oslo unter einer Angststörung leidet, die sie versucht, vor den Kollegen zu verheimlichen, ist Nils Madsen als Kriegsberichterstatter ein Getriebener, der es im ruhigen, beschaulichen Norwegen kaum aushält. Die Spannungskurve und der Aufbau des Romans sind gut gewählt, nach ein paar Kapiteln wechselt der Schauplatz und die Perspektive. Interessant ist zudem, dass dem Leser natürlich klar ist, dass beide Fälle miteinander zu tun haben müssen, Audic die beiden Handlungsstränge aber erst sehr spät zusammenführt.

Zusammenfassend kann ich sagen, dass mir der Roman ganz gut gefallen hat. Morgan Audic schafft es, ein interessantes polares Setting mit einem nicht alltäglichen Plot zu verknüpfen. Da kann man einen nicht ganz so gelungenen deutschen Titel (und Cover) ganz gut verschmerzen.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Das kalte Schweigen der See | Erschienen am 17.04.2024 im Hoffmann & Campe Verlag
ISBN 978-3-455-01821-9
416 Seiten | 24,- €
Originaltitel: Personne ne meurt à Longyearbyen | Übersetzung aus dem Französischen von Tobias Scheffel und Claudia Steinitz
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wolfgang Schorlau | Black Forest (Band 11)

Wolfgang Schorlau | Black Forest (Band 11)

Elf Bände ist die Reihe inzwischen alt, ins Fernsehen hat es Dengler auch schon geschafft. Ein zweites Standbein hat sich Autor Wolfgang Schorlau zusammen mit Claudio Caiolo mit den erfolgreichen Venedig-Krimis auch schon aufgebaut. Doch an seiner Dengler-Reihe möchte der Autor offenbar festhalten, hat nun nach vier Jahren einen neuen Band veröffentlicht, in dem der Autor wie immer aktuelle politische Themen aufgreift. Diesmal das Thema Klimawandel und Windkraft.

Privatermittler Georg Dengler reist aus Sorge um seine Mutter nach Altglashütten in den Schwarzwald. Eine Polizistin und ein alter Freund hatten ihn angerufen und ihn gebeten, sich um seine Mutter zu kümmern. Sie sehe nachts Gespenster und sei etwas merkwürdig geworden.

„Was hast du gesehen, Mame?“ Mein Ton ist ruhig, meine Stimme tief. Vergeblich versuche ich, diesen einen Gedanken zu unterdrücken: Meine Mutter ist verrückt geworden.
Ihr Blick hat sich nicht verändert. Sie starrt mich immer noch an, aber ich bin mir nicht sicher, ob sie mich sieht. „Schatte“, sagt sie. „In der Werkstatt geischtert immer en Schatte rum. Man kann ihn durch d’Fenster in dei’m Zimmer sehe.“ (S. 49)

Man ahnt schon, dass Denglers Mutter keine Gespenster sieht, auch wenn es ihr Sohn (obwohl er von Haus aus misstrauischer sein müsste) lange vermutet. Selbst als ein Transporter auf der Bundesstraße versucht, sein Auto zu rammen und einen Unfall zu provozieren, bezieht er es eher auf sich. Doch nach und nach dämmert ihm, was seine Mutter in Gefahr bringen könnte: Sie besitzt ein Grundstück in exponierter Lage auf dem Feldberg. Dort möchte ein Investor gerne ein Windrad errichten. Doch darüber ist ein heftiger Streit entbrannt, denn Windkraftgegner wollen dies mit aller Macht verhindern. Zu den lokalen Aktivisten gesellen sich aber noch mächtige Gegner im Hintergrund, die mit fossilen Energien eine Menge Geld verdienen und die Energiewende desavouieren wollen. Ein Windrad auf dem höchsten Gipfel des Schwarzwalds soll da unbedingt verhindert werden. Und mittendrin steht Mutter Dengler, die zudem noch das Problem hat, die entscheidende Besitzurkunde nicht wiederzufinden.

Doch auch Dengler selbst hat ein altes Trauma mit dem Hof, in dem er aufgewachsen ist. Denn in der Tenne starb damals – Dengler war als Kind mit dabei – sein Vater bei einem Unfall. Seitdem traut er sich nicht mehr in die „Denn“. Doch seine in seine wiederkehrenden Alpträume von damals mischt sich ein neues Gefühl. War das damals wirklich ein Unfall?

Ach, eigentlich mag ich die Reihe ja irgendwie schon. Schorlau hatte ein paar wirklich interessante Bände dabei, in denen er interessantes Material recherchiert hat und auf bestimmte Themen und Ereignisse eine andere Sichtweise präsentiert hat, z.B. Auf die dritte Generation der RAF in „Die blaue Liste„, auf das Oktoberfest-Attentat in „Das München-Komplott“ oder auf die NSU in „Die schützende Hand„. Ich mag auch die Figur Dengler, ein Privatermittler auf schwäbisch, mit den ihn ergänzenden Figuren, die sich im Laufe der Reihe auch weiterentwickeln. In diesem Band geht es auch viel um die Mutter. Schorlaus Entscheidung, sie konsequent Alemannisch sprechen zu lassen, finde ich sehr gelungen.

Allerdings war Wolfgang Schorlau schon immer ein Autor, der auch im Text mit seinen Recherchen und Überzeugungen nicht hinterm Berg hielt. Das ist in „Black Forest“ leider auch extrem der Fall. Seine Abhandlungen zum Klimawandel und zur Nutzung von Windkraft bringt er hier ziemlich plump an den Mann, auch durch die Wahl und die Figurendarstellung der Antagonisten. Selbst wenn man Schorlaus politische Überzeugungen in dieser Sache teilt, muss man hier ein ums andere Mal mit den Augen rollen.

Auch ein historischer Strang, den er in den Plot einbaut, hat mich nicht so richtig überzeugt. Denglers Vater war demnach in jungen Jahren unter Wernher von Braun Raketenforscher in Peenemünde und wurde nach dem Krieg von ausländischen Mächten umworben (die Inspiration zu diesem Aspekt stammt vermutlich aus Merle Krögers „Die Experten„). Hier fügt dieser Strang allerdings für meinen Geschmack nicht organisch in die Geschichte ein und wirkt am Ende gar überflüssig.

So muss ich am Ende resümieren, dass ich „Black Forest“ nicht als Highlight der Reihe bezeichnen würde. Wolfgang Schorlau sorgt hier und da für Spannung, bringt auf der Seite der Denglers ein interessantes Figurenensemble zusammen und hat ein wichtiges und relevantes Thema am Start. Was er dann literarisch daraus macht, ist unterdurchschnittlich. Er erzählt zu viel und zeigt zu wenig. Hinzu kommt: Die Bösewichter und Teile des Plots sind schablonenhaft und unterkomplex. Bei aller Verbundenheit mit der Reihe muss ich da einfach mehr erwarten.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Black Forest | Erschienen am 01.10.2024 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-05139-1
444 Seiten | 18,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zur Dengler-Reihe auf Kaliber.17

Alan Parks | Die April-Toten (Band 4)

Alan Parks | Die April-Toten (Band 4)

Im Jahr 2017 startete der ehemalige Creative Director eines Musiklabels, Alan Parks, sein ambitioniertes Projekt einer Krimireihe mit Schauplatz Glasgow in den 1970ern. 12 Bände sind geplant, für jeden Monat einer. Schon Band 1 „Bloody January“ wurde von Kritik und Lesern sehr gelobt (auch von uns). Bereits ein Jahr nach der Veröffentlichung des Originals began Heyne Hardcore mit der Veröffentlichung der deutschen Übersetzung und kam bis zu Band 3 „Bobby March Forever“. Danach war der immer für außergewöhnliche Genreliteratur bekannte Verlag innerhalb des Großkonzerns Penguin Randomhouse Geschichte. Und die Reihe in deutscher Übersetzung erstmal vakant, im Original veröffentlicht Parks fleißig weitere Bände. Doch zum Glück nahm sich jetzt der Polar Verlag dieser Reihe an, die hervorragende Übersetzerin Conny Lösch ist weiterhin dabei und so heißt es: Vorhang auf für Harry McCoys Glasgow, Band 4.

„Ich bin an dieses Bett gefesselt, durchs Fenster sehe ich Glasgow, eine Stadt, die ich nie wirklich gemocht habe. Hier gibt es pro Kopf mehr Säufer als sonst irgendwo. Überall die Kathedralen der Papisten. Die Stadt suhlt sich in ihrem eigenen Dreck, die Menschen rutschen auf Knien, halten die Hand auf, haben ihr kulturelles Erbe billig an die Engländer verscherbelt.“ (Auszug S.373)

Willkommen in Glasgow 1974. Im Gegensatz zu den hippen Metropole heute damals eine Stadt im Niedergang, voller Arbeitslosigkeit, Armut, Alkohol und Kriminalität. Detective Harry McCoy wird zu einem ungewöhnlichen Tatort gerufen. In einem schäbigen Haus mit Sozialwohnungen ist eine Bombe losgegangen, offenbar während der Herstellung, und hat den Bomberleger selbst getötet. Bei Bomben wird man auch in Schottland hellhörig, spitzt sich doch der Konflikt im benachbarten Nordirland gerade richtig zu. Doch eine Verbindung zu den Troubles lässt sich nicht herstellen, auch nicht, als in der Glasgow Cathedrale eine weitere Bombe hochgeht, ohne jemanden zu verletzen. Doch irgendjemand zündet in Glasgow Bomben und McCoy sucht verzweifelt einen Ansatzpunkt. Ein zweiter Fall ergibt sich aus einer privaten Begegnung in einem Pub: Der Amerikaner Andrew Stewart, ehemaliger Navy-Officer, spricht McCoy an und bittet ihn um Hilfe bei der Suche nach seinem Sohn Donny. Dieser ist in der amerikanischen U-Boot-Basis stationiert und seit Tagen spurlos verschwunden. Zunächst widerwillig willigt McCoy ein, Donny zu suchen. Doch je mehr er über dessen Verschwinden erfährt, desto mehr mehren sich Hinweise auf ein Verbrechen und einen Zusammenhang zu Bombenserie.

Währenddessen hat McCoy aber noch andere Sorgen. Sein Jugendfreund aus gemeinsamen harten Tagen in einem Kinderheim, Stevie Cooper, ist – wie aus den Vorgängerbänden wohlbekannt – ein einflussreicher und gnadenloser Gangsterboss in Glasgow. Er hat eine Fehde im Gangstermilieu angezettelt und wird kurz nach Entlassung aus einer kurzen Haftstrafe öffentlich mit einem Messer attackiert. Am frühen Morgen wird der Angreifer dann ermordet aufgefunden und natürlich ist Cooper Hauptverdächtiger. Doch er hat – dank McCoy – ein Alibi.

Sie sah ihn durch den Türspalt an. Nahm einen tiefen Zug von ihrer Capstan und blies ihm den Rauch ins Gesicht. „Du hältst dich wohl für ´ne große Nummer, McCoy. Du denkst, du bist ein großer Bulle, aber du bist genauso einer wie wir alle, wir leben alle auf dem Rücken von Stevie Cooper und tanzen nach seiner Pfeife. Der einzige Unterschied ist, dass du´s nicht zugeben willst.“ (Auszug S.124)

Diese Verbindung zwischen dem Bullen und dem Gangsterboss macht auch den großen Reiz dieser Reihe aus. Harry McCoy ist ein rechtschaffender Polizist mit intaktem Moralverständnis. Natürlich ist er mit den Dienstvorschriften manchmal aufs Kriegsfuss und schlägt über die Stränge, doch die nicht geringe Anzahl an käuflichen Kollegen sind ihm ein Graus. Seine Verbindung zu Cooper ist allerdings seine große Archillesferse, sein Chef weiß, was er an McCoy hat und sieht über die Verbindung hinweg. Doch diese ist und bleibt grenzwertig, denn Cooper reizt die Verbindung gerne aus und stellt McCoy auf die Probe. Er ist ein knallharter und brutaler Gangster. Wer nicht für ihn ist, ist gegen ihn. Es knallt zwischen beiden, doch die Bande zwischen beiden ist tief.

Der Plot verwebt geschickt verschiedene Handlungsstränge und Thematiken. Es geht um schottischen Nationalismus, Hippies, Militaristen, fahrendes Volk, Bandenkriminalität, den Nordirlandkonflikt und die Präsenz amerikanischer Atom-U-Boote in Schottland sowie ein besonders dunkles Thema, das sich erst zuletzt offenbart. Dabei bleibt der Erzähler die ganze Zeit bei der Perspektive der Hauptfigur McCoy, vermag es aber auch den weiteren Figuren und vor allem auch Glasgow und Umgebung Leben einzuhauchen. Musikalisch ist im April 1974 vor allem Abbas „Waterloo“ allgegenwärtig, sehr zum Verdruss McCoys.

Alan Parks macht mit seiner Reihe eigentlich nahtlos weiter, wo er aufgehört hat. Ein hartgesottener Bulle in den düsteren Straßen Glasgows, staubtrockene Dialoge, ein straffer, temporeicher Stil, immer wieder auch mit schwarzem Humor garniert – alles Zutaten für eine kurzweilige Lektüre. Insgesamt eine wirklich gelungene Fortsetzung. Gratulation und Dank an den Polar Verlag für die Übernahme der Reihe.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Die April-Toten | Erschienen am 16.09.2024 im Polar Verlag
ISBN 978-3-910918-06-1
444 Seiten | 26,- €
Originaltitel: The April Dead | Übersetzung aus dem schottischen Englisch von Conny Lösch
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu Band 1 „Blutiger Januar“

Frank Goyke | Saat der Wut

Frank Goyke | Saat der Wut

Auf dem Parkfriedhof in Berlin-Marzahn wird die Leiche von Marija Subotić aufgefunden. Die junge Frau war Romni und betätigte sich politisch und aktivitisch. Sowohl die Gedenksteine auf dem Friedhof als auch die Gedenkstätte in Andenken an ein ehemaliges „Zigeunerlager“ als KZ-Außenstätte vor dem Friedhof sind mit Hakenkreuzen verschmiert. Für das Kripo-Team um Jasper Ackermann ein ernst zu nehmender Ermittlungsansatz, doch nicht der einzige, denn als Aktivistin hat die Tote sich einige Personen zum Gegner gemacht.

„Ich habe mich näher mit der Geschädigten befasst und festgestellt, dass von ihr 23 Anzeigen gegen unbekannt bei der Berliner Polizei vorliegen“, sagte Täschner […] „23 Anzeigen wegen Volksverhetzung, Beleidigung, übler Nachrede oder Verleumdung und auch Straftaten nach §241 StGB.“
„Bedrohungen also auch.“ Ackermann beugte sich vor. „Was für Drohungen?“
„Morddrohungen, aber auch Drohungen mit Taten, die gegen die sexuelle Selbstbestimmung gerichtet sind. Eine Kostprobe gefällig?“ (Auszug S. 67)

Marija Subotić war sehr aktiv als Antifaschistin und als Aktivistin für die Rechte von Sinti und Roma, hat auch zur Geschichte des Porajmos, des Genozids an den Sinti und Roma während der NS-Zeit, recherchiert und Material dokumentiert. Dafür wurde sie an vielen Stellen angefeindet. Zudem hat sie sich auch mit der eigenen Familiengeschichte beschäftigt, ist dafür nach Serbien gereist und hat dort Unerwartetes recherchiert. Letztlich war sie auch Teil von parteiinternen Auseinandersetzung bei der Partei „Die Linke“. Somit gibt es einen extrem breiten Ermittlungsansatz für die ermittenden Beamten.

Frank Goyke, seit über dreißig Jahren als Krimiautor aktiv, aktuell betreibt er übrigens gemeinsam mit Buchhändlerin Cornelia Hüppe auch einen Krimi-Podcast („Mit Knarre, Koks und kalter Platte“), setzt in diesem Roman großen Wert auf eine akkurate Beschreibung der Ermittlungsarbeit. Jasper Ackermann und seine Kollegen müssen eine Vielzahl von Indizien durchforsten, so einige Zeugen befragen und intensive Recherchen machen. Dennoch gelingt es dem Autor, einen gewissen Spannungsbogen in diesem klassischen Whodunnit zu erhalten.

Die gesellschaftspolitische Komponente ist sicherlich das Interessanteste an diesem Krimi. Das zentrale Thema, der Genozid an den Sinti und Roma und die heutige Situation dieser Minderheiten, ist ansprechend wiedergegeben. Noch Luft nach oben hat für mich das Ermittlerteam, die Unterschiedlichkeit der Figuren wirkten etwas gewollt und auch die Dialoge fühlten sich manchmal etwas verkrampft an. Und die Auflösung am Ende war für mich zu risikolos, ohne hier zu spoilern, da hatte ich auf eine brisantere Lösung gehofft. Alles in allem aber ein solider, gesellschaftlich-politisch relevanter Krimi.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Saat der Wut | Erschienen am 31.08.2023 im Jaron Verlag
ISBN 978-3-89773-892-8
224 Seiten | 15,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe