Kategorie: Asservatenkammer

Historische Rückblicke im Bereich Crime fiction

Vor 65 Jahren: Ross Macdonald | Der Fall Galton

Vor 65 Jahren: Ross Macdonald | Der Fall Galton

Er trat gewissermaßen in die Fußstapfen der großen zwei (Chandler und Hammett) der klassischen amerikanischen Hardboiled Novel und wurde zu einem der erfolgreichsten Autoren des Genres: Ross Macdonald, geboren 1915 als Kenneth Millar in Kalifornien (lebte aber ab Kindheit und Jugend bis Anfang der 1940er in Kanada). Seinen Künstlernamen wählte er, um sich von seiner ebenfalls im Krimigenre sehr erfolgreichen Ehefrau Margaret Millar abzugrenzen. Während er als Lehrer arbeitete und seinen Militärdienst ableistete, war sie schon früher als Autorin aktiv (und erfolgreich) als ihr Mann. Zwischen den Eheleuten kam es in den Jahren zu großer schriftstellerischer Konkurrenz bis hin zu häuslicher Gewalt. Leidtragende war ihre gemeinsame Tochter Linda (geboren 1939), die nicht nur die häuslichen Streitigkeiten ihrer Eltern erdulden musste, sondern auch mal mehr, mal weniger offensichtlich in den Figuren der Romane ihrer Eltern auftauchte (hier der sehr interessante Essay von Frank Göhre im Crimemag zu diesem Thema). Linda Millar starb 1970 an einer Medikamentenüberdosis, vermutlich ein Suizid, wenngleich nie vollständig geklärt. Kenneth Millar starb 1983, seine Frau elf Jahre später.

1949 erscheint mit „Moving Targets“ (dt.: Das wandernde Ziel / Reiche sterben auch nicht anders) der erste Roman mit Ross Macdonalds Privatermittler Lew Archer. Bis 1976 („The Blue Hammer“) erscheinen 18 Romane. Archer gehört zwar zur klassischen Schule der amerikanischen „hardboiled detectives“ mit den bekannten Größen Sam Spade und Philip Marlowe, doch ihm Gegensatz zu seinen eher zynischen Kollegen ist er empathischer und reflektierter. Oft angesiedelt im wohlhabenden bürgerlichen Milieu Kaliforniens der 1950er und 1960er drehen sich die Fälle regelmäßig um problematische familiäre Verhältnisse, um verdrängte, tief vergrabene Geheimnisse, die aber zwangsläufig irgendwann wieder ans Tageslicht treten. Archer dringt tief in diese Lebenslügen ein und ist aber stets daran interessiert, die Verwerfungen, die sich ergeben haben, zu kitten.

„Erzählen Sie mir etwas über sich selbst. Warum verbringt ein Mann ihrer Art sein Leben mit einer Arbeit, wie Sie sie tun? Verdienen Sie damit viel Geld?“
„Genug, um davon zu leben. Ich tue sie aber nicht des Geldes wegen, ich tue sie, weil sie mir gefällt.“
„Ist es nicht eine schmutzige Arbeit, Mr. Archer?“
„Das hängt davon ab, wer sie tut, wie bei Ärzten und allen anderen. Ich versuche sie sauberzuhalten. (S. 86-87)

„Der Fall Galton“ ist von 1959 und der achte Band der Reihe. Lew Archer wird vom Anwalt Gordon Sable im Namen von Maria Galton, Witwe eines Ölmillionärs, eingestellt. Er soll ihren Sohn Anthony zu finden, der vor zwanzig Jahren im Streit das Haus verlassen hatte und mit seiner schwangeren Frau verschwand. Es geht ums Erbe, Maria Galton möchte sich vor ihrem Tode mit ihrem Sohn versöhnen.
Archer verfolgt einen Hinweis in die Nähe von San Francisco und findet heraus, dass bei Bauarbeiten unter dem ehemaligen Wohnhaus von Anthony Galton eine Leiche ohne Schädel gefunden wurde – der ehemalige Hausherr? Als dann noch der Diener von Anwalt Sable ermordet wird und ein junger Mann auftaucht, der sich als Sohn von Anthony Galton ausgibt, wird es zunehmend komplex.

Ich fragte mich, ob wir ihm einen Gefallen taten. Im Haushalt der Galtons konnte man das Geld aus einem unerschöpflichen Reservoir wie Wasser aus der Leitung zapfen. Aber Geld bekam man nie umsonst. Wie für jede andere Ware mußte man dafür bezahlen. (S. 150)

Die Komplexität der Geschichte ist nicht untypisch für Ross Macdonald und erinnert an klassische griechische Tragödien. Dabei besticht der Autor durch die psychologische Tiefe der Figuren, die sprachliche Eleganz des Textes und der Dialoge sowie die lässig-hartnäckige, aber nie zynische Hauptfigur. Für Fans des Genres ist Ross Macdonald auf jeden Fall immer zu empfehlen. „Der Fall Galton“ hat inzwischen 65 Jahre auf dem Buckel, doch man kann ihn immer noch gut lesen (obwohl sich in heutigen Zeiten Verwandtschaftsverhältnisse natürlich leichter klären lassen).

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Der Fall Galton | Erstmals erschienen 1959
Die gelesene Ausgabe erschien 1976 im Diogenes Verlag
Originaltitel: The Galton Case | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Egon Lothar Wensk
Die aktuelle Ausgabe erschien 2016 als E-Book im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-60768-0
288 Seiten | 7,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Vor 45 Jahren: Krimipreisträger 1978 & Lionel Davidson | Tod in Chelsea

Vor 45 Jahren: Krimipreisträger 1978 & Lionel Davidson | Tod in Chelsea

Es ist mal wieder Zeit für einen Blick in unsere Asservatenkammer. Diesmal gehen wir 45 Jahre zurück und werfen einen Blick auf die damaligen Preisträger der wichtigsten Krimipreise. Die Datenlage ist allerdings nicht so üppig wie ich gedacht hätte, gab es doch einige der heute bekannten Krimipreise noch gar nicht.

Renommiert war damals allerdings schon der französische Grand Prix de la Littérature Policière. 1978 gewann ihn in der Kategorie national die Autorin Madeleine Coudray für ihren Roman „Dénouement avant l’aube“, der jedoch nie ins Deutsche übersetzt wurde. Eine Autorin aus dem Agatha Christie-Rätselsegment, deren Bücher erst nach ihrer Pensionierung im hohen Alter heraugegeben wurden und die bereits im gleichen Jahr der Preisverleihung verstarb.

Ebenfalls eine lange Tradition hat naürlich der amerikanische Edgar Award. 1978 gewann dort William H. Hallahan mit „Catch Me, Kill Me“ (dt. „Ein Fall für Diplomaten“). Beides sagte mir bislang nichts, Hallahan war ein Autor, der sich unter anderem auch bei okkulten Romanen und historischen Sachbücher tummelte. Protagonist des Romans ist Ex-CIA-Agent Charlie Bewer, der noch in drei weiteren späteren Werken Hallahans vorkommt. Knapp geschlagen wurde damals übrigens William McIllvanney mit seinem legendären „Laidlaw“.

Kommen wir zuletzt zum britischen Dagger Award. Den „Gold Dagger“ für den besten britischen Kriminalroman gewann vor 45 Jahren Lionel Davidson mit „The Chelsea Murders“ (dt. „Tod in Chelsea“). Davidson ist damit hinter Ruth Rendell auf Platz 2 der AutorInnen mit den meisten Gold Daggern. Bereits 1960 gewann er mit „The Night of Wenceslas“ (dt. „Die Nacht des Wenzel“) und 1966 mit „A Long Way to Shiloh“ (dt. „Das Geheimnis der Menora“). So habe ich mir dann auch seinen Roman mal für diese Rubrik vorgenommen.

Lionel Davidson | Tod in Chelsea

Ein Mörder geht um in Chelsea: Nach mehreren brutalen Morden innerhalb weniger Wochen tappt die Polizei noch ziemlich im Dunkeln, zumal eine Verbindung zwischen den Opfern bislang nicht gefunden wurde. Die Presse schlachtet die Morde genüßlich aus, versucht mit allen Tricks an Hintergrundinformationen zu kommen. Nach dem dritten Mord an einer 25jährigen Frau, die als Modell in der Kunstakademie und als Bardame gearbeitet hatte, gerät eine Filmcrew der Akademie in den Fokus von Chief Superintendant Warton.
Diese Filmcrew aus Studenten und Absolventen der Akademie dreht einen blutigen Independent-Krimi und waren zum Zeitpunkt des dritten Mordes bei Dreharbeiten am anderen Themseufer in Sichtweite des Tatorts. Die treibenden Köpfe des Teams sind Artie Johnson als Produzent, Steve Griffard als Regisseur und Frank Colbert-Greer als Art Director. Permanent klamm hangeln sie sich von Drehtag zu Drehtag und versuchen zwischendurch Sponsoren oder Spender für weitere Kosten des Films aufzutreiben. Immer wieder an ihrer Seite ist die junge Journalistin Mary Mooney, die mit ihnen bekannt ist und die Morde als Chance sieht, ihre journalistische Karriere nach vorne zu bringen.

Der Chinese Chen hatte das Geschäft um zwanzig vor sieben verlassen. Die beiden jungen Männer hatten die Leiche zwanzig vor acht entdeckt.
In dieser einen Stunde war der Chinese ermordet worden. Und für diese Stunde hatten sie Alibis. Warton hatte sie laufen lassen müssen. Er hatte es nur widerwillig getan, weil er Alibis nicht leiden konnte. Wer unschuldig war, hatte selten eines vorzuweisen. In diesem Fall schien jeder ein Alibi zu haben. (Auszug Pos. 2019)

Der britische Autor Lionel Davidson war zunächst als Journalist tätig und arbeitete als Berichterstatter aus ganz Europa für britische Medien. Dabei entwickelte sich die Idee, es auch als Romanautor zu versuchen. Er war – wie oben bereits an den Preisen ersichtlich – in den 1960ern und 1970ern äußerst erfolgreich mit mehreren Thrillern und Spionageromanen. Große Bekanntheit erlangte auch sein 1962 veröffentlichter Abenteuerroman „Die Rose von Tibet“, in dem ein Brite nach Tibet reist, um nach seinem bei einer Everest-Expedition verschollenen Stiefbruder zu suchen. Davidson verstarb 2009 in London. In seinem Werk ist „Tod in Chelsea“ thematisch ein Ausreißer, denn hier setzte Davidson zum ersten Mal auf einen Polizeikrimi mit relativ klassischem Whodunit-Aufbau.

Der Roman beginnt auch relativ bedächtigt. Davidson lässt sich viel Zeit, um sein Personal und die Beziehungen untereinander vorzustellen, was die Spannungskurve nicht gerade erhöht. Doch spätestens, als Mörder beginnt, der Polizei Gedichtsauszüge als Ankündigung und Hinweis auf folgende Taten zuzuschicken und sich das Verdächtigenkarussell immer mehr auf die drei seltsamen und alle nicht unverdächtigen Gestalten von der Filmcrew verengt, greift dieser Whodunit-Reiz und das macht Davidson dann auch ziemlich ordentlich.

Der Roman gibt zudem einen Einblick in die knallharte Medienkultur in Großbritannien und in die Subkultur rund um die Filmcrew, wobei so manche Nebenfigur allerdings am Rande der Karikatur und darüber hinaus skizziert wird. Letztlich also eine Lektüre, die den versierten Leser etwas unentschieden zurücklässt. Positiv verbleibt allerdings die Schilderungen der polizeilichen Bemühungen und das gut gelungene Rätsel um den Mörder bis zum Schluss.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Tod in Chelsea | Erstmals erschienen 1978
Aktuelle Ausgabe als E-Book bei Edel Elements
ASIN: B00R56EW7O | 3,99 €
Originaltitel: The Chelsea Murders | Übersetzung aus dem Englischen von Christine Frauendorf-Mössel

In Erinnerung: Peter Zeindler (1934-2023) | Die Ringe des Saturns

In Erinnerung: Peter Zeindler (1934-2023) | Die Ringe des Saturns

Am 07.05.2023 verstarb Peter Zeindler in seiner Heimat Zürich. Es war in letzter Zeit still geworden um den Autor, dessen Name vielen Krimifans, die erst in den letzten 20 Jahren zum Genre gestoßen sind, vermutlich nicht mehr viel sagte. Dabei ist Zeindler bis heute Rekordsieger beim Deutschen Krimipreis „National“. Gleich viermal war er auf Platz 1 des prestigeträchtigen Preises: 1986, 1988, 1990 und 1992 für seine Romane „Der Zirkel“, „Widerspiel“, „Der Schattenagent“ und „Feuerprobe“, zudem erhielt er 1996 den Ehrenglauser für sein Lebenswerk.

Peter Zeindler wurde 1934 in Zürich geboren, wuchs in Schaffhausen auf, studierte später Germanistik und Kunstgeschichte. Er arbeitete als Dozent und Deutschlehrer, ehe er schließlich eine journalistische Laufbahn einschlug, unter anderem als Redaktuer und Moderator beim Schweizer Radio und Fernsehen. Zeindler schrieb ab Ende der 1960er fürs Theater und Hörspiele, 1992 schließlich seinen ersten Roman „Tarock“.

Große Bekanntheit erlangte Zeindler dann mit seiner Romanreihe um Konrad Sembritzki. In insgesamt zwölf Romanen ist Sembritzki Hauptfigur, der letzte Roman „Die weiße Madonna“ erschien 2014. Zeindler verstand sich dabei ausdrücklich nicht als Krimiautor, sondern als „Autor von Spionageromanen“ und betonte die literarische Seite seines Schreibens. Dem Deutschlandfunk sagte er mal: „Ich bin nicht bereit, alle Zugeständnisse an das Genre zu machen, nur damit es mehr Thrill hat. Ich weiß, dass ich manchmal zwischen Stuhl und Bank sitze mit meinen Büchern, weil ich nicht das spezifische Publikum so bediene, wie es erwartet wird.“

Das erste Mal taucht Konrad Sembritzki in Zeindlers zweitem Roman „Die Ringe des Saturns“ auf. Er ist Antiquar in Bern und war ehemals Agent des deutschen Bundesnachrichtendienstes und wird aber, obwohl offiziell außer Dienst, immer wieder in Geheimdienstaktivitäten involviert. Sembritzki ist ein Netzwerker, ein Strippenzieher, kein Mann fürs Grobe. Dabei erweist er sich als Melancholiker und einsamer Mann, der sich zwar mit nur begrenzter Unterstützung in einer komplizierten Welt von Täuschung, Tarnung und sich ändernden Machtbereichen zurechtfindet, aber den inneren Hafen, ein vertrautes Alltagsleben, nicht herzustellen vermag.

Die Ringe des Saturns

Konrad Sembritzki wird von seinem ehemaligen Führungsoffizier im BND, Stachow, kontaktiert. Er soll die Teilnahme an einer Fachkonferenz in Prag als Tarnung nutzen, um sein altes Spionagenetzwerk in der CSSR wiederzubeleben. Stachow steht wegen angeblicher Truppenbewegungen des Ostblocks intern unter Druck. Schon auf dem Weg zum Geheimtreffen am Bodensee bemerkt Sembritzki, dass er beschattet wird. Kurz nach dem Treffen wird Stachow tot aufgefunden. Sembritzki wird nach Pullach zitiert und erhält von seinem neuen Chef Römmel den gleichen Auftakt, allerdings mit anderer Ausrichtung: Der BND erwartet Beweise für die Truppenbewegungen und Stationierung neuer Mittelstreckenraketen der Sowjets.

Sembritzki sucht Kontakt zu alten Verbündeten im BND und ihm wird klar, dass der Regierungswechsel in Bonn nun die Falken in den BND gebracht hat. Statt Abrüstung wird nun über neue Waffen diskutiert, um der Bedrohung aus dem Osten zu begegnen. Sembritzki wird vom BND und mächtigen Lobbyisten unter Druck gesetzt. Doch so leicht will sich Sembritzki nicht instrumentalisieren lassen. Er reist nach Prag in die Höhle des Löwen. Dort wartet auch seine alte Liebe Eva, mit deren Hilfe er sich echte Informationen erhofft.

Er war kein Partisan der Friedensbewegung. Er war nur ein Gegner der Gewalt. Und das war für ihn nicht dasselbe. Er war ein Partisan des kalten Krieges, dieses Zwischenspiels, das Kriege voneinander trennte. Er war ein Traumtänzer zwischen den Fronten, der sich immer wieder einredete, daß er mit seiner Tätigkeit zwar den Krieg verhinderte, daß sie aber allein, in unmittelbarer Nachbarschaft der Zerstörung, jene kreativen Kräfte in ihm zu mobilisieren vermochte, die ihm das Alltagsleben nie entlocken konnte. (Auszug S.98)

Ein komplexer Spionageroman, der vor dem inzwischen historischen, damals aber hochaktuellen Szenario des NATO-Doppelbeschlusses, der atomaren Aufrüstung und eines wieder heiß werdenden kalten Kriegs spielt. Die Hauptfigur Sembritzki muss sich durch ein Feld sehr unterschiedlicher Interessensgruppen hindurchlavieren. So gibt es die neue Führung des BND, die wie weitere Akteure des militärisch-industriellen Komplexes auf die atomare Aufrüstung setzt. Auf der anderen Seite Oppositionelle im BND und eine Friedensbewegung, auch in der CSSR, die auf Abrüstung hoffen. Zuletzt auch der tschechoslowakische Geheimdient, der Sembritzki Netz enttarnen will.

„Die Ringe des Saturns“ ist zwar vom Thema her oberflächlich etwas in die Jahre gekommen, durch den neuen Konflikt zwischen Russland und der NATO aber dennoch wieder interessant zu lesen, auch vor dem Hintergrund, wie defensiv die NATO tatsächlich agiert. Ansonsten ist es ein klassischer Spionagethriller, der sich im Genre deutlich eher im Spielfeld eines Le Carrés als eines Flemings bewegt. Das bedeutet, dass Peter Zeindler deutlich mehr Augenmerk auf die Figuren und ihre Rolle im Spiel der Kräfte legt, als auf Action und Spannung (die jedoch durchaus auch vorhanden ist). Die Welt der Spionage ist und bleibt komplex und so auch die melancholische Hauptfigur Konrad Sembritzki.

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Die Ringe des Saturns | Erstmals erschienen 1984
Die gelesene Ausgabe erschien 1992 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-05200-9
304 Seiten | 12,80 DM
Bibliografische Angaben & Leseprobe (aktuell nur antiquarisch erhältlich)

Quellen:

H.P. Karr: „Zeindler, Peter“ im „Lexikon der deutschen Krimi-Autoren“ unter www.krimilexikon.de;
Katja Schönherr & Felix Münger: „Nachruf auf Peter Zeindler – Der Schweizer Meister des Spionageromans ist tot“ auf srf.ch

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 2)

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 2)

Im Jahr 1998 haben uns auch einige Autor:innen für immer verlassen. So im April Francis Durbridge im Alter von 85 Jahren. Durbridge war für mich wie auch Edgar Wallace immer mit dem Begriff „Straßenfeger“ verbunden. Meine Eltern erzählten mir, dass die Straßen wie leer gefegt waren, wenn eine Krimiverfilmung von Durbridge in den 1960ern im Fernsehen lief. Was mich mit hochgezogenen Augenbrauen in den 1980ern oder 1990ern zurückgelassen hat, war man doch inzwischen anderes von Tempo und Inszenierung gewohnt. Ich muss allerdings gestehen, dass ich noch nie einen Roman von Durbridge gelesen habe.

Das ist beim zweiten Todesfall ganz anders. Am 22.10.1998 verstarb Eric Ambler 89-jährig, einer meiner Lieblingsautoren unter den Klassikern. Ambler gilt bis heute als einer der versiertesten Autoren von Politthrillern und durch seine lange Schaffensphase von Mitte der 1930er bis in die Mitte der 1980er als Chronist des 20.Jahrhunderts. In seiner ersten Phase in den 1930ern war er noch stark links unterwegs mit unverkennbaren Sympathien für den Kommunismus, dies änderte sich mit der zweiten Phase ab 1951 als er in seinen Thrillern allen Seiten ihr Fett weg bekommen. Sein bekanntestes Werk ist sicherlich „Die Maske des Dimitrios“. Mein bisheriger Favorit von ihm ist „Doktor Frigo“, ein feiner, zynischer Roman, wie eine Großmacht einen Putsch in einer Banenenrepublik organisiert.

Was gibt es sonst noch für bemerkenswerte Kriminalromane des Jahres 1998, die bisher nicht genannt wurden? „Komm, süßer Tod“, der dritte Brenner-Krimi von Wolf Haas, in dem der Brenner sich unter die Rettungssanitäter mischt. Der Roman gewann später den Deutschen Krimi Preis 1999. In den USA erscheinen „Die Trying“ („Ausgeliefert“), der zweite Thriller von Lee Child über den Veteranen und Einzelgänger Jack Reacher sowie „Gone Baby Gone“ von Dennis Lehane aus der sensationellen Kenzie/Gennaro-Reihe, in Großbritannien „On Beulah Height“ („Das Dorf der verschwundenen Kinder“) von Reginald Hill, einer der erfolgreichsten Dalziel/Pascoe-Romanen.

Daneben gibt es auch eine Reihe Debüts, zum einen generell von neuen Autor:innen, zum anderen von Reihen, die teilweise bis heute laufen. So etwa Jörg Juretzkas Ruhrpott-Privatdetektiv Kristof Kryszinski, dessen erster Fall „Prickel“ 1998 erschien. Genau wie Friedrich Anis „Die Erfindung des Abschieds“, der erste Roman mit Tabor Süden. Ebenfalls neu war Alfred Komareks melancholischer Inspektor Simon Polt mit „Polt muss weinen“.

International trat zum einen der Detroiter Autor Steve Hamilton mit „Ein kalter Tag im Paradies“ zum ersten Mal in Erscheinung, der ersten Roman einer Serie um den Privatdetektiv und Ex-Cop Alex McKnight. Der Roman gewann mehrere Preise als bestes Debüt. Ebenso ausgezeichnet wurde 1998 das Debüt einer schottischen Autorin. Denise Mina ist heute eine der renommiersten Krimiautor:innen ihrer Heimat, gewann in den letzten fünf Jahren dreimal den Deutschen Krimipreis. Im Jahr 1998 erschien ihr Erstling „Garnethill“.

Denise Mina | Garnethill (Deutscher Titel: Schrei lauter, Maureen)

Das Jahr 1998 war auch der Beginn der Karriere einer jungen schottischen Schriftstellerin. Denise Mina, Juristin mit einem Lehrauftrag für Kriminologie veröffentlichte mit Garnethill ihren ersten Kriminalroman und erhielt dafür direkt den „Dagger“ für den besten Debütroman. Mit ihrem ersten Roman der Garnethill-Trilogie knüpft sie auch an einen persönlichen Interessenschwerpunkt an: Der Umgang mit Frauen im Strafvollzug, Forensik und Psychiatrie.

Maureen O’Donnell lebt im Stadtteil Garnethill in Glasgow. Die junge Frau hat aufgrund eines sexuellen Missbrauchs durch ihren Vater psychische Probleme und ist in Behandlung. Sie lebt in einer undefinierten Beziehung mit Douglas, ein Therapeut (nicht ihr Therapeut) aus einer Klinik, in der sie war. Allerdings zweifelt Maureen an der Sinnhaftigkeit der Beziehung und erhält schließich Gewissheit, dass Douglas ihr verschwiegen hat, dass er verheiratet ist. Am selben Abend nach dieser Information lässt sich Maureen mit ihrer Freindin Leslie vollaufen, kommt irgendwann spät nach Hause und stürzt nur noch betrunken ins Bett. Am nächsten Morgen findet sie Douglas in ihrem Wohnzimmer – an einen Stuhl gefesselt und brutal ermordet. Relativ klar, wen die Polizei und die Presse als Hauptverdächtige einstuft.

Der Roman erhält seinen besonderen Reiz dadurch, dass über lange Zeit Maureen selbst bzw. ihr Bruder Liam als Verdächtige gelten. Maureen stellt daraufhin eigene Nachforschungen an und stösst auf einen Abgrund von sexuellem Missbrauch in einer psychiatrischen Einrichtung. Traumatisierte Frauen, voller Ängste, die in einer vermeintlich sicheren Umgebung erneut Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind. Schon in ihrem ersten Roman spielt Denise Mina ihre Fähigkeiten aus, die auch in der Folgezeit in ihren Romanen beeindrucken: Ausgefeilte Psychogramme, das Analysen von Beziehungen und Familienkonstellationen und lebensnahe, auch durchaus unbequeme Figuren. Ein empfehlenswertes Debüt.

 

Im internationalen Film gab es 1998 ein paar Krimis, Thriller oder Gangsterfilme, die im Gedächtnis geblieben sind. Allen voran sicherlich der nächste Coup der Coen-Brüder: „The Big Lebowski“, ein wunderbar skurilles Werk mit deutlichen Anleihen an Raymond Chandler mit Jeff Bridges in der Rolle seines Lebens als der Dude. Bei mir ebenfalls sehr hoch im Rennen ist „American History X“, ein verstörendes Drama über die amerikanische Neonaziszene mit Edward Norton in oscarreifer Form (er verlor allerdings gegen Roberto Benigni). Bis heute verstört mich diese Brutalität mit dem „Bordsteinbashing“.

1998 war ich noch sehr häufig im Kino und kann mich noch an einige Filme gut erinnern. „Cop Land“ etwa war für mich die beste schauspielerische Leistung von Sylvester Stallone bis heute, „Ronin“ mit Jean Reno, Natasha McElhone und Robert de Niro zeigte großartige Autoverfolgungsjagden durch Paris und „Out of Sight“, die Verfilmung eines Elmore Leonard-Romans mit George Clooney und Jennifer Lopez, war eine äußerst lässig-charmante Gangsterkomödie. Deutlich brutaler und schwarzhumoriger war hingegen das Kinodebüt des britischen Regisseurs Guy Ritchie: Im August kam in Großbritannien „Lock, Stock & Two Smoking Barrels“ in die Kinos.

Bube, Dame, König, grAS (Originaltitel: Lock, Stock & Two Smoking Barrels)

Die vier Kumpels Eddy, Tom, Soap und Bacon fristen ein überschaubares Dasein als Kleinganoven, hoffen jedoch auf einen großen Gewinn, in dem sie 100.000 Pfund zusammenbringen und der talentierter Pokerspieler Eddy sich damit bei einer illegalen Pokerrunde des lokalen Gangsterbosses und Pornokönig „Hackebeil“ Harry einkaufen kann. Doch es kommt natürlich anders, Eddy wird beim Spiel gelinkt und steht plötzlich mit einer halben Million bei Harry in der Kreide, der das Geld innerhalb einer Woche wiedersehen will. Durch einen Zufall hört Eddy durch die dünnen Wände ihrer Wohnung, wie ihr Nachbar, der Gangster Dog einen Raubüberfall auf ein paar Marihuana-Züchter mit einer Menge Gras und eine Menge Geld planen. Das könnte eine Chance sein, die Schulden zu begleichen. Währenddessen gibt „Hackebeil“ Harry den Raub von zwei antiken Flinten in Auftrag, die im Verlauf der Geschichte noch eine Rolle spielen werden.

Guy Ritchies Kinofilmdebüt ist eine rabenschwarze Gangsterkomödie, die den Regisseur und Drehbuchautor direkt zu einem der Hoffnungsträger des britischen und europäischen Films machte. Eine Rolle, die Ritchie bis heute nur teilweise erfüllen konnte. „Bube, Dame, König, grAS“ war allerdings als Independentfilm ein großer Erfolg, brachte Ritchie außerdem einen Edgar Award für das beste Drehbuch ein.

Der Film steht in der Tradition britischer Gangsterfilme und natürlich umweht auch so ein wenig Tarantino die Szenerie. Viele skurrile Figuren, parallele Handlungsstränge, (w)irre Wendungen, lässige Sprüche und schwarzer Humor machen den Film trotz der enormen Gewaltausbrüche äußerst sehenswert. Der katholische Filmdienst beschwerte sich zwar über das vermittelte „fatalistische Weltbild“ – aber so what? Vor allem hat der Film einen durchgängigen Style, der überzeugt. Sepiatöne, Slomo, Einfrieren des Bildes und so weiter sowie einen lässigen Erzähler (in der deutschen Synchronisation von Martin Semmelrogge gesprochen – eine exzellente Wahl): Guy Ritchie macht in Visualisierung und Gesamtkomposition sehr vieles richtig. Dazu ein abwechslungsreicher Soundtrack zwischen Soul, Funk und Britpop (Besonders begeistert war ich vom Sirtaki zur Szene, als beide Gangsterclans aufeinandertreffen). Außerdem ein hervorragender Cast (u.a. mit Sting!) mit dem Highlight Fußballer Vinnie „The Axe“ Jones als Geldeintreiber Big Chris. Auch nach 25 Jahren ist „Bube, Dame, König, grAS“ ist immer noch eine gute Wahl für einen kurzweiligen Gangsterfilm.

 

Fotos, Rezensionen und Begleittext von Andy Ruhr und Gunnar Wolters.

Schrei lauter, Maureen | Im Original erschienen 1998 bei Bantam Press
Die gelesene Ausgabe erschien 2001 im Knaur Verlag
ISBN 978-3-426-61926-1
427 Seiten | 8,90 €
Originaltitel: Garnethill | Übersetzung aus dem Englischen von Doris Styron

Bube, Dame, König, grAS | Kinostart (UK) am 28. August 1998
Die Blue-Ray erschien am 19. März 2011 | 10,99 €
Laufzeit 1 Std. 47 Min. | FSK 16

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 1)

Vor 25 Jahren: 1998 in Crime Fiction (Teil 1)

Wir öffnen wieder die Asservatenkammer und werfen einen Blick auf die Kriminalliteratur und den Kriminalfilm im Jahr 1998. Wo fängt man da am besten an? Vielleicht bei den Bestsellerlisten? Die Spiegel-Bestsellerliste bringt für das Jahr Erstaunliches zu Tage. Nur vier Bücher waren in diesem Jahr ganz oben auf der Verkaufsliste – und mit der Ausnahme von Marianne Fredriksson waren es nur Kriminalautor:innen. Alle bis heute sehr erfolgreich, wenngleich es für John Grisham (1998 mit „Der Partner“) und Ingrid Noll (mit „Röslein rot“) die vermutlich erfolgreichste Phase ihrer Karriere war. Für Donna Leon mit „Sanft entschlafen“, dem sechsten Fall von Commissario Brunetti, war es hingegen die erste Nummer Eins der Liste, der allerdings noch eine Menge folgen sollten.

Ein weiterer Trend im Genre, der ab Ende der 1990er langsam aufkam, ist der sogenannte „Nordic Noir“, früher salopp und unpräzise „Schwedenkrimi“ getauft. 1998 markiert dabei einen Meilenstein, denn erstmal erschien ein Roman Henning Mankells in einem großem Publikumsverlag („Die weiße Löwin“ bei dtv). Zuvor war Mankell beim kleinen Berliner Verlag edition q erschienen, einem Imprint des Quintessenz Verlags, der eigentlich auf Fachliteratur zur Zahnheilkunde spezialisiert ist. Damit stieg Mankell mit seinen Wallander-Krimis in den Folgejahren zum meistverkauften Krimiautor in Deutschland auf. Interessant zum Jahr 1998 ist außerdem des Erscheinen weiterer nordischer Krimis, etwa der Debütromane von Arne Dahl oder Liza Marklund sowie von „Kakerlaken“, des zweiten Harry-Hole-Romans von Jo Nesbø.

Kommen wir zu weiteren markanten Autoren, die die Kriminalliteratur 1990er mit ihren Werken dominierten (teils bis heute). Dazu zählt neben John Grisham, Tom Clancy (1998 mit „Rainbow Six“ Nr. 1 der NYT-Bestsellerliste), Stephen King (1998 erschien „Bag of Bones“, in deutscher Übersetzung später „Sara“ ) und James Lee Burke (gewann 1998 sowohl den Edgar als auch den Dagger mit zwei unterschiedlichen Büchern) auch Michael Connelly, der ab 1992 mit seiner Harry-Bosch-Serie große Erfolge feierte. Neben Bosch etablierte Connelly weitere Hauptfiguren, etwa den Journalisten Jack McEvoy ab 1996 und später den Anwalt Mickey Haller. In seinem Roman 1998 erschienenen 7. Roman „Blood Work“ ist der FBI-Profiler Terry McCaleb der Protagonist.

Michael Connelly | Blood Work (Deutscher Titel: Das zweite Herz)

Nach einer Herztransplantation lebt der einst ausgesprochen erfolgreiche FBI-Agent Terry McCaleb auf einem Boot im Hafen von Los Angeles. Als Graciela Rivers ihn bittet, den Mord an ihrer Schwester Gloria Torres zu untersuchen, die bei einem Raubüberfall erschossen wurde, lehnt er das rundweg ab. Erst als er erfährt, dass in seiner Brust das Herz der ermordeten Gloria schlägt, ändert er seine Meinung. Die ermittelnden Polizisten vom LAPD sind alles andere als begeistert, dass sich ein Privatschnüffler einmischt. Einzig Jaye Winston vom County-Sheriff-Büro ist Terry noch was schuldig und besorgt ihm alle Unterlagen sowie Videos des Falls. Durch mühselige Aktendurchsicht findet McCaleb tatsächlich Verbindungen zu ähnlich gelagerten Fällen und glaubt nicht an einen schlichten Raubüberfall. Seine Vermutung, dass ein Serienkiller am Werk ist, bringt wiederum das FBI auf den Plan und auch die wollen McCaleb nur ausbooten.

Den Thriller habe ich vor Jahren gelesen, konnte mich aber nicht mehr so richtig daran erinnern. Also habe ich mir noch mal das Hörbuch vorgenommen. Blood Work ist durchgehend spannend inszeniert, zu Beginn haben wir richtig emotionale Momente, wenn Terry den kleinen Sohn der ermordeten Gloria kennenlernt, ihn und Graciela auf sein Boot einlädt und ihm Angeln beibringt. Der Mittelteil verfängt sich ein bisschen in dem Dienstgerangel zwischen LAPD, Sheriff und FBI. Wir begleiten Terry bei der Spurensuche und Verfolgung der einzelnen Indizien. Terry, der durch die schwere Operation noch gehandicapt ist, lässt sich dabei von seinem Nachbarn und gutem Freund Buddy zu den einzelnen Zeugen fahren, um die Hinweise zusammen zu setzen. Die Auflösung ist dann wieder eine große Überraschung. Richtige Old-school-Vibes entstehen, wenn McCaleb in Telefonzellen telefoniert oder wichtige Anrufe verpasst, weil er vergisst, den Anrufbeantworter abzuhören. Überrascht wurde ich durch den Einsatz von Hypnose bei der Vernehmung, die ausführlich beschrieben wurde. Meiner Meinung nach schreibt Connelly inzwischen authentischer mit mehr Gewicht auf der glaubwürdigen Beschreibung des Polizeialltages, aber unterhaltsam war Blood Work allemal.

2002 wurde der Stoff unter der Regie von Clint Eastwood verfilmt, der auch die Hauptrolle übernahm, allerdings in wichtigen Teilen vom Roman abweicht.

Apropos Film, unser Rückblick soll sich ausdrücklich auch auf Crime Fiction auf der Leinwand erstrecken. Hier fällt auf, dass der Trend zu Krimi-/Actionkomödien gerade wohl auf dem Höhepunkt war. „Rush Hour“ und „Lethal Weapon 4“ zählten zu den meistgesehensten Filmen des Jahres. Einziger Genrefilm, der bei den Oscars 1998 etwas Zählbares mitnahm (mehr war gegen „Titanic“ nicht drin), war „L.A.Confidential“ aus dem Vorjahr (Kim Basinger als beste weibliche Nebenrolle und Curtis Hanson und Brian Helgeland für das beste adatierte Drehbuch nach dem Roman von James Ellroy).

Bemerkenswert bei den deutschen Filmen waren aus unserer Sicht vor allem zwei Werke. Zum einen Hans-Christian Schmids Film „23 – Nicht ist so wie es scheint“ um einen Gruppe westdeutscher Hacker, die irgendwann Spionage für den KGB betreiben. Herausragend das Spiel von August Diehl in der Figur des zunehmend paranioden Karl Koch. Zum anderen der wahrscheinlich auch internation bekannteste deutsche Film des Jahres: „Lola rennt“ von Tom Tykwer.

Lola rennt

In dem spannenden Film muss Lola drei Mal durch die Straßen von Berlin rennen, um ihrem Freund Manni aus der Patsche zu helfen. Der Kleinganove, gespielt von Moritz Bleibtreu sollte als Geldkurier für einen Autoschieber jobben, doch nach der Geldübergabe hatte er die Plastiktüte mit den 100.000 DM in der U-Bahn liegen gelassen. Verzweifelt ruft er aus einer Telefonzelle Lola an, denn sein Chef will in 20 Minuten das Geld abholen. Und mit Gangsterboss Ronny, gespielt von Heino Ferch, ist nicht zu spaßen. Zwecks Geldbeschaffung will der verzweifelte Manni einen Supermarkt überfallen. Lola hat 20 Minuten Zeit, das Geld anderweitig zu besorgen und das Leben ihres Geliebten zu retten. Ein Lauf gegen die Zeit um Leben und Tod.

Das Filmplakat mit der rennenden Franka Potente als rothaarige Lola habe ich immer noch vor Augen. Als der Thriller vor 25 Jahren in die Kinos kam, überraschte er durch seine Originalität sowie innovativen Ideen. Ähnlich einer Zeitschleife wird dreimal dieselbe Zeitspanne von 20 Minuten gezeigt, jedes Mal mit minimalen Unterschieden, die zu alternativen Abläufen führt. Schmetterlingseffekt sozusagen! Dabei ändert sich nicht nur Lolas eigene, sondern auch die Zukunft aller Personen, auf die sie während ihres Laufs trifft. Deren Zukunft wird in sekundenkurzen Sequenzen von Fotostrecken in den verschiedenen Varianten wiedergegeben.

Der kommerziell äußerst erfolgreiche Film wurde auch im Ausland extrem gefeiert und bedeutete für Regisseur und Produzent Tom Tykwer den großen Durchbruch. Der Film ist gespickt mit visuellen Spielereien, die man so zu dieser Zeit noch nicht gesehen hatte. Realfilmszenen wechseln sich mit kurzen Zeichentrickpassagen ab. Rasante Schnitte im Stakkato-Rhythmus und die dazu passende treibende Techno-Musik geben dem Film ein ungeheures Tempo. Und grade mit dieser Dynamik fängt der Film das Lebensgefühl der damaligen Zeit ein. Dazu die ausdruckstarke Franka Potente in der Titelrolle, die auch für sie der Durchbruch zum Star bedeutete.

Ein actiongeladener Thriller und eine Gangsterballade, in der es um die Macht des Schicksals und um die Liebe geht.

 

Fotos, Rezensionen und Begleittext von Andy Ruhr und Gunnar Wolters.

Das zweite Herz | Im Original erschienen 1998 bei Little, Brown and Company
Das Hörbuch erschien am 01. April 2008 im audio media verlag | Gekürzte Lesung von Engelbert von Nordhausen
ISBN 978-3-86804-471-3
6 Audio-CDs (Gesamtspielzeit: ca. 473 Minuten) | 7,98 €
Originaltitel: Blood Work | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Sepp Leeb

Lola rennt | Kinostart am 20. August 1998
Die Blue-Ray erschien am 27. Mai 2011
Laufzeit 1 Std. 19 Min. | FSK 12 | 6,22 €