Kategorie: Gangsterroman

Don Winslow | City On Fire (Band 1)

Don Winslow | City On Fire (Band 1)

Danny Ryan sieht die Frau dem Wasser entsteigen, sie taucht auf wie ein Bild aus einem Traum vom Meer, wie eine Vision. Nur dass sie real ist und es wegen ihr Ärger geben wird. Wie meistens mit schönen Frauen. (Auszug Anfang)

Mitte der 80er Jahre regieren in Providence im US-Bundesstaat Rhode Island zwei lokale Mafiaclans fast friedlich nebeneinander. Den irischstämmigen Murphys gehören die Docks und die Gewerkschaften, die italienischstämmigen Morettis kontrollieren die Restaurants, das Glücksspiel und die Prostitution. Bei Unstimmigkeiten trifft man sich zum Bier im Hinterzimmer des örtlichen Pubs. Skrupel hatte man bisher nur beim Drogenhandel und überlässt dieses Geschäftsfeld lieber noch den Afro-Amerikanern. In „Dogtown“, einem ärmeren Viertel, benannt nach den Rudeln wilder Hunde, die hier vor langer Zeit nach Schlachtabfällen suchten, müssen alle zusehen, wie sie zurechtkommen. Die Fischerei bringt nicht mehr viel ein und auch die Werften und Fabriken sichern immer weniger die Einkommen. Schon seit Generationen haben sich die ehemaligen Einwanderer gegen die verhassten Yankees verbündet.

Eklat bei Strandparty
Der alte italienische Clanboss Pasco Ferri veranstaltet immer am Labor-Day-Wochenende ein großes Grillfest am Strand. Natürlich sind bei diesem Clambake auch die irischen Mobster eingeladen und lassen es sich bei gegrillten Meeresfrüchten und Bier am Goshen Beach gutgehen. Ausgerechnet hier bekommt die fragile Koexistenz der beiden Clans Risse und eine Spirale der Gewalt setzt sich in Gang. Paulie Moretti, Bruder des angehenden Clanbosses Peter Moretti präsentiert stolz seine neue Eroberung, Pam, eine Ostküstenschönheit, die jedem den Kopf verdreht. Als Liam Murphy, nichtsnutziger Sohn des irischen Paten und Weiberheld sich an Pam heranmacht, führt gekränkte männliche Eitelkeit zur Katastrophe. Der Zwischenfall löst eine Lawine der Gewalt aus und es kommt zu einem erbitterten tödlichen Bandenkrieg.

Immer wieder versucht der kluge, umsichtige Danny Ryan, Hauptfigur in Winslows neuem Thriller und Sohn des früheren irischen Clanchefs Marty Ryan die Wogen zu glätten. Aber seine tiefe Verbundenheit zu den Murphys bringt ihn immer wieder dazu, mitzumischen. Seine Mutter hatte ihn als Baby im Stich gelassen, sein Vater ist dem Alkohol verfallen und so verbrachte er einen Großteil seiner Kindheit bei den Murphys. Pat Murphy ist für ihn wie ein Bruder und mit dessen Schwester Terri ist er glücklich verheiratet. In Gewissenskonflikte kommt er auch durch das Auftreten des FBI in Gestalt des Agenten Jardine, der ihm einen Deal anbietet: Zeugenschutz, wenn er kooperiert. Danny will eigentlich schon lange das Business verlassen und träumt davon, nach Kalifornien zu ziehen. Aber soll er deshalb zum Verräter werden? Als die blutigen Revierkämpfe immer weiter eskalieren, muss Danny widerwillig selbst das Zepter übernehmen. Er steigt vom Handlanger zum vollwertigen Mitglied des Clans auf und findet sich schlussendlich an der Spitze wieder.

Dass mal jemand erschossen wird, ist das eine – die Öffentlichkeit erwartet das praktisch. Aber Autobomben? Durch die Unschuldige verletzt werden könnten? Das ist was ganz anderes – das ist Nordirland-Scheiße, und die Leute werden das nicht einfach hinnehmen. (Auszug Seite 206)

Winslow lässt die 80er Jahre in einem fast greifbaren Setting wieder aufleben und zeigt uns dabei ein authentisches Bild der Mafia in dieser Zeit. Die alternden Mafiabosse, die den Friedenspakt ausgehandelt hatten, müssen um ihre Macht kämpfen. Auf der anderen Seit ist die junge, hitzige Generation unzufrieden, hat ihre eigenen Vorstellungen und trifft immer wieder weitreichende Fehlentscheidungen.

Klassischer Thriller, Epos und Drama
Winslow erzählt die Geschichte in dem für ihn so typisch mitreißenden Sound im Präsenz mit kurzen, markanten Sätzen. Die tempo- und wendungsreiche Erzählweise des Autors, die er einfach perfekt beherrscht, löste bei mir ein Kopfkino aus und ich konnte den eng getakteten Thriller nicht mehr aus der Hand legen. Ganz nüchtern, ohne zu urteilen schildert er die Intrigen und Bündnisse, die geschmiedet werden und die immer wieder zu neuen Gewalttaten führen. Man ist immer ganz nah an den allzu menschlichen Charakteren, mit denen man mitfiebert und bangt, man vergisst mitunter, dass es sich um das organisierte Verbrechen handelt. Neben Protagonist Danny Ryan stattet Winslow auch seine zahlreichen Nebencharaktere mit einer eigenen Geschichte aus, und sorgt damit für viele emotionale Noten. Eine gut konstruierte, ganz klassische Geschichte, in der Macht, Loyalität, Familie, Freundschaft und Verrat eine große Rolle spielen.

Heimkehr zum Karriere-Ende
City on Fire ist der erste Teil einer Trilogie, die Don Winslow bereits komplett fertig gestellt hat. Inspiration holte er sich bei den großen Klassikern, die seiner Ansicht nach, alle Themen der modernen Kriminalliteratur wie Macht, Gewalt, Rache, Korruption und Wiedergutmachung abdecken. Den drei Teilen des Thrillers ist jeweils ein Vers aus der Ilias von Homer vorangestellt. Winslow hat den Stoff, bei dem aus der fatalen Liebesgeschichte um die schöne Helena ein Krieg, der berühmte Kampf um Troja entstand, in die Mafiazeit der 80er Jahre transferiert. Winslow ist an der Küste von Rhode Island aufgewachsen, viele seiner Erfahrungen mit dem kriminellen Milieu flossen in die Geschichte ein und zum ersten Mal ist seine Heimatstadt Schauplatz eines Romans. Praktisch eine Heimkehr zum Karriere-Ende! Denn der Ausnahmeschriftsteller verkündete nach Abschluss der Trilogie das Ende seiner schriftstellerischen Tätigkeit. Alle Geschichten wären erzählt und der 68-Jährige, der immer schon politisch sehr engagiert war, will fortan eigenfinanziert mit digitalen Kampagnen eine mögliche Wiederwahl Donald Trumps verhindern.

City on Fire ist kein weiterer monumentaler Meilenstein wie ‚Tage der Toten‘ doch sehe ich hier Winslow in Bestform, auf dem Höhepunkt seines Schaffens und ich kann den zweiten Band ‚City of Dreams‘ kaum erwarten. Und die Filmrechte wurden schon verkauft.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

City on Fire | Erschienen am 24.05.2022 bei HarperCollins
ISBN 978-3-74990-320-7
400 Seiten | 22,- €
Originaltitel: City on Fire | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Conny Lösch
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu Romanen von Don Winslow

Mario Puzo | Der Pate

Mario Puzo | Der Pate

„Ich werde ihm ein Angebot machen, dass er nicht ausschlagen kann.“ (Auszug S.549)

Selbst viele Nicht-Genreleser werden dieses Zitat sofort „Der Pate“ von Mario Puzo zuordnen, insbesondere in der Verfilmung von 1972, für die Puzo gemeinsam mit Regisseur Francis Ford Coppola seinen Roman in ein Drehbuch umschrieb (und dafür gewannen beide auch damals einen Oscar). Auch der Film selbst gewann die höchste Auszeichnung der Filmbranche und gilt bis heute als ikonisches Meisterwerk. Ich hatte den Film zuletzt vor bestimmt 20 Jahren gesehen und natürlich auch als großartig in Erinnerung, aber natürlich verblassen die Details bis auf wenige Ausnahmen nach so vielen Jahren (die eindrucksvollste Szene bleibt für mich sicherlich der blutige Pferdekopf im Bett des Filmproduzenten). Somit konnte ich relativ unvoreingenommen an die Romanvorlage herangehen, die nun in der sehr schmucken Reihe „Red Eye“ des Kampa Verlags eine Neuauflage erfahren hat.

Die grundlegende Story dürfte vielen sicherlich bekannt sein: Die Corleones bilden Mitte der 1940er Jahre eine der fünf Mafia-Familien New Yorks. Die Geschäfte laufen ganz passabel, dank eines Friedensabkommens zwischen den Familien. Nach dem Ende des zweiten Weltkriegs erwarten alle eine noch deutliche Steigerung ihrer Geschäfte. Oberhaupt (Don) des Corleone-Clans ist der inzwischen in die Jahre gekommene, aber immer noch äußerst clevere Vito Corleone. Vito hat drei Söhne, Sonny, Fred und Michael, bei denen unklar ist, wer einmal die Familiengeschäfte übernehmen wird. Sonny, der Älteste, gilt als zu impulsiv, Fred, der Mittlere, als nicht clever genug. Und Michael, der Jüngste, hat sich schon mehrfach den Anweisungen des Vaters widersetzt, war freiwillig im Krieg, will nun studieren und hat eine typische Amerikanerin als Partnerin. Als nun die aufkommenden Geschäfte mit Rauschgift die Balance zwischen den Familien ins Wanken bringt und auf Don Vito sogar ein Mordanschlag verübt wird, kristallisiert sich immer mehr heraus, dass Michael in die Rolle des Oberhaupts hineinwächst.

Don Vito Corleone war ein Mensch, an den sich alle um Hilfe wandten, und noch nie hatte er einen Bittsteller enttäuscht. Er machte keine leeren Versprechungen, noch gebrauchte er die feige Ausrede, ihm wären von Stellen, die mehr Macht besäßen als er, die Hände gebunden. Es war nicht notwendig, dass er ein Freund des Bittstellers war, es war nicht einmal wichtig, dass man die Mittel besaß, um ihn für seine Mühe zu belohnen. Nur eines wurde verlangt: dass der Bittsteller selber ihm Freundschaft schwor. (Auszug S.25)

„Der Pate“ umfasst neun „Bücher“, die bestimmte Abschnitte der Familiensaga umfassen, oft auch mit einem Perspektiv- oder Ortswechsel. Die erzählte Zeit umfasst etwa zehn Jahre Mitte der 1940er bis Mitte der 1950er Jahre, wobei auch rückblickend von den Anfängen Vito Corleones erzählt wird, wie er nach Amerika kam und dort zu einem Mafioso aufstieg. Mario Puzo beschreibt eindrucksvoll die Machtstrukturen innerhalb der „Familie“, ein streng hierarchisches (patriarchaisches) System, das durch diesen Aufbau ebenfalls das Oberhaupt zusätzlich zur Omertà vom Verrat abschirmt. Kein Fußsoldat wird jemals vom Don einen Auftrag erhalten. Durch die Perspektive der italienischen Einwanderer erhält man zudem einen Blick auf die amerikanische Gesellschaft, die es den Neuankömmlingen nicht einfach gemacht hat, so dass sich Parallelgesellschaften gebildet haben, mit eigenen Moralvorstellungen und eigenen Regeln. Und die Familien haben inzwischen so viel Geld und Einfluss gewonnen, dass sie die Vertreter des eher ungeliebten amerikanischen Staates korrumpieren können.

„Mein Vater ist ein Geschäftsmann, der versucht, für seine Frau und Kinder und für jene Freunde zu sorgen, die er in Zeiten der Not eines Tages brauchen könnte. […] Er weigert sich, nach Regeln zu leben, die andere gesetzt haben, nach Regeln, die ihn zu einem Leben im Elend verdammen. Sein eigentliches Ziel aber ist es, ein Mitglied dieser Gesellschaft zu werden – allerdings mit einer gewissen Macht, da diese Gesellschaft Mitglieder, die keine eigene Macht besitzen nicht schützt. Inzwischen handelt er nach seinem eigenen Moralkodex, den er der Rechtsstruktur der Gesellschaft für weit überlegen hält.“ (Auszug S.521-522)

Die Verfilmung von „Der Pate“ ist trotz aller Lobeshymnen nicht ohne Kritik geblieben. Einige befanden, dass der Film auch gut „aus dem Werbeetat der Cosa Nostra“ hätte finanziert werden können, denn die Mafia werde ein Stück weit glorifiziert. Diese Kritik gibt es bis heute für diverse kulturellen Bearbeitungen des Mafia-Topos. In Deutschland ist Autorin Petra Reski eine der schärfsten KritikerInnen dieser „Mafia-Folklore“. Und tatsächlich bewegt sich auch Mario Puzo auf einem sehr schmalen Grat. Er verschweigt nicht die Brutalität und rohe Gewalt, deren sich die Mafia bedient. Aber er stellt diese immer wieder in einen Kontext zu Familie, Ehre und Loyalität. Die schmutzigen Geschäfte der Familie Corleone (im Wesentlichen Glücksspiel und Gewerkschaftsangelegenheiten) werden ein Stück weit als Gaunereien verklärt und Don Vito als ehrenwerten Mann, der Rauschgiftschmuggel als unmoralisch verabscheut. Das aber auch nicht durchgehend, sodass der Leser schon erfährt, dass die Mafiafamilien einen totalitären Anspruch verfolgen, den Staat und seine Institutionen großflächig unterwandern und dabei auch tief im Rassismus verwurzelt sind. Was man für einen Roman, der in den 1940er/1950ern in einer italienischstämmigen Mafiafamilie spielt, natürlich nicht erwarten kann, ist ein differenziertes Frauenbild abseits des Hure oder Heilige-Schemas. Dennoch eher als ärgerlich habe ich einige von Puzos Nebenerzählungen empfunden, die offensichtlich bewusst schlüpfrig angelegt sind – etwa die Brautjungfer der Corleonetochter, die aufgrund einer anatomischen Fehlbildung offenbar nur vom mächtigen Geschlecht Sonny Corleones befriedigt werden kann und sich später einer Schönheitsoperation unterzieht.

So war für mich der letztendliche Eindruck schon nicht völlig ohne kritische Hintergedanken. Dennoch ist Mario Puzos „Der Pate“ immer noch ein packender und mitreißender Roman über das organisierte Verbrechen, um Macht, Familie, Ehre und Gewalt. Ein System, dass alle Figuren eng umschlungen hält und sie letztlich in einen Strudel hineinzieht oder gefangen hält, aus dem scheinbar nur der Tod (oft gewaltsam) sie befreien kann. Das fasziniert noch heute und macht „Der Pate“ nach wie vor zu einem echten Klassiker.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Der Pate | Erstmals erschienen 1969
Die aktuelle Ausgabe erschien am 14.10.2021 im Kampa Verlag
ISBN 978-3-311-12510-5
640 Seiten | 22,- €
Originaltitel: The Godfather (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Gisela Stege)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Rezensions-Doppel: Garry Disher | Hitze & Kaltes Licht

Rezensions-Doppel: Garry Disher | Hitze & Kaltes Licht

Die monatliche Krimibestenliste ist natürlich eine Zusammenstellung ausgewählter Kritiker, unabhängig von tatsächlichen Verkaufszahlen und dementsprechend auch nicht dem Krimimainstream verpflichtet. Für den gut informierten und belesenen Krimifan ist sie natürlich eine gewisse Referenz. Auf eben dieser Krimibestenliste steht nunmehr im vierten Monat in Folge ein Autor, was bei der relativ schnelllebigen Liste äußerst bemerkenswert ist. Garry Disher hat dieses Kunststück mit zwei Büchern geschafft, zunächst mit Kaltes Licht, welches dann von Hitze abgelöst wurde.

Zum Autor selbst: Jahrgang 1949, geboren und aufgewachsen im ländlichen Südaustralien. Er lebt heute auf der Mornington-Halbinsel südlich von Melbourne, dem Schauplatz seiner Kriminalreihe um Inspektor Hal Challis. Mit dieser Reihe und der Serie um den Berufskriminellen Wyatt wurde Disher auch hierzulande bekannt. Er schreibt allerdings nicht nur Krimis, sondern auch Romane, Sachbücher und Kinder- und Jugendbücher. Neben seinen Krimireihen veröffentlicht er auch Stand Alones.

Außerhalb der Heimat ist Disher vor allem in den deutschsprachigen Ländern erfolgreich, womit Disher durchaus kokettiert (In einem Interview meinte er, die Anfangsszene aus Kaltes Licht mit der Schlange habe er für seine deutschen Leser eingebaut, die sich doch bestimmt vor Schlangen fürchten)1. Ich hatte 2016 die Gelegenheit, Disher bei einer Lesung zu erleben. Ein zurückhaltender, bodenständiger, sehr sympathischer Mann. Er selbst meinte unlängst, dass ihn die Buchlesungen hier sehr gefallen (und erzählt von einigen sehr deprimierenden Buchsignierungen in der Heimat). Höfliches Publikum, ein Moderator stellt Fragen, er selbst liest in Englisch, ein bekannter Schauspieler die deutsche Übersetzung und er stellt sich etwas amüsiert die Frage, ob er überhaupt die Hauptperson sei, wegen der alle gekommen sind. In 2020 wird Garry Disher wieder in Deutschland erwartet. Zeit genug, vorher diesen hervorragenden Schriftsteller wieder- oder neu zu entdecken. Zeit für eine Doppelrezension.

Garry Disher | Hitze

Wyatt bräuchte mal wieder etwas Geld. Doch die Not ist nicht so groß, als dass er sich mit einem Haufen unprofessioneller Hitzköpfe zu einem Überfall auf einen Geldtransporter hinreißen ließe. Der Coup findet ohne ihn statt und hat in der Folge unangenehme Nachwirkungen – auch auf ihn. Stattdessen wendet sich Wyatt einem interessanteren Job an der sonnigen Gold Coast im Nordosten Australiens zu.

Ein Vermittler bringt ihn mit der Klientin Hannah Sten zusammen, die ihn engagiert, ein Gemälde aus dem Haus eines Investmentbankers zu stehlen. Angeblich Raubkunst aus der Zeit der Nationalsozialisten, damals im Besitz ihrer Familie. Die Eigentumslage ist aber nicht so eindeutig, so dass der aktuelle Eigentümer die Sache einfach aussitzt. Einiges ist bereits ausgekundschaftet, unter anderem, dass das Haus zum Zeitpunkt des Diebstahls definitiv leer wäre. Wyatt nimmt den Job an und sein Vermittler Minto empfiehlt ihm die Zusammenarbeit mit seiner Nichte Leah Quarrell. Diese ist Immobilienmaklerin und kann das Haus mit dem Gemälde einfacher auskundschaften. Wyatt lässt sich eher widerwillig darauf ein, nicht wissend, dass Leah eigene Pläne schmiedet.

Wyatt neigte nicht zur Selbstreflexion. In ihm regierte nur ein schlichter Antrieb: ein Objekt von Wert auszumachen und es stehlen. (Seite 106)

Dieser Wyatt erinnert natürlich sofort an einen weiteren großen Gangster der Kriminalliteratur: Parker aus der Feder Richard Starks alias Donald E. Westlake. Und das ist auch so gewollt, denn Garry Disher verleugnet gar nicht das große Vorbild. Und tatsächlich ist Wyatt so etwas wie ein australischer Verwandter von Parker. Ein vornamenloser Gangster, der sein eigenes Ding durchzieht und sich, wenn es darauf ankommt, nur auf sich selbst verlässt. Genau wie sein Vorbild strahlt er eine große Abgeklärtheit und Professionalität aus. Gewalt wird nur im Notfall angewendet und ist eigentlich zu vermeiden. Die größte Gefahr für Wyatt geht dann auch in diesem Fall weniger von der Polizei als von der eigenen Zunft aus, für die Loyalität ein Fremdwort geworden ist und die mehr auf Aggression als auf Finesse baut. Und dennoch ist Wyatt nicht einfach ein Abziehbild von Parker. Bei aller Coolness wirkt er eine Spur empathischer und besonders in diesem Roman auch melancholischer.

Collingwood war sein Geburtsort, wo er gekämpft hatte, gelernt hatte, abzuwarten und nachzudenken, bevor er tätig wurde. Wo man ihm nichts gegeben und er es sich deshalb genommen hatte. Aber das war nur eine frühe Phase seines Daseins gewesen, kein Kapitel in einer Geschichte. Er hatte keine Geschichte, es sei denn, man könnte eine hervorzaubern auf Grundlage der Tatsache, dass er jetzt existierte und zuvor nicht existiert hatte. Und eines Tages nicht mehr existieren würde. (Seite 161)

Hitze ist inzwischen der achte Wyatt-Roman (der neunte ist im Original bereits erschienen) und die Reihe hat nun fast dreißig Jahre auf dem Buckel. Dabei hat sich Disher aber einen lakonischen und schnörkellosen Stil erhalten. Die Handlung ist präzise, verzichtet fast völlig auf Nebenstränge und bietet einen intensiven Blick auf Schauplatz und Figuren. Wer auf geradlinige Gangsterromane steht, der kommt an diesem Wyatt definitiv nicht vorbei.

 

Hitze | Erschienen am 30. August 2019 bei Pulp Master
ISBN: 978-3-92773-495-1
278 Seiten | 14.90 Euro
Originaltitel: The Heat
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Gangsterroman
Wertung: 4.0 von 5.0

 

Garry Disher | Kaltes Licht

Das Buch beginnt mit der oben erwähnten Anfangsszene. Eine Schlange schlängelt sich über die Veranda und den Rasen vor einem Haus in einem Ort in der Nähe von Melbourne. Sie verschwindet unter einer Betonplatte auf dem Grundstück. Der besorgte Familienvater ruft einen Schlangenfänger, der die Platte aufstemmen lässt. Doch unter der Platte kommt nicht nur das Kriechtier zum Vorschein, sondern auch eine skelettierte Leiche eines jungen Mannes. Ein Fall für die Cold-Cases-Einheit.

Sergeant Alan Auhl und seine Kollegin Claire Pascal suchen nach einer vermissten Person, die vorher dort gelebt hat, stoßen bei ihren Nachforschungen aber immer wieder auf Erinnerungslücken, Halbwahrheiten und Lügen. Schließlich ermitteln sie, dass der Ermordete selbst vor knapp zehn Jahren in Verdacht stand, seine Freundin erschossen zu haben und danach spurlos verschwunden war. Nun muss sich damals alles ganz anders abgespielt haben.

Währenddessen beschäftigen Alan Auhl zwei weitere Dinge. Ein weiterer alter Fall ploppt auf: Damals konnte Auhl dem Arzt Alec Neill nichts nachweisen, als zwei seiner Ehefrauen unter mysteriösen Umständen verstarben. Nun beschuldigt Neill plötzlich seine dritte Ehefrau, seine Geliebte getötet zu haben, was bei Auhl tiefes Misstrauen hervorruft und er sich in einen Fall einklinkt, mit dem er eigentlich nichts zu tun hat. Außerdem ist eine von Auhls Mieterinnen in argen Nöten. Neve Fanning lebt mit ihrer Tochter von ihrem gewalttätigen Mann getrennt, angezeigt hat sie ihn allerdings nie. Als sie nun die Besuchszeit ihres Mannes mit der Tochter Pia weiter einschränken will, dreht ihr Mann einfach den Spieß um und zieht vor Gericht alle Register, um Neve zu diskreditieren. Auhl fühlt sich verpflichtet, Neve Fanning zu helfen.

Es wurde immer später, und Auhl brütete vor sich hin. Männer wie Kelso, Fanning -Alec Neill. Ihre Anmaßung, ihre Vetternwirtschaft, ihre Macht, ihr Gefühl, ein Anrecht auf etwas zu haben. Erstschlagsmänner: Sie packten die Gelegenheit beim Schopfe, während der Rest der Welt alles erst durchdachte. (Seite 117)

Vor drei Jahren erschien mit Bitter Wash Road ein erster Stand-Alone-Krimi aus der Feder Garry Dishers. Obwohl hochgelobt, hat Disher relativ schnell betont, dass er daraus keine Serie entwickeln wolle. Wie es nun mit diesem vorliegenden Roman und seinem Protagonisten Alan Auhl aussieht, bleibt abzuwarten. Anknüpfungspunkte zu einer Weiterentwicklung sind auf jeden Fall vorhanden. Seine Hauptfigur ist ein Mann Mitte Fünfzig, von seiner Ehefrau getrennt lebend, wobei man sich aber durchaus noch sieht und auch gelegentlich etwas Intimeres unternimmt. Alan Auhl war lange Jahre Ermittler bei der Mordkommission und hatte sich eigentlich in den Ruhestand verabschiedet. Nun sucht er wieder die Herausforderung und wurde wieder eingestellt, um Cold Cases zu bearbeiten. Die Kollegen reagieren distanziert bis abweisend, behandeln Auhl wie einen Versehrten. Erst nach und nach kann Auhl durch gewissenhafte Arbeit die Ressentiments abschwächen. Vor allem für die Kollegin Claire Pascal wird er zu einem wichtigen Ansprechpartner, sie mietet in einer Ehekrise sogar ein Zimmer in dessen Haus. Auhl besitzt ein großes Haus, in dem er mit seiner erwachsenen Tochter wohnt und die zahlreichen weiteren Zimmer weitervermietet. Dort gibt es so etwas wie ein offenes Haus, man trifft sich ab und zu zum gemeinsamen Essen in der großen Küche. So kommt Auhl in Kontakt mit den Mietern, z.B. mit Neve Fanning. Er ist ein eher zurückhaltender Typ, höflich, freundlich, hilfsbereit. Auf der Arbeit gewissenhaft und ein intelligenter Ermittler, mit einem starken Sinn für Gerechtigkeit. Und dieser Gerechtigkeitssinn ist es auch, was diesen ansonsten anfangs etwas bieder wirkenden Mann im weiteren Verlauf so interessant macht. Auhl kennt genau die Grenzen zwischen Recht und Gerechtigkeit, aber inzwischen ist er an einem Punkt angelangt, an dem er die Grenzen überschreitet, um Gerechtigkeit walten zu lassen. Und im Verlaufe des Buches ist der Leser überrascht, wie weit Auhl diese Grenze übertreten wird.

Kaltes Licht ist ein klassischer Ermittlerkrimi, ein Police Procedural (Polizeiroman) und zwar einer, der die Polizeiarbeit genau betrachtet. Somit wird der Fall mit der Leiche unter der Betonplatte zwischendurch übergelagert von anderen Fällen, von Privatem – und dennoch kehrt der Fall am Ende selbstverständlich zurück und wird zu einem logischen Ende gebracht. Was mich an Garry Disher immer wieder begeistert, ist diese natürliche Leichtigkeit und Authentizität seiner Romane. Sein Stil ist präzise und elegant (auch im Deutschen dank der gewohnt guten Übersetzung durch Peter Torberg), seine Figuren und Milieus tief und glaubwürdig, seine Plots komplex, aber immer durchdacht. Nicht wenige Kritiker halten Disher für einen der besten Kriminalschriftsteller der Welt. Und dieses Champions-League-Niveau kann er auch mit Kaltes Licht bestätigen. Ein rundum überzeugender Roman, ein Jahreshighlight. Und ein bisschen gespannt darf man sein, ob man von diesem Alan Auhl nochmal etwas hört bzw. liest.

 

Kaltes Licht | Erschienen am 15. Juli 2019 im Unionsverlag
ISBN: 978-3-29300-550-1
320 Seiten | 22.- Euro
Originaltitel: Under the Cold Bright Lights
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Krimi
Wertung: 4.5 von 5.0

 

Rezensionen und Foto von Gunnar Wolters.

Auch bei uns: Rezension zu Bitter Wash Road sowie ein Bericht von der Lesung in Hamm, Rezension zu Drachenmann, außerdem Hommage: Gier von Garry Disher

Weiterlesen: Interview von Alf Mayer mit Garry Disher im Crimemag, zwei Artikel von Garry Disher im Guardian

Abgehakt | Juni 2019

Abgehakt | Juni 2019

Unsere Kurzrezensionen zum 2. Quartalsende 2019

 

Petra Reski | Mafia. 100 Seiten

Die Mafia ist sicherlich die bekannteste kriminelle Organisation der Welt. Inzwischen hat der Begriff „Mafia“ sogar popkulturellen Status: Bücher, Filme, Videospiele, Mafiamusik, sogar eine Gastronomiekette. Doch dahinter verblasst ein wenig die Realität: Gewalt, Drogenhandel, Korruption, Mord. Für die Reihe 100 Seiten des Reclam Verlags versucht die in der Thematik bekannte Journalistin und Autorin Petra Reski mit allerlei Mythen rund um die Mafia aufzuräumen.

Die 100 Seiten werden keineswegs sachbuchartig mit Tabellen oder Grafiken gefüllt, sondern Reski schreibt in mehreren Beiträgen über Aufbau, Vergangenheit und Gegenwart der Mafia. Dabei legt sie einen besonderen Fokus auf Deutschland, das ja gern immer nur als Rückzugsraum und nicht als Operationsraum der Mafia bezeichnet wird. Diesen Beschwichtigern sagt Reski:

„Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Mafiamassaker von Duisburg ist Deutschland für die Mafia immer noch das Paradies auf Erden: Die Mafia will nicht auffallen und die Deutschen wollen die Mafia nicht sehen. Eine Win-Win-Situation.“ (Seite 67)

Insgesamt muss man schon konstatieren, dass die Thematik in einem so begrenzten Format nur schwer unterzubringen ist. Ein wenig Stirnrunzeln musste ich, als die Autorin mehrere Bücher, Filme und Serien in Zusammenhang zu Folklore und Propaganda setzt. Aber alles in allem sicherlich eine lesenswerte Zusammenstellung.

 

Mafia.100 Seiten | Erschienen am 28. August 2018 im Reclam Verlag
ISBN 978-3-15-020525-9
100 Seiten | 10.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: True Crime
Wertung: 3.0 von 5.0

 

Jules Grant | Die Nacht ist unser Haus

Donna und Carla sind beste Freundinnen, lesbisch und leiten eine Frauengang in Manchesters rauer Unterwelt. Als Carla die Frau eines konkurrienden Gangleaders abschleppt, eskaliert die Situation. Carla wird in einem Club erschossen und hinterlässt ihre zehnjährige Tochter Aurora. Donna muss nun für Aurora sorgen und ihre Gang retten. Und natürlich sinnt sie auf Rache für Carlas Tod.

Frauen als Gangleader ist gerade ein wenig en vogue in der Kriminalliteratur (z.B. bei „Lola“ von Melissa Scrivner Love oder „River of Violence“ von Tess Sharpe). Autorin Jules Grant treibt es in diesem Roman sogar noch auf die Spitze und führt hier eine Frauengang aus lauter Lesben ein. Die Frauen haben dabei eine nette Marktlücke entdeckt: Liquid Ecstasy in Parfümflaschen. Was mich dabei aber etwas gelangweilt hat: Im Grunde verhalten sich die Ladys die meiste Zeit nicht viel anders als irgendwelche Typen – sie saufen, vögeln und prollen rum.

Ungewöhnlich und durchaus ein Pluspunkt ist die Erzählstimme. Sowohl Donna als auch Aurora (seltener) führen als Ich-Erzähler durch das Buch – schnoddrig, vorlaut und manchmal auch etwas ordinär. Auf der Rückseite prangt eine Empfehlung von Simone Buchholz („Hart und zart zugleich“). Selber schuld, wer darauf hereinfällt, mag man sagen, aber die Deutsche Krimi Preis-Trägerin ist natürlich eine Koryphäe. Und tatsächlich bemüht sich die Autorin, aber das Ergebnis vermag mich letztlich nicht so richtig zu überzeugen. Sie haut manchmal sehr auf den Putz, aber vieles ist zu vorhersehbar, zu klischeehaft und leider auch nur bedingt authentisch. Schade drum.

Die Nacht ist unser Haus | Erschienen am 11.03.2019 im Heyne Verlag
ISBN 978-3-453-43915-3
352 Seiten | 9.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: Gangsterroman
Wertung: 2.5 von 5.0

 

Judith Arendt | Helle und der Tote im Tivoli

Helle Jespers hat einen beschaulichen Dienst als Chefin der Polizeidienststelle in Skagen an der Nordspitze Jütlands. Da trifft die Nachricht ein, dass der pensionierte Direktor des örtlichen Gymnasiums brutal ermordet in Kopenhagen aufgefunden wurde. Das Motiv bleibt zunächst unklar, eventuell Kindesmissbrauch? Dies bestätigt sich, als ein bekannter Päderast ebenfalls von gleichen Mörder umgebracht wird. Die Mordermittler aus Kopenhagen belächeln die Dorfpolizisten, doch Helle spürt, dass die Lösung des Falls in Skagen zu finden ist und lässt sich nicht aus den Ermittlungen drängen.

„Helle und der Tote im Tivoli“ ist der Auftakt zu einer Reihe um die sympathische dänische Kommissarin Helle Jespers. Dieser Roman versucht den Spagat zwischen „hyggeligem“ dänischen Krimi und einem Rachethriller aufgrund eines alten Falls von Kindesmissbrauch. Leider geschieht dies stilistisch ziemlich konventionell und mit dem Motiv des gestörten Opfers als Serienmörder auch etwas unoriginell. Ich gebe zu, dass der Ermittler als kaputtes Wrack auch nicht gerade kreativ ist, aber die Welt der Helle Jespers mit Haus in den Dünen, halbtags arbeitendem Wikinger-Ehemann, schwulem Teenagersohn und studierender, in einer Kiffer-WG wohnender Tochter war mir dann doch auch ein wenig zuviel der modernen heilen Welt. Und wenn der Familienhund an der Ergreifung des Täters mitwirkt und am Ende herzhaft in eine Zimtschnecke gebissen wird, dann finde ich das auch dem Thema nicht angemessen. Sagen wir es mal ganz neutral: Ich gehöre nicht zur Zielgruppe dieses Krimis.

Helle und der Tote im Tivoli | Erschienen am 15. September 2018 im Atlantik Verlag
ISBN 978-3-455-00271-3
288 Seiten | 16.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: Krimi
Wertung: 2.0 von 5.0

 

Helon Habila  | Öl auf Wasser

Nigeria: Das Delta des Niger wird von Ölkonzernen konsequent ausgebeutet. Die ansässige Bevölkerung wehrt sich zunehmend dagegen und gründet Rebellengruppen, die gegen die Regierung und die Ölmultis kämpfen. Ein bewährtes Mittel zur Finanzierung ist die Entführung von ausländischen Konzernmitarbeitern oder deren Angehörigen. Der junge Reporter Rufus und sein erfahrener Kollege Zaq wittern im Zusammenhang mit der Entführung einer Engländerin eine gute Story, zudem hat auch ihr Mann die beiden um Hilfe gebeten hat. Mit Hilfe von einheimischen Bootsführern dringen die Journalistin immer tiefer ins Delta vor und damit in eine undurchsichtige, umkämpfte und zunehmend geschundene Umgebung.

Öl auf Wasser erschien erstmals 2012 im Verlag Das Wunderhorn und gewann überraschend auch den Deutschen Krimipreis. Das Besondere am Roman ist sicherlich auch das Thema, über das man in Europa zumindest in fiktionaler Form nur selten liest: Die innerstaatlichen Konflikte im nigerianischen Nigerdelta vor dem Hintergrund der dortigen großflächigen Ölexploration ausländischer Konzerne mit erheblichen negativen Umwelteffekten. Was dieser Roman denn auch sehr gut beherrscht ist die Balance zwischen politischen und gesellschaftlichen Themen und den Stimmungen der Hauptpersonen. Der Autor verzichtet auf allzu plakativen moralischen Darstellungen, schildert vielmehr die Realitäten von Gewalt und Gegengewalt und vor allem der Zerstörung einer Lebensgrundlage für die dort lebenden Menschen.

Zu Beginn erinnert der Roman an Joseph Conrad Herz der Finsternis. Eine Fahrt auf einem kleinen Boot im Nigerdelta, ölverschmutzte Ufer, verlassene Dörfer, hell leuchtende Abgasfackeln. Erzählt wird aus der Perspektive von Rufus, allerdings nicht chronologisch, immer wieder werden Einschübe aus der Vergangenheit eingeschoben. Das macht den Roman etwas sperrig und lässt die Spannungskurve abflachen. Somit ist dieses Buch weniger etwas für Fans klassischer Krimis, sondern eher für literarisch anspruchsvollere Liebhaber hintergründiger Darstellungen. Ich fand es aber auf jeden Fall lesenswert.

Öl auf Wasser | Die Taschenbuchausgabe erschien am 28. Januar 2019 im Unionsverlag
ISBN 978-3-293-20829-2
256 Seiten | 12.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: gesellschaftskritischer Krimi
Wertung: 3.5 von 5.0

 

André Pilz | Der anatolische Panther

Der Kleinkriminelle und Dealer Tarik Celal ist auf Bewährung auf freiem Fuß, als bei ihm zu Hause Diebesgut gefunden wird. Er ist gezwungen, auf einen Deal einzugehen: Er soll sich in der Moschee und im Umfeld des islamischen Hasspredigers Abdelkader al-Anbari, genannt „Der Derwisch“, einschleichen und dort Beweismaterial sammeln. Doch als Tarik in die Moschee einbricht und Geld stiehlt, überschlagen sich die Ereignisse und er ist auf der Flucht vor der Polizei und dem Derwisch.

Autor André Pilz hat ein offenbar Faible für Underdogs. Tarik Celal war mal ein vielversprechender Jungprofi bei 1860 München. Aus der Karriere ist nichts geblieben außer dem Spitznamen. Inzwischen ein kleiner Gangster mit ebenso kriminellem Freundeskreis, aber dennoch ein Sympathieträger mit großem Herz. Rettungslos verliebt in die schöne Kubanerin Nteba, zu Hause sein schwer kranker Großvater, den er pflegt. Die Stimmung ständig himmelhauchjauchzend, zu Tode betrübt.

Rund um diese tolle Hauptfigur konstruierte Pilz eine spannende, thrillerhafte Story mit vielen aktuellen Bezügen und sehr cleveren gesellschaftlichen Einblicken. Von Multikulti und Vorurteilen, islamischen Extremisten und Terrorhysterie, von Heimat und Ausgrenzung. Sicherlich einer der besten deutschsprachigen Krimis zu diesem Thema.

Der anatolische Panther  | Erschienen am 22. September 2016 im Haymon Verlag
ISBN 978-3-7099-7861-0
448 Seiten | 12.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: gesellschaftskritischer Krimi
Wertung: 4.5 von 5.0

 

Alle fünf Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

Weitere Kurzrezensionen findet ihr in der Rubrik Abgehakt.

Rezensions-Doppel Gangsterromane: Keiner rennt für immer & Der Teufel will mehr

Rezensions-Doppel Gangsterromane: Keiner rennt für immer & Der Teufel will mehr

Viele Krimis sind weiterhin eng an einen Ermittler gekoppelt. Ein Kommissar oder Detektiv, der ein Verbrechen aufklärt, der gute alte Whodunit. Aber es gibt auch immer wieder Krimis, in denen man den Täter kennt und nun darauf hinfiebert, wie er geschnappt wird. Aber es gibt natürlich auch Kriminalromane, in denen ein Ermittler kaum oder überhaupt keine Rolle spielt und die sich im Milieu der Gangster und Verbrecher bewegen. Diese Einsichten haben ihren besonderen Reiz, sind diese Milieus dem Leser im Allgemeinen doch sehr fremd.

Nun gibt es doch eine Reihe von Krimis und Noirs, die einen Gauner oder Gangster oder das Milieu in den Mittelpunkt stellen. Besonderen Lesegenuss macht es meines Erachtens aber dann, wenn man einen Gangster über längere Zeit begleiten darf. Den Gangster in Serie gibt es aber schon nicht so häufig. Der Wegbereiter hierfür war sicherlich Donald E. Westlake, der mehrere Verbrecher als Protagonisten einer Serie aufbaute, so etwa den Meisterdieb John Archibald Dortmunder und natürlich den legendären Parker. Vor einigen Jahren etablierte dann der Autor Wallace Stroby eine Profiverbrecherin als Serienheldin – die taffe, aber auch empathische Crissa Stone. Gemeinsam haben beide Serien vor allem, dass sie nichts verklären, sondern das Verbrechertum so darstellen, wie es ist: Ein knallhartes, gefährliches Business. Zeit für eine Doppelrezension!

Richard Stark | Keiner rennt für immer

Parker plant mit einem Bekannten namens Dalesia einen Bankraub in Massachusetts. Eine kleine Bank auf dem Land wird von einer größeren geschluckt. Am einem bestimmten Tag sollen sämtliche Aktiva in die neue Zentrale transportiert werden. Der Tipp für den Coup kommt von einem Typen namens Beckham, dessen Geliebte die Tochter des Bankgründers ist und die nun zusehen muss, wie ihr Ehemann die Bank des Vaters abwickelt. Ganz schön viele Verwicklungen und potenzielle Ansatzpunkte für die Polizei, doch der Job klingt zu verlockend, also macht sich Parker an die Planung.

„Er hatte keine Ahnung, was los war.“
„Keine“, pflichtete McWhitney ein.
„Dann hat er also einen großen Fehler gemacht.“
„Ja, das hat er.“
Dalesia grinste. „Ich wette, er hat was draus gelernt.“
„Ja.“ McWhitney nickte. „Das Harfespielen.“ (Seite 154)

Der Roman beginnt mit einem Mord, was für Parker eher ungewöhnlich ist, ruft doch ein Mord unnötige Aufmerksamkeit der Polizei hervor. Doch wenn Parker in einer Pokerrunde lauter Gangster einen Polizeispitzel entdeckt, fackelt er nicht lange. Die Abgeklärtheit, mit der der Rest der Runde reagiert und mit der die Leiche entsorgt wird, setzt den Ton für den Rest des Romans: cool, lakonisch, schnörkellos.

Wer einen Parker liest, sollte wissen, worauf er sich einlässt: So ist auch Keiner rennt für immer ein harter Gangsterroman mit geradlinigem Plot, Spannung und wenig Schnickschnack drumherum. Genau wie der vornamenlose Protagonist, der wenig von sich preisgibt, aber eine gnadenlose Professionalität ausstrahlt. Wer sich wie ein Profi verhält, kann mit seiner Loyalität rechnen, aber wehe wenn nicht. Empathie ist ihm völlig fremd, aber das heißt nicht, dass er wahllos Gewalt anwendet. Er weiß, wann es reicht, mit Gewalt zu drohen, ist aber auch jederzeit bereit, sie anzuwenden.

In diesem Band ist es für den Leser fast etwas überraschend, dass Parker an diesem Job festhält, denn die Vorzeichen sind alles andere als günstig. So taucht ein Kopfgeldjäger auf, Komplizen erweisen sich als unzuverlässig, der Tippgeber beschwört die Neugier der Polizei herauf. Was schiefgehen kann, geht schief. Parker hat alle Hände voll zu tun, damit die Sache nicht schon im Vorfeld scheitert. Aber letztlich meint er, das Risiko kalkulieren zu können, und so wird der Job auch dieses Mal durchgezogen. Keiner rennt für immer ist der drittletzte der 24 Romane der Reihe und Autor Richard Stark a.k.a. Donald E. Westlake liefert auch hier einen sehr unterhaltsamen, präzise erzählten Gangsterroman.

 

Keiner rennt für immer | Erschienen im Jahr 2004 im Paul Zsolnay Verlag
ISBN 978-3-552-05463-9
288 Seiten | 16.90 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wallace Stroby | Der Teufel will mehr

Crissa Stone erhält in Las Vegas einen lukrativen Auftrag: Der Sammler Emile Cota hat sich auf illegalen Wegen vorderasiatische Kunstschätze angeeignet. Diese soll er nun zurückgeben, allerdings hat er bereits einen Käufer für die Dinge gefunden. Crissa soll nun einen Überfall auf den LKW mit den Kunstschätzen durchführen, damit Cota sowohl die Versicherungssumme als auch die Kaufsumme vom neuen Käufer kassiert. Crissa engagiert drei weitere Profis und plant den Überfall auf einem wenig befahrenen Highway in der Wüste akribisch. Doch ungewöhnlich ist, dass Hicks, der Sicherheitsmann Cotas, mit einem weiteren Mann am Überfall teilnehmen soll. Und tatsächlich läuft die Sache dann ziemlich schnell aus dem Ruder.

„Mach dir keine Sorgen“, antwortete Keegan. „Wir schlagen nur die Zeit tot, ok? Der nervige Teil ist das Warten.“
„Ich weiß“, sagte sie, gab nach, des Friedens Willen. „Morgen haben wir den Truck. Und mehr Details, die wir durchgehen müssen.“
„Ah, die Details“, sagte Keegan. „Und der sprichwortliche Teufel, der in ihnen steckt. Ist das nicht immer der Heilige, den wir anbeten?“ (Seite 156)

Zum vierten Mal nun schickt Autor Wallace Stroby seine Profiverbrecherin Crissa Stone in einen Coup, von dem der Leser (und eigentlich auch Crissa) von Anfang an ahnt, dass er nicht so glatt ablaufen wird wie geplant. Seine Protagonistin ist aber intelligent und erfahren genug, mit Widrigkeiten umgehen zu können. Crissas Hintergrund wird auch in diesem Band weitergeführt: Ihr Partner in Leben und Beruf sitzt nun schon lange in einem texanischen Gefängnis ein und widerwillig wird Crissa klar, dass sie sich irgendwann entscheiden muss, ob sie wirklich auf ihn warten will. Ihre Tochter ist immer noch bei ihrer Cousine, ohne Kontakt zu ihr, da natürlich nach ihr gefahndet wird. Im Beruf ist Crissa ein absoluter Profi und allgemein anerkannt, wenngleich hin und wieder immer noch unterschätzt. Was Crissa von jemandem wie Parker unterscheidet, ist ihre Empathie. Sie ist in der Durchführung ihrer Jobs hart und weiß sich zu wehren, wenn sie muss. Doch sinnloses Blutvergießen ist ihr absolut zuwider und sie ist bestrebt, ihre Arbeit ohne Todesopfer zu erledigen.

Das sehen so manche anders und auch die Loyalität, die Crissa ihren Partnern im Job entgegenbringt, wird nicht immer geteilt. So entwickelt sich auch diese Geschichte zu einer blutigen Abrechnung. Das ist alles nicht unbedingt komplex angelegt, der Leser weiß schnell, wohin die Reise geht. Und dennoch ist das alles absolut lesenswert, weil Stroby auf pure Plot getriebene Action und Spannung setzt und seine Figuren effizient einsetzt. „Grandiose U-Literatur, spannend, rasant, fettfrei“ lautet das Urteil von Krimi-Spezialist Thomas Wörtche. Und dieser Aussage kann ich mich nur anschließen.

Der Teufel will mehr | Erschienen am 20. Februar 2019 im Pendragon Verlag
ISBN: 978-3-86532-646-1
316 Seiten | 17.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

 

Auch bei uns: Kalter Schuss ins Herz sowie Geld ist nicht genug von Wallace Stroby sowie Sein letzter Trumpf und The Hunter von Richard Stark.

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