Kategorie: Abgehakt

Kurzrezensionen

Abgehakt | Kurzrezensionen Juni 2023

Abgehakt | Kurzrezensionen Juni 2023

Kurzrezensionen Juni 2023

 

 

Chris Offutt | Ein dreckiges Geschäft (Band 2)

Mick Hardin ist eigentlich Militärpolizist und Ermittler bei der US Army in Deutschland. Doch eine landwierige Verletzung an seinem Bein kuriert er in seiner alten Heimat aus, in den Kentucky Hills. Dort ist seine Schwester Linda Sheriff und gerade im Wahlkampf. Als ein bekannter Drogendealer, Barney Kissick, ermordet aufgefunden wird, vermutet die Polizei Rivierkämpfe unter Dealern und schenkt dem Fall keine große Aufmerksamkeit. Shifty Kissick, die Mutter des Toten, bittet Mick, sich mal umzuhören und herauszufinden, wer Ihren Sohn getötet hat. Micks heimliche Ermittlungen bleiben nicht verborgen und bald bleibt es nicht bei Barney als einzigem Toten.

„Ein dreckiges Geschäft“ ist der zweite Band mit dem rauen, unnahbaren Ermittler Mick Hardin, den eine Art Midlife Crisis wieder in die Heimat verschlagen hat, wohl auch weil seine Frau, die längst mit einem anderen zusammenlebt, endlich die Scheidung will. Hardin passt damit aber wunderbar in dieses bergige Kentucky, wo die Menschen eher schweigsam sind und nicht viel von sich preisgeben. Auf den Figuren und der Porträtierung dieses Menschenschlags konzentriert sich Autor Chris Offutt in seinem hartgesottenen Provinznoir, dies gelingt ihm wirklich hervorragend. Für mich fällt der Plot, der etwas schematisch nur in der Mikroperspektive bleibt und am Ende in eine Vendetta mündet, dafür etwas ab. Die starken Figuren entschädigen aber für vieles.

 

Ein dreckiges Geschäft | Erschienen am 28.10.2022 bei Tropen
ISBN 978-3-608-50186-5
268 Seiten | 17,- €
Originaltitel: Shifty’s Boys | Übersetzung aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Genre: noir/hardboiled

 

 

James Lee Burke | Angst um Alafair (Band 20)

Die Robicheaux‘ nehmen eine Auszeit in Montana, als Alafair nur knapp einem Mordanschlag entkommt. Kurz darauf wird die Leiche der Adoptivtochter des lokalen Ölbarons Love Younger ermordet aufgefunden. Alafairs Verdacht fällt auf den brutalen Serienmörder Asa Surrette, doch der ist angeblich bei einem Unfall eines Gefangentransports ums Leben gekommen. Als weitere Gewalttaten geschehen, glaubt auch Dave Robicheaux so langsam, dass Surrette seine Finger im Spiel haben könnte. Doch auch Love Younger ist kein Unschuldslamm. In den Bergen Montanas spitzt sich die Lage langsam zu, und Dave und Clete Purcel stehen wieder vor der Zerreißprobe, wie viel eigene Gewalt die Gerechtigkeit rechtfertigt.

Auf James Lee Burkes unverwüstlichen Ermittler Dave Robicheaux lasse ich eigentlich nichts kommen, wenn man diese Reihe liest, bekommt man kraftvolle Prosa mit beeindruckenden Naturbeschreibungen und tief ausgeleuchteten Figuren mit allerlei Grauschattierungen. Das ist hier im 20. Band auch der Fall, nur treibt Burke das arg auf die Spitze und hätte sich auch etwas kürzer fassen können. Interessant an diesem Band ist der große Raum, den Robicheaux‘ und Purcels Töchter, Alafair und Gretchen, erhalten. Aber aufgrund gewisser Längen diesmal leichte Abzüge, aber die Reihe bleibt trotzdem sehr empfehlenswert. Im Juli 2023 erhält die Reihe übrigens mit Erscheinen von „Verschwinden ist keine Lösung“, Band 23, einen (vorläufigen) Abschluss. Ein großes Lob an den Pendragon Verlag.

 

Angst um Alafair | Erschienen am 27.02.2023 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-944751-22-1
672 Seiten | 24,- €
Originaltitel: The Light of the World | Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: noir/hardboiled

 

 

Liz Nugent | Kleine Grausamkeiten

Die Drumms sind eine irische Familie aus Dublin mit drei Söhnen. Zu Beginn erfährt der Leser, dass zwei der Brüder den dritten beerdigen. Und man schwant schon, dass die beiden Überlebenden nicht ganz unschuldig am Tod des Dritten sein dürften. Wie es nun dazu kam, folgt nun auf knapp vierhundert ziemlich unterhaltsamen Seiten.

Immer abwechselnd erzählt die Autorin Liz Nugent aus der Perspektive eines der drei Brüder William, Brian und Luke. Dabei folgt sie keinem stringenten Plot, sondern springt in der Perspektiven, in der Zeit. Die Abschnitte werden von den Brüdern tagebuchartig selbst kommentiert, manche Szenen werden mehrfach aus verschiedenen Blickwinkeln wiederholt erzählt. William, der älteste der Brüder, ist Filmproduzent, macht- und selbstbewusst, nimmt sich, was ihm vermeintlich zusteht. Brian, der mittlere, versucht immer wieder in der Familie zu vermitteln, ist aber, wie sich bald herausstellt, vorwiegend auf seinen Vorteil bedacht. Der jüngste Bruder Luke ist der labile Nachzügler, leidet unter der lieblosen Mutter, macht dennoch als Popstar Karriere, ist aber permanent vorm nächsten psychischen und physischen Absturz bedroht.

Der Leser erhält Einblicke in eine sehr dysfunktionale Familie, in der sich immer wieder kleine (und große) Grausamkeiten angetan werden. Eifersucht, Gier und Egoismus speisen ein lange währendes toxisches Familienverhältnis. Das ist sehr klug, böse und durchaus auch amüsant erzählt. Ob es auch ein Krimi ist, darüber kann man streiten, aber man will am Ende ja schon wissen, welcher der Bruder da am Anfang zu Grabe getragen wird.

Kleine Grausamkeiten | Erschienen am 15.11.2021 im Steidl Verlag
Die aktuelle Taschenbuchausgabe erschien am 15.06.2023
ISBN 978-3-96999-202-9
400 Seiten | 16,- €
Originaltitel: Our Little Cruelties | Übersetzung aus dem Englischen von Kathrin Razum
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5
Genre: Krimi

 

Rezensionen 1-3 und Fotos von Gunnar Wolters.

 

 

Amy Achterop | Die Hausboot-Detektei – Tödlicher Genuss (Band 1)

Mit großer Lust auf eine humorvolle, lockere Cosy-Crime Geschichte griff ich zu dem Roman. Auch das altmodisch gestaltete Cover und Amsterdam als Location versprachen amüsante Lesestunden mit skurrilen Charakteren. Der ehemalige Polizist Arie schart vier Mitstreiter um sich, die alle schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Fünf Personen mit Ecken und Kanten, ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Pechvögeln, gründen gemeinsam eine Detektei mangels Büro auf einem Hausboot inmitten der Amsterdamer Grachtenidylle.

Der erste Fall führt in die Welt der Haute Cuisine. Zwei renommierte Cateringunternehmen wettstreiten um die Ausrichtung der Hochzeit des Jahres. Voraussetzung ist ein Gericht, das eine sensationelle Neuheit darstellt. Einer der Sterneköche erhofft sich von dem Auftrag den bitter nötigen Erfolg und heuert die Detektei an, um das Rezept seiner Rivalin auszuspionieren. Nach und nach wird man in die dunklen Geheimnisse der konkurrierenden Starköche eingeweiht.

Leider hatte ich nicht das Vergnügen am Cast, auf das ich gehofft hatte, da mir keiner der Figuren wirklich nahe kam, die viel zu oberflächlich gezeichnet waren und blass blieben. Aus der Idee, Ermittler mit kriminellem Hintergrund in den Mittelpunkt zu stellen, die es aus unterschiedlichen Gründen im Leben oft schwer haben und ausgegrenzt werden, wurde viel zu wenig gemacht. Es werden einige soziale Themen angesprochen, aber alle nur angerissen. Auch der Kriminalfall entwickelt sich sehr gemächlich, konnte mich nicht wirklich fesseln und aufgrund der Längen musste ich mich zum Weiterlesen zwingen. Dabei hat mich gar nicht gestört, dass die Ermittlungen höchstens marginal zu bezeichnen sind. Vielmehr fand ich einige Aktionen sehr konstruiert und die Dialoge gestelzt. Beispielsweise werden erst mal, um sich auf die Detektivarbeit vorzubereiten, zusammen alte Miss Marple-Filme geguckt und seitenlang wird sich um ein verletztes Eichhörnchen gekümmert. Das war mir leider zu albern. Die Findungsphase der Detektive nimmt, auf Kosten des Crime-Aspektes, zu viel Raum und Zeit in Anspruch. Ein bisschen Spannung entsteht, als die Leiche des Sommeliers, ein Meister seines Fachs, der sich eigentlich um die Weine für die Hochzeit kümmern sollte, aus dem Wasser gefischt wird.

Amy Achterops Schreibstil ist flüssig aber ohne jede Raffinesse. Es gibt inzwischen zwei weitere Teile, mich hat es leider nicht überzeugt.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Die Hausboot-Detektei | Erschienen am 29. März 2023 im S. Fischer-Verlag
ISBN 978-3-59670-670-9
352 Seiten | 12,- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 2,5 von 5
Genre: Krimi

Abgehakt | Kurzrezensionen März 2023

Abgehakt | Kurzrezensionen März 2023

Kurzrezensionen März 2023

 

Friedrich Ani | Bullauge

Kay Oleander ist Polizist bei der Schutzpolizei in München. Bei einer Demonstration von „besorgten Bürgern“ eskaliert die Lage leicht, er wird von einer Glasflasche am Kopf getroffen, in der Folge verliert er ein Auge. Immer noch krank geschrieben, traumatisiert, allein stehend, verschafft er sich Zugang zu den Ermittlungsakten. Ein Täter wurde bislang nicht ermittelt, allerdings einige Zeugen vernommen, die sich verdächtig verhalten haben. Eine davon ist Silvia Glaser, auf die Oleander vor ihrem Haus trifft. Beide kommen ins Gespräch. Glaser offenbart ihm, dass sie in den Dunstkreis einer extremen Partei geraten ist, und bittet ihn, ihr dort herauszuhelfen.

Friedrich Ani ist der Mann der leisen Zwischentöne, der psychologischen Profile. Das zelebriert er hier auch ausgiebig. Sowohl Oleander als auch Glaser verbindet einiges, beide sind nach einem Unfall versehrt, noch etwas traumatisiert, ähnlich einsam und vom Leben enttäuscht. Das ist ohne Frage gut geschrieben, erschien mir von der Figurenkonstellation zu konstruiert und war mir auch irgendwie deutlich zu langatmig und spannungsarm. Doch im letzten Drittel bringt Ani dann einen Drive in die Story und am Ende noch einen bösen Twist, der den Leser nicht kalt lässt. Das hat mich dann doch überzeugt. Insofern ein Roman, bei dem man trotz der wenigen Seiten ein wenig dranbleiben muss, das Ende entschädigt dann aber für vieles.

 

Bullauge | Erschienen am 28.10.2022 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-7857-2811-6
366 Seiten | 16,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5
Genre: Krimi

 

Kim Young-ha | Aufzeichnungen eines Serienmörders

Byongsu Kim ist pensionierter Tierarzt, verbringt seine Zeit inzwischen mit Literatur, schreibt selbst gerne Gedichte. Der Siebzigjährige hat allerdings auch eine Vergangenheit als Serienmörder. Bis zum Alter von 45 Jahren hat er gemordet und wurde nie gefasst. Seit einem schweren Verkehrsunfall hat er dies beendet und die kleine Tochter seines letzten Opfers adoptiert und großgezogen. Zuletzt wurde bei ihm Demenz diagnostiziert, die stetig voranschreitet. Bei einer zufälligen Begegnung trifft Kim auf einen Mann, in dem er ebenfalls einen Serienmörder erkennt. Kurz danach kommt seine Tochter ausgerechnet mit diesem Mann als Verlobtem nach Hause. Kim versucht nun fieberhaft bei fortschreitender Demenz seine Tochter zu beschützen und wenn er bei diesem Mann nochmal selbst zum Mörder werden muss.

„Aufzeichnungen eines Serienmörders“ war in Korea ein Bestseller, auch die Verfilmung war erfolgreich und auch in der deutschen Übersetzung für den auf ostasiatische, insbesondere japanische Literatur spezialisierten Cass Verlag ein großer Erfolg. Der Titel ist dabei wörtlich zu nehmen. Byongsu Kim erzählt aus der Ich-Perspektive in kurzen, knappen Absätzen, in denen sich aktuelle Ereignisse, Erinnerungen aus naher oder ferner Vergangenheit und philosophische und lyrische Einschübe abwechseln. Dabei bringt der Erzähler auch immer blitzlichthaft wieder Einsichten in die koreanische Gesellschaft, vor allem der Vergangenheit. Der Reiz des Romans liegt zum großen Teil in der Person des Byongsu Kim, dem man zunehmend mitleidvoll beim „Verschwinden“ zusieht. Das Thema Demenz ausgerechnet bei einem ein Serienmörder ohne Reue durchzuspielen, ist eine ungemein pfiffige Idee, sehr virtuos umgesetzt. Aber Vorsicht an die Leser: Ob ein dementer Siebzigjähriger ein so zuverlässiger Erzähler ist? Mit weniger als 200 Seiten ein ziemlich schmaler, aber dafür aber umso feiner und nachhallender Roman.

 

Aufzeichnungen eines Serienmörders | Erschienen am 27.09.2020 im Cass Verlag
ISBN 978-3-944751-22-1
152 Seiten | 20,- €
Die gelesene Ausgabe erschien 2022 bei der Büchergilde Gutenberg
Originaltitel: Sakinja-ui gieok-beob | Übersetzung aus dem Koreanischen von Inwon Park
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4,5 von 5,0
Genre: Spannungsroman

 

 

Peter Papathanasiou | Steinigung

Cobb ist eine vergessene, heruntergekommene Kleinstadt im heißen Outback Australiens. Landflucht, Alkohol, Drogen, Armut nagen am Gemeinwohl, die Installierung eines Internierungslagers für Asylsuchende hat zudem auch nicht wirklich neue Jobs gebracht, stattdessen zusätzliche Probleme. Da wird Cobb von einer brutalen Gewalttat erschüttert. Molly Abbott, beliebte Grundschullehrerin, wird brutal gesteinigt aufgefunden. Aus der Großstadt kommt der Detective George Manolis, um die Dorfpolizisten zu unterstützen. Manolis ist selbst in Cobb aufgewachsen, ehe seine Familie überstürzt den Ort verlassen hat. Manolis sieht sich einer widerwilligen, feindseligen Atmosphäre ausgesetzt. Für viele Bewohner steht fest: Der Mörder kommt aus dem Internierungslager, dem „Braunenhaus“, in dem die Tote Englischunterricht gegeben hat – was vielen allerdings nicht gefallen hat.

Der Debütroman des australischen Autors Peter Papathanasiou führt den Leser tief in die gesellschaftlichen Probleme Australiens. Sehr spannend konstruiert er ein Setting, in dem Nachfolger der Ureinwohner (Constable Sparrow), der ersten Siedler (man erinnert sich: Das waren vor allem Strafgefangene), der Einwanderer im 20.Jahrhundert (Detective Manolis) und die Flüchtlinge von heute aufeinander treffen. Dabei kreiert der Autor eine Reihe interessanter Figuren.

Manolis muss gegen eine Reihe von Widerständen ankämpfen, ihm begegnet Hass, Aggression, verhüllter und offener Rassismus. Am Erschütterndsten erscheint aber der bürokratisch-unterdrückende Umgang des Staates mit den Asylsuchenden, denen keine echte Perspektive geboten wird und die im Lager von Wachpersonal umgeben sind, die allzu gerne ihre Macht missbrauchen. Insgesamt ein lohnendes Debüt mit stark gesellschaftskritischem Unterton aus Australien.

 

Steinigung | Erschienen am 15.03.2023 im Polar Verlag
ISBN 978-3-492-06345-6
304 Seiten | 17,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-498392-70-3 | 12,99 €
Originaltitel: The Stoning | Übersetzung aus dem Englischen von Sven Koch
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5
Genre: Gesellschaftskritischer Krimi

Rezensionen 1-3 und Fotos von Gunnar Wolters.

 

Kathleen Kent | Der Weg ins Feuer

„Der Weg ins Feuer“ ist der zweite Thriller um die junge Polizistin Betty Rhyzyk vom Dallas Police Department und schließt einige Monate nach den traumatischen Erlebnissen aus dem ersten Band an. Betty, die immer noch unter den körperlichen wie psychischen Verletzungen leidet, darf endlich wieder ihren Dienst im Drogendezernat aufnehmen, wird von ihrem neuen Chef, dem ehemaligen Mordermittler Marshall Maclin erst mal in den Innendienst gesetzt. Auf die Straße darf sie erst wieder, wenn sie einige Therapiestunden beim Polizeipsychiater abgesessen hat. Doch Betty will sich keine Schwäche eingestehen, dabei hat sie auch den Freitod ihres Bruders noch nicht wirklich verarbeitet. Mit ihrer schroffen Art, die man schon aus dem ersten Band kennt, stößt sie auch ihrer geliebten Frau Jackie immer wieder vor den Kopf.

Im Fokus des ganzen Buches steht Betty und die Kriminalgeschichte gerät fast in den Hintergrund. In Dallas rivalisieren Drogenkartelle mitaneinander und Dealer werden auf offener Straße erschossen. Als ein Informant und Junkie ermordet wird und Gerüchte auftauchen, ein Cop wäre involviert, beginnt Betty auf eigene Faust zu ermitteln. Als Leser*in sind wir immer dicht bei ihr, wenn sie sich in die einschlägigen Clubs der Szene oder auch in den Untergrund und damit erneut in große Gefahr begibt. Ihre Kollegen werden von ihr genau beobachtet und es ist ausgerechnet ihr Freund und Kollege Seth, der scheinbar etwas zu verbergen hat. Wenn Betty wiederholt Maclins Anordnungen missachtet und Verdachtsmomente vorenthält, Sitzungen beim Psychologen absagt oder einen Tatort betritt, ohne Verstärkung anzufordern, ist das teilweise schwer zu ertragen. Dabei zeigt sie auch oft ihr weiches Herz, mischt sich in Fällen häuslicher Gewalt ein und nimmt Obdachlose auf.

Man kann diesen zweiten Teil ohne Vorkenntnisse des ersten Teils lesen, ich würde aber dazu raten, sie in der richtigen Reihenfolge zu lesen. Trotz einiger Thriller-Klischees, die bedient werden, ist der Autorin ein spannender und temporeicher Thriller um eine außergewöhnliche Ermittlerin gelungen, der einen Blick in die Abgründe der Drogenkriminalität bietet. „Der Weg ins Feuer“ wird von den starken Charakterisierungen seiner Figuren getragen und zieht seine Intensität aus dem Drama in Bettys Leben, die zum Vorgänger eine glaubhafte Entwicklung durchmacht.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Der Weg ins Feuer | Erschienen am 13.02.2023 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-47296-5
359 Seiten | 16,95 €
Originaltitel: The Burn | Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Andrea O’Brien
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5
Genre: Thriller

 

 

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2022

Abgehakt | Kurzrezensionen Dezember 2022

Kurzrezensionen Dezember 2022

Arttu Tuominen | Was wir verbergen

Ende des letzten Jahres erschien „Was wir verschweigen“ von Arttu Tuominen, der erste Band mit Kommissaren der Kriminalpolizei aus Pori in Nordwestfinnland. Damals stand Jari Paloviita im Fokus, als er einem mordverdächtigen Jugendfreund zu Hilfe kommt und die Ermittlungen beeinflusst. Für mich ein überzeugender Krimi.

Nun gibt es Band 2 aus Pori und diesmal steht Jaris Kollege Henrik Oksman im Fokus des Romans. Er ist ein stiller Einzelgänger im Präsidium. Was niemand weiß: Henrik ist homosexuell und verkleidet sich gern als Frau. Er verbringt einen Abend in einem queeren Nachtklub in Pori, findet dort Anschluss und verlässt mit seinem Begleiter den Club in ein nahegelegenes Hotel. Kurz darauf wirft ein Attentäter zwei Granaten in den Eingangsbereich des Clubs, fünf Menschen sterben. Ein Bekennervideo zeigt einen fanatischen Mann, der weitere Taten ankündigt und andere aufruft, ebenfalls in seinen Kampf gegen Schwule und vermeintlich Andersartige zu ziehen. Es folgen hektische Ermittlungen nach dem Täter, währenddessen Henrik verschweigt, dass er kurz vor dem Attentat im Club war und mit aller Macht versucht, sein Geheimnis zu bewahren.

Eine sehr interessante Idee des Autors, die Prämisse des ersten Romans – ein Ermittler, der in einem aktuellen Fall etwas zu verbergen hat – wieder aufzugreifen. Das funktioniert auch, denn obwohl man annehmen könnte, dass Homosexualität im modernen Finnland unproblematisch wäre, stehen der private Hintergrund Henrik Oksmans als Gegenbeispiel. Erzkonservative, homophobe und rassistische Gegenbewegungen gibt es offenbar auch in Finnland. Der Roman überzeugt am meisten bei der komplexen Figur Oksman und am wenigsten bei der etwas schematischen Figur des Attentäters. Insgesamt aber eine ordentliche Fortsetzung des starken ersten Bands.

 

Was wir verbergen | Erschienen am 28.10.2022 bei Bastei Lübbe
ISBN 978-3-7857-2811-6
366 Seiten | 16,99 €
Als E-Book: ISBN 978-3-7517-2811-9 | 11,99 €
Originaltitel: Hyvitys | Übersetzung aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5
Genre: Krimi

 

Michael Mann & Meg Gardiner | Heat 2

Um Regisseur Michael Mann ist es ein wenig still geworden, seine letzter Kinofilm „Blackhat“ von 2015 war ein veritabler Flop. Kein Wunder, dass er sich nun seines größten Erfolgs erinnert hat: „Heat“ von 1995 ist ein sowohl actionreiches als auch tief melancholisches Heist-Drama, ein Klassiker des Genres, mit großartigen Schauspilern wie Robert de Niro und Al Pacino. Zusammen mit der Kriminalautorin Meg Gardiner hat Michael Mann nun „Heat 2“ geschrieben, dass sowohl Prequel als auch Sequel von „Heat“ ist. Die Verfilmung soll angeblich bereits in den Startlöchern stehen.

Die Cineasten unter uns werden es wissen (Zur Not erläutern die Autoren etwas umständlich im Prolog auch nochmal den Schluss von Heat): Beim Showdown am Ende überlebt Chris Shiherlis (gespielt von Val Kilmer) schwer verletzt und entkommt der Polizei um Vincent Hanna. Aus dieser Ausgangsposition wird erzählt, wie Chris in Paraguay in der rauen Schmugglerstadt Cuidad del Este bei einer taiwanesischen Mafiafamilie unterkommt und sich dort hocharbeitet, vor allem in der Gunst der Tochter des Clanchefs, die obwohl deutlich cleverer als ihr Bruder, nicht an die Spitze des Clans aufrücken soll. Währenddessen wird die Vorgeschichte erzählt: Nach einem Coup in Chicago 1988 geraten Neil McCauley und seine Crew mit Chris ins Visier eines soziopathischen Kriminellen, der ihnen den nächsten Coup streitig machen will. Zum Ende werden alle Fäden wieder in L.A. Im Jahr 2000 zusammenführen.

Jetzt kann man natürlich etwas streiten, ob es unbedingt einer Fortsetzung bedurft hätte. Ästhetisch und inhaltlich knüpfen Mann & Gardiner an Bestehendem an, haben wenig Neues zu bieten, geben den bekannten Figuren keine wesentlichen neuen Attribute. Andererseits ist das Ganze auch auf einem respektablem Niveau. Der Spannungsbogen überzeugt, man bleibt bis zum Schluss dran und fühlte sich gut unterhalten. Insofern nicht übel, man sehen, was der Film kann.

 

Heat 2 | Erschienen am 27.09.2022 bei HarperCollins
ISBN 978-3-3650-0228-5
688 Seiten | 14,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-7499-0516-4 | 9,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5,0
Genre: Krimi

 

Michelle Paver | Schneegrab

April 1935: Von Darjeeling aus bricht eine Gruppe britischer Bergsteiger zum Kangchenjunga auf, dem dritthöchsten Berg der Welt. Sie bewegen sich auf der Route einer Expedition um den Leiter Edmund Lyell knapp dreißig Jahre zuvor, die im Desaster endete, wobei Lyell dank eines von ihm veröffentlichten heroischen Expeditionsberichts zum Bergsteigerhelden wurde. Doch ging es damals so zu, wie von ihm berichtet? Stephen Pearce, Arzt der neuen Expedition, kam erst spät ins Team, will sich unbedingt beweisen – und doch beschleicht ihn ein merkwürdiges Gefühl, auch aufgrund des Aberglaubens der einheimischen Träger. Als die Gruppe schließlich den Berg erreicht, hat Stephen Erscheinungen. Irgendjemand scheint die Gruppe zu begleiten und zu beobachten.

Autorin Michelle Paver begibt sich mit „Schneegrab“ in den Himalaya und hat eine Mischung aus historischem Bergsteigerroman und Mysterythriller vorgelegt. Der Schauplatz ist interessant gewählt, ihre Recherchen scheint die Autorin auch gemacht zu haben, allerdings habe ich schon packendene Bergsteigergeschichten gelesen. Das Ganze ist weniger eine Horror als eine Schauergeschichte. Nicht schlecht, vor allem die Auflösung fand ich durchaus clever. Allerdings plätscherte es für mich zwischendurch auch so ein wenig dahin. Die Entscheidung, die Story von Stephen als Ich-Erzähler erzählen zu lassen, macht zwar Sinn, aber ich fand die übrigen Figuren dadurch etwas blass vom Profil. So fand ich „Schneegrab“ ganz ordentlich für zwischendurch, aber da wäre aus meiner Sicht noch mehr drin gewesen.

 

Schneegrab | Erschienen am 01.12.2021 im Piper Verlag
ISBN 978-3-492-06345-6
304 Seiten | 17,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-492-60178-8 | 12,99 €
Originaltitel: Thin Air | Übersetzung aus dem Englischen von Karin Dufner
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Genre: Mysterythriller

 

Graham Moore | Verweigerung

Ein Geschworenenprozess in Los Angeles: Die 15jährige Jessica Silver, Tochter eines Immobilienmoguls, verschwindet. Wegen Mordes wird ihr Lehrer Bobby Nock angeklagt, der offenbar ein Verhältnis mit Jessica hatte und in dessen Auto Blutspuren von Jessica gefunden wurden. Die Geschworenen tendieren zunächst zu einem Schuldspruch, entscheiden aber letztlich nach längerer Beratung und Intervention hauptsächlich einer Geschworenen auf „nicht schuldig“ und stehen fortan unter scharfer Kritik. Im Mittelpunkt der Kritik steht Maya Seale, die anschließend selbst Jura studiert und Anwältin wird. Zehn Jahre später trommelt eine TV-Produktionsfirma die Geschworenen wieder zusammen. Einer von ihnen, Rick, behauptet, hieb- und stichfeste Beweise für die Täterschaft Bobby Nocks gefunden zu haben. Maya bezweifelt dies, streitet sich mit Rick und findet diesen kurz danach ermordet in ihrem Hotelzimmer. Plötzlich wird Maya zur Hauptverdächtigen.

Justizthriller waren durch John Grisham in der 1990ern auf einmal sehr populär. Das amerikanische Rechtssystem mit Geschworenenurteilen lädt natürlich auch immer wieder zu interessanten Plots ein. Hier erzählt Autor Graham Moore sehr versiert auf zwei Zeitebenen: Zum einen beleuchtet er den Prozess von damals, nach und nach erfährt der Leser, was damals in den Beratungen der Geschworenen geschehen ist und was zum Freispruch von Bobby Nocks geführt hat. Zum Anderen verfolgen wir Maya in der Gegenwart, die nur widerwillig an dem TV-Event teilnimmt, plötzlich mordverdächtig ist und nun selbst ermittelt, um sich zu entlasten. Insgesamt ein clever erzählter Justizthriller mit einigen interessanten Wendungen und einigen bissigen Spitzen gegen das amerikanische Justizsystem.

 

Verweigerung | Erschienen am 21.12.2020 im Eichborn Verlag
ISBN 978-3-8479-0053-5
400 Seiten | 22,- €
Als Taschenbuch: ISBN 978-3-8479-0108-2 | 12,- €
Originaltitel: | Übersetzung aus dem Englischen von André Mumot
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5
Genre: Spannungsroman

 

Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

Abgehakt | Kurzrezensionen September 2022

Abgehakt | Kurzrezensionen September 2022

Unsere Kurzrezensionen zum Ende September 2022

 

 

Amor Towles | Lincoln Highway

Nebraska Mitte der 50er Jahre. Der 18jährige Emmett Williams wird nach über einem Jahr wegen Totschlags aus der Besserungsanstalt Salina entlassen. Er kehrt zum Familienhaus zurück, wo nach dem Tod des Vaters und dem Verschwinden der Mutter nur noch sein 8jähriger Bruder Billy wartet. Die kleine Farm gehört inzwischen der Bank und Emmett möchte mit Billy ein neues Leben beginnen. Dazu wollen die beiden mit dem alten hellblauen Studebaker über den Lincoln Highway Richtung Kalifornien fahren, wo sie die vor Jahren verschwundene Mutter vermuten. Kurz vor der Abfahrt tauchen Duchess und Woolly, zwei Freunde aus dem Jugendknast mit ganz anderen Reiseplänen auf. Sie stehlen Emmetts Auto samt seinem Geld und machen sich auf den Weg nach New York City, um an Woollys Erbe zu gelangen. Die beiden Brüder sehen sich gezwungen, ihnen per Zug hinterher zu reisen. Das ist der Beginn einer aberwitzigen Reise mit vielen skurrilen Begegnungen und vier sehr unterschiedliche Jugendlichen, die alle ihre eigenen Interessen verfolgen. Der besonnene Emmett, der schon früh Verantwortung übernehmen, sich aber auch mit seinem Jähzorn auseinandersetzen muss, sein kleiner oft altklug wirkender Bruder Billy. Dagegen der durchgeknallte Duchess, der total ichbezogen nur nach seinem eigenen Moralkodex handelt. Und dann noch der liebenswerte Woolly, Spross einer wohlhabenden Ostküstenfamilie, aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen immer Außenseiter und unberechenbar in seinen Handlungen.

Die Road Novel beginnt mit Emmetts schicksalhafter Herkunftsgeschichte sowie der Gewalttat sehr vielversprechend und ich genoss das ländliche Setting des mittleren Amerikas. Leider konnte es mich dann aber nicht durchgehend begeistern. Der Plot verfängt sich in vielen Nebenhandlungen, es wird aus nicht weniger als acht Perspektiven erzählt. Dadurch bremst sich die Geschichte immer wieder aus und alles wird nur oberflächlich angerissen. Amor Towles ruhiger Erzählton ist liebenswert charmant, bildgewaltig, rutscht jedoch für meinen Geschmack öfter ins Banale ab. Mir war es oft zu redselig und viele Sätze zu bedeutungsschwanger und mythenbeladen. Die einzelnen Charaktere sind mit Ecken und Kanten gut ausgearbeitet, und besonders Duchess machte es mir oft nicht leicht, seine Eskapaden zu ertragen. Viele überraschende Wendungen hielten mich dann doch bei der Stange und ich wollte auch unbedingt wissen, was es damit auf sich hat, dass die Kapitel des Romans rückwärts gezählt werden.

 

Lincoln Highway | erschienen am 25. Juli 2022 im Carl Hanser Verlag
ISBN 978-34462-7400-6
576 Seiten | 26,00 Euro
Originaltitel: The Lincoln Highway | Übersetzung aus dem Englischen von Susanne Höbel
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Gerne: Spannungsroman

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

 

Chris Hadfield | Die Apollo-Morde

Der Kanadier Chris Hadfield war bis 2013 Astronaut und wurde international vor allem mit seiner Mission auf der ISS Ende 2012 / Angang 2013 bekannt, von wo mit Nachrichten und Bildern von der ISS über die sozialen Medien große Popularität erlangte. Kurz vor seiner Rückkehr zur Erde veröffentlichte Hadfield auch ein Musikvideo, in der er in der Raumstation David Bowies „Space Oddity“ covert. Als Ruheständler begann mit Hadfield mit dem Schreiben, seiner Passion Weltraum ist er aber treu geblieben. Für sein Debüt als Thrillerautor hat er sich die ominöse Apollo 18-Mission ausgesucht, die nie stattfand, aber in der Popkultur immer wieder die Fantasie anregt.

Die NASA hat Budget-Probleme, sodass für Apollo 18 das Pentagon einspringt. Dadurch wird die Mission im Jahr 1972 aber überwiegend militärisch. Die Sowjets haben vor kurzem eine Sonde auf die Mondoberfläche gebracht, zudem wurde die (noch unbemannte) Spionage-Raumstation Almaz in die Umlaufbahn gebracht. Die Crew soll nach Möglichkeit beides auf ihrer Mission sabotieren. Doch Apollo 18 steht unter keinem guten Stern, als der Kommandant bei einem Test-Helikopterflug ums Leben kommt. Die Unglücksursache bleibt unklar, da startet die Mannschaft bereits ins All. Und dort wartet die nächste Überraschung, denn Almaz ist keineswegs unbemannt.

Durchaus pfiffig nutzt Chris Hadfield hier Fakten und Fiktion, um den kalten Krieg der 1970er in den Weltraum zu verlegen. Dabei kommt auch eine Vielzahl reale Persönlichkeiten vor. Er erzählt die Story aus verschiedenen Perspektiven und mit einem großen Fundus aus seiner persönlichen Erfahrung. Das ist auch die große Stärke des Thrillers: Die ganze Mission, die Schauplätze und die Atmosphäre im All und auf dem Mond beschreibt Hadfield sehr anschaulich und authentisch. Da verzeiht man auch den einen oder anderen Hänger im Plot und die ausbaufähigen Figuren. Insgesamt ein ordentliches Weltraumabenteuer von einem echten Insider.

 

Die Apollo-Morde | Erschienen am 15.06.2022 im dtv Verlag
ISBN 978-3-342-322010-1
640 Seiten | 12,95 Euro
Als E-Book: ISBN 978-3-462-30105-2 | 9,99 €
Originaltitel: The Apollo Murders | Übersetzung aus dem Englischen von Charlotte Lungstrass-Kapfer
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5
Genre: Thriller

 

 

Antonio Fusco | Schatten der Vergangenheit

Tommaso Casabona ist Kommissar einer Stadt in der Nähe von Florenz. Vor kurzem hat sich seine Frau von ihm getrennt, Auslöser war eine Affäre mit einem Arzt. Ebenjener Arzt wurde ermordet aufgefunden und ein Mafiakiller als Kronzeuge beschuldigt Casabona des Mordes. Bei einer Hausdurchsuchung flüchtet Casabona, da er nur so glaubt, selbst seine Unschuld beweisen zu können. Die Indizien für seine Tatbeteiligung stehen auf wackligen Füßen, aber offenbar sind die Ermittlungsbehörden bereit, Casabona zu opfern, um die Glaubwürdigkeit des Kronzeugen nicht zu erschüttern. Casabona erhält Unterstützung seiner untergebenen Kollegen und knüpft zudem alte Kontakte ins Mafiamilieu, um die wahren Hintergründe herauszufinden.

Autor Antonio Fusco ist Forensiker bei der italienischen Staatspolizei und hat daher interne Einblicke in die Arbeit der Ermittlungsbehörden, was diesen Krimi interessant macht, da hier offenbar einige auch gegeneinander arbeiten. Die Reihe um Commissario Casabona ist in Italien schon sehr erfolgreich. Umso mehr hat mich irritiert, dass sein deutscher Verlag nun mit Band 6 der Reihe in Deutschland beginnt. Die Vorgeschichte Casabonas wird nämlich nur angerissen und die Figuren bleiben ein wenig blass.

Dafür erhält der Leser ansonsten aber einen ordentlichen, geradlinigen und spannenden Krimi. Der Roman ist recht kurz und hält sich daher kaum mit Nebensächlichkeiten auf. Manches geht vielleicht auch zu glatt bei Casabonas Flucht und Untertauchen. Dennoch überzeugt der Roman vor allem dann, wenn es um die „miesen“ Tricks der Justiz und Behörden geht. Schmutzige Deals werden gemacht, persönliche Vorteile gesucht, vermeintlich wichtige Zeugen geschützt, auch wenn dadurch Unschuldige in Mitleidenschaft gezogen werden.

 

Schatten der Vergangenheit | Erschienen am 12.04.2022 im Tropen Verlag
ISBN 978-3-608-50518-4
240 Seiten | 17,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-608-11943-5 | 13,99 €
Originaltitel: La Stagione del fango | Übersetzung aus dem Italienischen von Ingrid Ickler
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5,0
Genre: Krimi

 

 

Berna González Harbour | Goyas Ungeheuer

Comisaria María Ruiz ist wieder nach Madrid zurückgekehrt, aber von Dienst suspendiert. Die Situation belastet auch ihr Verhältnis zu ihren Freunden im Polizeiapparat. Sie müsste sich eigentlich zurückhalten, aber als mehrere merkwürdige Ereignisse in Madrid stattfinden, ist ihr Ermittlerinstinkt geweckt. Tote Truthähne werden zur Schau gestellt, ein Hund versinkt in einem Schlammloch und schließlich ein Mord: Nahe des Flusses Manzanares wird eine junge Kunststudentin bizarr ermordet aufgefunden. Die Zurschaustellung lässt nur einen Schluss zu: Es gibt eine Verbindung zu den Werken des großen spanischen Künstlers Francisco de Goya. Doch während die Polizei den Dozent und Liebhaber der Studentin verhaftet, verfolgt Ruiz eine ganz andere Spur.

Nochmehr als der deutsche Titel ist der Originaltitel in direktem Bezug zu Goyas Werk: „El sueño de la razón“ ist ein Teil von Goyas berühmtem Werk „El sueño de la razón produce monstruos“ („Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“). Die Auseinandersetzung mit Goyas Werk ist auch das Faszinierende an diesem Roman. Im Buch tauchen 13 Abbildungen von Goyas Kunstwerken auf, die Auseinandersetzung mit seinem Werk ist essentieller Bestandteil des Kriminalromans. Daneben wird auch die spanische Hauptstadt als Setting mit ungewöhnlichen Schauplätzen gut in Szene gesetzt.

Die Voraussetzungen für einen guten Roman sind somit vorhanden, dennoch war ich nicht ganz zufrieden. Die Übersetzung einer Serie mit dem vierten Roman zu beginnen, empfand ich als unglücklich, da viel zu viel aus der Vorgeschichte der Figuren in diesen Band hineinspielt. Zudem fand ich die Figur des psychopatischen Täters eher blass und nicht markant genug. Es ist auch so, dass der Täter so zur Mitte des Buches feststeht und ich eigentlich noch mit einer Wendung zum Ende gerechnet hatte, aber da kam nichts mehr. Fazit: Plot und Täterfiguren haben mich nicht begeistert, aber wer mit einem Krimi mal so richtig in die Kunsthistorie und Francisco de Goya eintauchen will, der sollte einen Blick in diesen Roman riskieren.

 

Goyas Ungeheuer | Erschienen am 17.08.2022 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-86532-730-7
472 Seiten | 24,- €
als E-Book: ISBN 987-3-86532-826-7 | €
Originaltitel: El sueño de la razón | Übersetzung aus dem Spanischen von Maike Hopp
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Genre: Krimi

 

Rezensionen und Fotos 2-4 von Gunnar Wolters.

Abgehakt | Kurzrezensionen Juni 2022

Abgehakt | Kurzrezensionen Juni 2022

Unsere Kurzrezensionen zum Ende Juni 2022

 

 

Kotaro Isaka | Bullet Train

Der japanische Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen rast von Morioka nach Tokio. Mit an Bord sind 5 Killer, die unterschiedlicher nicht sein können, jeder mit einem speziellen Auftrag. Da ist das ungleiche Killerduo Lemon und Tangerine. Die beiden „Zitrusfrüchte“ sitzen zusammen mit dem Opfer einer Entführung samt Lösegeld und wollen den Sohn des gefährlichsten Unterweltbosses Tokios, Minegeshi Junior, heil nach Hause bringen. Doch Murphys Gesetz schlägt zu: Zuerst kommt der Koffer mit dem Geld abhanden, dann verstirbt auch noch das Entführungsopfer auf mysteriöse Weise. Nanao wiederum, ein junger Killer, bekam telefonisch den Auftrag, den Koffer an sich zu nehmen und umgehend an der nächsten Station wieder auszusteigen. Da „Der Marienkäfer“ allerdings der größte Pechvogel aller Zeiten ist, endet der einfach klingende Job im Chaos und es geht schief, was schief gehen kann. Außerdem befindet sich der ehemalige Auftragskiller Yuichi Kimura im Zug, um sich zu rächen, weil man seinen Sohn Wataru vom Dach eines Kaufhauses gestoßen hat und dieser seitdem im Koma liegt. Schuld daran soll der erst 14-jährige Schüler Oji sein, der sich ebenfalls im Shinkansen aufhält. Der harmlos wirkende „Prinz“ ist ein richtiger Psychopath mit krimineller Energie, der es sehr gut versteht, kaltblütig aber auch mit absoluter Empathielosigkeit andere Menschen zu manipulieren.

Während der Zug seinem Endziel entgegen rauscht, kommen sich die Ganoven selbstverständlich gegenseitig in die Quere und alles spitzt sich immer mehr zu. Spannung entsteht auch, da das Geschehen auf den begrenzten Raum der Zugabteile eingeengt ist und die Gestalt eines Kammerspiels annimmt. Die Geschichte kann richtig Spaß machen, wenn man sich auf die völlig absurden Wendungen und abgedrehten Todesfälle einlässt. Besonders im letzten Drittel nimmt die Handlung noch mal richtig Fahrt auf und konnte mich recht gut unterhalten. Die Handlung, wie auch die Figuren sind extrem überzeichnet. Ich empfand es fast als Parodie auf das Genre. Sehr überrascht haben mich die angeblich besten Profikiller der Branche, Lemon und Tangerine, die doch oft wie Vollidioten agierten. Viele Rückblenden, die für Erklärung sorgen sollen, bremsen immer wieder den Hochgeschwindigkeitsthriller aus. Für mich ein durchschnittlicher Thriller von einem in Japan preisgekröntem, hierzulande aber noch relativ unbekanntem Autor. Bullet Train ist der erste ins Deutsche übersetzte Roman von Kotaro Isaka.

Im Juli kommt die Verfilmung mit Brad Pitt und Sandra Bullock in die Kinos, und als Film kann ich mir die Story ganz gut vorstellen, auch weil die Szene, die mir im Buch am besten gefallen hat, tatsächlich die ist, die im Trailer gezeigt wird.

 

Bullet Train | Erschienen am 02.04.2022 im Hoffmann und Campe Verlag
ISBN 978-3-45501-322-1
384 Seiten | 22,- €
Originaltitel: マリアビートル (Mariabitoru) (Übersetzung aus dem Japanischen von Katja Busson)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Genre: Thriller

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

 

 

Horst Eckert | Das Jahr der Gier (Band 3)

In der Düsseldorfer Altstadt wird ein britischer Journalist Opfer eines brutalen Angriffs. Der Mann ist ein alter Bekannter der Kriminalrätin Melia Adan, weshalb sie diesen Vorfall näher betrachtet als vielleicht üblich. Kurz darauf wird die Leiche einer jungen Frau in einem Wäldchen am Stadtrand gefunden, inszeniert als Sexualmord. Doch Hauptkommissar Vincent Veih und sein Team vermuten schnell ein anderes Motiv. Die Spur in beiden Fällen führt schließlich in die Nähe von München zum aufstrebenden Finanzdienstleister Worldcard AG.
Dort hat gerade der Ex-Polizist Sebastian Pagel einen neuen Job beim COO von Worldcard, Marek Weiß, erhalten. Pagel war zum Sündenbock auserkoren worden, als ein wichtiger Zeuge aus Syrien unter Polizeischutz vergiftet wurde. Der Job beim neuen Börsenschwergewicht Worldcard und dessen Macher Weiß scheint geeignet, das Selbstbewusstsein wieder aufzupäppeln. Doch Pagel ist alarmiert, als plötzlich im Dunstkreis von Weiß Personen auftauchen, die er schon aus seinem Vorgängerjob kennt.

Mit „Das Jahr der Gier“ setzt Horst Eckert die Reihe um die Düsseldorfer Polizisten Adan und Veih fort. Wie gewohnt greift der Autor wieder aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse auf – in diesem Fall der Wirecard-Skandal, der bis in höchste politische Kreise reicht, aber bislang erstaunlich wenige „Opfer“ gefunden hat. Eckert erzählt gewohnt präzise, in kurzen Kapiteln mit ansteigender Spannung und wechselnden Perspektiven. Er behält das übliche Figurenpersonal bei, auch bei den Antagonisten tauchen alte Bekannte in neuer Funktion wieder auf. Das ist wie gewohnt eine überzeugende Mischung aus Fakten und Fiktion. Eckert bleibt der relevante Autor für Pageturner-Politthriller aus Deutschland.

 

Das Jahr der Gier | Erschienen am 08.03.2022 im Heyne Verlag
ISBN 978-3-453-42637-5
430 Seiten | 13,00 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5
Genre: Politthriller

 

 

Vladimir Sorokin | Der Tag des Opritschniks

Russland im Jahre 2027: Das Land hat sich vollends vom Westen abgeschottet, lebt nur noch von seinen Energieexporten und pflegt lediglich noch Beziehungen zu China. Alleinherrscher ist der Gossudar. Er hält sich eine Mischung aus Geheimpolizei und Leibgarde – die Opritschniki. Sie werden eingesetzt, um gegen Oppositionelle und vor allem vermeintliche Abtrünnige aus der Schicht der Machthaber und Oligarchen mit aller Härte vorzugehen. Einer dieser Opritschniki ist Andrej Danilowitsch Komjaga. Ihn begleitet der Leser durch einen typischen „Arbeitstag“ – vom brutalen Mord an einem unliebsam gewordenen Adelsmann und der Vergewaltigung dessen Frau am Morgen über einen Korruptionsdeal am Mittag bis hin zu gemeinsamen Orgien am Abend.

Vladimir Sorokin ist einer der bekanntesten zeitgenössischen russischen Autoren und Dramatiker, der auch deutlich gegen die politische Spitze in seinen Werken Stellung bezieht, unter anderem gehörte er zu den Unterzeichnern eines Appells, die Wahrheit über den Krieg in der Ukraine zu verbreiten. „Der Tag des Opritschniks“ erschien bereits im Jahr 2006 und nimmt in Form einer Dystopie mit satirischen Elementen die Entwicklung Russlands bis heute in beängstigender Weise voraus. Sein Russland des Jahres 2027 hat sich international weitgehend isoliert und bei allerlei modernen Einsprengseln kulturell einen Rückschritt in die Zarenzeit unternommen. Die Macht des väterlich beschriebenen Gossudaren wird durch die Opritschniki in einer äußerst brutalen und teilweise obszönen Weise gewahrt. Der Ich-Erzähler Komjaga bedient sich dazu einer schwülstigen, pathetischen Sprache. Die Taten der Opritschniki und deren Machtfantasien sind dabei sehr drastisch beschrieben. Ein sehr bedrückendes Werk mit vielen Bezügen zum aktuellen und historischen Russland, dabei immer wieder mit bösem satirischen Witz, bei dem das Lachen buchstäblich im Halse stecken bleibt.

 

Der Tag des Opritschniks | Erstmals erschienen 2006
Die Neuauflage erschien am 12.04.2022 im Verlag Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-00410-6
224 Seiten | 13,- €
Als E-Book: ISBN 978-3-462-30105-2 | 9,99 €
Originaltitel: День опричника (Übersetzung aus dem Russischen von Andreas Tretner)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4,0 von 5,0
Genre: Dystopie

 

 

Martin Krist | Wunderland (Band 8)

Der Berliner Kommissar Paul Kalkbrenner wird ungewöhnlicherweise nach Potsdam wegen eines Leichenfunds gebeten. Die im dortigen Wertstoffhof gefundene männliche Leiche stammt aber aus dem Bioabfall eines Berliner Abholbezirks. Die Identität des Toten ist allerdings nur schwer zu klären, bis ein Hinweis auftaucht, dass der Tote in einem privaten Theater mitspielte. Dort war der Tote im Ensemble nicht gerade beliebt, Untreue, Affären, Streitigkeiten gab es unter den Laienschauspielern. Aber reicht das schon für ein Mordmotiv?

Währenddessen hat die Potsdamer Kommissarin Jamina Stark den Tote vom Wertstoffhof an die Berliner Kollegen abgegeben, dafür muss sie allerdings einen privaten Schicksalsschlag hinnehmen: Ihr Bruder wird tot mit einer Überdosis aufgefunden. Dabei war er doch seit Monaten clean und auf einem guten Weg. Jamina kann sich mit der offiziellen Version einer selbstverschuldeten Überdosis nicht abfinden und recherchiert auf eigene Faust weiter. Parallel erzählt der Autor die tragische Geschichte eines Geschwisterpaares, deren Eltern bei einem Autounfall ums Leben kommen und die nun in ein kirchliches Kinderheim kommen und dort Missbrauch und Demütigung erfahren. Nach und nach schält sich heraus, was diese drei Stränge miteinander zu tun haben.

Autor Martin Krist ist erfolgreicher Selfpublisher und Vielschreiber. Seine Reihe um Kommissar Kalkbrenner umfasst bereits neun Bände (inkl. Eines Kurzgeschichtenbands). Der aktuelle (reguläre) 8.Band „Wunderland“ erzählt im Hintergrund eine sehr bedrückende Geschichte von vernachlässigten Heimkindern und sexuellem Missbrauch und wie dies das ganze Leben der Betroffenen prägt. Das Buch ist zwar als Thriller betitelt, lässt sich dafür aber im Aufbau und bei den Figuren ziemlich viel Zeit. Das geht zwar auf Kosten der Spannung, tut dem Gesamtwerk aber insgesamt ganz gut. Gut gefiel mir auch das Spiel des Autors mit den Zeitebenen, sodass selbst ein versierter Krimileser manches, aber längst nicht alles vorhersehen konnte. Ein wirklich ordentlicher Krimi.

 

Wunderland | Erschienen am 11.04.2022 im Selbstverlag (R&K)
ASIN: ‎ B09TJCN7F6
535 Seiten | 22,99 € (gebunden) | 12,99 € (Taschenbuch) | 0,99 € (E-Book)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,5 von 5
Genre: Krimi

 

Rezensionen und Fotos 2-4 von Gunnar Wolters.