Kategorie: Andy Ruhr

Calla Henkel | Ein letztes Geschenk

Calla Henkel | Ein letztes Geschenk

Rückblickend könnte man meinen, ich hätte mich mit meiner Leidenschaft für True Crime auf Naomis Ermordung vorbereitet, hätte im übertragenen Sinne Gewichte gestemmt und meine Muskeln gestählt. (Auszug Pos. 28 von 4891)

In New York lernt die Künstlerin Esther Ray auf der Vernissage einer Freundin die Multimillionärin und Wohltäterin Naomi Duncan kennen. Eigentlich verabscheut Esther die Welt der Superreichen genauso wie die Kunstszene. Sie versteht sich eher als geerdete Kunsthandwerkerin, die Bücher von Hand bindet und mit ihrer Partnerin zurückgezogen in den Bergen lebt. Aus diesem Grund lehnt sie, trotz fürstlichem Honorar, erstmal Naomis Angebot ab, für deren Ehemann zu seinem 60. Geburtstag sogenannte Scrapbooks zu erstellen. Das sind aufwendig gestaltete Fotoalben, die durch künstlerische Verzierungen mit Texten und vielen Aufklebern eine Geschichte erzählen.

Abgründe einer Vorzeigefamilie
Erst als sie in ihren Bungalow in den Blue Ridge Mountains zurückkehrt und feststellen muss, dass ihre Verlobte Jessica sie verlassen hat und sie die Hypothek für das gemeinsame Häuschen nicht alleine auftreiben kann, überlegt sie es sich anders. Daraufhin erhält sie von ihrer Auftraggeberin eine ganze LKW-Ladung voller Kisten mit Material für die Alben, eine Kiste pro Jahr. Darin hat Naomi alles Mögliche gesammelt: Nicht nur Urlaubsfotos, Quittungen und Zeitungsausschnitte sondern auch Klassenarbeiten und Zeugnisse ihrer Tochter, Elternbriefe, Einladungen und sogar Kontoauszüge aus der Firma ihres Mannes. Wichtigste Regel für den Auftrag: Absolute Verschwiegenheit; es soll ja eine Überraschung zum Sechzigsten werden. Esther muss eine Verschwiegenheitserklärung unterzeichnen und der gesamte Kontakt zu Naomi erfolgt über ein extra angeschafftes Prepaid-Handy.

Esther sichtet das Material und je tiefer sie in die Unterlagen eintaucht, desto mehr gerät sie in den Bann von Naomis Familie. Sie erhält Einblicke in deren Geheimnisse und einige Ungereimtheiten lassen sie stutzig werden. Die Abgründe der reichen Vorzeigefamilie haben es in sich. Für Esther eine willkommene Ablenkung von ihrem Liebeskummer und aufgrund ihrer Einsamkeit wird das fremde Leben immer mehr zu ihrem eigenen, sie verliert die professionelle Distanz zu den Duncans. Als Naomi plötzlich bei einem Skiunfall ums Leben kommt, glaubt Esther nicht daran. Die Liebhaberin von True-Crime-Podcasts beginnt fast besessen, selbst Nachforschungen anzustellen um die Hintergründe herauszufinden. Dabei muss sie sich in die Welt von Naomis Familie und Freunden begeben, geht dabei nicht immer legal vor und gerät auch schon mal in lebensgefährliche Situationen. Unerwartet findet sie dabei Hilfe und Unterstützung bei ihrem Nachbarn Patrick, einem verschlossenen alten Mann, der selbst immer noch unter den Folgen eines tragischen Ereignisses aus seiner Vergangenheit leidet.

Schillernde Protagonistin
Mit Esther Ray hat die Autorin einen faszinierenden Charakter geschaffen. Nach und nach erfahren wir Details aus ihrer geheimnisvollen Vergangenheit, zum Beispiel über den frühen Unfalltod ihrer Mutter, der ihr Leben bis heute überschattet und für den nötigen Tiefgang sorgt. Sie hat eine Obsession für True-Crime-Podcasts, ist sehr verbissen, eigensinnig und extrem neugierig. Mit einem hohen Sinn für Gerechtigkeit versucht sie immer, das Richtige zu tun, trifft dabei aber häufig impulsive und moralische fragwürdige Entscheidungen. Als Leser leidet und fiebert man mit.

Ich malte mir aus, wie ich jedes Kleidungsstück von Naomi ausbreiten, mit den Fingern über die Siegel der Vakuumverpackungen streichen und sie dann aufreißen würde. Diesmal würde ich das Rätsel lösen, diesmal würde mir nichts entgehen. (Auszug Pos. 3931 von 4891)

„Ein letztes Geschenk“ ist ein raffiniert komponierter Psychothriller voller nicht vorhersehbarer Kapriolen und innovativer Wendungen, der erstaunlich leichtfüßig und lebendig daher kommt. Dabei wirft die Autorin einen herrlich bissigen Blick in die ineinander verflochtenen Welten der Kunstszene und der Superreichen. Geschickt und fast unbemerkt fließt eine unterschwellige Gesellschaftskritik in die Handlung ein. Der Roman ist höchst amüsant, erfrischend mit einem atemlosen Plot.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Ein letztes Geschenk | Erschienen am 12. Juli 2024 bei Kein & Aber
ISBN 978-3-0369-5043-3
464 Seiten | 25,00 Euro
Originaltitel: Scrap | Übersetzung aus dem Englischen von Verena Kilchling
Bibliografische Angaben & Leseprobe

George P. Pelecanos | Das dunkle Herz der Stadt

George P. Pelecanos | Das dunkle Herz der Stadt

Wie der meiste Ärger in meinem Leben, der mir widerfahren ist oder den ich mir eingebrockt habe, fing auch der in jener Nacht mit einem Drink an. (Auszug Seite 7)

Nick Stefanos war früher Cop und auch Privatdetektiv. Jetzt steht er mehrmals die Woche im Spot, einer Bar in Washington D.C. hinter der Theke und ist hier oft sein bester Kunde. Nicht ideal für den Alkoholiker, der immer nur so lange funktioniert, bis ein weiterer Alkoholexzess ihn wieder aus der Bahn wirft. So beginnt auch diese Geschichte. Nach einer durchzechten Nacht mit einigen Blackouts wacht Nick desorientiert im Hafengebiet des Anacostia River auf. Dunkel erinnert er sich, den gedämpften Knall eines Schalldämpfers gehört zu haben. Und tatsächlich liegt die Leiche eines schwarzen Jugendlichen erschossen am Flussufer. Anonym verständigt er die Polizei und verschwindet.

Der tote Junge lässt Stefanos jedoch keine Ruhe, und da die Polizei den Mordfall schnell unter Bandenkriminalität zu den Akten legt, macht er sich selbst auf die Suche nach den Mördern von Calvin Jeter. Das Spot ist auch die Stammkneipe vieler Detectives der Metropolitan Police und so erfährt Nick einige Einzelheiten zu dem Fall, zum Beispiel dass Calvins bester Freund Roland Lewis seit einiger Zeit verschwunden ist. Bei seinen Ermittlungen trifft er auf den Privatdetektiv Jack LaDuke, der von Rolands Mutter beauftragt wurde, den vermissten Teenager zu finden. Der schlaksige, jungenhafte LaDuke wirkt wie der nette Junge von nebenan, verbirgt aber eine äußerst dunkle Seite. Er ist neu in der Stadt und mit dem Auftrag, den verschwundenen Freund des Mordopfers ausfindig zu machen, ziemlich überfordert. Gemeinsam stößt das ungleiche Duo auf einen Sumpf aus Drogen, Prostitution und Pornografie und begeben sich in große Gefahr. Als eine Spur ins Pornomilieu führt, verdichtet sich der Verdacht, dass sich die beiden Jungen leichtsinnig auf ein gefährliches Spiel eingelassen haben.

Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive ganz in der Tradition des Hardboiled-Krimis erzählt und wir begleiten den Gelegenheitsdetektiv bei seinen Recherchen durch die Kneipen, Bars und dunklen Winkeln diese Stadt. Der musikverrückte, griechisch-stämmige Nick Stefanos ist der typische Antiheld, der sein Leben nicht wirklich im Griff hat und von einem Alkoholexzess zum nächsten schlingert. Trotzdem verfügt er über ein gutes Gespür sowie Menschenkenntnis und es gelingt ihm den Fall bei halbwegs klarem Verstand voranzutreiben. Er ist vielleicht desillusioniert, aber gar nicht so abgebrüht und zynisch. Halt findet er in der leidenschaftlichen Beziehung zu seiner Freundin Lyla, bis er begreift, dass er die Journalistin aufgrund ihres Lebenswandels unweigerlich mit ins Elend treiben wird.

Ich hätte Boyle noch mal anrufen und alles abblasen können. Dann wäre es vielleicht zwischen Lyla und mir nicht so gekommen, wie es kam, und ich wäre nie Jack LaDuke begegnet. Aber Neugier ist wie ein knackiger Arsch, von dem man besser die Finger lassen sollte. Am Ende packt man doch zu. (Auszug Seite 27)

Die detaillierten Einblicke in Nicks unbeständiges Privatleben und seine persönlichen Probleme nehmen einen großen Raum in der Geschichte ein, vermitteln aber auch zugleich ein authentisches Bild des Milieus. Während die Ermittlungen zum Mordfall anfangs nur zäh voranschreiten, nimmt der Krimiplot ab der zweiten Hälfte an Fahrt auf. Nach einigen unvorhersehbaren Wendungen gipfelt der Krimi in einem packenden, actiongeladenen Finale und konfrontiert uns zudem mit moralisch recht bedenklichen Entscheidungen.

George Pelecanos portraitiert in seinem Roman die wahren Verlierer der Stadt. Er erzählt von den einfachen Menschen, die sich unter schwierigsten Bedingungen, wie die soziale Schieflage, den alltäglichen Rassismus und Homophobie durchs Leben kämpfen. Es ist ein Leben am Rande der Gesellschaft voller Gewalt, Drogen und Hoffnungslosigkeit. Präzise beobachtet wartet er mit fein ausgearbeiteten Charakteren auf, einschließlich vieler suspekter Figuren, die vom Elend der anderen profitieren und vor nichts zurückschrecken. Der amerikanische Autor mit griechischen Wurzeln ist in Washington D.C. aufgewachsen. Die milieugetreuen Beschreibungen der Schauplätze stehen im Vordergrund und erzeugen ein stimmiges Sittenbild der Metropole Anfang der 90er Jahre und machen sie fast körperlich greifbar. Die Sprache ist prägnant und trockener Humor blitzt immer wieder in den Dialogen durch.

Als ich beim Stöbern auf den Roman stieß, war mir nicht klar, dass es sich um den dritten Teil der Nick-Stefanos-Trilogie handelt. Der im Original bereits 1995 erschienene Roman ist bisher der einzige ins Deutsche übersetzte und kann für sich alleine gelesen werden.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Das dunkle Herz der Stadt | Erschienen am 21. August 2018 im Ars Vivendi Verlag
ISBN 978-3-8691-3917-3
248 Seiten | 20,00 Euro
Originaltitel: Down by the River Where the Dead Men Go | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Karen Witthuhn
Bibliografische Angaben und Leseprobe

Liza Cody | Die Schnellimbissdetektivin

Liza Cody | Die Schnellimbissdetektivin

Beschatte ich einen verlogenen, treulosen Saftsack für eine verunsicherte, tränenblinde Klientin, oder arbeite ich für eine, die seit Ewigkeiten weiß, dass ihre Ehe eine rottende Leiche ist, aber den verlogenen, treulosen Saftsack drankriegen will, um das Haus und den Löwenanteil des gemeinschaftlichen Eigentums zu behalten? (Auszug Seite 5)

Hannah Abram ist fürs Stillsitzen nicht gemacht. Schlecht für die ehemalige Polizistin der Metropolitan Police, die sich neben ihrer Tätigkeit in einer Imbissbude mit kleinen privaten Ermittlungen durchschlägt. Und da gehören öde Überwachungsstunden bei der Beschattung untreuer Ehemänner eben dazu. Es sind kleine, für die Polizei zu belanglose Fälle, die Hannah lösen muss. Da gibt es den Kleingarten-Verein, dem das Biogemüse geklaut wird, für einen attraktiven Gentleman sucht sie die weggelaufene Ehefrau und für einen jungen Mann mit Zwangsstörungen macht sie sich auf die Suche nach seiner Stiefschwester, die in dubiose Machenschaften verwickelt zu sein scheint. Und dann ist da noch der Straßenjunge BZee, den sie heimlich durchfüttert und ihn weggelaufene Hunde und geklaute Fahrräder wiederfinden lässt, wobei wiederfinden ein dehnbarer Begriff ist.

Als ein höflicher Senior sie in einem Waschsalon anspricht, weil ihm nächtlich Müll vor die Tür gekippt wird, nimmt Hannah den Auftrag an und gerät beim nächtlichen Observieren seiner Wohnung in das Visier einer eifersüchtigen Nebenbuhlerin. Der alte Herr hat ihr einiges verschwiegen, unter anderem, dass er ein bekannter Rockstar war und die hartnäckige Verehrerin beginnt, Hannah zu stalken und öffentlich vor der Imbissbude wüst zu beschimpfen. Kurz darauf wird die ältere Dame ermordet im Volkspark nahe der Imbissbude aufgefunden. Für die Aufklärung ist die Polizistin Chloe Mwezi zuständig und hat es als weibliche Vorgesetzte bei der MET ebenso schwer wie einst Hannah. Auch sie hatte unter Sexismus ihrer männlichen Kollegen zu leiden und war wegen einer Wutatacke gegen ihren Chef in Ungnade gefallen.
Die Endzwanzigerin lebt nun in einer kleinen Dachkammer bei zwei strengen, veganen Lehrerinnen (Rauchen, Trinken, Fleisch und Männer verboten) und kämpft sich mühsam von Miete zu Miete. Im Sandwich Shack am Volkspark schuftet sie hart für einen Hungerlohn und darf ab und zu das Büro hinter der Küche für ihren Detektiv-Job benutzen. Ihr Chef Digby ist ein „erzbigotter Ausbeuter“ und menschenverachtender Egomane. Dabei brauchen die beiden einander, Hannah den Job und Digby sie als zuverlässige Kraft. Digby wird sehr überspitzt dargestellt, aber die Wortgefechte der beiden gehören zu den Höhepunkten der Lektüre.

Normalerweise treffe ich Klienten außerhalb der Arbeitszeit im Büro hinter der Küche. Aber ich kann mit Digby nicht über Bürozeiten verhandeln, nachdem ich seine Nase und seine Hämorrhoiden im selben Satz verwurstet habe. (Auszug Seite 8 und 9)

Die Schnellimbiss-Detektivin Hannah Abraham ist clever und profitiert von ihren Erfahrungen als Ermittlerin, auch wenn es ihr manchmal an Menschenkenntnis fehlt und sie sich von charmanten Klienten einwickeln lässt. Auf ihre Mitmenschen wirkt die Ich-Erzählerin manchmal schroff, spröde und auch unfreundlich, hat aber das Herz auf dem rechten Fleck. Sie macht sich viele Gedanken um BZee, der noch ein Kind ist, jedoch in die Kleinkriminalität abzurutschen droht. Er braucht eindeutig Fürsorge, Hannah kann sich aber nicht dazu durchringen, ihn den Gerichten zu überlassen. Von ihrem Exfreund wird sie immer noch terrorisiert. Nach und nach erfährt man weitere Gründe für ihre Wut, die sie gerne an ihre Kunden und besonders an Digby rauslässt.

Liza Cody, geboren 1944 in London erzählt von den Nöten und Sorgen der kleinen Leute. Und dabei unterhält sie ganz großartig mit trockenem, schwarzem Humor und schiebt fast beiläufig und ohne viel Theatralik sozialkritische Themen ein. Sie beschreibt London nach Brexit und Covid als eine Metropole, die unter Klimaproblemen leidet, in die Wohlfahrtsläden die Geschäftsstraßen beherrschen und die Heldin spürt, dass Armut und Mangel sie umkreist. Dabei geht es immer um die unteren Klassen und Figuren am Rande der Gesellschaft, auf die die britische Autorin mit viel Empathie guckt. Und im Besonderen auf Frauen, die von Männern schikaniert werden. Die vielen authentischen Charaktere, unterschiedlichen Fälle sowie der schräge Plot ergeben einen wilden Ritt, nichtsdestotrotz ist ein amüsanter, unterhaltsamer und nie oberflächlicher Kriminalroman entstanden. Dass sich der Kriminalroman so flüssig weglesen lässt, ist sicher auch ein Verdienst der stimmigen Übersetzung durch Iris Konopik.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Die Schnellimbissdetektivin | Erschienen am 27. Mai 2024 bei Ariadne im Argument Verlag
ISBN 978-3-867-54275-3
352 Seiten | 18.- Euro
Originaltitel: The Short-Order Detective | Übersetzung: Iris Konopik
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu Romanen von Liza Cody auf Kaliber.17

Don Winslow | City In Ruins (Band 3)

Don Winslow | City In Ruins (Band 3)

Danny wird von Paranoia gepackt, er stellt sich ein Fadenkreuz auf seinem Hinterkopf vor, auf seiner Stirn. Angst steigt in ihm auf – oder ist es Instinkt, sein gutes Gespür? Er rutscht tiefer in seinen Sitz, öffnet das Handschuhfach und nimmt seine Sig Sauer 380 heraus. Vielleicht hatte Jimmy recht. Vielleicht hatten sie alle recht. Das ist eine Falle. (Auszug E-Book Pos. 3486)

Im dritten und finalen Band lebt Danny Ryan bereits über 10 Jahre in Las Vegas, hat sich als seriöser Geschäftsmann etabliert, kümmert sich um seinen Sohn Ian und hat seit einiger Zeit eine bisher noch heimliche Liebesbeziehung zu einer Professorin. Beruflich sehr erfolgreich hat er sich ein Casino- und Hotelimperium aufgebaut. Aufgrund seiner früheren Verbindungen zur Mafia, tritt er offiziell nur als Geschäftsführer der Tara-Group auf, die zwei Bauunternehmern aus Missouri gehört. Dabei hat er im Hintergrund die Fäden gezogen und mit seinen Visionen eine neue Ära in Las Vegas eingeläutet. Statt auf das billige Glücksspiel und Automatenzocker setzt Danny zukunftsorientiert auf luxuriösen Hotelbetrieb und sein Hotel „Shores“ wurde ein großer Erfolg.

Mondänes Hotel-Imperium
Ehrgeizig will Danny weiter expandieren, wobei ein altes sanierungsbedürftiges Hotel „Lavinia“ sein Interesse weckt. Sein größter Konkurrent Vern Winegard hat sich bereits mit dem Besitzer Georg Stavros geeinigt. Danny will unbedingt sein Traumhotel „Il Sogno“ bauen, trifft sich mit Stavros, um ihm ein besseres Angebot zu unterbreiten und geht mit der Tara Group an die Börse, um die benötigten Gelder aufzubringen. Diese feindliche Übernahme zerstört die friedliche Koexistenz der Konkurrenten am Strip und setzt eine Spirale der Gewalt los. Alle Versuche, den Konflikt nicht weiter eskalieren zu lassen, scheitern. Danny sieht sich plötzlich wieder mit seiner Vergangenheit konfrontiert, auch weil die FBI-Agentin Reggie Moneta die Tötung ihres Liebhabers, des korrupten FBI-Agenten Philip Jardine noch nicht verwunden hat und einen Rachefeldzug startet. Danny schart seine alten Freunde Jimmy MacNeese sowie die als Messdiener bekannten Sean South und Kevin Coombs um sich und muss wieder um sein Leben und das seiner Familie kämpfen.

Vom blutigen Kampf der Mobster zu Glücksspiel und Politik
Mit „City in Ruins“ beendet Don Winslow nicht nur seine mit „City on Fire“ und „City of Dreams“ begonnene Trilogie sondern auch seine schriftstellerische Karriere, um seine ganze Energie demnächst in den politischen Kampf zu stellen. Wie auch in seinen anderen Romanen hat er sich eine komplexe Handlung mit einem großen Figurentableau ausgedacht. Seine Sprache ist wie immer schnörkellos, knapp und mit dem ihm eigenen Rhythmus. Aufgrund von kurzen Kapiteln, häufigen Schauplatzwechseln sowie szenischem Erzählen fliegt man nur so durch die Seiten und mag das Buch nicht aus der Hand legen. Eindrucksvolle Bilder ziehen die Leserinnen und Leser mitten ins Geschehen. Die Dialoge sind authentisch und oft von einer intensiven Emotionalität geprägt, die die Spannung zusätzlich verstärkt.

Dabei werden auch die in den beiden früheren Bänden begonnenen Geschichten zu Ende gebracht und bringen ein Wiedersehen mit alten Bekannten. Wir erfahren, wie es mit Chris Palumbo weiter ging, der 1988, nachdem er einige mächtige Mafiosi um ihr Geld brachte, untertauchen musste. Oder Peter Moretti Jr., der nach dem Mord an Vinnie Calfo und seiner eigenen Mutter Celia Moretti festgenommen und vor Gericht gestellt wird. Diese beiden Nebenhandlungsstränge wirken allerdings wie losgelöst von dem Hauptplot. Auch einige neue Figuren tauchen auf und verschwinden wieder arg schnell in der Versenkung. Obwohl Winslow dem Leser mit erläuternden Rückblenden hilft, würde ich vor der Lektüre die beiden vorherigen Bände empfehlen.

Der Kreis schließt sich im Epilog, der wieder 2023 in Rhode Island endet, wo alles begann. Ein rundum gelungener, großartiger, letzter Roman eines Ausnahmeschriftstellers, dessen letzte Seiten ich mit einem Tränchen im Auge gelesen habe. Aus Gründen!

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

City in Ruins | Erschienen am 21.05.2024 bei HarperCollins
ISBN 978-3-36500-566-8
448 Seiten | 24,- €
Originaltitel: City in Ruins | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Conny Lösch
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andys Rezensionen zu Band 1 und Band 2 der Trilogie

Fred Vargas | Jenseits des Grabes (Band 10)

Fred Vargas | Jenseits des Grabes (Band 10)

Das Schloss Combourg in der Bretagne, in dem der große Schriftsteller François-René de Chateaubriand seine Kindheit verbrachte, ist eine Touristenattraktion, samt Schlossgespenst, denn der seit drei Jahrhunderten tote Graf von Combourg soll zu bestimmten Zeiten erscheinen, manchmal auch nur sein Holzbein alleine mit einer schwarzen Katze.

Vorboten des Todes
Als in dem in der Nähe liegendem malerischem Örtchen Louviec nachts ein Klopfen, angeblich die hinkenden Schritte eines Geistes, vernommen werden, ist die Gemeinde alarmiert. Denn nach einer jahrhundertalten Dorflegende kündigt der Hinkende Unheil an. Und tatsächlich wird am nächsten Tag der Wildhüter des Ortes auf offener Straße mit einem teurem Messer erstochen.

„Ich gehe davon aus, dass jemand die Gelegenheit der Rückkehr des Hinkenden nutzte, um eine persönliche Rechnung mit diesem Gaël zu begleichen. Ich begreife trotzdem nicht, wieso diese Geschichte Sie dermaßen fasziniert.“ „Ich weiß es nicht, Danglard“, brachte Adamsberg es auf seine ewige Formel. (Auszug Seite 13)

Also verschlägt es den Pariser Kommissar Adamsberg und ein Teil seiner Brigade in die Bretagne, wo er sich mit seinem örtlichen Kollegen Matthieu an die Aufklärung macht. Aufgrund letzter Worte, die das Opfer noch stammeln konnte, gerät Josselin de Chateaubriand, ein weit entfernter Nachfahre des großen Vicomte, in den Kreis der Verdächtigen. Dieser lebt ganz bescheiden, aber aufgrund seiner frappierenden Ähnlichkeit mit dem Urahn muss er immer wieder für die lokale Tourismuswerbung herhalten. Es bleibt nicht bei dem einen Opfer und alsbald erschüttert eine Mordserie das Dorf. Kommissar Adamsberg hat wie immer ein Auge für Details, die anderen verborgen bleiben. Alle Leichen hatten frische Flohbisse. Und welche Rolle spielen die zerquetschten Eier, die alle Mordopfer in den Händen halten?

Gutes Essen und bretonischer Met
Hauptquartier für die Beamten ist der Gasthof „Zu den zwei Schilden“, wo der Koch Johan sich neben den Touristen auch noch um das leibliche Wohl seiner Gäste aus Paris kümmert. Selbst als Hilfstruppen von der Gendarmerie mit achtzig Mann anrücken, werden noch gut bestückte Picknickkörbe erstellt. Immer wenn man nicht weiter weiß, wird erst mal in der Gaststätte gegessen, beraten und Wein oder Chouchen, bretonischer Met, getrunken.

„Die Mitglieder ihrer Brigade mögen sich in schützendes Schweigen hüllen, doch von ihren vagen Gefühlen hat man schon Wind bekommen“, bemerkte der Generalsekretär kühl. „Versuchen Sie, sich diesmal nicht davon leiten zu lassen, seien Sie präzise, effizient und schnell. …“ (Auszug Seite 91)

Der letzte Kriminalroman um Jean-Baptiste Adamsberg „Der Zorn der Einsiedlerin“ liegt bereits 6 Jahre zurück. Und schon nach wenigen Seiten war ich wieder gefangen in dem Kosmos mit all den verschrobenen Figuren. Allen voran der eigenwillige Adamsberg, der anstatt auf systematische Ermittlungsarbeit mehr auf Intuition und gute Beobachtungsgabe setzt. Der nachdenkliche Chef nervt sein Team auch schon mal mit seiner unorthodoxen Sicht auf die Dinge, lässt seine Gedanken diesmal auf einem bretonischen Dolmen schweifen. Danglard muss in Paris bleiben, aber mit in der Bretagne sind unter anderem Lieutenant Violette Retancourt, die Göttin der Brigade, die zwar wenig anmutig über übertrieben atemberaubende Kräfte verfügt. Mercadet mit dem krankhaften Schlafbedürfnis, der sich als Informatiker jedoch schnell überall einhacken kann. Vargas Charaktere besitzen abstruse Eigenschaften im Übermaß, stehen aber mit beiden Füßen fest im Leben.

Fazit
Typisch Vargas ist der Krimi eine Mischung aus Whodunit um einen Serienmörder mit zahlreichen Verdächtigen und einem Märchen. Um die gesellschaftliche Situation in Frankreich einzufangen und Sozialkritik zu üben, bedient sich Fred Vargas an dem Stilmittel der Fabel. Sowohl verpackt sie ihre mit unübertroffenen Dialogen gespickte abstruse Handlung immer mit wissenschaftlichen Fakten und jeder Menge glaubhafter Polizeiarbeit, bei der Sonderkommandos eingerichtet, Anfragen gestellt und Hubschrauber geordert werden. Vielleicht nicht ganz so gut wie sein Vorgänger, mit einigen schon vertrauten Mustern, sei es die Vorliebe der französischen Autorin für kleines Getier, Mythologie oder die ausufernden Gastronomiebesuche ein unterhaltsamer, literarischer Roman mit originellen Szenarien und psychologisch überzeugenden Figuren.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Jenseits des Grabes | Erschienen am 08. Mai 2024 im Limes Verlag
ISBN 978-3-8090-2782-9
528 Seiten | 26,00 Euro
Originaltitel: ‎ Sur la dalle | Übersetzung aus dem Französischen von Claudia Marquardt
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension zu Fred Vargas „Der Zorn der Einsiedlerin“