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Tade Thompson | Fern vom Licht des Himmels

Tade Thompson | Fern vom Licht des Himmels

Das Raumschiff „Ragtime“ soll knapp 1000 Menschen zur Kolonie auf dem Planeten Bloodroot bringen. Michelle „Shell“ Campion die frisch ausgebildete erste Maat auf dem Schiff und für die Passagiere verantwortlich. Doch eigentlich übernimmt eine KI das Schiff vollständig auf der knapp zehnjährigen Reise durchs All. Somit werden alle Passagiere, auch Shell, in einen künstlichen Schlaf versetzt. Als Shell schließlich im Orbit von Bloodroot wach wird und alles kontrolliert, stellt sie entsetzt fest, dass 31 Passagierkapseln leer sind. Sie findet schließlich einen großen Haufen zerstückelter Leichen. Auch die KI des Schiffs verhält sich merkwürdig, führt nicht alle Befehle aus. Auf Shells Notruf hin begibt sich der Ermittler Rasheed Fin mit seinem künstlichen Ermittler Salvo von Bloodroot aus zur „Ragtime“.

Fin ermittelt offen, verdächtigt auch Shell. Oder ist noch jemand an Bord? Während der Ermittlungen geschehen weitere seltsame Dinge, sie werden sabotiert, von Bots angegriffen. Von der Raumstation „Lagos“ gelangen schließlich noch Shells Patenonkel Larry, ein erfahrener Raumfahrer, und seine Tochter Joké, halb Mensch, halb Alien, zur „Ragtime“. Die Unfälle und Attacken an Bord häufen sich, die „Ragtime“ wird zunehmend instabil. Irgendjemand will die Aufklärung der Ereignisse um jeden Preis verhindern. Bald kämpfen die fünf ums nackte Überleben.

Fin fürchtet, dass er im Tumult des Überlebens etwas übersehen wird. Noch dazu sind sie im All. Am Abgrund. Möglich, dass er tatsächlich sterben wird. Der üble Scheiß, dass weiß Fin auf einer instinktiven, molekularen Ebene, kommt auf ihn zu wie ein Drecksasteroid oder ein Herzinfarkt oder so. Auf diese Art wird er sterben. Im All. Er wird inmitten von Fremden und Robotern ersticken. (Auszug S.112)

Zu Beginn des Jahres hatte ich bereits mit „Athos 2643“ von Nils Westerboer einen spannenden Science Fiction-Roman gelesen. Nun habe mit Tade Thompson einen äußerst erfolgreichen Autor des Genres ausprobiert. Thompson ist in London geboren, in Nigeria aufgewachsen, Arzt und Psychiater, und hat schon mehrere renommierte Science Fiction-Preise gewonnen, vor allem für seine „Wormwood Trilogy“. Diese Romanreihe ist allerdings auf der Erde in der Zukunft angesiedelt, mit „Fern vom Licht des Himmels“ begibt er sich in fiktive Weiten des Weltraums und hat dabei einen interessanten Genre-Mix aus klassischer Science Fiction, Thriller, Afrofuturismus und Krimi geschaffen. In Sachen Krimi wagt sich Thompson an die hohe Kunst des Locked-Room Mystery. Ausgehend von der vermeintlich ersten und berühmtesten dieser Geschichten, „Der Doppelmord in der Rue Morgue“ von Edgar Allen Poe, haben sich viele AutorInnen dem Mysterium eines Mordes im verschlossenen Raum gewidmet. Thompson übernimmt diesen Ansatz nun in den Weltraum, in ein jahrelang reisendes Raumschiff ohne Zugang von außen.

Der Autor bleibt dabei nicht nur auf der „Ragtime“, sondern wechselt ab und an den Schauplatz nach Bloodroot und vor allem nach Lagos, um die politischen Hintergründe um das Drama aufzuzeigen. Daneben beleuchtet er vor allem die beiden Protagonisten Shell und Fin intensiver. Dennoch bleibt einiges gewollt mysteriös, vor allem das Verhältnis zwischen Menschen und Aliens sowie künstlichen Personen oder Hybriden. Vermutlich hat Tade Thompson seine Aufgaben gut gemacht und zahlreiche Referenzen auch des Science Fiction-Genres eingebaut, da bin ich allerdings zu wenig bewandert, um das alles zu identifizieren.

Der Plot ist über weite Strecken abwechslungsreich und spannend, allerdings muss ich gestehen, dass für mich ab der Auflösung ein kleiner Bruch drin war. Die Geschichte kann nur noch kurz die Spannung halten, wechselt auch in die Perspektive des Täters und kann die Intensität nicht mehr halten. Auch die Auflösung selbst war für mich nicht der große Wurf, geradezu irdisch und für den Weltraum etwas banal, wie es mir schien. In der Hinsicht hatte das philosophisch geprägte „Athos 2643“ mir mehr zu bieten. Interessant ist die Konstellation, dass die Transitstation Lagos überwiegend von nigerianischen Kolonisten bewohnt wird. So bleibt es aber ein weitgehend gelungener Weltraumkrimi mit verschiedenen interessanten, auch gesellschaftskritischen Versatzstücken, bei dem mich der Plot aber zum Schluss nicht vollständig überzeugt hat.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Fern vom Licht des Himmels | Erschienen am 27.10.2022 im Golkonda Verlag
ISBN 978-3-96509-059-0
381 Seiten | 20,- €
Original: Far from the light of heaven | Übersetzung aus dem Englischen von Jakob Schmidt
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬ November 2022

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬ November 2022

Hörbuch-Kurzrezensionen Anfang November 2022

Alex Reeve | Der Mord in der Rose Street (Band 2) ♬

Der zweite Band der historischen Krimi-Reihe um Leo Stanhope führt wieder ins viktorianische London und spielt vor dem Hintergrund der Industrialisierung Englands. Im Hinterhof eines Anarchistenclubs, in dem sich Sozialisten und Revolutionäre treffen, wird die Leiche einer ermordeten Frau gefunden. Unser Protagonist rückt mal wieder ins Visier der Mordermittlung, da die nur notdürftig verscharrte Dora Hannigan einen Zettel mit seinem Namen und Adresse bei sich trägt. Am Tatort trifft Leo auf einen ehemaligen Bekannten, den jungen Adeligen John Thackery. Dieser lebt wie Stanhope unter falschem Namen und spielt eine führende Rolle in der sich grade formierenden Arbeiterbewegung, auch um gegen seinen tyrannischen Vater, einen reichen Fabrikanten, zu rebellieren. Da er Leos Geheimnis kennt, erpresst er ihn, um ein Alibi für die Tatzeit zu bekommen. Widerwillig spielt dieser mit, eine Entlarvung seiner Transidentität hätte lebensbedrohliche Konsequenzen für ihn. Leo beschließt sein unauffälliges Leben aufzugeben und Detektiv zu spielen, zumal die beiden kleinen Kinder des Opfers seinen Beschützerinstinkt wecken. Bei der Mördersuche steht ihm wieder die zupackende Pastetenbäckerin Rosie Flowers zur Seite.

Erneut wird aus der Ich-Perspektive von Stanhope erzählt und wir sind seiner Gefühlswelt sehr nah. Die Schilderungen über das Alltagsleben im 19. Jahrhundert und die Schwierigkeiten, die sich für ihn ergeben, falls sein biologisches Geschlecht entdeckt würde, werden nachvollziehbar beschrieben. Das geht leider zu Ungunsten des Kriminalfalles. Dieser ist abermals schön verworren und weiß mit falschen Fährten und Twists zu unterhalten, hatte in der Mitte schon mit einigen Längen zu kämpfen. Die Einblicke in die viktorianische Zeit hätten noch ausführlicher ausfallen können. Eine angenehme Krimilektüre, kurzweilig und gern gehört, kann jedoch für mich nicht ganz mit dem ersten Teil mithalten.

Die Sprecherin und Schauspielerin Viola Müller ist eine gute Wahl, wenn es darum geht, die inneren Dialoge unseres Protagonisten Leos darzustellen. Mit angenehmer Stimme nimmt sie die Hörer*innen mit auf diese Zeitreise nach London und versteht es die unterschiedlichen Charaktere mit Lebendigkeit auszufüllen.

 

Der Mord in der Rose Street | Das Hörbuch erschien am 02. Mai 2022 bei United Soft Media (USM Audio)
ISBN: 978-3-8032-9288-9
Ungekürzte Lesung | Sprecherin: Viola Müller
Laufzeit: 11 Stunden 16 Minuten | 13,99 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Originaltitel: The Anarchist’s Club | Übersetzung aus dem Englischen von Christine Gaspard
Die aktuelle Printausgabe erschien bei Knaur TB

Wertung: 3,0 von 5
Genre: historischer Kriminalroman

 

 

Oliver Pötzsch | Das Buch des Totengräbers (Band 1) ♬

Der Auftaktband von Oliver Pötzsch historischer Krimireihe führt nach Wien ins Jahr 1893. Wir begleiten Leopold von Herzfeldt bei seinem Dienstantritt in der Wiener Polizeidirektion. Der jüdisch-stämmige Adelsmann war zuvor Untersuchungsrichter in Graz, spricht perfektes Hochdeutsch und ist modernen Ermittlungsmethoden sehr zugetan. Dadurch hat er es anfänglich bei seinen Kollegen nicht leicht, stößt auch mit seiner besserwisserischen Art den ein oder anderen vor den Kopf. Gleich am ersten Tag bekommt er es mit dem brutalen Mord an einer jungen Frau zu tun, die post mortem auch noch schändlich zugerichtet wurde. Weitere Frauen werden auf die gleiche Weise mit durchgeschnittener Kehle aufgefunden und es deutet alles auf eine Mordserie hin. Dabei wird der Tatortexperte Herzfeld erstmal aufs Abstellgleis geschoben. Er soll den Selbstmord von Bernhard Strauss, dem Halbbruder des berühmten Komponisten Johann Strauss untersuchen, dessen Leichnam von zwielichtigen Gestalten nachts nach der Beerdigung versucht wurde zu rauben. Nach Unterstützung suchend trifft Herzfeldt auf Augustin Rothmayer, den kauzigen, aber sehr belesenen Totengräber des Wiener Zentralfriedhofs, der sich aufgrund langjähriger praktischer Erfahrungen überraschend als fundierter Experte für Leichen und Todesursachen jeder Art herausstellt. Die Ergebnisse seiner vielen Studien verewigt er in seinem „Almanach für Totengräber“. Komplettiert wird die kleine Gruppe durch Julia Wolf, Telefonistin bei der Polizei, die im Wiener Nachtleben ein Doppelleben führt.

Hans Jürgen Stockerl hat den Historienkrimi mit viel Charme und Wiener Schmäh eingesprochen und dabei den ewig grantelnden Totengräber Rothmayer mit dem Herz am rechten Fleck oder dem ehrgeizigen, von allen misstrauisch beäugten Jungspund Herzfeldt ein Gesicht gegeben. Band 1 der Leopold-von-Herzfeldt-Reihe zeigt eine Gesellschaft in Aufbruchstimmung und die Anfänge moderner Kriminalistik mit Spurensicherung, Tatortfotografie und ein wenig Profiling. Trotz süffigem Erzählstil und überraschenden Wendungen fehlte mir mal was Neues, von dem ich noch nicht an anderer Stelle gelesen habe. Auch war es mir ein bisschen zu viel an inszenierten Gewalttaten wie die brutal gepfählten Opfer, Enthauptungen und lebendig Begrabenen. Viele zeithistorische Aspekte werden von Oliver Pötzsch, der mit seiner Henkerstochter-Serie weit über die Grenzen Deutschlands bekannt wurde, detailliert beschrieben und geben ein gutes Bild der auslaufenden Donaumonarchie. Das Ambiente der Kaiserstadt, die morbide Atmosphäre des Wiener Zentralfriedhofs, zu dieser Zeit der größte in Europa sowie die Darstellung des Wiener Gemüts werden auch aufgrund des hervorragenden Sprechers wunderbar eingefangen.

 

Das Buch des Totengräbers | Das Hörbuch erschien am 31. Mai 2021 bei Audible / Hörbuch Hamburg HHV GmbH
ASIN: B09446X1RQ
Ungekürzte Lesung | Sprecher: Hans Jürgen Stockerl
Laufzeit: 15 Stunden, 12 Minuten
Die gekürzte Audio-CD erschien am 27.05.22 für 10,95 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Die Printausgabe erschien bei Ullstein Paperback

Wertung: 3,0 von 5
Genre: historischer Kriminalroman

 

 

Fotos und Rezensionen von Andy Ruhr

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬ März 2022

Reingehört | Hörbücher-Kurzrezensionen ♬ März 2022

Hörbuch-Kurzrezensionen Anfang März 2022

 

Henri Faber | Ausweglos ♬

Elias Blom von der Kripo Hamburg war vor einigen Jahren daran gescheitert, einen brutalen Serienmörder, in der Öffentlichkeit als Ringfinger-Mörder bekannt, zur Strecke zu bringen und wurde ins Einbruchdezernat versetzt. Doch er sieht eine neue Chance, sich zu rehabilitieren, als jetzt erneut eine Bluttat geschieht, die die Handschrift des Killers einschließlich abgetrennten Fingers trägt. Denn diesmal gibt es einen wichtigen Zeugen. Noah Klingberg hatte Wäsche auf dem Dachboden eines Mehrfamilienhauses auf gehangen, als er mit einem Messer attackiert und gezwungen wurde, den Unbekannten zu seiner Frau Linda zu bringen. Noah sieht einen Ausweg und lotst den Angreifer in die Nachbarwohnung, zu der er einen Zweitschlüssel besitzt und in der er das Ehepaar Falk im Urlaub wähnt. Am anderen Morgen wacht er schwer verletzt neben der toten Nachbarin Emma Falk auf.

Henri Faber hat mit seinem Debüt einen fesselnden Thriller geschaffen, der mit relativ kurzen Kapiteln und wechselnden Perspektiven von Beginn an spannend ist und sich im weiteren Verlauf zu einem Verwirrspiel der verschiedenen Charaktere wandelt. Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sind die Figuren, die wir durch vier versierte Sprecher mit ihren Geheimnissen, Schwächen und Stärken kennenlernen. Besonders durch das Eintauchen in die Privatleben der Ehepaare Klingberg und Falk wird die Geschichte immer undurchsichtiger. Wir erfahren die Zusammenhänge aus der Sicht von Noah, einem erfolglosen Schriftsteller, der alles für seine Frau tun würde. Linda leidet aufgrund eines unerfüllten Kinderwunsches unter psychischen Problemen und dann ist da noch Elias Blom, der verbissene Kommissar, dessen Charakterisierung ich etwas blass fand. Zwischendurch nimmt uns auch immer wieder der Serienmörder mit in seine krude Gedankenwelt.

Der Autor schafft es gekonnt einen an der Nase herum zu führen und bietet eine Bandbreite an vermuteten Tatabläufen, falschen Geständnissen sowie ungeahnten Wendungen. Die Auflösung ist in keiner Weise vorhersehbar und birgt einen dramatischen wenn auch durch den Alleingang Bloms reichlich unrealistischen Showdown und ein abstruses Ende.

 

Ausweglos | Als Hörbuch am 20. August 2021 im Der Audio Verlag erschienen
ISBN 978-3-7424-2084-8
Ungekürzte Lesung | Sprecher: Simon Jäger, Vera Teltz, Philipp Schepmann und Uve Teschner
Laufzeit: 12 Stunden, 45 Minuten | 14,99 Euro
Weitere Angaben und Hörprobe
Die Printausgabe erschien bei dtv Verlagsgesellschaft.

Wertung: 3,0 von 5
Genre: Psychothriller

 

 

Agatha Christie | Tod auf dem Nil ♬

Im Kino läuft gerade die Neuverfilmung von „Tod auf dem Nil“ mit Kenneth Branagh. Das hat mich auf den Geschmack gebracht und ich habe mir den Klassiker sowie eines der bekanntesten Werke der britischen Autorin bei Audible als Hörbuch runtergeladen.

Während seines Urlaubes in Ägypten lernt der berühmte belgische Detektiv Hercule Poirot auf einem Nilkreuzfahrtschiff ein jung verheiratetes Paar kennen. Die bildschöne Millionenerbin Linnet Ridgeway und ihr Ehemann Simon Doyle können ihre Hochzeitsreise auf der „Karnak“ aber nicht wirklich genießen. Linnets beste Freundin Jacqueline de Bellefort, die vorher mit dem mittellosen Doyle verlobt war und die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, verfolgt sie rachedurstig überall hin und macht ihnen die Flitterwochen zur Hölle. Heute würde man das Stalking nennen. Linnets Ermordung bringt schließlich die Krimihandlung ins Rollen. Da es nicht bei der einen Toten bleibt, ist der Spürsinn des klugen wie auch eitlen Detektivs mit dem imposanten Moustache gefragt und er steht vor der intellektuellen Herausforderung, den Tathergang penibel zu rekonstruieren. Als Poirot die anderen Passagiere des Nildampfers befragt und nach möglichen Mord-Motiven durchleuchtet (kleiner Spoiler: Sie haben fast alle eins) muss er mit Hilfe seiner genialen Kombinationsgabe die perfekten Alibis zerpflücken und den Mörder trotz vieler falscher Fährten nur aufgrund von Indizien entlarven.

Es handelt sich um einen klassischen Whodunit, dessen Handlung sich auch typisch für Christie in einem isolierten Raum vor exotischer Kulisse abspielt. Der wendungsreiche Krimi-Plot lebt von seinen pointierten Dialogen und einem bissigen Blick auf die damalige bessere Gesellschaft. Die vielen überspitzt dargestellten Charaktere werden mit viel Liebe zum Detail ins Bild gesetzt und dank eines auktorialen Erzählers erfahren wir alles über ihre Beweg- und Hintergründe. Dem Charme dieses fintenreichen Rätselkrimis, bei dem auch die Wirtschaftskrise und der Börsencrash eine Rolle spielen, konnte ich mich nicht entziehen. Die Lösung ist überraschend und immer wieder faszinierend, wie auf den ersten Blick unscheinbare Details im Rückblick eine wichtige Bedeutung erlangen.

 

Tod auf dem Nil | Erschienen am 16.11.2018 im Der Hörverlag
ISBN: 978-3-8445-3279-1
Ungekürzte Lesung | Sprecher: Martin Maria Schwarz
Laufzeit: 9 Stunden 42 Minuten | 7,95 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Originaltitel: Death on the Nile (Übersetzt aus dem Englischen von Pieke Biermann)
Die aktuelle Printausgabe erschien im Atlantik Verlag.

Wertung: 4,5 von 5
Genre: Krimi

 

Agatha Christie | Mord im Orient-Express ♬

An einem kalten Wintertag steigt der Privatdetektiv Hercule Poirot in Istanbul in einen Luxuszug, der ihn nach London bringen soll. Der Orientexpress ist für die Jahreszeit überraschend voll besetzt, nur durch seine Beziehung zu dem ebenfalls mitreisenden Eisenbahn-Direktor Monsieur Bouc bekommt er noch ein freies Abteil. Nach einer unruhigen Nacht bleibt der Zug in einer Schneewehe stecken und im Nachbarabteil wird der amerikanische Geschäftsmann Samuel Edward Ratchett durch 12 Messerstiche erstochen aufgefunden. Zur Unbeweglichkeit verdammt sitzen der Detektiv und die Mitreisenden fest und Monsieur Bouc bittet den Meisterdetektiv den Fall aufzuklären. Das stellt Poirot vor einige Herausforderungen, hatte doch der mysteriöse Mr. Ratchett ihn am Tag davor im Speisewagen von Morddrohungen berichtet und um Schutz gebeten. Der Täter kann nur einer der Passagiere sein und es stellt sich heraus, dass nicht alle (Ratchett eingeschlossen) die sind, für die sie sich ausgeben.

Ich habe zum ersten Mal die Geschwindigkeit des Hörbuchs etwas erhöht und dann bot der Krimiklassiker großes Unterhaltungspotential mit allem, wofür die Queen of Crime bewundert wird: Ein großes Figurenensemble unterschiedlicher Couleur, ein exotisches Setting, falsche Alibis, zahlreiche Verdächtige sowie die Suche nach dem Motiv. Durch den geschlossenen Raum erleben wir fast ein Kammerspiel mit einem Meisterdetektiv, dessen kleine, graue Zellen auf Hochtouren arbeiten. Dialoge, die nur so vor Schlagkraft und zynischem Wortwitz strotzen. Dazu sieht sich Poirot diesmal, dem ein tiefsitzendes Bedürfnis nach Halt und Ordnung innewohnt, mit Fragen der Moral und Ethik konfrontiert. Der Mordfall ist vertrackt, das ausgeklügelte Ende wirklich erstaunlich und hat nach all den Jahren nichts von seinem Charme verloren. Auch dieser Roman wurde von und mit Kenneth Branagh neu verfilmt.

 

Mord im Orientexpress | Erschienen am 12.05.2014 in Der Hörverlag
ISBN: 978-3-8445-1482-7
ungekürzte Lesung | Sprecher: Friedhelm Ptok
Laufzeit: 7 Stunden 28 Minuten | 6,95 Euro
Weitere Angaben & Hörprobe
Originaltitel: Murder on the Orient Express (aus dem Engischen übersetzt von Otto Bayer)
Die aktuelle Printausgabe erschien im Atlantik Verlag.

Wertung: 5 von 5
Genre: Krimi

 

Fotos und Rezensionen von Andy Ruhr.

Eloísa Díaz | 1981

Eloísa Díaz | 1981

„Um es zusammenzufassen“, sagte Alzada, bevor sich die Situation in eine Seifenoper verwandelte: „Ich bin gewillt, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, aber dazu brauche ich zumindest einen winzigen Hinweis darauf, dass es sich um ein Verbrechen handeln könnte. Haben Sie irgendetwas für mich?“ […]
„Es ist schwer zu erklären.“ Ihr aufmüpfiger Ton von vorher war wie weggeblasen. Sie beugte sich vor und legte die Hände auf Alzadas Schreibtisch. French Manicure, Verlobungsring mit Diamant, darüber ein goldener Ehering. „Inspektor – ich weiß nicht, ob Sie Geschwister haben – aber falls Sie welche haben, kennen Sie das Gefühl vielleicht? Das Gefühl, sich Sorgen zu machen? Das Gefühl … es einfach zu wissen?“
Alzada kannte es. (Auszug S. 47-48)

Dezember 2001: Argentinien steckt in einer tiefen Wirtschafts- und Finanzkrise. Hoher Inflation. Zuletzt wurden die Möglichkeiten, Bargeld abzuheben, massiv eingeschränkt. Es gibt inzwischen große Proteste gegen die Regierung des Präsidenten de la Rúa. Diese werden zunehmend gewalttätig auf beiden Seiten geführt. Die Polizei in Buenos Aires ist in Alarmbereitschaft, alle verfügbaren Kräfte werden mobilisiert.

So kommt es, dass Inspektor Joaquín Alzada sich plötzlich mit einer Leiche und einer Vermisstenanzeige herumschlagen muss. Alzada gehört eigentlich dem Diebstahlsdezernat an, ist kurz vor der Pensionierung und wird aufgrund vergangener Ereignisse von seinem Chef von solchen Ermittlungen eigentlich ferngehalten. In der Rechtsmedizin begutachten er und sein Hilfsinspektor Estrático die übel zugerichtete Leiche einer jungen Frau, abgelegt in einem Müllcontainer. Wenig später nehmen sie im Kommisariat eine Vermisstenanzeige auf, die man nicht so leicht zu den Akten legen kann. Eine Frau aus einer der reichsten Familien Argentiniens meldet ihre Schwester als vermisst. Die Beschreibung der Vermissten könnte auch auf die Leiche zutreffen, doch Alzada ist noch vorsichtig. Er stellt gemeinsam mit Estrático Nachforschungen an und findet heraus, dass die Vermisste zuletzt in einen Wagen eines Parlamentsabgeordneten eingestiegen war und seitdem nicht mehr gesehen wurde. Alzada wird zurückgepfiffen, eigentlich soll er gar nichts weiter unternehmen. Der Polizeipräsident, ein alter Freund, befiehlt ihm sogar, den Fall abzugeben, doch die Ereignisse rundherum beeinflussen Alzadas Entscheidungen.

Denn vor genau zwanzig Jahren gab es bereits ein einschneidendes Ereignis in Alzadas Leben. Nach und nach erfährt man die Details: Alzada war damals ein aufstrebender Inspektor in der Polizei. In der damaligen Militärdiktatur versuchte er, sich aus allem herauszuhalten, sich nicht an Menschenrechtsverletzungen zu beteiligen. Dafür hat er aber auf aktiven Widerstand gegen das Regime verzichtet, ganz im Gegensatz zu seinem kleinen Bruder Jorge, Dozent und Gewerkschafter. Er mischt in der Opposition mit, Alzada versucht ihn immer wieder zu warnen, hat ihn auch das eine oder andere Mal herausgeboxt. Doch dann, in einer Nacht Anfang Dezember 1981, kommen sie seinen Bruder holen.

Zwei Ereignisse aus der jüngeren argentinischen Geschichte verbindet die Autorin Eloísa Díaz in ihrem Debütroman: Die Militärdiktatur Mitte der 1970er bis Anfang der 1980er Jahre mit dem Schicksal der Desaparecidos und die Argentinienkrise um die Jahrhundertwende, kulminierend Ende 2001. Díaz, als Tochter argentinischer Eltern, ist übrigens im Ausland geboren und aufgewachsen und hat ihren Roman in englischer Sprache verfasst.

Verbunden werden die Ereignisse in den Personen des Juaquín Alzada, Inspektor der Polizei, seiner Frau Paula (die eher im Hintergrund bleibt und doch merkt man an verschiedenen Stellen, dass sie die Familie in der Spur hält), und noch einer dritten Person: Sorolla, ihr Neffe, der bei den beiden aufgewachsen ist, nachdem seine Eltern 1981 verschleppt wurden. Die Autorin erzählt in Rückblenden von zwei Tagen aus dem Jahr 1981: Jorge Alzada seine Frau Adela werden von der Geheimpolizei aus ihrer Wohnung verschleppt und Juaquín versucht alles, um das Schicksal seines Bruders zu klären, wagt sich sogar (ein sehr beeindruckendes Kapitel) in das berüchtigte Foltergefängnis ESMA. Und doch muss sich Juaquín am Ende fragen, ob er alles getan hatte, um das Ganze zu verhindern. Zwanzig Jahre später ist scheinbar wieder eine ähnliche Situation eingetreten, die Menschenmassen demonstrieren gegen die Regierung, die Staatsgewalt schlägt zurück. Droht erneut eine Diktatur? Wie wird sich Juaquín, der sich schon innerlich auf die Rente vorbereitet hat, diesmal verhalten? Und was für einen Eindruck hinterlässt er bei seinem Ziehsohn Sorolla, der als junger Mann sich natürlich den Demonstranten anschließen will? Eloísa Díaz bleibt dabei fast ausschließlich bei der Perspektive von Juaquín Alzada, dessen Gedanken hier und da auch in kursiver Schrift einfließen. Die erzählte Zeit im Jahr 2001 beschränkt sich auf einen einzigen Tag, den 19.12.2001, Höhepunkt der Proteste des Cacerolazo gegen die Regierung de la Rúa.

So wird dieser Roman, der mit einem Kriminalfall begonnen hatte, immer mehr zu einer Familien- und Gesellschaftsstudie um die Fragen von Vergangenheitsbewältigung, um Haltung und Selbstachtung in Zeichen gesellschaftlicher Krisen und Umwälzungen. Dabei ist der Roman vor allem bei den Rückblicken ins Jahr 1981 packend. Allerdings wird der Krimiplot im Jahr 2001 dafür zum Ende hin ein wenig stiefmütterlich behandelt. Zudem will die Autorin hin und wieder dem Leser zu viel erklären. So überzeugt der Roman dann auch weniger in den genretypischen Teilen, sondern eher in der Beleuchtung der familiären Situation der Alzadas und in der Reflexion auf die gesamte Gesellschaft Argentiniens in Zeiten der Krise. Insofern ein interessanter und lesenswerter Roman mit leichten Abzügen in der B-Note.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

1981 | Erschienen am 02.06.2021 im Verlag Hoffmann & Campe
ISBN 978-3-455-01094-7
320 Seiten | 23,- €
Originaltitel: Repentance (Übersetzung aus dem Englischen von Mayela Gerhardt)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Nikos Milonás | Kretische Feindschaft

Nikos Milonás | Kretische Feindschaft

Wenn der Sommer vor der Tür steht, haben Urlaubskrimis bei deutschen Lesern Konjunktur. Sie bedienen Sehnsüchte. Sei es, weil die Handlung am zukünftigen Urlaubsziel verortet ist, oder man Erinnerungen an Gegenden zurückholen möchte, in denen man bereits schöne Urlaubstage verbracht hat. Mittlerweile deckt dieses Genre fast alle europäischen Urlaubsziele ab, in der Regel von deutschen Autoren unter jeweiligem landestypischen Pseudonym geschrieben. Ein cleverer Schachzug, soll dies doch suggerieren, dass hier jemand schreibt, der Land und Leute wie seine Westentasche kennt.

In diese Kategorie fällt auch Nikos Milonás, wobei dies das offene Pseudonym des Fernsehschaffenden Frank D. Müller ist. Dieser ist Kreta-Fan und schließt mit seinem Erstling Kretische Feindschaft eine Lücke, denn die griechische Insel war bisher ein weißer Fleck auf der Karte der Urlaubskrimis.

Ausgangspunkt der Handlung ist der vermisste Bürgermeister von Kolymbari. Und da die Polizei vor Ort offenbar weder willens noch in der Lage ist, sich angemessen und engagiert um den Fall zu kümmern, werden Michalis Charisteas und sein Kollege Koronaios (beide Mordkommission Chania) auf Anweisung des Gouverneurs mit dem Fall betraut. Der Vermisste wird gefunden, tot. Offenbar ist er mit seinem Auto von der Straße abgekommen und einen Abhang hinabgestürzt. Fall abgeschlossen, obwohl Michalis große Zweifel an der Version der Kollegen aus Kolymbari hat, weshalb er die Ermittlungen auf eigene Faust und entgegen jeder Anweisung weiterführt. Und schnell wird ihm klar, dass dieser Fall weitaus komplexer als angenommen ist und weit in die Vergangenheit reicht.

Keine Frage, die Story ist spannend und schlüssig aufgebaut, überrascht mit unvorhersehbaren Wendungen. Hier gibt es nichts zu meckern, auch wenn mir zum Ende hin die eine oder andere Erklärung/ Motivation nicht schlüssig erscheint und eher lapidar in einem Nebensatz oder gar nicht abgehandelt wird.

Die Personen haben Potenzial, wobei hier Michalis Kollege Koronaios wesentlich interessanter und mit mehr Konturen als dieser daherkommt. Die Love-Story zwischen Michalis und seiner deutschen Freundin Hannah ist unaufdringlich, hätte ich jetzt aber nicht unbedingt benötigt. Sie dient letztendlich nur dazu, die Gegensätze zwischen Kretern und Deutschen aufzuzeigen. Und damit habe ich meine Probleme, denn damit werden Vorurteile zementiert. Kretischer Schlendrian, Mauscheleien in Behörden, Vorteilnahme im Amt…und…und…und.

Chania und Umgebung als Handlungsorte, speziell die Nordküste, scheint mir nicht die beste Wahl, da dieser Teil der Insel mittlerweile viel von seinem Charme und seiner Ursprünglichkeit verloren hat. Was Kreta wirklich ausmacht, findet man eher in den abgelegenen Gegenden.

Der Autor arbeitet in seinen Beschreibungen mit sehr vielen Stereotypen, ganz so, wie der deutsche Urlauber sich die Insel und ihre Menschen vorstellt: der venezianische Hafen (zugegeben, der ist wunderschön), Meeresrauschen, Olivenhaine, wilden Thymian, Orangenbäume und, weil jeder Kreta-Urlauber zum Schluchtenwandern dorthin möchte, die Samaria. Die Kreter trinken jede Menge Frappé, Ellinikós und Raki und essen die köstlichen Gerichte ihrer Heimat (hier bekommt der deutsche Leser natürlich die Übersetzung geliefert) rauf und runter. Ein bisschen zu viel von allem, aber dennoch unterhaltsam mit guten Ansätzen.

Wie es scheint ist Kretische Feindschaft der Auftakt einer Reihe mit Michalis Charisteas, dessen Entwicklung, gerade wenn man Kreta kennt und liebt, im Auge behalten sollte. Luft nach oben ist allemal. Und vielleicht gibt es ja auch einmal einen Ausflug in die kretisch-deutsche Geschichte. Ein Verhältnis, das jede Menge Krimistoff bietet.

 

Wir bedanken uns für diese schöne Gastrezension und das Foto bei Elke Heid-Paulus. Weitere Rezensionen von Elke findet ihr auf ihrem Instagram-Account satzbehaelter.

Kretische Feindschaft | Erschienen am 17. April 2019 bei Scherz im Fischer Verlag
ISBN 978-3-651-02580-6
400 Seiten | 14.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe