Kategorie: 2.5 von 5

Abgehakt | Kurzrezensionen Juni 2023

Abgehakt | Kurzrezensionen Juni 2023

Kurzrezensionen Juni 2023

 

 

Chris Offutt | Ein dreckiges Geschäft (Band 2)

Mick Hardin ist eigentlich Militärpolizist und Ermittler bei der US Army in Deutschland. Doch eine landwierige Verletzung an seinem Bein kuriert er in seiner alten Heimat aus, in den Kentucky Hills. Dort ist seine Schwester Linda Sheriff und gerade im Wahlkampf. Als ein bekannter Drogendealer, Barney Kissick, ermordet aufgefunden wird, vermutet die Polizei Rivierkämpfe unter Dealern und schenkt dem Fall keine große Aufmerksamkeit. Shifty Kissick, die Mutter des Toten, bittet Mick, sich mal umzuhören und herauszufinden, wer Ihren Sohn getötet hat. Micks heimliche Ermittlungen bleiben nicht verborgen und bald bleibt es nicht bei Barney als einzigem Toten.

„Ein dreckiges Geschäft“ ist der zweite Band mit dem rauen, unnahbaren Ermittler Mick Hardin, den eine Art Midlife Crisis wieder in die Heimat verschlagen hat, wohl auch weil seine Frau, die längst mit einem anderen zusammenlebt, endlich die Scheidung will. Hardin passt damit aber wunderbar in dieses bergige Kentucky, wo die Menschen eher schweigsam sind und nicht viel von sich preisgeben. Auf den Figuren und der Porträtierung dieses Menschenschlags konzentriert sich Autor Chris Offutt in seinem hartgesottenen Provinznoir, dies gelingt ihm wirklich hervorragend. Für mich fällt der Plot, der etwas schematisch nur in der Mikroperspektive bleibt und am Ende in eine Vendetta mündet, dafür etwas ab. Die starken Figuren entschädigen aber für vieles.

 

Ein dreckiges Geschäft | Erschienen am 28.10.2022 bei Tropen
ISBN 978-3-608-50186-5
268 Seiten | 17,- €
Originaltitel: Shifty’s Boys | Übersetzung aus dem Englischen von Anke Caroline Burger
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5
Genre: noir/hardboiled

 

 

James Lee Burke | Angst um Alafair (Band 20)

Die Robicheaux‘ nehmen eine Auszeit in Montana, als Alafair nur knapp einem Mordanschlag entkommt. Kurz darauf wird die Leiche der Adoptivtochter des lokalen Ölbarons Love Younger ermordet aufgefunden. Alafairs Verdacht fällt auf den brutalen Serienmörder Asa Surrette, doch der ist angeblich bei einem Unfall eines Gefangentransports ums Leben gekommen. Als weitere Gewalttaten geschehen, glaubt auch Dave Robicheaux so langsam, dass Surrette seine Finger im Spiel haben könnte. Doch auch Love Younger ist kein Unschuldslamm. In den Bergen Montanas spitzt sich die Lage langsam zu, und Dave und Clete Purcel stehen wieder vor der Zerreißprobe, wie viel eigene Gewalt die Gerechtigkeit rechtfertigt.

Auf James Lee Burkes unverwüstlichen Ermittler Dave Robicheaux lasse ich eigentlich nichts kommen, wenn man diese Reihe liest, bekommt man kraftvolle Prosa mit beeindruckenden Naturbeschreibungen und tief ausgeleuchteten Figuren mit allerlei Grauschattierungen. Das ist hier im 20. Band auch der Fall, nur treibt Burke das arg auf die Spitze und hätte sich auch etwas kürzer fassen können. Interessant an diesem Band ist der große Raum, den Robicheaux‘ und Purcels Töchter, Alafair und Gretchen, erhalten. Aber aufgrund gewisser Längen diesmal leichte Abzüge, aber die Reihe bleibt trotzdem sehr empfehlenswert. Im Juli 2023 erhält die Reihe übrigens mit Erscheinen von „Verschwinden ist keine Lösung“, Band 23, einen (vorläufigen) Abschluss. Ein großes Lob an den Pendragon Verlag.

 

Angst um Alafair | Erschienen am 27.02.2023 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-944751-22-1
672 Seiten | 24,- €
Originaltitel: The Light of the World | Übersetzung aus dem Englischen von Jürgen Bürger
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: noir/hardboiled

 

 

Liz Nugent | Kleine Grausamkeiten

Die Drumms sind eine irische Familie aus Dublin mit drei Söhnen. Zu Beginn erfährt der Leser, dass zwei der Brüder den dritten beerdigen. Und man schwant schon, dass die beiden Überlebenden nicht ganz unschuldig am Tod des Dritten sein dürften. Wie es nun dazu kam, folgt nun auf knapp vierhundert ziemlich unterhaltsamen Seiten.

Immer abwechselnd erzählt die Autorin Liz Nugent aus der Perspektive eines der drei Brüder William, Brian und Luke. Dabei folgt sie keinem stringenten Plot, sondern springt in der Perspektiven, in der Zeit. Die Abschnitte werden von den Brüdern tagebuchartig selbst kommentiert, manche Szenen werden mehrfach aus verschiedenen Blickwinkeln wiederholt erzählt. William, der älteste der Brüder, ist Filmproduzent, macht- und selbstbewusst, nimmt sich, was ihm vermeintlich zusteht. Brian, der mittlere, versucht immer wieder in der Familie zu vermitteln, ist aber, wie sich bald herausstellt, vorwiegend auf seinen Vorteil bedacht. Der jüngste Bruder Luke ist der labile Nachzügler, leidet unter der lieblosen Mutter, macht dennoch als Popstar Karriere, ist aber permanent vorm nächsten psychischen und physischen Absturz bedroht.

Der Leser erhält Einblicke in eine sehr dysfunktionale Familie, in der sich immer wieder kleine (und große) Grausamkeiten angetan werden. Eifersucht, Gier und Egoismus speisen ein lange währendes toxisches Familienverhältnis. Das ist sehr klug, böse und durchaus auch amüsant erzählt. Ob es auch ein Krimi ist, darüber kann man streiten, aber man will am Ende ja schon wissen, welcher der Bruder da am Anfang zu Grabe getragen wird.

Kleine Grausamkeiten | Erschienen am 15.11.2021 im Steidl Verlag
Die aktuelle Taschenbuchausgabe erschien am 15.06.2023
ISBN 978-3-96999-202-9
400 Seiten | 16,- €
Originaltitel: Our Little Cruelties | Übersetzung aus dem Englischen von Kathrin Razum
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4 von 5
Genre: Krimi

 

Rezensionen 1-3 und Fotos von Gunnar Wolters.

 

 

Amy Achterop | Die Hausboot-Detektei – Tödlicher Genuss (Band 1)

Mit großer Lust auf eine humorvolle, lockere Cosy-Crime Geschichte griff ich zu dem Roman. Auch das altmodisch gestaltete Cover und Amsterdam als Location versprachen amüsante Lesestunden mit skurrilen Charakteren. Der ehemalige Polizist Arie schart vier Mitstreiter um sich, die alle schon mal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Fünf Personen mit Ecken und Kanten, ein bunt zusammengewürfelter Haufen von Pechvögeln, gründen gemeinsam eine Detektei mangels Büro auf einem Hausboot inmitten der Amsterdamer Grachtenidylle.

Der erste Fall führt in die Welt der Haute Cuisine. Zwei renommierte Cateringunternehmen wettstreiten um die Ausrichtung der Hochzeit des Jahres. Voraussetzung ist ein Gericht, das eine sensationelle Neuheit darstellt. Einer der Sterneköche erhofft sich von dem Auftrag den bitter nötigen Erfolg und heuert die Detektei an, um das Rezept seiner Rivalin auszuspionieren. Nach und nach wird man in die dunklen Geheimnisse der konkurrierenden Starköche eingeweiht.

Leider hatte ich nicht das Vergnügen am Cast, auf das ich gehofft hatte, da mir keiner der Figuren wirklich nahe kam, die viel zu oberflächlich gezeichnet waren und blass blieben. Aus der Idee, Ermittler mit kriminellem Hintergrund in den Mittelpunkt zu stellen, die es aus unterschiedlichen Gründen im Leben oft schwer haben und ausgegrenzt werden, wurde viel zu wenig gemacht. Es werden einige soziale Themen angesprochen, aber alle nur angerissen. Auch der Kriminalfall entwickelt sich sehr gemächlich, konnte mich nicht wirklich fesseln und aufgrund der Längen musste ich mich zum Weiterlesen zwingen. Dabei hat mich gar nicht gestört, dass die Ermittlungen höchstens marginal zu bezeichnen sind. Vielmehr fand ich einige Aktionen sehr konstruiert und die Dialoge gestelzt. Beispielsweise werden erst mal, um sich auf die Detektivarbeit vorzubereiten, zusammen alte Miss Marple-Filme geguckt und seitenlang wird sich um ein verletztes Eichhörnchen gekümmert. Das war mir leider zu albern. Die Findungsphase der Detektive nimmt, auf Kosten des Crime-Aspektes, zu viel Raum und Zeit in Anspruch. Ein bisschen Spannung entsteht, als die Leiche des Sommeliers, ein Meister seines Fachs, der sich eigentlich um die Weine für die Hochzeit kümmern sollte, aus dem Wasser gefischt wird.

Amy Achterops Schreibstil ist flüssig aber ohne jede Raffinesse. Es gibt inzwischen zwei weitere Teile, mich hat es leider nicht überzeugt.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Die Hausboot-Detektei | Erschienen am 29. März 2023 im S. Fischer-Verlag
ISBN 978-3-59670-670-9
352 Seiten | 12,- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 2,5 von 5
Genre: Krimi

Diane Cook | Die neue Wildnis

Diane Cook | Die neue Wildnis

In ihrem Debüt-Roman versetzt uns die in Brooklyn lebende Autorin Diane Cook in eine nicht allzu weit entfernte Zukunft in Amerika. Klimawandel, Überbevölkerung und Smog erschweren das Leben in der Stadt und aufgrund der immensen Luftverschmutzung leiden besonders die Kinder zunehmend unter lebensbedrohlichen Atemwegserkrankungen. Aus Sorge um ihre 5-jährige todkranke Tochter Agnes nimmt Bea mit ihrem Mann Glen an einem Regierungsprojekt teil. Zwanzig Pioniere dürfen in einem staatlich geschützten Nationalpark vor den Toren der Stadt leben. Bei dem Experiment müssen sie sich mit Hilfe eines Handbuchs an strenge Verhaltensregeln halten und sich regelmäßig an bestimmten Posten einfinden. Sie dürfen sich keine Heimat aufbauen sondern müssen autark in der unberührten Wildnis ein nomadisches Leben führen. Besonderes Augenmerk wird darauf gelegt, dass die Gruppe nicht zu viel in die Natur eingreift oder Spuren hinterlässt. Abgeschnitten von jeglichen Annehmlichkeiten der Zivilisation sind die Ranger die einzige Verbindung zur Außenwelt, die die Einhaltung der strengen Regeln überwachen oder neue Anweisungen geben.

Zurück zur Natur
Zu Beginn der Geschichte sind wir bereits seit vier Jahren in der Wildnis. Das hat mich überrascht, denn ich hätte mir ausführlichere Beschreibungen über die Situation in den Städten gewünscht. Die Welt außerhalb der Wildnis bleibt aber während des ganzen Buches nur vage fassbar. Bei dem dramatischen und verstörenden Einstieg begleiten wir Bea bei einem sehr intimen Moment wobei mich ihr raues Verhalten mit dieser erbarmungslosen Situation erschreckt hat. Es wird klar, dass während des Überlebenskampfes die Grenzen zwischen Tier und Mensch zu verschwimmen scheinen. Die Rückbesinnung sowie die überlebensnotwendige Anpassung an die Natur lassen eher archaische Empfindungen und Sichtweisen hervortreten. Als bei einer gefährlichen Flussüberquerung eine Mitstreiterin in den reißerischen Fluten ertrinkt, wird nur um das wertvolle Seil getrauert. Oder als ein Mitstreiter von der Klippe stürzt, wird nicht nachgesehen, ob man ihm noch helfen kann, es wird weitermarschiert. Mich hat irritiert, dass diese Abstumpfung offenbar schon nach vier Jahren und nicht nach Generationen eintritt.

Nur daran erkannte Bea, dass der Unfall sie erschreckt hatte. Wie ein Tier erstarrte Agnes, wenn sie Angst hatte, und rannte bei Gefahr weg. Bea stellte sich vor, dass sich das ändern würde, wenn Agnes größer wurde. Möglicherweise fühlte sie sich dann weniger wie Beute und mehr wie ein Raubtier. (Auszug Seite 17/18)

Der Autorin geht es in ihrem Roman nicht so sehr um die drohende Katastrophe von außen durch das Klima, Umwelt und den Staat oder um die Gefahren, die ein Leben in der wilden Natur mit sich bringt. Es geht ihr primär um die Dynamik zwischen den einzelnen Gruppenmitgliedern und die Entwicklung des sozialen Machtgefüges. Das Verhalten der Gemeinschaft erinnert an das Verhalten wilder Tiere. Hinzu kommt eine komplizierte Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Bea und Agnes. Das hätte auch spannend werden können, war es aber leider für mich nicht. Der Erzählstil ist passend zum Setting emotionslos und distanziert und dieser Ton bleibt das ganze Buch über bestehen. Dadurch fühlte ich mich die ganze Zeit nur wie ein unbeteiligter Beobachter einer Studie und war nie nah an den Charakteren. Ein großer Kritikpunkt meinerseits ist, dass diese allesamt sehr blass und mir bis zum Schluss vollkommen fremd blieben. Ihre Handlungen konnte ich nur partiell nachvollziehen und dann war es teilweise sehr abstoßend und auch schmerzhaft den Geschehnissen zu folgen.
Ein weiteres Manko war für mich der Umgang der Autorin mit der Zeitabfolge. Während man manchmal über mehrere Kapitel nur einen Tag abhandelt, erfährt man an anderen Stellen in einen kurzen Nebensatz, dass die letzten Seiten einen Zeitraum von mehreren Jahren umfassen, da die Gruppe Monate braucht, um von einem Ort zum anderen zu kommen. Das verdeutlicht, dass für ein Leben im Einklang mit der wilden Natur lediglich der Tag-Nacht-Zyklus und die Jahreszeiten relevant sind. Für mich war das total verwirrend, denn das Gespür für die Zeit, wie wir es gewohnt sind, geht völlig verloren.

Spielfiguren auf einem unbekannten Spielfeld
Trotz ihrer literarischen Fähigkeiten, die ich der Autorin nicht absprechen möchte, denn sie erzeugt beklemmende Bilder, hatte sie mich irgendwann in dieser zähen Story verloren und ich habe nur noch quer gelesen. Über weite Strecken kommt die Geschichte nicht voran und tritt auf der Stelle. Leider bietet auch das Ende auf meine zahlreichen Fragen und Vermutungen, die mich beschäftigten, keine zufriedenstellenden Antworten. Durch das völlige Ausbleiben von Informationen erfährt die Leser*in genau wie die umherwandernde Gemeinschaft nichts über die Geschehnisse in den übervölkerten Städten, über die Hintergründe oder die Erkenntnisse des wissenschaftlichen Forschungsprojekt oder das merkwürdige Verhalten der Ranger. Die Gruppe wirkt auf mich wie Spielfiguren, die von den Rangern auf ein unbekanntes Spielfeld gesetzt werden um dort nach unbekannten Regeln agieren sollen. Warum denkt niemand daran, das Projekt abzubrechen und in die Zivilisation zurückzukehren? Agnes ist ja inzwischen wieder gesundet, da die gute Luftqualität sich positiv auf ihren Gesundheitszustand ausgewirkt hat. Und wie groß ist dieses Areal?

Nominierung für den Booker Prize 2022
Die edle Aufmachung des Buches mit der goldenen Schrift auf dunkelgrünem Grund war für mich sehr vielversprechend. Die alles verschlingenden Blätter auf dem Cover lassen an Lebensadern aber auch an einen tropischen Urwald denken. Ich hatte dadurch ganz falsche Erwartungen, denn die Geschichte spielt mehr in einem Wüstenszenario. Ich lese eigentlich gerne Dystopien, aber ich brauche immer einen kleinen Hoffnungsschimmer, ein Licht am Ende des Tunnels. Der Überlebenskampf der Gemeinschaft wird emotional eher kühl und sachlich geschildert. Diane Cook romantisiert nicht in ihrem für den renommierten Booker Prize 2022 nominierten Roman und vielleicht war das auch mein Hauptproblem.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Die neue Wildnis | Erschienen am 09.05.2022 im Heyne Verlag
ISBN 978-3 45332-158-8
544 Seiten | 16,- €
Originaltitel: The New Wilderness | Übersetzung aus dem Amerikanischen von Astrid Finke
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Walter Mosley | Der weiße Schmetterling (Band 3)

Walter Mosley | Der weiße Schmetterling (Band 3)

Sie trugen die Leiche auf einer Bahre weg, als die Fotografen fertig waren – Polizeifotografen, keine Reporter, 1956 war eine Schwarze, die umgebracht worden war, kein Fotomaterial für die Zeitungen. (Auszug Seite 12)

Watts ist ein überwiegend von Afroamerikanern bewohnter Distrikt im südlichen Los Angeles mit einer hohen Kriminalrate. Der amerikanische Schriftsteller Walter Mosley wuchs in dem Stadtteil auf und führt uns in seinem Thriller ins Jahr 1956. Als ein Serienmörder drei Frauen, alles Schwarze und leichte Mädchen tötet, zeigen Polizei und Presse wenig Interesse. Erst als das vierte Opfer eine Weiße und noch dazu die Tochter eines Staatsanwalts ist, beginnen sie ernsthaft zu ermitteln. Der schwarze Privatdetektiv Ezekiel „Easy“ Rawlins wird vom Los Angeles Police Departement um Hilfe gebeten, weil der Täter im schwarzen Milieu vermutet wird und Easy sich in Watts bestens auskennt. Widerwillig beginnt Easy zu ermitteln und findet auch gegen den Willen des Staatsanwalts heraus, dass seine ermorderte Tochter  ein Kind von einem Schwarzen bekommen hatte. Ihm zur Seite steht sein loyaler Freund Mouse, der sich perfekt auf der Straße auskennt, ansonsten aber sehr unberechenbar wie eine tickende Zeitbombe agiert.

Der Thriller fand mein Interesse, da hier mal ein schwarzer Hardboiled Detective in den Fokus gesetzt wurde. Es geht Walter Mosley auch weniger um den Krimiplot, der eher beiläufig erzählt wird und vielleicht einen größeren Spannungsbogen vertragen hätte. Vielmehr geht es ihm um eine Schilderung des Milieus aus der Sicht des schwarzen Ich-Erzählers und die Auseinandersetzung mit dem täglichen Rassismus. Easy Rawlins ist selbstbewusst und clever, hat aber gar keine Lizenz und ist mehr Ganove als Private Eye. Er ist mit Regina verheiratet und lebt mit ihr, der kleinen Tochter und ihrem Adoptivsohn Jesus zusammen. Leider bin ich weder mit ihm noch seinem durchgeknallten Freund Mouse richtig warm geworden. Das lag auch an einer Szene zu Beginn, in der Easy seine Ehefrau zum Sex zwingt.

„Vergewaltigt?“ Ich lachte. „Ein Mann kann doch seine eigene Frau nich vergewaltigen.“ Mein Lachen erstarb, als ich die zornigen Tränen in Reginas Augen sah. (Auszug Seite 46)

Dabei hat mir die schnörkellose Erzählweise des afro-amerikanischen Autors ganz gut gefallen. Es zieht sich so ein spezieller Sprachrhythmus, manchmal ironisch, lakonisch, aber auch melancholisch durch das ganze Buch und er findet immer den richtigen Ton. Wie sein Protagonist kennt Mosley die Bewohner von Watts und hat sie genau beobachtet. Auch die Atmosphäre der 50er/60er Jahre kommt gut rüber. Sehr gestört hat mich aber der Versuch, den gebräuchlichen Straßenjargon eine passende deutsche Entsprechung zu geben. Das hat mir den Thriller echt vermiest und ich habe mich bis zum Schluss durchgequält.

Walter Mosley gelang mit seinen 11 Thrillern um den schwarzen Privatdetektiv Easy Rawlins in einem Zeitraum von 17 Jahren der Durchbruch in den USA. Gleich sein erster Thriller „Teufel in Blau“ sorgte durch die erfolgreiche Verfilmung mit Denzel Washington für Furore und seitdem zählt er zu den bekanntesten Schriftstellern der USA. 2020 erhielt er als erster schwarzer Schriftsteller die National Book Foundation Medal.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Der weiße Schmetterling | Erstmals erschienen 1992
Die Neuausgabe erschien am 28.01.2021 im Kampa Verlag
ISBN 978-3-3111-5511-9
320 Seiten | 12,00 €
Originaltitel: White Butterfly (Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Dietlind Kaiser)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Simon Beckett | Die Verlorenen (Band 1)

Simon Beckett | Die Verlorenen (Band 1)

Als Jonah das Blut roch, war ihm klar, dass er in Schwierigkeiten steckte. (Auszug Anfang)

Jonah Colley ist Mitglied einer bewaffneten Eliteeinheit der Londoner Polizei. In einem Pub trinkt er noch ein Bier mit seinen Kollegen, als er überraschend einen Anruf von seinem ehemals besten Freund und Kollegen Gavin erhält, von dem er zehn Jahre nichts gehört hat. Gavin bittet ihn um ein Treffen in einem leerstehenden Lagerhaus am Kai, sieht Jonah als den Einzigen, dem er noch trauen kann. Als Jonah am vereinbarten Treffpunkt am Slaughter Quai ankommt, findet er nur noch Gavins Leiche sowie drei weitere Tote in Plastikfolien verschnürt vor. Eines der Opfer lebt noch, doch bevor Jonah die Frau befreien kann, wird er niedergeschlagen. Schwer verletzt mit einem zertrümmerten Knie wacht er im Krankenhaus auf, von Gavins Leiche keine Spur und so gerät er selbst ins Visier der ermittelnden Beamten.

Colley kämpft seit zehn Jahren mit seinen inneren Dämonen, denn da verschwand sein vierjähriger Sohn Theo spurlos von einem Spielplatz. Er leidet schwer an seiner Mitschuld, seine Ehe zerbrach daran, auch die Freundschaft mit Gavin endete. Damals wurde kurzzeitig ein Obdachloser namens Owen Stokes verdächtig, aber wieder auf freien Fuß gesetzt. Als jetzt in den aktuellen Ermittlungen wieder der Name Stokes auftaucht und Hinweise auftauchen, die einen Bezug zu dem Verschwinden seines Sohnes haben, stellt er auf eigene Faust Nachforschungen an. Jonah Colley setzt alles daran, das Verschwinden Theos im Alleingang aufzuklären.

Der englische Bestseller-Autor kommt mit dem Auftakt einer neuen Krimi-Serie. Ich war sehr gespannt, fand ich seine gerade in Deutschland sehr erfolgreiche Serie um den forensischen Anthropologen David Hunter doch mittlerweile ein wenig ermüdend und ausgelaugt. Das düstere Schwarz-Weiß-Cover und der Titel lassen auf eine bedrohliche und beklemmende Geschichte schließen. Und gleich mit den ersten Sätzen gelingt es dem Autor im gewohnt flüssigen Schreibstil und zügigem Tempo den Leser in den Bann zu ziehen. Mit allem was bei einem Simon Beckett-Thriller dazugehört und alptraumhafte Bilder im Kopf entstehen lässt: Ein stockfinsteres Schlachter-Kai mitten in der Nacht am Hafen, der Geruch nach Blut, grauenhafte Todesfälle und einem sympathischen aber schwer traumatisierten Helden. Neben dem atmosphärischen Setting ist auch wieder der Schreibstil gewohnt einfach gehalten und flüssig zu lesen. Spannung oder zumindest Neugierde entsteht auch, weil man erst nach und nach über die traurigen Umstände von Theos Verschwinden informiert wird.

Leider erfüllen Becketts Charaktere gängige Stereotypen, besonders die zentrale Figur des Polizisten Jonah Colley entspricht dem Klischee des schwer gebeutelten, alleine kämpfenden Wolfes. Dass die Hauptfigur einen persönlichen Verlust erlitten hat, an dem er aufgrund seiner Schuldgefühle fast zerbricht, habe ich jetzt auch schon zu oft gelesen. Beckett gönnt ihm, ähnlich David Hunter auch keine Verschnaufspausen, lässt den Schwerverletzten auf Krücken in viele physisch gefährliche sowie emotionale Extremsituationen geraten. Was mich jedoch am meisten enttäuscht hat, ist die Tatsache, dass Colley ja laut Klappentext einer bewaffneten Spezialeinheit angehört. Das hatte mich sehr angefixt, kommt aber gar nicht zum Tragen. Er hätte jeden beliebigen Beruf angehören können! Außer im Pub am Anfang des Thrillers tauchen seine Kollegen nie wieder auf. Auch benimmt Colley sich oft sehr unprofessionell, agiert naiv, vernichtet Spuren, bemerkt nicht, dass er verfolgt wird, bringt sich ständig in offensichtlich gefährliche Situationen, in dem er nachts alleine in verlassenen, schangeligen Gegenden herumirrt. Alleine, aber auf Krücken!

Auch die diversen Nebenfiguren – eher Knallchargen – agieren voreingenommen und wenig nachvollziehbar. Die angedeutete Romanze mit der charmanten Journalistin ist unnötig und lächerlich.

Zum Schluss kommt es zu einem actiongeladenen Showdown, in dem alle Fäden zusammen geführt werden. Die Motivation hinter den Taten wirkt dabei ziemlich abstrus und wenig glaubhaft, um nicht hanebüchen zu sagen. Nach einem wirklich fesselnden Beginn glänzt Becket mit vielen überraschenden Wendungen, manches wirkt doch sehr konstruiert. Einiges bleibt auch für weitere Fortsetzungen offen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sich das Trauma des verschwunden Kindes durch die noch folgenden Bände zieht. Auch alles schon mal dagewesen.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Die Verlorenen | Erschienen am 08. Juli 2021 bei Wunderlich im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-8052-0052-3
416 Seiten | 24,00 Euro
Originaltitel: The Lost (Übersetzung aus dem Englischen von Karen Witthuhn und Sabine Längsfeld)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu Romanen von David Beckett

Frauke Buchholz | Frostmond

Frauke Buchholz | Frostmond

Das offene, liberale Kanada mit seiner unberührten Natur, zahlreichen Seen und Bergen ist auch aufgrund hoher Lebensqualität und geringer Arbeitslosenquote für viele ein Sehnsuchtsland, hat aber auch eine andere, dunkle Seite. Alltagsrassismus ist die Regel und der Genozid an den kanadischen Ureinwohnern wird totgeschwiegen. Seit Jahrzehnten verschwinden junge Frauen indigener Herkunft spurlos oder werden Opfer eines Verbrechens und die Aufklärung steht bei der kanadischen Staatspolizei nicht an erster Stelle.

Straße der Tränen
Besonders häufig verschwinden Frauen in der kanadischen Provinz British-Columbia am berüchtigten Highway 16. Dieser über 700 km lange Abschnitt des Transcanada-Highways wird „Highway of Tears“ genannt und unverhältnismäßig viele der Opfer gehören den „First Nations“ an, den Ureinwohnern Kanadas. Frauke Buchholz hat sich in ihrem Debütroman genau mit diesem Thema auseinandergesetzt. Gleich zu Beginn wird am Ufer des St. Lawrence Rivers in Montreal mit der Leiche eines jungen, grausam zugerichteten Mädchens ein weiteres Opfer indigener Herkunft angespült. Da die Cree-Indianerin Jeanette Maskisin erst 15 Jahre alt und im 4. Monat schwanger war, ist das Medieninteresse hoch und das sorgt endlich zu verschärften Ermittlungen bei der Polizei.

Dem ermittelnden Sergeanten Jean-Baptiste LeRoux wird zur Unterstützung ein Profiler der Royal Canadian Mounted Police aus dem tausend Kilometer entfernten Regina zur Seite gestellt. Die beiden Ermittler könnten unterschiedlicher nicht sein. Der Frankokanadier JB LeRoux, ein Weiberheld, alkoholsüchtig und im Job ausgebrannt, quält sich die ganze Geschichte lustlos und desillusioniert durch die Ermittlungen. Deutlich motivierter ist da der gebildete Anzugträger Ted Garner, ein arroganter Analytiker und Pendant. Aufgrund seiner rudimentären Französischkenntnisse hat er keinen leichten Stand in der  Sûreté du Québec. Füreinander empfinden sie nur Verachtung, nennen sich Froschfresser und Hinterwäldler. Geeint sind sie nur in ihren Vorurteilen gegenüber der indigenen Bevölkerung.

„19 Morde in fünf Jahren auf einer Strecke von über 4500 Kilometern. Es gibt keinerlei logische Verknüpfung.“ „Außer, dass 18 Frauen Indianerinnen waren, fast alle getrampt sind, vergewaltigt und brutal ermordet wurden und kein einziger Fall aufgeklärt ist“, sagte LeRoux. (Auszug Seite 30)

Das hätte interessant sein können, wird für meinen Geschmack aber zu oberflächlich beleuchtet. Die beiden Protagonisten werden als derart gegensätzliche Typen konzipiert, dass es nur so vor Klischees strotzt. Alle Figuren sind sehr plakativ und mit dickem Pinsel gestaltet, wobei auch der profilierungssüchtige, nur um eine gute Presse besorgte Leiter der Sureté nicht fehlen darf. Handlungen und Motivation konnte ich oft nicht nachvollziehen und hätten mehr Raum gebraucht. Dass beispielhaft der Vernunftsmensch Ted Garner sich unvermittelt in JB’s selbstverständlich wunderschöne Frau Sophie verguckt, war überhaupt nicht glaubwürdig. Diese Romanze war nicht schlüssig, sondern wirkte aufgesetzt und genauso redundant wie Garners ständiges, seine Belesenheit dokumentierendes Rezitieren von Schopenhauer. Genauso unverständlich fand ich LeRouxs Gebaren in einem Stripclub, in dem er sich erst mal vergnügt, anstatt zu ermitteln.

Parallelleben im Reservat
In klirrender Kälte führen die Ermittlungen das widerwillige Gespann in ein abgelegenes Cree-Reservat nach Niskawini, dessen Kultur Ihnen gänzlich unzugänglich ist. Hier ist Jeanette aufgewachsen und gilt seit einem Jahr als verschwunden, ohne dass eine Vermisstenanzeige aufgegeben wurde, denn die Menschen bringen der Polizei, als Teil des Systems kein Vertrauen entgegen. Hier fand ich den Roman ganz stimmig, vielleicht weil die Autorin, die einige Jahre in einem Reservat im Norden Kanadas gelebt hat, aus eigenen Erfahrungen berichten kann. Das Leben im Reservat ist geprägt von Armut, Alkohol- und Drogenmissbrauch sowie häuslicher Gewalt. Gekonnt wird die Ausgrenzung und die Benachteiligung beleuchtet und wie Menschen an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden.

Die beiden Ermittler treffen hier auf Leon, den Cousin der ermordeten Jeanette und der letzte, der mit ihr Kontakt hatte. Leon lebt noch ganz traditionell nach den Methoden seiner Vorväter. Auch er misstraut den beiden Polizisten und verrät nicht, dass Jeanette sich ihm anvertraut hatte und aufgrund großer Perspektivlosigkeit und Sehnsucht nach einem besseren Leben das Reservat Richtung Montreal verlassen wollte. Er macht sich auf den Weg nach Montreal um alleine den Mörder zu finden und zu töten. Auch dieser Abschnitt konnte mich nicht wirklich fesseln und ich habe nur noch quer gelesen.

Die Geschichte wird abwechselnd aus drei Perspektiven erzählt. Neben JB LeRoux und Ted Garner ist es die Perspektive Leon Maskisins, die uns einen Blick auf die indigene Gesellschaft bietet. Der Sprachstil ist äußerst gefällig, Im letzten Drittel nimmt der Kriminalfall noch Fahrt auf. Aber es kommt hier noch zu einigen seltsamen Zufällen sowie unrealistischen Wendungen, die mich genauso wie das undurchsichtige Ende nicht richtig überzeugen konnten. Es blieben auch noch einige Fragen offen.

Die gegensätzlichen Ermittler und das Thema des alltäglichen Rassismus gegenüber der First-Nation-Bevölkerung versprachen eine spannende Lektüre, die meine hohen Erwartungen leider nicht gerecht werden konnte. Ich fand es handwerklich einfach nicht gut gemacht.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Frostmond | Erschienen am 24. Februar 2021 im Pendragon Verlag
ISBN 978-3-8653-2723-9
288 Seiten | 18,- Euro
Bibliografische Angaben und Leseprobe