Andreas Eschbach | NSA – Nationales Sicherheits-Amt

Andreas Eschbach | NSA – Nationales Sicherheits-Amt

Andreas Eschbach spielt in seinem Thriller “NSA – Nationales Sicherheits-Amt” mit der Idee, dass es in der Zeit des Dritten Reichs bereits die perfekte Überwachungstechnik gegeben hat. Im 19. Jahrhundert hat sich in Großbritannien eine mechanische Computertechnik entwickelt, die zu Beginn des 20. Jahrhundert elektrisch wurde. Unter der Prämisse, Charles Babbage hätte seine analytische Maschine tatsächlich gebaut, entstand ein dem Internet vergleichbares Netzwerk, das in groben Zügen nach dem gleichen Prinzip funktioniert wie das uns bekannte Internet und das die gleichen Konsequenzen nach sich zog. In Eschbachs Alternativwelt ist die Entwicklung von Smartphones, bargeldlosem Zahlen per Handy, Handyortung bereits vor der Machtergreifung Hitlers vorhanden. Dabei verknüpft der Autor historische Fakten der deutschen Geschichte von 1933 bis 1945 mit der Technologie des Internets und Mobiltelefone unserer Zeit. Aufgrund der totalen Überwachung können alle Geldströme lückenlos nachverfolgt werden. Niemand kann sich mehr verstecken und dem Zugriff von SS und Wehrmacht entziehen.

Programmieren ist Frauensache!
Die Aufgabe, die eigene Bevölkerung flächendeckend zu überwachen ist die Aufgabe des NSA, des Nationalen Sicherheitsamtes, in dem die junge Helene Bodenkamp als Programmstrickerin arbeitet. Programme werden gestrickt, denn Programmieren ist Frauensache. Hier geht sie 1942 in Weimar ihrer Arbeit nach, ohne viel über die Konsequenzen nachzudenken. Das Buch startet sehr verstörend mit einem Szenario, in dem der Autor gleich historisch bekannte Ereignisse mit einbaut. Ein von Helene entwickeltes Programm wird getestet. Mit Hilfe von Datenabgleichen werden mittels Kontobewegungen und Kalorienverbrauchstabellen eventuelle Verstecke von untergetauchten Personen ausfindig gemacht. Das Programm wird Heinrich Himmler vorgestellt und als zu demonstrierende Stadt zufällig Amsterdam ausgewählt. Als dadurch jüdische Familien wie die von Anne Frank aufgespürt und deportiert werden, merkt Helene bestürzt zum ersten Mal, was sie mit ihren herausragenden Programmierkünsten anrichtet. Ihr Vorgesetzter, der Analyst Eugen Lettke verfolgt mit den Kenntnissen, die er aus den Datenabfragen ziehen kann, seine persönlichen Interessen.

Misogynie und Fahnenflucht
Danach wird erstmal das Tempo rausgenommen und in einem Rückblick die historische Entwicklung bis etwa 1938 dargestellt. In über 200 Seiten werden auch unsere Hauptfiguren Helene und Eugen ausufernd vorgestellt und wir erfahren alles über ihre Kindheiten und wie sie zum NSA gekommen sind. Für meinen Geschmack war dieser Erzählstrang viel zu lang. Helene Bodenkamp, Tochter eines Arztes ist gezeichnet als das klassische Klischee der grauen Maus. Bescheiden, naiv, mit analytischem Verstand besitzt sie ein großes Talent zum Programmieren. Eugen Lettke ist der Antagonist, er ist durchtrieben, menschenverachtend und ein brutaler Sadist mit Mutterkomplex. Seit er in seiner Jugend von einer Gruppe junger Mädchen gedemütigt wurde, ist er auf Rache aus. Sein Job bei der Behörde ermöglicht es ihm, diese Frauen aufzuspüren, kompromittierende Geheimnisse herauszufinden, sie damit zu erpressen und zum Sex zu zwingen. Dabei wird oft erwähnt, dass der Opportunist kein ideologisch überzeugter Nazi ist, ihm geht es nur um seine zutiefst misogyne Rache an den Frauen. Die vielen Vergewaltigungsszenen waren für mich schwer zu ertragen und dienten nach meinem Empfinden lediglich dem Schockeffekt. Eschbach, der die Handlung in der dritten Person abwechselnd von Helene und Eugen berichtet, wählt in den Fällen sexueller Gewalt grundsätzlich die Täterperspektive. Dabei fand ich Formulierungen wie „es jemanden besorgen“ oder „jemand hart ran nehmen“ problematisch.

Die schüchterne, unpolitische Helene, die sich bisher fraglos in das vorgeschriebene Rollenmuster eingefügt hat, lernt einen Mann kennen und verliebt sich. Als dieser Arthur Fahnenflucht begeht und untertauchen muss, regen sich bei ihr Zweifel am System und sie hilft ihm. Da es für das NSA ein leichtes wäre, ihn ausfindig zu machen, braucht Helene ihren ganzen Mut und ihre Intelligenz, um das zu verhindern. Ihre dem Nationalsozialismus ergebenen Eltern setzen allerdings alles daran, sie mit einem SS-Offizier zu verkuppeln. Dieser Ludolf von Argensleben, ein überzeugter Antisemit wird derart ekelerregend mit körperlichen Deformationen beschrieben, dass ich nur mit dem Kopf schütteln konnte. Als sich Eugen Lettke die Gelegenheit bietet, verwickelt er Helene in seine Machenschaften und sie wird zu Geheimprojekten höchster Priorität hinzugezogen. Diese hat keine andere Wahl, wenn sie verhindern will, dass ihr Geliebter auffliegt und exekutiert wird.

Fazit
Andreas Eschbach, der vor allem durch seinen Thriller „Das Jesus-Video“ und der Fortsetzung „Der Jesus-Deal“ bekannt wurde, behandelt in seinem kontrafaktischen Roman ein erschreckendes Gedankenexperiment, was passiert wäre, wenn die Welt ebenso vernetzt gewesen wäre, wie sie es heute ist, mit all den Konsequenzen für Kommunikation, Überwachung, Konsum und Politik. Das macht „NSA“ phasenweise zu einer durchaus beklemmenden Lektüre, die für mich jedoch mit fast 800 Seiten einige Längen aufwies. Dabei fand ich seine deutschen Entsprechungen für uns bekannte Worte im Zusammenhang mit digitaler Technik durchaus passend. Das Internet ist das Weltnetz, Computer heißen Komputer und Server Datensilos. Es gibt schnurlose Telefone, genannt Volkstelefone oder kurz VoTels und E-Mails sind Elektrobriefe. Dabei sind Sprache und Erzählstil eher schlicht und wenn es um die Liebesgeschichte geht, zum Fremdschämen. Die Charaktere waren mir zu stereotypisch gestaltet, die Handlung stellenweise zu rührselig oder platt und dadurch wurde das Potential der Grundidee nicht ausgenutzt. Das größte Problem war für mich, dass die Grausamkeiten der Nationalsozialisten leider nur dem vordergründigen Thrill dienten sowie die größten Verbrechen unserer Geschichte perfide ausgeschlachtet wurden und ich das Gefühl nicht los wurde, dass sich an dem Leid der Opfer bedient wurde.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

NSA Nationales Sicherheits-Amt | Die aktuelle Taschenbuchausgabe erschien am 28.02.2020 im Lübbe Verlag
ISBN 978-3-4041-7900-8
800 Seiten | 14,90 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des Genrespezials Alternativweltgeschichten.

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