Ulf Miehe | Puma
„Der Puma“, sagte der Korse hitzig, „daß ich nicht lache! Der hat doch schon längst wacklige Zähne und stumpfe Krallen!“ […]
Mayonne antwortete langsam und überlegt: „Ich möchte mich mal so ausdrücken: Dieser Mann hat schon Munitionszüge in die Luft gesprengt und sich mit den Deutschen rumgeschlagen, da hast du noch in die Windeln geschissen und dich an die Titten deiner Mama gehängt. Der ist immer noch gefährlicher als jeder Ganove, mit dem du es bis jetzt zu tun gehabt hast. Der klingelt nicht an deiner Tür, wenn er kommt. Und jetzt gib mir meinen Mantel, es wird Zeit:“ (Auszug Seiten 74-75)
Der Elsässer Franz Morgenroth, der Puma, sitzt wegen Bankraubs seit neun Jahren im Knast. Doch nun ist der Tag der Entlassung gekommen und Franz macht sich direkt auf den Weg, bei seinen damaligen Kompagnons, die er nicht verpfiffen hat, seinen Anteil an der Beute einzufordern – nicht ohne Widerstände. Direkt anschließend begibt er sich nach München, zu seinem nächsten Coup: Die Entführung von Billie Kammerloh, der Tochter eines reichen Waffenfabrikanten.
Franz plant die Entführung minutiös. Er engagiert über Mittelsmänner zwei weitere Profis: Den New Yorker Killer Robert Tomcik und den Engländer John Maugham, Spezialist für Autos. Franz beobachtet Billie Kammerloh und kommt ungeplant vor einem Nachtclub mit ihr ins Gespräch. Im Laufe des Abends kommt es zum Sex zwischen den beiden. Ein Fehler? Zunächst läuft aber alles wie am Schnürchen, die Entführung gelingt ohne Zwischenfälle. Doch Franz hat in seinen Planungen eines übersehen: Das äußerst angespannte Verhältnis zwischen der rebellischen Billie und ihrem Vater.
Das ist nicht gestellt, murmelte er, nie und nimmer ist das gestellt. Das läßt niemand freiwillig mit sich machen, und sie ist keine, die Spaß daran hat, sich fesseln zu lassen. Er ließ das Foto auf den Tisch fallen und setzte sein Selbstgespräch fort. Wieso ist Kammerloh so sicher, daß er recht hat? Und wenn er nicht recht hat und es weiß? Wenn er nur Zeit gewinnen will? Schwiefka steckte Brief und Foto wieder in den Umschlag und sagte laut: „Dann ist er das größte Schwein, das auf Gottes Erdboden herumläuft, yes, Sir!“. (Seite 265)
Denn Kammerloh und seine Tochter sind tief zerstritten. Sie ist erst vor kurzem aus der elterlichen Villa ausgezogen. So hält der Vater die Entführung denn auch für fingiert, damit Billie an sein Geld kommt. Auch der hinzugezogene Vermittler und Ex-Agent Schwiefka kann den Vater nicht umstimmen. Kammerloh nimmt weiterhin seine Termine wahr, lässt sich nicht auf die Forderungen ein, Schwiefka soll die Entführer hinhalten. Für diese scheint der todsichere Plan nicht aufzugehen – bis plötzlich eine unerwartete Wendung eintritt.
Autor Ulf Miehe begann seine berufliche Karriere Anfang der 1960er Jahre als Lektor, später arbeitete er als Schauspieler, Schriftsteller, Übersetzer, Drehbuchautor und Regisseur. Einen lesenswerten Überblick über Miehes Vita hat Der Schneeman verfasst. Im Rahmen unseres Klassiker-Spezials hatte ich bereits Miehes Roman Ich hab noch einen Toten in Berlin aus dem Jahr 1973 gelesen. Puma ist wohl sein bekanntestes Werk und erschien drei Jahre später. Wie die beiden anderen Kollegen dieses Specials, Fauser und Arjouni, starb auch Ulf Miehe viel zu früh. Im Jahr 1989 erlag er im Alter von 49 Jahren einer Gehirnblutung.
Namensgeber ist Romans und Hauptfigur dieses Romans ist Franz Morgenroth. Aufgrund einer Tätowierung wird er nur „der Puma“ genannt. Franz ist im Elsass geboren, hat es im zweiten Weltkrieg verlassen, um sich der Résistance anzuschließen. Nach dem Krieg war er zunächst bei der Fremdenlegion und dann Berufsverbrecher. Er ist ein absoluter Profi, intelligent, selbstbewusst, nur schwer aus der Ruhe zu bringen. Gewalt ist für ihn nur Mittel zum Zweck, er setzt sie daher nicht wahllos ein. Doch obwohl der Roman seinen Namen trägt, ist er nicht nur aus seiner Perspektive verfasst. Und das eigentliche Herzstück dieses Romans ist ‚das Mädchen‘: Wilhelmine-Therese, genannt Billie, Kammerloh.
Sie ist gefangen im goldenen Käfig. Die Mutter ist früh verstorben, der Vater ein gefühlskalter Mann, Inhaber einer Waffenfabrik, offensichtlich auch in politischen Deals verwickelt. Seine Dosis Zweisamkeit holt er sich bei der Ehefrau seines wichtigsten Mitarbeiters. Billie rebelliert gegen ihn, verabscheut seine berechnende Art, ist jedoch finanziell von ihrem Vater abhängig. Dieser traut ihr dann auch zu, ihre Entführung inszeniert zu haben, selbst als sein Privatermittler Schwiefka dies in Zweifel zieht, will Kammerloh die Entführer hinhalten, den Tod seiner Tochter riskierend. Billie selbst ist auf der Suche nach Zuneigung und Liebe und nimmt durch ihre einerseits verletzliche andererseits auch offene, unerschrockene Art die Männer für sich ein, auch Franz und Tomcik.
Puma ist für mich ein ungewöhnlicher, aber dennoch herausragender Roman des Genres. Obwohl ein Gangsterroman, der eine Entführung thematisiert, sind die actionlastigen Passagen äußerst rar gesät. Stattdessen spielt Miehe virtuos mit den verschiedenen Figurenkonstellationen. Neben den Wendungen im Plot sind auch die Sympathien des Lesers äußerst volatil. Allerdings wird am Ende klar, dass niemand unbeschadet – physisch oder psychisch – aus dieser Geschichte hervorgeht.
Rezension und Foto von Gunnar Wolters.
Puma | Erstmals erschienen 1976
Die gelesene Ausgabe erschien am 19. November 2016 im Rahmen der Süddeutsche Zeitung Edition Krimi Noir
ISBN 978-3-86497-362-8
440 Seiten | 8,99 Euro
ISBN des Schubers 978-3-86497-363-5
8 Bände | 55,50 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
Diese Rezension erscheint im Rahmen des Mini-Spezials Ein langes Wochenende mit … Klassikern der deutschen Kriminalliteratur.
7 Replies to “Ulf Miehe | Puma”
Volatil? Sag mal, nehmt ihr an einem Wettbewerb teil, wer das ungewöhnlichste Fremdwort einbaut??? 😀
Also wenn, dann unser Gunnar!:-))
Wenn man wie ich Millionen an der Börse gemacht hat, kennt man natürlich den Begriff ‚volatil’…;-)
Da hast du es, Christina! Die Schelle gibt’s von Gunnar gratis dazu;-) Nachgehakt: Wird „volatil“ es in diesem Zusammenhang überhaupt verwendet?
Jetzt schon. 😉
Scherz beiseite, ist mir spontan eingefallen, habe es nicht extra nachgeschlagen und ich denke, es passt.
Änderungen sind auch gar nicht mehr möglich;-))
😀
Na, macht nur weiter. Man lernt in seinem Leben ja nie aus – ich auch nicht (ich hab allerdings auch noch keine Millionen an der Börse gemacht…).