Jakob Arjouni | Happy Birthday, Türke

Jakob Arjouni | Happy Birthday, Türke

Ich trank und rauchte, schoß Ringe in die Luft und ließ meine Gedanken wegschwimmen. Das Bier legte einen Schleier über meine Augen. Ich schob die Beine auf den Tisch und rutschte in eine bequeme Lage. Das Bier lief wie in einen trockenen Schwamm. Dann fiel die Flasche auf den Boden, und ich schloß die Augen. Ich war angetrunken und müde. Es war wohlig warm.
Gerade als der Schatten langsam auch über mein Gehirn zog, schrillte die Türklingel.
„Scheiße.“
Ich rappelte mich hoch, schlurfte zur Tür und drückte die Klinke herunter. Erst sah ich tranig in die Mündung. Dann war ich mit einem Schlag hellwach. (Auszug Seite 113)

Privatdetektiv Kemal Kayankaya erhält an seinem Geburtstag unverhofft einen interessanten Auftrag: Der Türke Ahmed Hamul wurde im Hinterhof eines Bordells ermordet aufgefunden, die Polizei hat bislang wenig vorzuweisen. Die Ehefrau des Toten bittet ihn, den Täter zu ermitteln. Da sogar ein Vorschuss gezahlt wird, macht sich Kayankaya auf den Weg ins Frankfurter Rotlichtmilieu und es dauert nicht lange, bis er erste Ergebnisse erzielt.

Kayankaya findet schnell heraus, dass Hamul mit Heroin gedealt hat und auch in der Familie des Toten liegt einiges im Argen. Offenbar war auch sein Schwiegervater als Dealer tätig und starb vor drei Jahren bei einem Autounfall. Kayankaya erhält mit Hilfe des pensionierten Kommissars Löff auch Zugang zu Polizeiakten, die ihn aufhorchen lassen. Doch mit seinen Nachforschungen gerät er selbst in die Schusslinie, denn schon nach wenigen Stunden erreicht ihn ein erster Drohbrief.

Autor Jakob Arjouni betrat 1985 mit 21 Jahren die literarische Bühne mit seinem vielbeachteten Debüt Happy Birthday, Türke. Arjouni, geboren und aufgewachsen in Frankfurt, kreierte mit Kemal Kayankaya einen Privatdetektiv in klarer Tradition der amerikanischen hardboiled Detectives, der aber dennoch ein echter Frankfurter Junge ist. Mit dem dritten Kayankaya-Roman Ein Mann, ein Mord gewann Arjouni 1992 den Deutschen Krimi Preis. Daneben war der Autor aber vielseitig in der Wahl der Gattung und des Genres, allerdings behandeln alle Werke meist zeitgenössische, gesellschaftskritische Thematiken. Er schrieb mehrere Theaterstücke, Entwicklungsromane, eine Dystopie. Aber er kehrte immer wieder zu seinem Kemal Kayankaya zurück, so bei seinem letzten veröffentlichten Roman Bruder Kemal, dem fünften Band der Reihe. Arjouni verstarb 2013 an einem Krebsleiden.

Der Abend war verlaufen wie erwartet. Wir sprachen über Autos, die wir nicht bezahlen, und Frauen, die wir nicht beschlafen konnten. Er sowieso nicht mehr. Später klauten wir dem Gemüsehändler im Erdgeschoß noch zwei Flaschen Mariacron aus dem Keller und waren irgendwann danach bewußtlos in die Betten gefallen. (Seite 6)

Die Geschichte lebt natürlich von ihrer äußerst gelungenen Hauptfigur. Ich-Erzähler Kemal Kayankaya feiert zu Beginn der Geschichte seinen 26. Geburtstag. Er hat eine interessante Biografie: Kind türkischer Eltern, Mutter bei der Geburt, Vater vier Jahre später bei einem Unfall verstorben. Von einem deutschen Ehepaar adoptiert und dadurch durch und durch deutsch sozialisiert. Durch sein Äußeres und seinen Namen wird er jedoch regelmäßig mit dem ganz alltäglichen Rassismus konfrontiert, dem er meist mit Ironie und Schlagfertigkeit begegnet. Kayankaya ist mehr zufällig zu seiner Privatdetektivlizenz gekommen, aber er hat die richtige Spürnase und bewegt sich sicher durch das Frankfurter Bahnhofsviertel. Er ist ein einsamer Wolf, hartgesotten, ständig zerknittert und verkatert, aber gleichzeitig mit hoher Intelligenz und auch Empathie – also definitiv mehr Marlowe als Spade.

Arjouni hat diesen Krimi sehr straff geplottet. In drei erzählten Tagen und nach weniger als 200 Seiten ist er auch schon wieder aus. Zwar kam mir hin und wieder der Gedanke, dass Kayankaya die Dinge manchmal schon etwas zu flott herausfindet, aber dafür gibt es hier auch keinen Leerlauf. Alles in allem eine vorzügliche Geschichte mit rauen Tönen, aber auch hessischem Charme (und Dialekt).

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Happy Birthday, Türke | Erstmals erschienen 1985
Die gelesene Ausgabe erschien am 28. August 2012 im Diogenes Verlag
ISBN 978-3-257-21544-1
176 Seiten | 10.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des Mini-Spezials Ein langes Wochenende mit … Klassikern der deutschen Kriminalliteratur.

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