Sophie Bonnet | Provenzalische Intrige

Sophie Bonnet | Provenzalische Intrige

Provenzalische Intrige, ein Regionalkrimi aus dem Luberon

Sophie Bonnet (das ist Heike Koschyk) präsentiert im dritten Aufguss ihrer Geschichten aus Sainte-Valérie nicht viel Neues. Wieder wird im „charmanten Dörfchen“ gemordet, diesmal ertrinkt das Opfer nicht wie im ersten Fall im Rotwein-Tank, sondern erstickt im blubbernden chaudron, einem Seifenbottich, in dem die weltberühmte Savon de Marseille entsteht.

Paulette Simonet, die hier so qualvoll zu Tode kommt, ist Inhaberin von Mer de Fleurs, einem der wenigen verbliebenen Familienbetriebe, die in der Gegend um Marseille noch nach altem Brauch ein Naturprodukt herstellen, das zum Kulturgut der Provenzalen gehört und einen bedeutenden Teil ihrer Geschichte darstellt. Leider ist der Markenname nicht geschützt, und so kann die Savon de Marseille praktisch überall zusammengekocht und mit allerlei Aromastoffen verfälscht werden. Eine Supermarktkette läßt billige Kopien in China herstellen und anstelle der Produkte aus einer Kooperation mit Mer des Fleurs, aber mit deren Etikett, in die Regale stellen. Das Projekt sollte eigentlich eine Seifenkollektion zur Förderung landestypischer Produkte auf den Markt bringen, die den notleidenden heimischen Landwirten und Kooperativen hilft und den örtlichen Lavendelbauern direkt die Rohstoffe abnimmt.

Die wackere Paulette Simonet kämpfte nicht nur gegen die kriminelle Konzernleitung des Grandmarché, sondern an vielen Fronten: Sie war eine Verfechterin von Natur- und Umweltschutz, von ökologischen Produkten und nachhaltiger Produktion, machte sich stark für die heimische Landwirtschaft und den Erhalt des guten Rufes der Savon de Marseille. Fest steht, dass Paulette überall angesehen war, beliebt in ihrer eigenen Firma und geachtet selbst bei den Konkurrenten. Es gab allerdings auch Schwierigkeiten, innerhalb der eigenen Familie heftigen Streit mit dem Ex-Ehemann, hauptsächlich wegen des Umgangs mit dem gemeinsamen Sohn, im Betrieb, wo der eine oder andere Angestellte unzufrieden ist mit seiner persönlichen Situation und auch im „Milieu“ der Seifensieder, in dem sich sehr unterschiedliche Charaktere bewegen, die durchweg ihre eigenen, sehr persönliche Ziele verfolgen. Und es wird mit harten Bandagen gekämpft in der Branche: Der einflussreiche Leiter einer Interessengemeinschaft traditioneller Seifenfabrikanten will die Marke endlich schützen lassen und eine Herkunftsbezeichnung durchsetzen, die nur Produkte aus einem bestimmten Département als authentisch gelten lässt. Mer des Fleurs, wie einige andere Fabrikanten, produziert nicht in diesem Département, die deshalb existenziell bedrohten Seifenhersteller schließen sich zu einer konkurrierenden Association zusammen.

Das sind aber nicht die einzigen Probleme: In einer breit angelegten Nebenhandlung schildert die Autorin eindrucksvoll die prekäre Lage der Lavendelbauern, die unter Billigimporten aus Bulgarien leiden, stellt Betrachtungen an über Globalisierung und Regionalisierung, den Klimawandel und dem damit verbundenen Auftauchen gefräßiger, nicht auszurottender Zikaden, den Gefahren der Genmanipulation und damit einhergehend dem Bienensterben und, und, und. Eine Fülle an interessanten und populären Themen und eine Flut an klugen und interessanten Einlassungen, gründlich recherchierte und sehr lesenswert dargebotene Fakten, die unterhaltsam und aufschlussreich aufbereitet werden und deshalb neugierig machen, der Hintergrund ist auch in dieser Durand-Folge absolut stimmig, die Themen aktuell und anregend, ein schöner Rahmen also für den Mordfall, aber: von diesem lenkt die stoffliche Fülle auch ab.

Hinzu kommt der Hang der Autorin, sich an der malerischen Beschreibung der Schönheiten der Provence zu ergötzen, die atemberaubende Landschaft mitsamt ihren Farben, Düften, Lauten und Klängen zu inszenieren, was allerdings meisterlich gelingt. Bonnet hat offensichtlich einen ganz besonderen Blick und ebenso offensichtlich auch eine ganz besondere Liebe für diesen unvergleichlichen Landstrich und seine ebenso außergewöhnlichen Bewohner, stur und aufbrausend mitunter, aber herrlich bodenständig und warmherzig trotz ihrer oft kauzigen Eigenheiten. Dies alles ins rechte Licht zu rücken ohne dabei Schattenseiten auszusparen wie die Probleme der Region im Kampf um den Erhalt ihrer Geschichte und der einheimischen Kultur ist ihr augenscheinlich ebenso wichtig wie die Entwicklung des Krimi-Plots, der deshalb manchmal vernachlässigt wird zugunsten einer ausführlichen Milieuschilderung, der Schaffung dieser ganz besonderen Mittelmeer-Atmosphäre des laissez-faire und savoir-vivre, dem Eintauchen in eine Lebensart, zu der die Freuden des Kochens gehören, mehr noch des Essens und Trinkens, des Genießens eben, sowie das einzigartige Flair in den Bars und Cafés rund um den Marktplatz, wo sich die Dorfbewohner treffen und nur allzu gerne hitzige Diskussionen führen über Gott und die Welt.

Derzeit macht das Gerücht die Runde, dass ihr Dorfpolizist sie verlassen will um in den höheren Polizeidienst zurückzukehren. Tatsächlich ist er gerade von einem ziemlich missglückten Auftritt aus Cavaillon zurückgekehrt, wo er sich um eine vakante Stelle als Commissair beworben hat, reichlich undiplomatisch und daher mit mäßigem Erfolg: offenbar hat ein weiterer Bewerber erheblich bessere Chancen. Und nun bekommt er auch noch Madame le commissaire Alienor Benoit von der police nationale vor die Nase gesetzt, äußerst energisch, mit einer beeindruckenden Autorität und, wie Pierre interessiert feststellt, mit einer ähnlichen Herangehensweise wie er selbst: Sie vertraut vor allem ihrer Intuition. Pierres anfängliche Sympathie für die resolute Kommissarin ist im Nu verflogen, als er merkt, dass sie ihn nur widerwillig und notgedrungen in der Ermittlergruppe duldet, aber immerhin, er gehört dazu, wenn auch nur, weil sich die Herren in der Präfektur einen spannenden Wettbewerb mit Robert Lechat versprechen, seinem ebenfalls dem Team angehörenden Gegenkandidaten um den Commissair-Posten.

Den Kampf um die besser bezahlte, besser ausgerüstete Stelle gegen den Kontrahenten, der eigentlich ein geschätzter Kollege ist, den nimmt Pierre aber nicht wirklich an, wenigstens das Verhältnis zu seinem Mitbewerber bleibt bei aller Rivalität ausgesprochen kollegial und ist von gegenseitigem Respekt, ja Wertschätzung und fast freundschaftlichen Umgang geprägt, der einer vorprogrammierten Schlammschlacht keinen Platz lässt und sich wohltuend von dem ansonsten auch hier in der Provinz herrschenden Kompetenzgerangel, von Neid und Missgunst abhebt, Zuständen, vor denen er ja aus Paris geflohen ist.

Die offiziellen Ermittler machen es sich einfach, sind mit übereilten Schuldzuweisungen und einfachen Erklärungen schnell bei der Hand und legen sich früh auf einen Täter fest, während Pierre erkennt, dass unter vielen offensichtlich falschen Fährten die entscheidende, einzig richtige noch verborgen liegt, er muss aber auch erkennen, dass die Überlegungen und Erkenntnisse eines einfachen Dorfpolizisten keinerlei Gewicht haben. Also forscht er verbissen und häufig ohne einen Schritt weiter zu kommen im Alleingang weiter, wobei er allerdings viele Helfer einspannt und die unterschiedlichsten Informationen seiner fleißigen Zuträger geschickt kombiniert und so für seine Zwecke einsetzt. Dabei zeigt sich, dass Pierre die fehlenden Möglichkeiten und Befugnisse wie auch die mangelnde Unterstützung durch die übergeordneten Stellen sehr gut ersetzen kann indem er seinerseits die eine oder andere Vorschrift oder Anweisung recht originell interpretiert oder elegant umgeht, die eigenen Überlegungen spontan aber konsequent umsetzt und doch in der Lage ist, im nächsten Moment seine Folgerungen über den Haufen zu werfen und entschlossen in eine ganz andere Richtung zu denken.

Auf den ersten Blick sieht unser Policier Grabenkämpfe an allen Fronten, Verdächtige auf allen Seiten, Techtelmechtel und Intrigen, Klatsch und Tratsch: überall Motive, die ihn förmlich anspringen – und fast verliert er den Überblick. Zwar deutet alles auf ein geschäftliches Motiv für den Mord hin, aber Pierre hat das unbestimmte Gefühl, dass die Lösung woanders zu finden ist. Also bleibt er hartnäckig, nimmt sich nach und nach all die gegensätzlichen, faszinierenden Figuren vor, die souverän auftreten oder vorsichtig, ja sogar ängstlich, die abweisend erscheinen, undurchsichtig und unbequem, unbeugsame, unbeirrbare und unbelehrbare Fabrikanten und Firmenpatrone sowie die Personen im Umfeld von Mer de Fleurs, freundlich und sympathisch oder schroff und unausstehlich, allesamt von Sophie Bonnet sehr fein beobachtet und treffend mit viel Feingefühl und geübtem Blick für ihre Eigenarten und Eigenheiten geschildert, die Charakterzeichnung ist sicher eine Stärke der Autorin, wie auch die präzise und einfühlsame Ausführung der starken Typen und schillernden Personen im Dörfchen Sainte-Valérie immer wieder beweist.

Aber allmählich ist das Potential der überschaubaren Rahmenhandlungen erschöpft, das längst vertraute Personal samt typischem Auftreten mit all den liebenswerten oder ärgerlichen Schrullen der simplen Figuren, ihren immer gleichen Problemen und den schon erwarteten, wiederholten Gesten, den längst zur oberflächlichen Routine erstarrten Gewohnheiten vermag nicht mehr zu überraschen, die bekannten, phantastischen Kulissen mitsamt ihrer liebevollen Darstellung aus allen Blickwinkeln sind inzwischen zur Genüge atemlos bestaunt und das unentschlossene Schwanken zwischen Kriminal- und (Wahl)heimatroman ist mittlerweile ziemlich störend. Schlimmer: Es wird früher oder später langweilig.

Sophie Bonnet wird an ihrem bewährten Rezept festhalten, schließlich harmonieren die Zutaten perfekt und am Ende steht immer ein gelungenes Ergebnis, ein Lesevergnügen, welches sozusagen das Schöne mit dem Angenehmen verbindet, das Bekömmliche mit dem Appetitlichen, das Liebenswerte mit dem Reizvollen, leicht verdauliche Kost eben. Aber es bleibt ein fader Beigeschmack, es fehlt „das Salz in der Suppe“, nämlich ein wenig Spannung und Nervenkitzel. Stattdessen fühlt man sich einfach wohl in der beschaulichen Welt des Pierre Durand, wo die Suche nach einem Namen für seine kleine Ziege bereits eines der größeren Probleme darstellt, wenn man einmal absieht vom ständigen Morden in dem kleinen Dörfchen und seiner ländlichen Umgebung.

Unser policier hat sich mittlerweile behaglich eingerichtet in diesem kleinen Kosmos, in dem er auch bei den Einheimischen endlich angekommen und angenommen ist, aber nun ist er völlig verunsichert und ratlos, was seine berufliche und damit auch private Zukunft angeht: hin- und hergerissen weiß er nicht, was er will, ob er den Job als Commissaire und die damit verbundenen Privilegien und finanziellen Vorteile ernsthaft anstreben soll oder den geliebten Posten in „seinem“ längst ins Herz geschlossenem Dorf behalten. Die mangelnde Autorität sowie fehlende Befugnisse waren ein Grund gewesen, sich für die Stelle in Cavaillon zu bewerben, die ausbleibenden Mittel zur vernünftigen Ausrüstung und Ausstattung seiner dörflichen Dienststelle ein weiterer und nicht zuletzt würde das weitaus bessere Gehalt helfen, sein geliebtes aber kostspieliges neues Anwesen zu unterhalten und vielleicht auch seine Freundin Charlotte bei ihrem Traum vom eigenen kleinen Restaurant zu unterstützen. Aber in ihrer Beziehung kriselt es gerade, was vor allem an Pierres Eifersucht liegt, die ihn wieder einmal quält und uns einen weiteren Erzählstrang beschert.

Pierre ist eine Figur mit vielen Ecken und Kanten, mit Stärken und Schwächen, unzulänglich mitunter und unsicher, dabei hartnäckig und stur, aber nicht unbelehrbar. Während eine überhebliche Vorgesetzte ihn nicht ernst nimmt und der Bürgermeister offenbar auch nicht, kann Pierre nicht zuletzt deshalb einfach auf eigene Faust ermitteln, wie er es gerne tut, und wie er es am besten kann, ein Fahnder aus tiefster Seele und mit großer Freude an seiner Arbeit und deshalb letzten Endes erfolgreich, wenn auch mit Glück und etwas zufällig. Pierres Nachforschungen enthüllen allmählich die bedrückende Geschichte hinter dem grausamen Geschehen in der Siederei. Sehr allmählich … denn Provenzalische Intrigen ist ein gemütlicher, ein langsamer Roman, unkompliziert und vergnüglich zu lesen, an einigen Stellen allerdings mit ziemlich ungeschickten Formulierungen und erstaunlich unsicherer Wortwahl, mit Passagen, in denen man hinweglesen muss über Sätze, die holprig und ungelenk daherkommen, und in manchen Abschnitten wird die Geschichte leider auch viel zu behäbig, ja, betulich vorgetragen. Man trifft viele alte Bekannte und viel Altbekanntes und ob des Gewohnten, Vertrauten fühlt man sich fast schon zuhause, das ist bequem, behaglich und weil er durch die Erinnerungen, die er mit den Protagonisten teilt, fast Teil der Familie ist, hat der Leser ein persönliches Interesse daran, dass am Ende die Welt wenigstens in „seinem“ kleinen Dorf wieder im Lot ist.

So wird dann auf den letzten Seiten zunächst eine Auflösung präsentiert, von der Pierre glaubt, nun füge sich sein Bild zusammen und ergäbe einen perfiden Sinn. Aber so ist es nicht, Pierre – und mit ihm der Leser – erfährt überraschend eine erstaunliche, ganz andere Wahrheit, die leider etwas zu hastig und überstürzt daherkommt und darüber hinaus mit einer wenig überzeugenden Auflösung, die einen Täter aus dem Hut zaubert, der kaum plausibel ist und dessen Motiv doch arg konstruiert wirkt. Das ist unbefriedigend, hier wird allzu viel einfach glatt gebügelt, plötzlich wird alles irgendwie gut, in wenigen Zeilen lösen sich alle Probleme zumindest vorläufig in Wohlgefallen auf, die Gerechtigkeit hat wenigstens für den Augenblick gesiegt, die Ordnung ist wiederhergestellt und offene Fragen sind zur Zufriedenheit beantwortet, nur eine bleibt offen: die nach dem Namen für die kleine Ziege.

Die „Provenzalische Intrige hat durchaus schöne Momente aber leider auch einige Schwächen, für mich ist das Buch ein Schritt zurück, deshalb nur drei Sterne.

 

Rezension und Fotos von Kurt Schäfer.

 

Provenzalische Intrige | Erschienen am 24. Mai 2016 bei Blanvalet
Eine Taschenbuchausgabe erschien am 17. April 2017 (ISBN 978-3-734-10454-1)
ISBN 978-3978-3-7645-0555-4
320 Seiten | 14,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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