Stephen King | Der Outsider ♬

Stephen King | Der Outsider ♬

Wie in vielen seiner Geschichten entführt Stephen King den Hörer wieder ins amerikanische Kleinstadtmilieu und wie so oft kommt das Grauen von innen. Hier in dem fiktiven Flint City in Oklahoma wird in einem Stadtpark die Leiche eines kleinen Jungen gefunden.

Coach T als Kindsmörder

Kurz darauf wird der geschätzte Jugendtrainer und Englischlehrer Terry Maitland während eines Baseballspiels verhaftet und vor allen Zuschauern einschließlich seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Handschellen abgeführt. Die drastischen Vorwürfe scheinen das medienwirksame Spektakel zu rechtfertigen: Der Coach soll den elfjährigen Frank Peterson sexuell missbraucht, grausam ermordet und sogar zerstückelt haben. Die Beweise sind erdrückend: Mehrere Zeugen haben Maitland mit blutverschmierter Kleidung in der Nähe des Tatorts gesehen und eindeutig identifiziert. An dem Lieferwagen, mit dem der Junge entführt wurde, finden sich Maitlands Fingerabdrücke. Als später auch seine DNA auf der Leiche des Opfers eindeutig festgestellt wird, besteht für den ansässigen Detective Ralph Anderson absolut kein Zweifel mehr an der Schuld des kumpelhaften Coach. Dass dieser auch seinen halbwüchsigen Sohn Derek trainierte plus die Abscheulichkeit des Verbrechens sorgte für zusätzlichen Druck und lassen Anderson nicht mehr sachlich agieren.

Der beliebte Coach T bestreitet die Tat auch nach seiner Verhaftung vehement. Er kann zur allgemeinen Verwunderung ein unwiderlegbares Alibi vorweisen, denn zur fraglichen Zeit war er mit mehreren Kollegen auf einer Tagung in einer anderen Stadt. Dies können nicht nur alle bezeugen, sondern es gibt auch einen Video-Mitschnitt einer Krimi-Lesung mit Harlan Coben, auf der Maitland eindeutig in der ersten Reihe sitzend zu erkennen ist und auch hier werden seine Fingerabdrücke sichergestellt.

Eine Stadt dreht durch

Inzwischen formieren sich die Bürger von Flint City zu einem hysterischen Lynchmob, der davon überzeugt ist, dass der bis dahin unbescholtene Coach T ein Monster ist. Nur Maitlands Frau und sein Anwalt Howard Gold halten noch zu ihm. Nicht nur für die Maitlands beginnt ein regelrechter Albtraum. Auch über die Familie des Opfers, die Petersons, bricht in immenser Geschwindigkeit Chaos und Elend herein. Es beginnt eine Tour de Force und man ahnt, dass diese tragische Geschichte ein katastrophales Ende nehmen wird. King entwirft hier mit großer Rasanz ein faszinierendes Szenario. Die vielen schockierenden Momente hatten an dieser Stelle eine große Sogwirkung auf mich und machten es mir schwer, das Hörbuch auszuschalten.

Die Verantwortlichen, allen voran, Detective Ralph Anderson, sind überfordert. Er bereut inzwischen den showartigen Verhaftungszirkus im Stadion zusammen mit dem ehrgeizigen Bezirksstaatsanwalt Bill Samuels. Die Widersprüche nagen an dem integren Detective und nach einer kurzzeitigen Suspendierung stellt er zusammen mit dem Anwalt Gold und dem Privatdetektiv Alec Pelly eigene Ermittlungen an. Als dazu Informationen aus einem anderen Bundesstaat benötigt werden, stößt auch noch die Privatermittlerin Holly Gibney dazu. Die schrullige Detektivin, ausgestattet mit einigen Zwangsneurosen, kennt man vielleicht aus der Bill-Hodges-Trilogie. Und diese sollte man vorher gelesen haben, da wirklich viel gepoilert wird!

Fazit

So sehr ich mich über das Auftauchen von Holly Gibney gefreut habe, geht dem Thriller in der zweiten Romanhälfte leider etwas die Luft aus. Die rätselhafte Geschichte lässt sich nicht plausibel auflösen und Stephen King zieht hier den übernatürlichen Joker. Obwohl dann natürlich das logische Mitraten wegfällt, habe ich gar kein Problem mit einem Wechsel ins Metaphysische. Aber zum einen verdrängt Holly den bisherigen Protagonisten Ralph Anderson und durchschaut relativ schnell das böse Horrorwesen. Und zum anderen konnte mich der Antagonist nicht restlos überzeugen. Der Gestaltwandler, der sich von Trauer und Elend nährt und sich auf eine mexikanische Folklegende bezieht, schien mir nicht komplett durchdacht und ist in Teilen ein alberner und wenig bedrohlicher Dämon.

Die Handlung flacht bis zum großen Showdown in einer Tropfsteinhöhle in Marysville auch durch viele Wiederholungen leider etwas ab und die Auflösung kann nicht vollständig überzeugen.

Stephen King ist ein großer, begnadeter Erzähler, egal welches Genre er bedient. Der Outsider ist eine komplex gestrickte Mischung aus klassischem Krimi und Horrormär mit intensiven Passagen am Anfang, in denen der Autor mit seinem schriftstellerischen Können glänzt und der zum Schluss etwas schwächelt und an Raffinesse verliert. So als hätte der Autor keine Lust mehr gehabt und die Geschichte schnell zu Ende gefrickelt.

Das macht David Nathan aber mit seiner begeisterten Lesung wieder wett. Er lässt sich richtig in die weit ausgebreitete Geschichte fallen und gestaltet die verschiedenen, lebensnahen Charaktere wirklich hervorragend. Kings Art zu schreiben ist wie für Hörbücher gemacht und Nathan gelingt es problemlos Bilder in die Köpfe der Hörer zu transportieren.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Der Outsider |Das Hörbuch erschien am 27. August 2018 bei RandomHouse Audio
ISBN 978-3-8371-4284-6
3 mp3 CDs | 24.- Euro
Laufzeit der ungekürzten Lesung: 19 Stunden 9 Minuten
Original-Titel: Outsider (Scribner)
Sprecher: David Nathan
Bibliografische Angaben & Hörprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des .17special Mini-Spezials Stephen King.

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