Zoë Beck | Die Lieferantin

Zoë Beck | Die Lieferantin

Declan klickte sich im Shop von The Supplier durch die Heroin-Angebote. Rein und unverschnitten, wurde versichert. Direkt aus der Türkei. Topqualität, hergestellt aus afghanischem Opium. […] The Supplier hatte noch Morphium und Opium im Angebot. Keine Pillen. Kein Crack. Kein Crystal Meth. Kein Koks. Nicht mal LSD. Nur Downer, keine Upper.
Clever, dachte Declan. Ein gutes Konzept. Die Nation betäubte sich. Die Zeiten, in denen alle wach sein wollten, waren vorbei. (Auszug Seiten 51-52)

Die Londoner Unterwelt ist in Aufruhr. Ein neuer Player mischt den sorgsam aufgeteilten Drogenmarkt auf: Über eine neue App kann in Windeseile neuester Stoff bestellt werden, der dann per Drohne ausgeliefert wird. Das können die alteingesessenen Bosse nicht auf sich beruhen lassen. Zeitgleich wird im Königreich noch ein anderer Kampf ausgetragen. Ein Referendum über die Legalisierung oder die Verschärfung der Drogenpolitik steht an und wie sich bald herausstellt, hat das eine durchaus mit dem anderen zu tun.

Denn Ellie Johnson, „Die Lieferantin“, hat durchaus persönliche Gründe für ihren Geschäftszweig, mit dem sie insgeheim die Drogenlegalisierungskampagne unterstützt. Doch die konservative Regierung und die konservativen Drogenbosse setzen (in gegenseitigem Einvernehmen) eher auf Verschärfung des Status Quo. Derweil plagt Restaurantbesitzer Leigh, ein alter Freund von Ellie, ein ganz anderes Problem: Er hat sich mehr oder weniger aus Versehen eines Schutzgelderpressers entledigt und stirbt nun tausend Tode aus Angst vor Entdeckung. Allerdings verschärft Leigh ohne es zu ahnen mit dem Tod des Gangsters die Gesamtsituation.

Autorin Zoë Beck ist ein Multitalent im literarischen Betrieb. Verlegerin (Culturbooks), Übersetzerin, Synchronregisseurin und erfolgreiche Autorin. Ihr letzter Roman Schwarzblende war einer der drei Gewinner des Deutschen Krimi Preises national 2016. Für ihr neuestes Werk ist sie ein wenig in die Zukunft gesprungen. Aber wirklich nur ein wenig, denn so futuristisch ist es nicht. Vielmehr wurden ein paar sich abzeichnende Entwicklungen vorweggenommen: Lieferdrohnen, E-Auto-Shuttles, Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich. Gleichzeitig scheint nach dem vollzogenen Brexit die nationale Orientierung fortzuschreiten: Marodierende Gangs machen unter dem Motto ‚rot-weiß-blau‘ die Nachbarschaft unsicher und bedrohen Minderheiten.

Das ist zum einen das große Plus dieses Romans. Er ist keine Dystopie und kann nicht so einfach als Zukunfts-Schwarzmalerei abgetan werden, sondern er greift aktuelle gesellschaftliche und technische Tendenzen auf und zeigt eine Bild einer allzu nahen Zukunft, als hätte man mal kurz auf Vorspulen gedrückt. Beck erzählt die Geschichte aus wechselnden Perspektiven in kurzen Kapitel, sehr flüssig und souverän vorgetragen. Auch erfreulich ist die leichte Unschärfe in Bezug auf Gut und Böse. Zugegeben die Bösen sind auch wirklich richtig unangenehm, aber auch die vermeintlich Guten bleiben moralisch alles andere als unbefleckt.

Ein Kritikpunkt meinerseits: Aus den Figuren hätte man mehr herausholen können, gerade die vermeintliche Hauptfigur Ellie Johnson bleibt für mich über lange Strecken blass. Auch Declan Boyle, der Sohn des Unterweltbosses, der seinen Vater zunächst nur widerwillig beerben und später beeindrucken will, ist für mich eine unterdurchschnittliche Variante dieses altbekannten Themas. Zudem hätte das Buch vielleicht an der einen oder anderen Stelle noch mehr Thrill vertragen können, manchmal war Balance zwischen Thrill und politischer Thematik nicht immer gewahrt. Exemplarisch sei das Gespräch zwischen Ellie und dem schottischen Gangsterboss genannt, das stellenweise zu einer Vorlesung in die Geschichte der Opiate wird.

Dennoch überwiegt für mich letztendlich schon das Positive. Die Lieferantin ist ein flotter Kriminalroman mit einigen guten Einfällen, politischer Note und auch schwarzem Humor (Der Running Gag mit der Leiche unterm Fußboden ist nicht schlecht).

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Die Lieferantin | Erschienen am 10. Juli 2017 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-518-46775-6
324 Seiten | 14,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseproben

0 Replies to “Zoë Beck | Die Lieferantin”

  1. Bei dem imaginären Atmen unter dem Fußboden musste ich unweigerlich an Poe denken. Wenn das beabsichtigt war, eine schöne Geste. 🙂

    Ansonsten, ja, ich fand in erster Linie die Idee genial, das Setting in dieser nahen und sehr vorstellbaren Zukunft, auch den Schreibstil mochte ich sehr, war ja mein erster Roman von Zoë Beck und das hat mir zugesagt. Aber mit den Figuren gehe bei dir mit, da hatte ich auch gedacht, dass das etwas blass geraten war, gerade die Protagonistin, aber auch Mo und am Ende auch der Sohnemann vom Boyle, hm, nee, das hat mich nicht überzeugt. Auch das von dir angesprochene Gespräch über den kleinen Exkurs in Opiumgeschichte fiel ganz gut aus dem Rahmen, das war zwar interessant, hätte aber geschmeidiger verpackt werden können. Und was ich auch schade fand, bei der Thematik der Legalisierung von Drogen, das ist so ein spannendes Thema, da hätte ich mir mehr Breite gewünscht. Also die Meinung der Autorin schien mir relativ deutlich, soweit ich das verstanden habe, ich hätte mir da mehr Kontroverse gewünscht, einfach das Thema breiter beleuchten. War vielleicht nicht Anliegen des Romans, aber mir hat das gefehlt. So war es mehr ein Statement, fast mit Zeigefinger. Dafür war das Weiterdenken der politischen Situation nach dem Brexit sehr genial gemacht, das war sehr real, sehr möglich, angesichts der Lage.

    Insofern, bevor ich viel zu weit aushole, ich fand ihn gut gedacht und schön zu lesen. Nur was die Figuren und die Auseinandersetzung mit der Drogenlegalisierung angeht, dem hätte man mehr Raum geben können.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert