Tom Callaghan | Tödlicher Frühling

Tom Callaghan | Tödlicher Frühling

Akyl Borubaew, eigenwilliger Inspektor der kirgisischen Mordkommission und frisch strafversetzt, wird auf ein abgelegenes Feld gerufen. Dort wurden Kinderleichen gefunden, verpackt in Plastiktüten, verscharrt in flachen Gräbern. Borubaews Ermittlungen führen ihn schon bald zu Waisenhäusern – und damit in seine eigene Vergangenheit. Als man ihm einen Mord und Geschäfte mit Kinderpornographie anhängt, gerät er selbst in Gefahr und muss fliehen.

Tom Callaghan hat mit Tödlicher Frühling sein viel beachtetes Debüt Blutiger Winter um den kirgisischen Ermittler Akyl Borubaew fortgesetzt. Auch dieser spielt in der schon in Band 1 gewählten Region des zentralasiatischen Binnenstaates, womit allein schon ein gewisser Spannungsgrad einhergeht. Doch war Band 1 bereits angereichert mit Elend und Perversitäten, so übertrifft er dies in seinem aktuellen Thriller, denn die Opfer finden sich diesmal im Kreis der Allerschwächsten: es sind Kinder, die in Waisenhäuser verbracht oder abgeschoben wurden, und die dort schon eine erbarmungswürdige Existenz fristen. Doch das Waisenhaus entpuppt sich für all jene armen Geschöpfe, die in die Hände der Täter fallen, lediglich als das Tor zur Hölle. Das, was dann folgt, sind im Grunde genommen unvorstellbare Grausamkeiten, die der Autor – wenn auch nicht bis in letzte Details – schildert. Zentrale Themen sind Kindesmisshandlung, Folter, Kinderpornographie bis hin zu Snuff sowie natürlich Korruption.

Akyl Borubaew, nach seinem letzten Fall strafversetzt in den hintersten Winkel des Landes, wird auch dort mit Mord konfrontiert. Am Rande eines Ackers, nicht sehr versteckt, wird das flache, fast hastig angelegte Grab von sieben Kinderleichen gefunden. Alle werden anhand von typischen Armbändchen als Waisenhauskinder identifiziert. Akyl Borubaew, der selbst als Kind zwei Jahre in einem solchen Waisenhaus in Kirgisistan verbringen musste, weil die neue Freundin seines Großvaters, bei dem er zu der Zeit lebte, ihn nicht ausstehen konnte und loswerden wollte, verschafft dieser Umstand im Rahmen seiner Ermittlungen nun den ein oder anderen Kenntnisvorteil. Doch da die Kinder aus Waisenhäusern des ganzen Landes stammen, braucht Borubaew Unterstützung bei der Identifizierung der Opfer und auch bei seinen Recherchen, welche weit hinauf reichen in die höchsten politischen Kreise. Erste Hilfe und Hinweise erhält er vom Leiter des Waisenhauses, in dem er einst lebte. Beim Besuch überkommen den knallharten Ermittler Erinnerungen, die ihn den Fall noch persönlicher nehmen lassen, denn hart ist – wie so oft – nur seine Schale. Im Innern sehnt sich Borubaew nach dem Tod seiner geliebten Frau nach Liebe.

Etwa eine Stunde lang saß ich nur da und versuchte, mich von den Eindrücken der letzten Tage abzulenken, von den winzigen Körpern, die ich ausgegraben hatte, von dem vielen Blut, das an den Wänden klebte, von den Augen und Mündern, die tonlos und vergbens um Hilfe schrien. Doch es funktionierte nicht. Zu viele Leichen, zu viel Leid. Mit etwas Glück würden die hübschen Mädchen, die alten Männer und die hüpfenden Kinder, die den Park bevölkerten, meine Welt nie zu sehen bekommen. Denn meine Rolle ist es, der Mann in Schwarz zu sein, der in einer dunklen Ecke im Leben der Menschen hockt und von niemandem bemerkt wird. Ein Seelenbestatter. (Seite 285)

Womit wir bei einem weiteren wesentlichen Bestandteil von Callaghans Reihe sind. Auch in Tödlicher Frühling spielt die attraktive und gleichzeitig gefährliche – Borubaew allerdings im Guten zugewandte – Tatschikin Saltanat eine Rolle. Erneut an seiner Seite, bemüht sie sich mit ihren eigenen Methoden, ihn bei der Aufklärung zu unterstützen. Wiederum erweist sie sich als die Stärkere der beiden, nicht zuletzt, weil – inzwischen ist es klar, angedeutet war es ja bereits – Akyl in sie verliebt ist.

Nun haben wir erstens Akyl Borubaew, den einsamen Wolf, der bereits alles verloren hat, was ihm lieb und teuer ist, und im Zuge der neuen Ermittlungen auch noch sein Zuhause einbüßen muss. Zweitens: der neue Fall, der an Grausamkeit und Perversität wohl nicht zu überbieten ist. Und dann gesellt sich drittens hinzu: eine aufflammende Liebe mit all den Schwierigkeiten, die man sich denken kann, wenn man auf der Flucht ist; auf der Flucht vor der eigenen Vergangenheit und den scheinbar übermächtigen Gegnern, die von allerhöchsten Kreisen geschützt werden. Für mich passte Letzteres nicht in den Rahmen, da es zu stark kontrastiert. Tom Callaghan hat erneut einen sehr spannenden Thriller geschrieben, doch eben die Erzählungen um die beiden Einzelkämpfer, die mal zueinander finden und dann doch wieder nicht, hätte mir nicht gefehlt. Ohne weit vorzugreifen, möchte ich jedoch noch anführen, dass mir die Anteilnahme am Schicksal des kleinen Otabek sehr gut gefallen hat und ebenfalls einen Kontrast darstellt. Am Ende störte die „Romanze“, nicht der Kontrast.

Wer sich für die Reihe des englischen Autors interessiert, dem empfehle ich, zuerst Blutiger Winter zu lesen. Neben Einblicken in das Leben des Ermittlers und die Entwicklung zur Strafversetzung vermittelt uns Tom Callaghan auch die Schönheit Kirgisistans.

 

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Tödlicher Frühling | Erschienen am 10. März 2016 bei Atlantik im Hoffmann & Campe Verlag
ISBN 978-3-45565-048-8
384 Seiten | 15,- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension zu Band 1, Blutiger Winter

2 Replies to “Tom Callaghan | Tödlicher Frühling”

  1. Eine wirklich interessante Buchbesprechung. Sie hinterlässt mich mit Neugierde, um mir die Reihe näher anzuschauen. Reizvoll sind die unterschiedlichen facettenreiche, die dieses Buch zu bieten scheint. Tolle Rezension.

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