Rainer Doh | Mordkap
Temperaturen von minus 20 Grad und Schneesturm: Die Kriminalpolizei aus Tromsø kommt nicht durch nach Skjervøy, dem nächsten Halt des Kreuzfahrtschiffs MS Midnatsol der norwegischen Hurtigruten. Auf dem Schiff befinden sich Hunderte Passagiere, unter ihnen viele Touristen aus Deutschland, von denen einer ums Leben gekommen ist. Vieles deutet auf Selbstmord hin, die genauen Umstände aber müssen an Bord ermittelt werden. Diese Ermittlungen übernimmt Arne Jakobson, gewöhnlicher Polizist aus der Kleinstadt Skjervøy. Schon bald ringt ein weiterer Passagier an Bord um sein Leben und Arne Jakobson kann nicht ausschließen, dass es sich bei dem Tod des deutschen Touristen am Tag zuvor um ein nur unzulänglich vertuschtes Verbrechen handelt. Was er nicht weiß: Für das Geschehen auf dem Schiff interessieren sich auch der amerikanische und der russische Geheimdienst. Und auch Beamte des Bundeskriminalamtes machen sich auf den Weg an die norwegischrussische Grenze, um trotz des Schneesturms in Kirkenes, dem nördlichen Wendepunkt der Hurtigruten, die MS Midnatsol zu erreichen …
Mordkap, Rainer Dohs erster Krimi nach vorherigen IT-Veröffentlichungen, lässt mich selten zwiegespalten zurück. Einerseits: Die Geschichte um den norwegischen Dorfpolizisten Arne Jakobsen auf dem Hurtigruten-Schiff Midnatsol ist ungemein spannend. Doh versteht es wunderbar, eine Geschichte schlüssig und spannend aufzubauen, dabei ausreichend Raum für Spekulationen leserseits zu lassen und doch nicht in Belanglosigkeiten abzudriften. Insofern eine runde Sache im Genre Krimi. Wäre da nicht … Dazu später.
Auf dem über 300 Passagiere fassendem 130 Meter langem Hurtigruten-Schiff Midnatsol kommt es zu einem unerwarteten Zwischenfall: In Kabine 752 wird der tote Passagier Gunter Betram aufgefunden, wie sich herausstellt ermordet. Ein Vorfall, der von der norwegischen Kriminalpolizei untersucht werden muss. Doch Hammerfest ist fern und die Wetterbedingungen mieserabel, sodass der Dorfpolizist Arne Jakobsen beim nächsten Stopp des norwegischen Postschiffs an Bord geht, um die Lage vorab zu sondieren und erste Beweise sowie den Fundort zu sichern. Jakobsen, dafür zwar geschult, aber nur theoretisch geeignet, nimmt damit die Hauptrolle in Dohs Roman ein.
Doh zeichnet einen rundum sympathischer Typ, der sich seiner eigenen Schwächen bewusst ist und es vermag, diese zum Ende der Geschichte aus der Not heraus in Stärken zu wandeln. Doch bevor dies geschehen kann, muss eine „Kette von unangenehmen Vorfällen“ (Seite 100) bewältigt und vor allem vor den mitreisenden Zivilisten geheim gehalten werden. Arne Jakobsen lernt während seiner Ermittlungen und Befragungen mehrere Passagiere kennen. Eine Kerngruppe von Personen spielt im Verlauf des Romans eine wiederkehrende Rolle, sodass auch die Zeugenbefragungen Aufmerksamkeit verdienen und damit nicht als Fülltext verkommen.
Die eigentliche Raffinesse des Kriminalromans liegt in der Unkenntnis über das Motiv für die Tötung Gunter Bertrams und die Schaffung einer Handvoll Verdächtiger, wobei bis zum letzten Viertel nicht deutlich ist, worum es im Kern geht. Eingestreute Momentaufnahmen aus Berlin verwirren zuerst, ergeben erst zum Schluss einen Sinn. Spannender Aspekt: Russland und die russische Nordmeerflotte spielen eine Rolle, welche sich langsam aufbaut und am Ende gemeinsam mit allen Fäden zu einem Knäuel aufrollt. Das Ganze entwickelt sich zu einem wahrhaften Katz- und Mausspiel und endet in einer lebensbedrohlichen Verfolgungsjagd unter Einsatz von Profis.
Rainer Doh vergisst nicht, über den Spannungsaufbau kleine komische Momente mit einzuflechten, was mir sehr gut gefallen hat, insbesondere, da er wohlfein dosiert hat! Außerdem punktet er mit Sachkenntnis, da ihm – so ist der Autoreninformation zu entnehmen – bereits mehrfach selbst auf besagtem Schiff gereist ist. Wermutstropfen: Leider kommt es gerade durch diese Ortskenntnis zu Tempusfehlern. Dinge, von denen anzunehmen ist, dass sie grundsätzlich an Bord bestehen, werden im Präsens und nicht im Perfekt geschildert. Beispiel:
Als Erstes fuhr er mit dem Lift ganz nach oben und ging in den großen Panoramasaal, der über zwei Decks die gesamte Frontseite der Midnatsol einnimmt. (Seite 47)
Und somit zum großen Manko des Romans, welcher im Divan Verlag erschien, dessen Verlagsleiterin Lektorin ist: Über die gesamte Länge des Romans wimmelt es von Fehlern in überproportionaler Menge. Dabei handelt es sich in der Mehrzahl um Wortdopplungen, Buchstabendreher, fehlende Worte, Tempus- und Interpunktionsfehler und anderen vermeidbaren Unschönheiten. Mir ist es unbegreiflich, wie ein Buch mit nur 254 Seiten und mindestens 50 Fehlern in Druck geht. Insbesondere im Hinblick auf die wirklich interessante Story kann es einem für den Autor geradezu leid tun. Dazu ist das Taschenbuch mit 16,90 Euro auch noch verhältnismäßig teuer.
Fazit: Gerne mehr von Rainer Doh, sehr gerne Fälle in einem ähnlichen Milieu. Aber bitte nicht mehr aus dem Divan Verlag!
Mordkap | Erschienen am 10. März 2015 im Divan Verlag
ISBN 978-3-86327-026-1
254 Seiten | 16,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
4 Replies to “Rainer Doh | Mordkap”
Auch wenn es beim Lesen vormnehmlich um den Inhalt geht, wird bei mir das Lesvergnügen durch eine Vielzahl von Fehlern drastisch reduziert. Da kann es passieren, dass ich entnervt das Buch zuklappe und es entsorge. Schade für den Autor, schade auch für einen interessanten Verlag und scheinbar engagierte Verleger.
Hätte die Handlung es nicht rausgerissen, hätte ich das Buch auch abgebrochen. Für mich gilt das übrigens auch andersrum: Ist der Plot fad, breche ich auch ab. Früher habe ich mich immer durchgequält. Erfahrungsgemäß ist es Verschwendung kostbarer Lebenszeit für mich. Aber dazu demnächst mehr 😉
Ist das Präsens auf S. 47 wirklich falsch. Der Panoramasaal nimmt die gesamte Frontseite der Midnatsol ein, unabhängig wann etwas geschieht. Er nimmt ja nicht nur in dem Moment die ganze Fläche ein, in dem er mit dem Lift nach oben fährt.
Für mich klingt es falsch, da die Geschichte im Perfekt geschrieben ist und zudem lediglich Gegebenheiten auf der Midnatsol und nicht etwa auch in der Landschaft oder anderen Örtlichkeiten im Präsens geschrieben wurden.