Christoph Peters | Der Arm des Kraken

Christoph Peters | Der Arm des Kraken

Fumio Onishi gähnte, er spürte eine Art Lampenfieber, das sich einstellte, wenn er einsatzbereit war, stand auf, nahm die Tüte, ging langsam die Straße zurück, warf seine Einkäufe in die Mülltonne am nächsten Laternenpfahl. Er atmete einmal durch, zog ein Paar weiße Baumwollhandschuhe aus den Sakkotaschen, streifte sie über, öffnete die Ladentür. Im selben Moment verwandelte sich Unruhe in Klarheit. Eine unscheinbare, mittelalte Frau trat aus dem Hinterzimmer. Sie trug ein künstliches Lächeln vor sich her, das einbrach, als sie ihn sah. Schneller, als sie etwas sagen, geschweige denn rufen konnte, und noch ehe der Schließreflex ihre Augenlider erreicht hatte, traf sie ein Handkantenschlag mit solcher Wucht an der Schläfe, dass die Haut aufplatzte und der Knochen sichtbar wurde. Während sie zur Seite kippte, griff Fumio Onishi mit der Linken ihre Schulter, seine Rechte fasste sie bei der Hüfte, damit sie krachend ins Regal stürzte. In einer einzigen fließenden Bewegung legte er sie bäuchlings auf dem Boden ab. Einen Moment später stand er mit entsicherter Pistole in der Tür zum Büro. (Auszug Seite 103-104)

In einem Park im Berliner Osten wird die Leiche des Japaners Yuki O. gefunden. Für die Polizei eine ziemliche Überraschung, denn die Zeit der Revierkämpfe zwischen den asiatischen kriminellen Gruppen in Berlin schien vorbei. Dennoch scheint Yuki O. ein Mitglied der japanischen Yakuza gewesen zu sein und die Spur führt Hauptkommissarin Annegret Bartsch zu der dominierenden vietnamesischen Mafia. Derweil landet mit Fumio Onishi ein weiterer Vertreter der Yakuza in Berlin – mit dem klaren Auftrag Vergeltung zu üben.

Christoph Peters ist bislang weniger als Autor von Kriminalromanen aufgefallen. Sein Schwerpunkt lag bei zeitgenössischer Literatur. Sein Roman Wir in Kahlenbeck stand vor drei Jahren auf der Longlist des Deutschen Buchpreis. Ein Schwerpunkt seines Schaffens ist jedoch die japanische Kultur (Mitsukos Restaurant, Herr Yamashiro bevorzugt Kartoffeln), dies bringt er in diesem Kriminalroman ebenfalls mit ein.

Der Autor erzählt die Geschichte abwechselnd von Kapitel zu Kapitel durch die beiden Hauptpersonen. Fumio Onishi ist ein Repräsentant, man könnte auch Killer sagen, der japanischen Yakuza. Ein Mann, gefangen in Tradition, Loyalität und Ehre, der die geforderte Vergeltung mit chirurgischer Präzision durchführt. Seine unerschütterliche Fassade wird jedoch zu seinem Erstaunen hier in Berlin von der Deutschen Nikola, der Freundin von Yuki O., ein wenig ins Wanken gebracht. Auf der Gegenseite steht Annegret Bartsch, Hauptkommissarin im Vietnam-Dezernat. Seit ewigen Zeiten dümpelt ihr Dezernat erfolglos vor sich hin. Auch zu Hause mehren sich die Spannungen, Tochter Lilly geht ihr zunehmend auf die Nerven, ihr Mann macht ihr fortlaufend Vorhaltungen. Die Ermittlungen könnten für Bartsch eine Art Befreiungsschlag werden.

Eigentlich eine gute Voraussetzung für ein (laut Infotext) „Katz-und Maus-Spiel zwischen der deutschen Kommissarin und dem japanischen Killer“. Aber während Fumio Onishis Kapitel konventionell durch einen personalen Erzähler vorgetragen werden, hat sich der Autor entschieden, Annegret Bartsch als Ich-Erzählerin zu nutzen. Leider als Ich-Erzählerin, die in ihren Kapitel ihre kompletten Gedankenströme dem Leser mitteilt. Peters verzichtet auf Punktsetzung, nur durch Kommata werden neben dienstlichen Gedanken vor allem die privaten Probleme Bartschs seitenlang aufgereiht. Und das begann mich nach kurzer Zeit bereits so zu nerven und zu langweilen, dass ich sehnlich das Ende von Bartschs Kapiteln erwartete. Mein Hauptproblem damit: Die fehlende Augenhöhe zwischen den Protagonisten, von Beginn an ist der Japaner der deutschen Kommissarin haushoch überlegen. Nun könnte man natürlich zurecht argumentieren, dass bei einem Katz-und-Maus-Spiel keine gleiche Augenhöhe vonnöten ist, aber Annegret Bartsch funktioniert für mich einfach nicht als zweite Hauptperson. Ihre persönlichen Befindlichkeiten langweilten mich nur, brachten kein Gegengewicht zum durchaus interessanten Japaner. Leider haben beide außerdem auch kaum Berührungspunkte innerhalb des Romans, ein echtes Katz-und-Maus-Spiel findet nicht statt.

Von diesem Roman hatte ich mir einiges mehr erhofft. Es gab auch einige gute Ansätze. die inneren Konflikte von Fumio Onishi, dessen japanische Sichtweise vor allem von Verhältnis zwischen Mann und Frau in Berlin auf eine harte Probe gestellt werden. Oder der Einblick in die Parallelgesellschaften der kriminellen Organisationen in Berlin, wenngleich Onishis Strategie der verbrannten Erde ein wenig übertrieben erscheint. Ich hätte es aber besser gefunden, wenn der Autor sich auf den Japaner als Hauptperson konzentriert hätte, denn der innere Monolog von Annegret Bartsch hat mir die Lektüre verleidet.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Der Arm des Kraken

Der Arm des Kraken | Erschienen am 17. August 2015 im Luchterhand Literaturverlag
ISBN 978-3-630-87320-6
325 Seiten | 19,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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