Nicholas Searle | Der Sprengsatz
„Die alten Regeln gelten nicht mehr. Es ist durchaus vorstellbar, dass wir einfach alles in Stücke hauen und von vorne anfangen, mit … verlässslicher Führung. Sie sind alles andere als unantastbar, weder individuell noch als Behörde. Das ist nichts Persönliches und bleibt uns hoffentlich erspart. Aber so ist die Welt heute nun mal. Wenn etwas schiefgeht, findet sich ein Sündenbock. Immer. Man muss nur richtig suchen. Gut möglich, dass diesmal ihr Verein an der Reihe ist.“ (Auszug Seiten 29-30)
Eine Stadt in Nordengland. Der Geheimdienst hat einen V-Mann in einer islamistischen Terrorzelle. Die Zelle plant einen Sprengstoffanschlag und will angeblich einen Probelauf machen. Der V-Mann Abu Omar wird kontrolliert und überwacht, doch als er den Bahnhof betritt, löst er eine Bombe aus. Ein verheerendes Attentat und der Geheimdienst ist völlig blamiert. Im Zentrum der Kritik steht Führungsoffizier Jake Winter. Er selbst grübelt darüber am meisten nach, in welchem Moment die Sache schief gelaufen ist. Wenige Monate später beginnt die politische Aufbereitung des Attentats – ein unabhängiger Untersuchungsausschuss, in den Jake als (anonym bleibender) Zeuge geladen ist. Er befürchtet, dass man ihn als Sündenbock brandmarkt. Doch zeitgleich bietet sich Jake eine neue, vielleicht letzte Chance: Ein Islamist hat sich als V-Mann angedient. Auch er ist Teil einer Zelle, die einen noch größeren Anschlag vorbereitet. Jake setzt alles daran, seine Fehler nicht zu wiederholen und diesmal an die Hintermänner heranzukommen.
Den Autor Nicholas Searle umgibt eine gewisse mysteriöse Aura. Viel erfährt man nicht über ihn. Brite, studierte Sprachen unter anderem in Göttingen, war danach lange im Staatsdienst in seiner Heimat und in Neuseeland. Zu seinem Debütroman „The Good Liar“ (dt. „Das alte Böse“) ließ sein britischer Verlag verlauten: „[he] is not allowed to say more about his career than that he was a senior civil servant for many years“. Das klingt natürlich sehr undurchsichtig und geheim und erinnert natürlich an Koryphäen wie John le Carré, der seine Jahre als Geheimdienstler gewinnbringend in seine Romane umzusetzen wusste und noch weiß.
Und in diese Tradition kann man Der Sprengsatz in jedem Fall einordnen. Searle beschreibt einen Geheimdienst in schwieriger Lage und mit den zu erwartenden internen Machtspielen und Illoyalitäten. Islamische Gefährder und Rückkehrer aus den Kampfgebieten können jederzeit Anschläge verüben, die Zuverlässigkeit der eigenen V-Männer ist unklar, ausländische Dienste spielen ihr eigenes Spiel. Im konkreten Fall gab es bereits einen verheerenden Anschlag und die Schuldsuche hat eingesetzt. Jake Winter wäre der passende Schuldige. Und vermutlich wäre er schon längst vom Dienst suspendiert, wenn er nicht der Kontaktmann für den nächsten wichtigen V-Mann in der Szene wäre. Doch die Messer werden gewetzt.
Dramaturgisch löst der Autor die Verbindung zwischen altem und neuem Fall sehr geschickt und lässt Jake Winter zwischen Untersuchungsausschuss und V-Mann-Betreuung hin und her pendeln. Nach und nach kommt ein wenig mehr Licht in den alten Fall und zeitgleich spitzt sich die Situation aufs Neue zu. Dabei setzt Searle auf wechselnde Perspektiven. Er begleitet neben Winter weitere Personen des Geheimdienstes, die vier Personen der neuen Terrorzelle und ein Ehepaar mit pakistanischen Wurzeln, das im ersten Anschlag Sohn und Enkeltochter verlor.
Gerade die Abschnitte mit dem Ehepaar Masoud und den Islamisten haben mir auch am besten gefallen. Aus diesen Figuren holt der Autor viel heraus, wohingegen die Hauptfigur Jake Winter über weite Strecken eher vage und ungreifbar bleibt (Geheimdienstler halt). Aber insgesamt überzeugt dieser Thriller mit einem realistischen Plot, sehr gelungenen Dialogen und einem guten Spannungsbogen.
Rezension und Foto von Gunnar Wolters.
Der Sprengsatz n| Erschienen am 18. Juni 2019 bei Kindler im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-463-40721-0
304 Seiten | 20.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe