C. R. Neilson | Das Walmesser
Ich starrte auf das Messer und wünschte, es würde einfach wieder verschwinden. Ich wünschte, ich könnte mich erinnern, woher ich es hatte. Wozu es gebraucht worden war.
Auf dem Dalavegur – der Straße, die ich gerade entlangging- fühlte ich mich plötzlich viel zu exponiert. Das blutbesudelte Messer in der Hand, stand ich auf dem Gehsteig und konnte nur erahnen, an wie vielen Gardinen bereits gezupft wurde, da meine Schritte durch die Nacht hallten. (Auszug Seite 13)
Böses Erwachen
Der Krimi Das Walmesser des schottischen Schriftstellers C.R. Neilson entführt uns auf die Färöer, ein zu Dänemark gehörendes Archipel von 18 Inseln im Nordatlantik. Hier in der Hauptstadt Tórshavn wacht der Ich-Erzähler John Callum nach einer durchzechten Nacht im Freien auf. Er liegt in einem desolaten Zustand auf einem der Steinklötze am Hafen und ist nicht in der Lage, sich vollständig an den vorherigen Abend zu erinnern. Das blutverschmierte Messer in seiner Tasche kann er sich überhaupt nicht erklären und ist schockiert, als er von einem Mord erfährt. Auf den Färörern, mit einer extrem niedrigen Kriminalitätsrate von nur einem Mord in den letzten dreißig Jahren, ist ein Mensch erstochen worden.
Rückblende
Nach diesem fesselndem Auftakt dreht der Autor die Zeit erst mal drei Monate zurück und man erfährt rückblickend die Geschehnisse bis zu diesem bösen Erwachen. John Callum, ein Lehrer aus Schottland, hat es in diesen entlegenen Winkel der Welt verschlagen, um einen Neuanfang zu wagen. Schnell findet er bei einem freundlichen Färinger Ehepaar eine Übernachtungsmöglichkeit und Arbeit in einer Fischfabrik. Callum ist nicht wählerisch und die einfache, aber körperlich harte Arbeit scheint ihn von seinen Problemen abzulenken. Denn es sind nicht nur die ungewohnt hellen Sommernächte, die ihm zu schaffen machen, auch seine immer wiederkehrenden Albträume lassen ihn nachts nicht schlafen. Diese erschütternden Träume voller Gewalt werden in kurzen Kapiteln immer wieder dazwischen geschoben und lassen erahnen, dass der Protagonist vor den Schatten seiner Vergangenheit fliehen musste. Der Autor gibt nur stückchenweise etwas aus Callums schuldhafter Geschichte preis und erst ganz zum Schluss wird diese gelüftet. Hier ist der Roman mehr Drama als Krimi.
Dafür lernt man mit Callum die Insel kennen, denn in seiner Freizeit durchstreift er mit einem befreundeten französischen Fotografen die sumpfigen Ebenen mit den vielen Wasserfällen und Fjorden. Oder er geht in eine der vielen Pubs. Hier lernt er auch Karis Lisberg kennen, eine junge, temperamentvolle Künstlerin, in die er sich verliebt.
Mit Callum hat der Autor eine ambivalente Figur geschaffen, dessen inneren Dämonen viel Raum einnehmen. Er ist nicht auf Ärger aus, geht aber Streitigkeiten auch nicht aus dem Weg, sei es mit Arbeitskollegen oder mit dem Ex-Freund von Karis. Dabei machte es für mich einen zusätzlichen Reiz aus, dass er, aufgrund seiner alkoholbedingten Amnesie es selbst nicht ausschließt, der Mörder zu sein, und man ihm deshalb bis zum Schluss nicht richtig traut.
Atemberaubende Landschaft
Der Autor nimmt sich richtig viel Zeit, denn erst nach circa zweihundert Seiten befinden wir uns wieder an der Ausgangsposition. Das muss man mögen und sich darauf einlassen, denn Neilson beschreibt ausgiebig und detailverliebt die überwältigende färöische Natur. In bildhafter, wortgewaltiger Sprache schafft er es, die einzigartige Landschaft mit all ihren Widrigkeiten darzustellen. Das wechselhafte aber fast durchweg feuchte Wetter mit viel Wind und Nebel dominiert den gesamten Alltag. In diesem rauen Klima leben die Färinger, ein bescheidener, freundlicher Menschenschlag, der vom Fischfang und der Schafzucht lebt und die Tristesse durch viele bunte Häuser mit Rasendächern zu durchbrechen versucht. Die Einwohner sind auch sehr gottesfürchtig und die Affäre zwischen John und Karis gefällt weder ihrem Vater, einem Pastor, noch ihrem Ex-Freund.
CSI aus Dänemark
Zur Unterstützung der einfachen Inselpolizei, die bisher nur mit Verkehrsvergehen oder Vandalismus zu tun hatte, kommen Spezialisten aus dem Königreich Dänemark. Die beiden Kriminalbeamten und die Expertin der Spurensicherung fühlen sich in ihrer selbstgefälligen Art den Insulanern überlegen, sollten aber den ansässigen Inspektor Broddi Tunheim nicht unterschätzen. Dieser ist der einzige, der nicht ganz von Callums Schuld überzeugt ist und mit unkonventionellen Methoden helfen will. John wird verhaftet, muss aber aus Mangel an Beweisen wieder aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Jetzt steht er natürlich komplett als Außenseiter da.
Blutige Waljagd
Es gelingt Neilson sogar, die traditionelle, aber weltweit umstrittene Grindwaljagd ganz homogen in den spannenden Showdown einzufügen ohne zu werten oder zu urteilen. Bei dem Grinddarap, ein wichtiger kultureller Aspekt des Landes, werden die Tiere zu Hunderten in eine Bucht getrieben und dort abgeschlachtet. Das detailliert geschilderte Schauspiel der blutigen Waljagd, bei der sich das ganze Meer rot verfärbt, setzte mir sehr zu und war nur schwer zu ertragen. Für die Färinger gehört das zur Nahrungsbeschaffung und am nächsten Tag wird das Fleisch unter den Einheimischen gerecht aufgeteilt.
„Unsere Wale werden schnell getötet. Tiergerecht. Es geht nicht tiergerechter, als das Rückenmark durchzuschneiden. Es geht nicht schneller. Findest du es besser, wenn man den Kühen einen Bolzen in den Kopf schießt? Die Wale haben wenigstens ihr ganzes Leben in Freiheit gelebt und nicht in Käfigen wie die Hühner in diesen Fabriken.“ (Seite 182)
Fazit
Freunde rasanter Krimis werden hier keinen großen Spaß empfinden, dafür ist dieser schwermütige, düstere Krimi, dessen zweite Hauptfigur die raue, ursprüngliche Natur ist, einfach auch zu sehr Reiseführer. Gerade die niedrige Kriminalitätsrate auf den Färörern hat C.R. Neilson gereizt, seinen Kriminalroman Das Walmesser genau hier anzusiedeln. Für meinen Geschmack hätten es etwas weniger Traumsequenzen sein dürfen, aber davon abgesehen fand ich den Krimi handwerklich perfekt gemacht und ich habe die Atmosphäre sehr genossen. Durch die Augen seiner Hauptfigur betrachtet der Autor als Außenstehender die Färöer und macht damit sehr neugierig auf dieses fremde Land. Und ich habe noch nie einen Roman gelesen, in dem soviel gesoffen wurde!
C.R. Neilson ist das Pseudonym von Craig Robertson, einem schottischen Schriftsteller, der jahrelang als Journalist tätig war und von dem bereits einige Kriminalromane in Deutschland erschienen sind.
Rezension und Foto von Andy Ruhr.
Das Walmesser | Erschienen am 28. Dezember 2016 bei Heyne
ISBN 978-3-453-41967-4
512 Seiten | 14,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
Diese Rezension erscheint im Rahmen unserer Blogkooperative Insel-Spezial.
4 Replies to “C. R. Neilson | Das Walmesser”
Hat dies auf Die dunklen Felle rebloggt und kommentierte:
Heute geht es weiter mit dem Insel-Spezial. Der Beitrag kommt heute von Andy aus dem Kaliber.17 Team und es auf die Färöer-Inseln. Ruhig aber naturgewaltig zeigen sich die rauen Inseln.
Ich war auch sehr positiv überrascht von dem Roman (hab das Hörbuch gehört), nachdem ich zahlreiche Kritiken mit „Längen“ und „Langweile“ gelesen hatte. Gut, dass die Neugierde hier gesiegt hatte. Ich habe mich immer so gefühlt, als könnte ich die Gischt selbst auf meinem Gesicht spüren!
Ja, man muss sich schon auf die ‚Langsamkeit‘ einlassen und die intensiven Landschaftsbeschreibungen genießen. Aber das Hörbuch war doch bestimmt eine geķürzte Fassung? 😉
Ja, aber gekürzt heißt nicht, dass da unendlich viel rausgenommen wurde 😉