Val McDermid | 1989 – Wahrheit oder Tod (Band 2)

Val McDermid | 1989 – Wahrheit oder Tod (Band 2)

Im zweiten Band um die Journalistin Allie Burns sind 10 Jahre vergangen, wir schreiben das Jahr 1989. Allie lebt mittlerweile in Manchester mit ihrer geliebten Partnerin Rona zusammen und ist leitende Redakteurin für den Sunday Globe. Beruflich hat sie sich weiterentwickelt und führt nun ein Team von Journalisten an. Ihr Arbeitgeber, der Medienmogul Wallace „Ace“ Lockhart ist allerdings an kritischem Investigativjournalismus nicht sonderlich interessiert und schiebt Allie in die Klatschspalte.

Mit ihrer Situation unzufrieden, stößt sie auf einen Skandal bei der Entwicklung eines AIDS-Medikamentes. Edinburgh gilt zu der Zeit als AIDS-Hauptstadt und viele HIV-Patienten sehen sich gezwungen, aus ihrer Heimat zu fliehen um überhaupt Behandlung zu erfahren. Allie bekommt Wind davon, dass obwohl bei den klinischen Studien aufgrund schädlicher Nebenwirkungen schon mehrere Teilnehmer gestorben sind, diese einfach von Edinburgh nach Ost-Berlin verlegt wurden. Allie nimmt sich Urlaub und will in Eigeninitiative die ethisch ziemlich verwerfliche Geschichte verfolgen. Durch ihren waghalsigen Alleingang, bei dem sie auch noch versucht, einem Wissenschaftler und seiner Freundin bei der Flucht aus Ost-Berlin in den Westen zu helfen, wird sie als Spionin verhaftet.

„Weißt du, was das Lustige daran ist? In der Einrichtung im Norden von Manchester gibt es fünfzehn Betten. Und mehr als die Hälfte davon ist mit euren Leuten belegt.“ Aufrichtig verwirrt fragte Allie: „Was meinst du mit ‚unseren Leuten‘?“ „Schotten. Ihr exportiert heutzutage nicht nur Whisky. Sondern auch Junkies.“ (Auszug Pos. 314)

In einem zweiten Handlungsstrang geht es um Ace Lockhart, ein hochdekorierter Kriegsveteran, ein Überlebender des Nazi-Regimes, welches sein polnisches Dorf ausgelöscht hat. Lockhart, offensichtlich angelehnt an den real existenten Robert Maxwell, steckt in finanziellen Schwierigkeiten, da er Pensionsfonds abgeschöpft hat. Hilfe erhofft er sich durch seine politischen und wirtschaftlichen Verwicklungen mit den sowjetischen Blockstaaten. Der Medienmogul beauftragt seine ehrgeizige Tochter Genevieve Lockhart, die alten Verbindungen im Osten Europas zu sichern. Sie soll sich bei idealistischen Dissidenten einschmeicheln und wird nach Berlin entsandt.

Im Gegensatz zum ersten Band um Allie konnte mich der Nachfolger nur bedingt begeistern. Er schwächelt an so vielen Stellen, als hätte McDermid ihn mit grober Nadel hastig gestrickt. 1989 war ein spannendes Jahr in der Geschichte mit vielen Wendepunkten, beispielsweise der Öffnung des Eisernen Vorhangs, der später zum Fall der Berliner Mauer mündete. Der historische Krimi ist dies leider über große Strecken nicht. Es ist die Hochzeit der AIDS-Epidemie ohne Aussicht auf Heilung. Am Anfang ist Ally auf der Trauerfeier für die Opfer des Lockerbie-Bombenanschlages. In einer amerikanischen Boeing war eine Bombe explodiert und über der schottischen Kleinstadt abgestürzt. Und es endet mit der größten Katastrophe in der Geschichte des Fußballs, als sich im Hillsborough Stadium in Sheffield ein schweres Zuschauerunglück mit vielen Toten und Verletzten abspielte. Anstatt sich hierauf zu konzentrieren, werden diese beiden Ereignisse lediglich kurz angerissen, nur um es auch noch unterzubringen. Dafür ist die Handlung rund um Ost-Berlin an vielen Stellen völlig überzogen und unglaubwürdig.

Außerdem bedient sich die schottische Autorin vieler Klischees. Als beispielsweise zwei Flüchtige Westberlin erreichen und kichernd auf alle Embleme des westlichen Kapitalismus deuten, überwältigt von den Farben und den leuchtend bunten Klamotten in den Schaufenstern, konnte ich nur mit den Augen rollen. Auch Allie, mit einem starken moralischen Kompass und großem Gerechtigkeitssinn ausgestattet, immer bereit für Außenseiter oder Schwächere in die Bresche zu springen und zu helfen, ist viel zu glatt und ohne Brüche gestaltet.

Alles in allem viel zu viele Themen, wie AIDS, Pharmamissbrauch, Schwulen- und Lesbenhass, aufhetzende Yellow-Press, Stasi, Nazis etc., die den Roman überfrachten. Allie hetzt hinter der großen Geschichte hinterher, während sie sich persönlich an den Katastrophen des Jahres sowohl abarbeitet als auch aufreibt. Der Krimianteil ist nur mäßig ausgebaut, der Schwerpunkt liegt auf den historischen Fakten. Trotzdem entfaltet er nicht die Magie wie „1979 – Jägerin und Gejagte“, bei dem ich den Zigarettenrauch förmlich riechen und das Geklapper der Schreibmaschinen hören konnte. Zusätzlich bietet der Roman einen Blick hinter die Kulissen der Medienlandschaft. Auf was man sich bei McDermid immer verlassen kann, ist eine gehörige Portion Gesellschaftskritik und authentische Zeitgeschichte.
Ich bin trotzdem auf 1999 gespannt und werde dem nächsten Band eine weitere Chance geben.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

1989 – Wahrheit und Tod | Erschienen am 3. Juli 2023 bei Knaur
ISBN 9-7834-2652-984-3
464 Seiten | 14,99 Euro
Als E-Book: ISBN 978-3-426-46660-5 | 9,99 Euro
Originaltitel: 1989 | Übersetzung aus dem Englischen von Dr. Kirsten Reimers
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezension zu Band 1 „1979“

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