Val McDermid | 1979 – Jägerin und Gejagte (Band 1)

Val McDermid | 1979 – Jägerin und Gejagte (Band 1)

Die junge Reporterin Allie Burns fängt 1979 frisch bei einer Glasgower Zeitung an. Sie ist ehrgeizig und voller Ambitionen, aber Ende der 70er Jahre haben es Frauen in der männerdominierten Journalistenszene noch schwer. Bei dem fiktiven Boulevardblatt Clarion regiert der „Boys Club“ und die wenigen weiblichen Angestellten sind für die eher leichten Frauenthemen, Familiendramen oder das undankbare Witwenschütteln zuständig.

„Die Kleine hat recht. Wenn wir es auf diese Weise angehen, wird jede Frau in Dundee Gänsehaut bekommen. Ich mag das. Seht ihr, ich hab’s euch doch gesagt, Jungs. Die weibliche Perspektive mit einzubeziehen hat seine Vorteile.“ (Auszug Pos. 1211)

Allie findet in ihrem jungen Kollegen Danny Sullivan einen Verbündeten. Dieser recherchiert in einem brisanten Fall von Steuerbetrug und Geldwäsche im großen Stil, in deren Machenschaften ausgerechnet sein eigener Bruder verwickelt zu sein scheint. Er bittet Allie um Unterstützung und sie hilft ihm nicht nur mit ihren brillanten Formulierungskünsten. Auf einer Scottish National Party kommt Allie dann zufällig einer potenziellen Separatistengruppe auf die Spur, die mit logistischer Hilfe der IRA Anschläge planen, um die Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien voranzutreiben. Als Danny sich als angeblicher Finanzier in die Gruppe einschleust, geraten die beiden aufstrebenden Journalisten in Lebensgefahr.

Allie und Danny bilden ein gutes investigatives Team und betreiben ihre Recherchen typisch für die damalige analoge Welt noch mit Telefonbüchern und Straßenkarten. Mit großem Engagement wollen sie politische und gesellschaftliche Missstände aufdecken und nach den ersten Erfolgen fühlen sie sich schon auf den Spuren der „Watergate«-Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward.

Nostalgische Zeitreise in die 1970er Jahre
1979 ist der erste Band einer 5-teiligen Reihe über die Journalistin Allie Burns, die über 5 Jahrzehnte geplant ist und die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen Schottlands aufzeigt. Da die schottische Autorin selbst in dieser Zeit einige Jahre als Reporterin bei einer Lokalzeitung in Glasgow tätig war, kann sie wunderbar ihre persönlichen Erfahrungen aus der Welt der Medien einbringen. Auch wenn tatsächlich noch ein Mord passiert, steht in dem historischen Kriminalroman die journalistische Arbeit im Vordergrund und hat im Krimiteil schon seine Schwächen. So hatte ich noch mit einem Plottwist zum Ende gerechnet, der dann ausblieb. Der Erzählstil ist betont langsam, die Geschichte plätschert auch so vor sich hin, aber es ist dem Können der Bestseller-Autorin zu verdanken, dass ich es sehr genossen habe. 1979 ist vielmehr eine Zeitreise in ein Schottland, das neben wochenlangen Minusgraden, Schneestürmen sowie Stromausfällen auch mit immensen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat. Die gesellschaftspolitischen Ereignisse dieser Zeit werden gekonnt wiedergegeben. Dabei wird Glasgow als eine Stadt der Gegensätze skizziert, in der extreme Armut neben unverhältnismäßigen Reichtum und Schönes neben Hässlichem existiert.

Speckbrötchen und klappernde Schreibmaschinen
Das erzählt Val McDermid sehr kleinteilig mit viel Nostalgie, wenn es um die tägliche Arbeit in den verrauchten Büros der Redaktion mit klappernden Schreibmaschinen und vielen fetttriefenden Speckbrötchen geht. Aber auch Homophobie, Frauenfeindlichkeit und andere Formen von Sexismus werden lebensnah beschrieben. 1979 steht Homosexualität in Schottland noch unter Strafe. Das erschwert die Lebensumstände des nicht offen schwul lebenden Danny erheblich und er steht auch privat unter permanentem Druck. Retro-Flair entsteht auch durch die Musik, die aus den Radios plärrt (es gibt eine Playlist am Ende des Buches) und Literatur, denn Val McDermid streut immer wieder Referenzen an Glasgows Literaten ein, zum Beispiel William McIlvanney, dessen legendärer Roman „Laidlaw“ 1977 den modernen schottischen Krimi begründete.

Der fesselnde Roman war für mich eine Wohltat in unserer schnelllebigen Zeit, in der sich alles verändert und vieles beängstigend oder zumindest unübersichtlich erscheint und man sich gerne der bereits abgeschlossenen Vergangenheit zuwendet. Die Geschichte, von McDermid souverän mit trockenem Humor erzählt, hat mich glänzend unterhalten und ich bin sehr neugierig auf nachfolgende Titel der Reihe, um zu sehen, wie Allie Burns sich weiterentwickelt, ihren eigenen Stil findet und sich in der männerdominierten Journalistenszene durchsetzt.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

1979 – Jägerin und Gejagte | Erschienen am 01.06.2022 bei Knaur
ISBN 978-3-426-52882-2
432 Seiten | 12,99 €
Als E-Book: ISBN B09KX9TTMT | 9,99 €
Originaltitel: 1979 | Übersetzung aus dem Englischen von Dr. Kirsten Reimers
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andys Rezension zu Val McDermids Roman „Das Grab im Moor

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