Susanne Goga | Der Ballhausmörder Bd. 7

Susanne Goga | Der Ballhausmörder Bd. 7

Die korpulente Gerda Wohlleben errötete und zeigte ihrer Freundin Irmgard kichernd das Zettelchen, das der Kellner mit der Saalpost gebracht hatte. Ick bin so jalant, nehm Ihnen bei der Hand. Wenn Se nicken, lass ick mir blicken. Bei Clärchen gab es keine Telefone, diese neue, kostspielige Mode machte sie nicht mit. Papier erfüllte den Zweck genauso gut und war auch romantischer als ein Apparat, der auf dem Tisch stand und kaum Platz für Sekt und andere Erfrischungen ließ. (Auszug Seite 11)

An einem heißen Abend im Sommer 1928 wird das Tanzvergnügen in Clärchens Ballhaus in Berlin jäh unterbrochen. Während im Saal der Witwenball stattfindet, wird die Garderobiere Adele Schmidt im Hinterhof tot aufgefunden. Alles deutet auf eine Gewalttat hin und Leo Wechsler, Oberkommissar im Berliner Morddezernat, der sich gerade auf einer Feier der Kripo im Lunapark befindet, wird informiert. Es ist Wochenende und es herrscht natürlich Hochbetrieb in dem Amüsierviertel. Leo hat die schwierige Aufgabe, in der unübersichtlichen Lage die Befragungen aller Gäste und Angestellten zu organisieren. Ausgerechnet jetzt fehlt Freund und Kollege Robert Walther unentschuldigt. Zur kurzfristigen Unterstützung stößt ein Kollege von der Politischen Polizei hinzu. Adele Schmidt wurde offenbar erstickt, nachdem sie zuvor mit Chloroform betäubt wurde.

Das Phantom von Frankfurt

Die Ermittlungen gehen in verschiedene Richtungen, zunächst führen aber alle Spuren in Sackgassen. Die bei allen beliebte Adele lebte in einfachen Verhältnissen, wie konnte sie sich das teure Seidenkleid leisten, dass sie am Tage ihrer Ermordung trug? Verdächtig macht sich auch ihr kommunistischer Exfreund, der mit der Trennung nicht gut zu Recht kam und ein kurz nach der Tat nicht mehr aufzufindender Pianist sorgt für ordentliche Verwirrung. Die patente Clara Bühler kann sich keinen Anschlag von Konkurrenten vorstellen, zu sehr halten sie und ihre „Saalschwestern“ zusammen.

Erst als kurz darauf ein junges Mädchen in einem Berliner Park vergewaltigt wird, kommt Bewegung in die Ermittlungen. Das Opfer wurde ebenfalls vorher mit Chloroform betäubt und Wechsler findet einen Hinweis auf eine einige Jahre zurückliegende Vergewaltigungsserie in Frankfurt. Der Täter wurde nie gefasst und in der Öffentlichkeit „Das Phantom von Frankfurt“ genannt.

Meine Meinung

Im bereits siebten Band der Reihe entführt Susanne Goga den Leser in die schillernde Welt der Tanzpaläste und Amüsierbetriebe der damaligen Zeit, auch die Schilderung der Verhältnisse der ärmeren Bevölkerung kommt nicht zu kurz. Die privaten Probleme der Ermittler drängen sich nicht in den Vordergrund, aber Susanne Goga nutzt hauptsächlich in Nebensträngen das Alltagsleben ihrer Figuren, die Lebensumstände der damaligen Zeit oder die Situation der Frauen in der Gesellschaft darzustellen. Auch die politische und gesellschaftliche Lage wird durch die Nebenfiguren illustriert. Und wenn man die Serie von Anfang an verfolgt, will man natürlich wissen, wie die vertrauten Charaktere sich entwickeln, was sie erleben. Zum Beispiel wenn Wechslers Sohn Georg von Hitlerjungen verprügelt wird oder seine naturwissenschaftlich interessierte Tochter Marie eine Ausbildungsstelle für medizinisch-technische Assistentinnen besucht. Den Streit zwischen Leo und seinem Freund Robert fand ich etwas konstruiert. Dieser wird in eine kleine Außenstelle strafversetzt und lernt hier national gesinnte Kollegen kennen. Das könnte in einem weiteren Band noch interessant werden.

Der Mord ist recht unspektakulär und könnte auch in einer anderen Zeit spielen. Der gut konstruierte Krimiplot ist eher verzwickt als atemlos spannend und kommt ohne große Actionszenen aus, bietet aber durchaus fesselnde Unterhaltung. Es macht einfach Spaß, Wechsler und seine Kollegen bei ihren akribischen Ermittlungen über die Schulter zu schauen. Die Krimihandlung wird in eine atmosphärische, authentische Schilderung des Lebens im Berlin der 1920er Jahre eingebettet, und was die Reihe so lesenswert macht, ist dass man über die zeitspezifischen Verhältnisse der gar nicht so goldenen Jahre wie nebenbei erfährt.

Seit 1913 wird in Clärchens Ballhaus in Berlin getanzt. Noch heute steht der Tanzpalast, benannt nach seiner Betreiberin Clara Bühler, fast unverändert mit Livemusik und Spiegelsaal in der Auguststraße. Neben Abendveranstaltungen fanden auch immer Tanzkurse statt. Seit Ende 2019 ist das Ballhaus allerdings geschlossen, der neue Besitzer will das Kultlokal nach Sanierungen wieder eröffnen.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Der Ballhausmörder | Erschienen am 21. Februar 2020 im dtv Verlag
ISBN 978-3-423-21808-5
320 Seiten | 10.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert