Sophie Kendrick | Das Gesicht meines Mörders

Sophie Kendrick | Das Gesicht meines Mörders

„Ich will um Hilfe schreien, doch kaum öffne ich den Mund, kriecht die Dunkelheit hinein und erstickt jeden Laut. Ich muss würgen, kriege kaum noch Luft.
In dem Moment erblicke ich einen Schatten, der sich auf mich zubewegt, etwas Graues in all dem Schwarz. Es ist ein Mann.
Ich will die Arme nach ihm ausstrecken, aber sie sind genauso gelähmt, wie der Rest meines Körpers.
Der Schatten kommt näher, jetzt ist er über mir. Er hält etwas in der erhobenen Hand. Der Gegenstand schimmert unheildrohend. Und da begreife ich.
Er ist nicht mein Retter.
Er will mich umbringen.“
(Auszug Seite 112)

Clara Winter erwacht aus dem Koma und kann sich an nichts erinnern. Ihre komplette Vergangenheit ist ausgelöscht, nicht einmal ihren Namen kennt sie. In ihrem Haus wurde sie von einem Unbekannten niedergeschlagen und ist fast in dem Feuer gestorben, das der Einbrecher anschließend gelegt hat. Sie muss sich ausschließlich auf die Erzählungen ihres Ehemannes Roland verlassen. Nach dem ersten Schock beschließt Clara, sich auf die Spuren ihrer Vergangenheit zu begeben, um so herauszufinden, wer sie ist und ihren Erinnerung so vielleicht etwas auf die Sprünge zu helfen.

Dabei findet sie heraus, dass ihr Vater damals mit ihrer Schwester Isabel aus der DDR geflohen ist und sie und ihre Mutter zurückgelassen hat. Außerdem leidet sie wohl an einer psychischen Krankheit, hat Verfolgungswahn und Paranoia. In der Mülltonne im Garten ihres verbrannten Hauses findet sie ihr Smartphone, auf der eine Nachricht von Isabel ist, die darauf schließen lässt, dass sie sich mit ihr treffen wollte. Und die Geschichte, die Roland ihr über die Tat in ihrem Haus erzählt, klingt auch nicht sehr schlüssig. Wem kann man eigentlich trauen, wenn man nichts mehr weiß? Kann man sich eigentlich selbst noch trauen? Was ist an dem Tag wirklich passiert?

Das Gesicht meines Mörders von Sophie Kendrick finde ich sehr spannend. Ich habe das Buch in kürzester Zeit gelesen, weil es fesselnd und flüssig geschrieben ist. Die Geschichte ist in mehrere Abschnitte unterteilt, die die Phasen nach dem Gedächtnisverlust beschreiben, wie „Zweifel“, „Verrat“ und „Schmerz“. Wie es sich für einen guten Psychothriller gehört, kommt zum Ende die messerscharfe Wendung, in der auch ich als Leser alles überdenken musste, was ich vorher gelesen und welche Meinung ich mir gebildet hatte. Clara ist mir dabei sehr sympathisch. Sie bleibt immer kritisch und hinterfragt für sich alles, was sie hört, immer wieder mit dem Hintergedanken, wem sie überhaupt trauen kann. Roland macht auf mich keinen besonders Vertrauen erweckenden Eindruck, aber wenn man sonst keinen hat, muss man sich wohl erstmal auf die Vergangenheit einlassen, die einem erzählt wird. Zum Ende hin ist Clara nach einem Traum fest davon überzeugt, dass sie selbst mit dem Hausbrand zu tun hat und will mit Tabletten und ausgeschnittenen Pulsadern Suizid begehen, wird aber von Roland in letzter Minute gerettet. Diese Passage finde ich etwas zu dramatisch, ansonsten kann ich mich gut in die Gedanken und Ängste von Clara hineinversetzen.

Sophie Kendrick lebte in verschiedenen europäischen Ländern, unter anderem in Großbritannien, wo sie englische Literatur studierte und über die Schwestern Brontë forschte. Sie arbeitete in einer Agentur für Buchprojekte und als Ghostwriterin, bevor sie ihren ersten eigenen Roman schrieb (Klappentext).

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

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Das Gesicht meines Mörders | Erschienen am 16. Dezember 2016 bei Rowohlt
ISBN 978-3-49927-273-8
320 Seiten | 9,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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