Ralph Westerhoff | Kalte Fluten

Ralph Westerhoff | Kalte Fluten

„BEREUEN“
„Gnade“, winselte er. „Gnade.“
„Gnade hat nur verdient, wer auch gnädig war.“ (Auszug Seite 232)

Wolfgang Franke ist der Hauptkommissar der Mordkommission Rostock. 1992 ist er mit seiner Frau Caroline und der damals 13jährigen Tochter Lydia von München nach Rostock gezogen. Nach der Wende hat sich hier für ihn der berufliche Aufstieg geboten und er hat die Chance ergriffen. Mit seiner Familie hat er ein reetgedecktes Haus in Graal-Müritz gekauft, in unmittelbarer Ostseenähe. Aber der Schein trügt. Lydia hat in der neuen Heimat keinen Anschluss gefunden und wurde in ihrer Klasse wegen ihrem bayerischen Akzent gehänselt. Nach und nach kapselt sie sich von ihren Eltern ab und gerät dann auf die schiefe Bahn. Lydia wird Heroin abhängig. Nach einer fast tödlichen Überdosierung kann Lydia nur gerade so von den Sanitätern gerettet werden und wird auf Wunsch ihres Vaters in eine Entzugsklinik eingewiesen. Auf der Heimfahrt nach der Entlassung flieht die junge Frau aus dem Auto. Nach einiger Zeit wird Wolfgang zu einem Einsatz gerufen. In einem Zugabteil wurde eine Tote gefunden. Lydia. Sie hat als Bodypackerin Drogen geschmuggelt und ein Päckchen ist in ihrem Körper geplatzt. Wolfgang schwört sich, dass er den Verantwortlichen für den Tot seiner Tochter finden und zur Rechenschaft ziehen wird. Mit großer Wahrscheinlichkeit hat ihr Freund Fritjof Hansen damit zu tun. Er ist der Polizei als Drahtzieher in der Rostocker Drogenszene bekannt, aber ihm kann wieder nichts nachgewiesen werden. Nach mehreren Wochen wird dann ein Sarg an einem See bei Bauarbeiten gefunden. Hansen wurde bei lebendigem Leib begraben. Im Sarginneren wurde das Wort „Bereuen“ eingraviert. Die Presse stürzt sich auf Wolfgang, er hat schließlich auch in einem Verhör Rache angedroht. Selbst seiner langjährigen Kollegin Wiebke Sollich kommen Zweifel: hat Wolfgang wirklich Selbstjustiz verübt? Dann entdecken Kinder in einem ehemaligen und stillgelegten LPG-Gebäude bei Schwerin zwei völlig zerfetzte Leichen. Auch bei Ihnen wird ein Schild mit „Bereuen“ gefunden. Wiebke arbeitet auf Hochtouren, um den Serientäter zu finden.

Wiebke Sollich ist Anfang vierzig und wohl auch wegen ihrem Beruf bei der Polizei noch immer Single. Dann lernt sie bei einem Einsatz den Psychiater Thomas kennen. Sie gehen zusammen aus und er trägt sie auf Händen. Wiebke ist hin und weg, Thomas ist der Schwiegersohn, den sich auch ihre Mutter immer gewünscht hat. Aber dann kommen langsam auch einige Macken zum Vorschein. Thomas ist sehr diszipliniert, er geht jeden Tag pünktlich um 23 Uhr ins Bett, da gibt es auch keine Ausnahmen. Selbst als Wiebke bei ihm eingezogen ist, darf sie nicht an sein Festnetz-Telefon gehen, denn es könnte ja einer seiner Patienten sein, und wenn der im Notfall dann eine fremde Stimme hört, kann etwas Schreckliches damit ausgelöst werden. Und Sex gibt es nur samstags im Dunkeln und wenn ein Handtuch untergelegt wird. Danach schlafen sie getrennt. Trotzdem nimmt sie diese ganzen Kompromisse in Kauf, auch um ihre Mutter glücklich zu machen. Ihre Mutter ist bereits lange verstorben, aber in Gedanken redet Wiebke noch mit ihr, wenn es um die Männer geht. Ihre Mutter ermahnt sie dann oft, dass sie sich nicht so haben soll, sie hat jetzt schließlich einen Arzt.

Günter Menn, der Freund von Wiebke und Wolfgang, ist Oberstaatsanwalt. Als er erpresst wird, vertraut er sich Wiebke an. Gemeinsam finden sie eine Lösung. Günter ist in Wiebke verliebt. Er hat es ihr aber noch nie gesagt, da er eine gewisse sexuelle Vorliebe hat, von der er denkt, dass sie Wiebke nicht gutheißen wird. Da er darauf aber auch nicht verzichten kann, hält er mit seinen Gefühlen lieber hinter dem Berg. Als er dann Thomas kennenlernt, ist er sich aber sicher, dass er sie nicht glücklich machen kann. Auch Wiebkes Onkel ist sich da sicher. Randolf und Günter lernen sich wegen der Erpressung kennen.

Thomas Schulte hatte eine schreckliche Kindheit. Sein Vater hat ihn, seinen Bruder Daniel und die Mutter regelmäßig geschlagen und verprügelt. Daniel hat er außerdem missbraucht. Eines nachts hat Daniel seine Eltern dann mit einem Baseballschläger umgebracht. Nach diesem Vorfall sind beide Kinder dann ins Heim und später zu Pflegeeltern gekommen. Thomas hat sich gefangen, sein Abitur nachgeholt und studiert. Von Daniel hat er seitdem nichts mehr gehört. Doch dann ruft er eines Tages an und sie treffen sich. Wiebke will mit Daniel aber nichts zu tun haben, schließlich ist er trotz aller Umstände ein Doppelmörder.

Die Ortsbeschreibungen, vor allem von Rostock, sind in dem Küsten-Krimi Kalte Fluten von Ralph Westerhoff  sehr schön detailliert. Trotzdem finde ich die Geschichte nicht besonders gelungen, ehrlich gesagt. Das Buch besteht aus drei Teilen. Der gesamte erste Teil befasst sich ausschließlich mit Lydia und der Drogenszene bis hin zu ihrem Tod. Im zweiten Teil geht es um vieles drum herum, aber der Serienmörder ist noch nicht wirklich auf der Bildfläche. Beispielsweise wird beschrieben, wie Wiebke sich in den Psychiater Thomas Schulte verliebt und dass ihre Beziehung etwas sonderbar ist. Außerdem kommt Wolfgang mit dem Tod seiner Tochter nicht zurecht und versucht seinen Schmerz mit Alkohol zu bekämpfen. Dadurch ist er seit einem Jahr nicht arbeitsfähig und Wiebke übernimmt seinen Job mit. Und dann braucht der gemeinsame Freund von Wolfgang und Wiebke noch Hilfe, da er erpresst wird. Dafür holt sich Wiebke Unterstützung von ihrem Onkel Randolf. Erst im dritten Teil geht das, was auf dem Buchrücken versprochen wurde, so richtig los. Es werden noch weitere qualvoll umgebrachte Menschen gefunden, immer mit dem Hinweis „Bereuen“ am Tatort. Die Spannung ist dementsprechend so gut wie gar nicht vorhanden, weil die Handlung immer wieder durch Nebensächlichkeiten unterbrochen wird. Die Idee an sich hat aber Potenzial, finde ich. Schöner wäre es, wenn der Serienmörder, der nur solche Menschen tötet, die es zweifelsfrei verdienst haben, nicht erst nach zweihundert Seiten so richtig in Fahrt kommt. Das Ende und die Auflösung des Täters hat mich dann aber doch überrascht. Damit hätte ich so nicht gerechnet!

Ralph Westerhoff  wurde 1964 im Emsland geboren. Er studierte Rechts- und Wirtschaftswissenschaften. Danach machte er sich in München als Rechtsanwalt selbstständig. Heute lebt der Autor als selbständiger Anwalt und Dozent in Hilden in der Nähe von Düsseldorf. Kalte Fluten ist sein erstes Buch. Zwei Jahre später veröffentlicht er mit Raue See einen weiteren Küsten-Krimi um die Ermittlerin Wiebke Sollich im Emons Verlag. 2014 ist außerdem Die Werkzeuge des Teufels bei SWB Südwestbuch erschienen.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

Kalte Fluten

Kalte Fluten | Erschienen am 13. Oktober 2011 im Emons Verlag
ISBN 978-3-89705-850-7
288 Seiten | 10,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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