Lisa Sandlin | Ein Job für Delpha

Lisa Sandlin | Ein Job für Delpha

„Von den Leuten, mit denen ich seit Neuestem zu tun habe, Mr. Phelan, wissen Sie, Joe Ford, Miss Doris und Calinda Blanchard, dass ich im Gefängnis gewesen bin. … Wenn Sie etwas wissen wollen, in dem ich mich dank meiner Vergangenheit auskenne, fragen Sie mich das bitte direkt. Ich werde es Ihnen sagen. Eiern Sie nicht herum, als wollten Sie mir sagen, dass man meinen Schlüpfer sehen kann.“ (Auszug Seite 136)

Einen Job braucht Delpha Wade unbedingt. Sie ist Anfang 30, als sie in Texas auf Bewährung aus dem Gefängnis entlassen wird. 14 Jahre hat sie wegen Totschlag gesessen und jetzt will sie unbedingt wieder Fuß fassen und ihren Platz in der Gesellschaft finden. Als Leser begleiten wir sie auf ihren ersten, unsicheren Schritten bei der Wohnungs- und Jobsuche. Sie findet ein Zimmer in einem heruntergekommenen Seniorenwohnheim, dass sie kostenlos bewohnen darf, wenn sie sich dafür abends und am Wochenende um die pflegebedürftige Tante der Hotelleiterin kümmert.

Eine neu gegründete Detektei
Ihr Bewährungshelfer verschafft ihr ein Bewerbungsgespräch als Sekretärin in der neu gegründeten Detektei von Tom Phelan. Nachdem der 29-Jährige Phelan bei der Arbeit auf einer Bohrinsel im Golf von Mexiko einen Mittelfinger verloren hat, macht er sich, obwohl total unerfahren als Privatdetektiv selbständig. Tom geht hier nicht besonders strukturiert vor, aber er ist ein gutmütiger Kerl und schnell stellt sich heraus, dass Delpha, der er eine Chance gibt, für ihn ein echter Glücksgriff ist. Mit ihrer Menschenkenntnis, Klugheit und dem ihr eigenen Pragmatismus kümmert sie sich um alles, was so anfällt und macht sich damit in kürzester Zeit unentbehrlich.

Anfänglich hat Phelan Investigations mit Routineaufträgen zu tun. Ein verschwundener Junge, der in schlechte Gesellschaft geraten ist, ein nerviger Hund, der die ganze Nachbarschaft terrorisiert, ein Beinamputierter, dessen Schwester seine Prothese als Geisel genommen hat und auch der Klassiker darf nicht fehlen: Eine betrogene Ehefrau, die Bilder von ihrem Ehemann in Flagranti bestellt. Erst im letzten Drittel der Geschichte verdichten sich die bis dahin scheinbar belanglosen Geschehnisse zu einem brisanten Kriminalfall. Alles hängt irgendwie zusammen und Delpha und Tom haben es auf einmal mit Patentraub, Industriespionage und einem Serienkiller zu tun, der Delpha in tödliche Gefahr bringt. Sie bekommt auch noch die Chance auf Rache, denn sie begegnet dem Mann, der sie einst durch eine Falschaussage ins Gefängnis brachte.

Die 70er Jahre
Es sind die 70er Jahre, Creedence Clearwater Revival klingt aus dem Radio und die Menschen verfolgen Nixons Anhörungen im Watergate Skandal im Fernsehen. Mich hat tatsächlich das wunderschön gestaltete Cover gelockt sowie Delphas interessante Hintergrundgeschichte, mit der das Leben bisher nicht grade fair umgegangen ist, die ich aber hier nicht spoilern möchte. Zu Beginn hatte ich leichte Schwierigkeiten in die Geschichte reinzukommen. Lisa Sandlin hält sich nicht mit großen Erklärungen auf, sondern glänzt durch einen episodenhaften Erzählstil, bei dem mir zumindest anfänglich der umfassende Zusammenhang fehlte. Vieles war mir am Anfang zu unüberschaubar und ich suchte irritiert den roten Faden. Ich musste mich erst an den ambitionierten Schreibstil gewöhnen, der besonders in den Dialogen oft schräg und witzig ist. Aber ich war von den ersten Seiten fasziniert, mitzuerleben, wie Delpha Wade sich in ihr neues, selbstbestimmtes Leben mit den noch ungewohnten Möglichkeiten eingewöhnt.

Meine Meinung
Sandlin beschreibt sehr einfühlsam und mit großer Wärme wie unsere Protagonistin jede neue Erfahrung in Freiheit erlebt und sei es nur ihre Freude über ein eigenes Zimmer zum Abschließen. Sie ist ein ruhiger und zurückhaltender Mensch, will nichts falsch machen oder auffallen und sich an die Bewährungsauflagen halten. Sie ist auch smart und lebenshungrig und man freut sich mit ihr über die Affäre mit einem 20-jährigen College-Studenten. Sandlin hat ein Händchen für die Atmosphäre der 70er Jahre im südöstlichen Beaumont in Texas. Ihre Milieuschilderungen sind sehr stimmig und sie entwirft großartige Sprachbilder. Besonders sinnlich und wunderschön beschrieben fand ich einen Ausflug ans Meer, den Delpha mit ihrem jungen Freund unternimmt.

Die Fälle der Detektei, die ja erst mal unspektakulär sind, werden logischerweise sehr kleinteilig beschrieben, was dem ganzen Roman aber eine große Gelassenheit gibt. Dann werden aber mit überraschender Lässigkeit alle Teile zusammen geknüpft und Tom und Delpha kommen einer großen Verschwörung auf die Spur. Vieles hängt doch noch miteinander zusammen und das ist eigentlich sehr gut konstruiert. Ein ganz besonderer, literarischer Kriminalroman um zwei Außenseiter in Texas.

Die Autorin
Die amerikanische Autorin Lisa Sandlin schrieb ihr Romandebüt mit 64, vorher war sie mit Kurzgeschichten und Essays hervorgetreten. Die Professorin stammt aus Beaumont, Texas und lehrte an der Universität von Omaha/Nebraska Creative Writing. Heute lebt sie in Santa Fe, New Mexico, wo sie Schreiben unterrichtet. „Ein Job für Delpha“ wurde mit dem Hammett Prize und dem Shamus Award 2016 ausgezeichnet. 2020 ist der Folgeband „Family Business“ erschienen und ich würde gerne Delpha und Tom auf ihrem Weg weiter verfolgen.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Ein Job für Delpha | Erschien am 10. Juli 2017 im Suhrkamp Verlag
ISBN 978-3-5184-6779-4
350 Seiten | 9,95 Euro
Originaltitel: The Do-Right
Bibliografische Angaben & Leseprobe

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