Kategorie: Abgehakt

Kurzrezensionen

Abgehakt | Oktober 2020

Abgehakt | Oktober 2020

Unsere Kurzrezensionen zum Ende Oktober 2020

 

Thomas Mullen | Die Stadt am Ende der Welt

Winter 1918: Der erste Weltkrieg ist noch nicht beendet. Die Amerikaner sind letztlich doch auf Seiten der Alliierten in den Krieg eingetreten und müssen Verluste auf dem Schlachtfeld verkraften. Die USA sieht sich allerdings durch die Pandemie der Spanischen Grippe einer neuen Bedrohung ausgesetzt. Tief in den Wäldern des Staates Washingtons liegt die junge Holzfällerstadt Commenwealth. Gründer Charles Worthy hat die Stadt bewusst als Gegenentwurf zum ausufernden kapitalistischen System gegründet. Nun finden sich dort ehemalige Gewerkschafter, Anarchisten, Kommunisten, Kriegsdienstverweigerer. Als die Grippe immer näher kommt, entschließt sich Worthy und die Gemeinschaft zu einem radikalen Schritt: Die Stadt begibt sich in Isolation und schottet sich von der Außenwelt ab. Das Betreten der Stadt von Fremden soll unter allen Umständen verhindert werden. Da nähert sich aus den Wäldern kommend ein Soldat den Absperrungen.
„Die Stadt am Ende der Welt“ ist der Debütroman von Thomas Mullen aus 2006, der in Deutschland zuletzt durch die Reihe um schwarze Polizisten in Atlanta bekannt wurde. Dieser Roman hier wurde natürlich durch die aktuelle Corona-Pandemie wieder schlagartig interessant und dadurch erneut auf Deutsch veröffentlicht.

Der Roman folgt über weite Strecken bekannten Muster von Pandemie-Thrillern oder Dystopien. Eine Gemeinschaft wird durch die Bedrohung stark auf die Probe gestellt und die Harmonie und Solidarität weicht nach und nach Angst, Misstrauen und Panik. Das ist aus meiner Sicht passabel und solide dargestellt, ohne allerdings aus meiner Sicht herauszuragen. Auch die zahlreichen Rückblenden auf die Vorgeschichten der Figuren verlangsamen den Erzählfluss. Was mich allerdings überzeugt hat, ist die Verbindung, die Mullen zwischen den Kriegsanstrengungen der USA und der Pandemie zieht. Tragisch und absurd wie bei der Situation einer nationalen Tragödie wie der Spanischen Grippe auch noch der letzte Kriegsdienstverweigerer aus den Wäldern geholt werden soll.

Die Stadt am Ende der Welt | Erschienen am 29.09.2020 im Dumont Verlag
ISBN 978-3-8321-8151-2
480 Seiten | 18,- €
Originaltitel: The Last Town on Earth
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Spannungsroman

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu Thomas Mullens Roman „Darktown

 

Don Winslow | Broken

Don Winslow ist bekannt für ausufernde Thrillerepen, beispielsweise seine Kartell-Trilogie. Nun hat er sich an eine Kurzform gewagt. „Broken“ ist eine Sammlung von sechs Novellen, in denen Winslow außerdem viele alte Bekannte aus früheren Büchern wieder zurückholt.

„Broken“ erzählt die Geschichte von Drogencop Jimmy McNabb in New Orleans, der eine Fehde mit einem brutalen Drogendealer austrägt. „Crime 101“ erzählt ein Raub-Story entlang des Pacific Coast Highway mit Steve McQueen-Reminiszenzen. In „The San Diego Zoo“ wird aufgeklärt, wie ein Affe im Zoo an eine geladene Waffe kam. In „Sunset“ ist Kautionsbürge Duke Kasmajian auf der Suche nach einem Kautionsflüchtling. „Hawaii“ erzählt eine Geschichte von Ben, Chon und O (bekannt aus Savages), als sie auf Hawaii Revierkämpfe mit lokalen Gangs geraten. Zuletzt kommt „The Last Ride“, in der der Grenzschützer Cale Strickland ein Mädchen aus einem Auffanglager gegen die Vorschriften mit seiner Mutter wieder vereinen will.

Sechs Geschichten über Gewalt, Drogen, Loyalität und Moral. Geradlinig und kurzweilig erzählt, von hartgesotten, lässig bis berührend bieten diese Storys eine faszinierende Bandbreite. Absolutes Highlight ist „The Last Ride“. Winslow zeigt sich mit diesen Geschichten in Topform.

Broken | Erschienen am 24.03.2020 bei HarperCollins
ISBN 978-3-95967-489-8
512 Seiten | 22,- €
als E-Book: ISBN 978-3-95967-488-1 | 14,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 5 von 5;
Genre: noir/hardboiled

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu Romanen von Don Winslow

 

Vincent Hauuy | Der Dämon von Vermont

Vor einigen Jahren verlor Profiler Noah Wallace bei der Jagd auf einen Serienmörder seine Frau bei einem Autounfall und wurde selbst schwer verletzt. Nun fristet er mit großen körperlichen und psychischen Problemen ein zurückgezogenes Leben. Da holt ihn sein ehemaliger Partner überraschend ab und fährt mit ihm zu einem Mordschauplatz im benachbarten Kanada. Der Täter hat eine Nachricht an Noah hinterlassen. Die gesamte Vorgehensweise deutet wieder auf den „Dämon von Vermont“ hin. Doch der ist doch damals beim Unfall ebenfalls verstorben. Oder etwa nicht?

Serienmörder-Thriller sind so eine Sache. Eigentlich nicht mehr mein bevorzugtes Subgenre, gibt es da doch viel Schund. Aber es gibt auch Ausnahmen. Leider zählt dieser hier nicht dazu. Was man zumindest noch positiv sagen kann: Es ist halbwegs spannend. Und der Hintergrund der Story, das MKULRA-Programm der CIA zu Bewusstseinskontrolle, ist nicht uninteressant. Die Umsetzung ist aber nur mäßig, der Plot ist für meinen Geschmack zunehmend abstrus. Auch was die handwerklichen Dinge betrifft, reißt mich das Ganze nicht vom Hocker. Maue Dialoge und vom personalen Erzähler zäh vorgetragene Gedanken der Figuren machen die Lektüre nicht besser. Der Kanadier Vincent Hauuy gewann mit diesem Debütroman einen vom französischen Bestsellerautor Michel Bussi gestifteten Literaturpreis. Warum auch immer.

Der Dämon von Vermont | Erschienen am 19.09.2020 im Tropen Verlag;
ISBN 978-3-608-50473-6
448 Seiten | 17,- €
Originaltitel: Le tricycle rouge
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 1,5 von 5;
Genre: Thriller

 

Rezension 1 bis 3 sowie die dazugehörigen Fotos von Gunnar Wolters.

 

Wolf S. Dietrich | Friesisches Gift

Auf der ostfriesischen Insel Langeoog werden Heroin-Päckchen angeschwemmt, aber als die Polizei diese sicherstellen möchte, sind sie verschwunden. Dann wird ein Journalist vermisst, der unter anderen über diese Angelegenheit berichten wollte und den Dieben offenbar zu nahe gekommen ist. Rieke Bernstein vom LKA ermittelt in beiden Fällen.

Der dritte Fall um die Kommissarin Bernstein hat sich für mich flüssig gelesen, der Schauplatz bringt Urlaubsfeeling mit und die Geschichte ist spannend geschrieben. Trotzdem konnte der Fall mich nicht völlig überzeugen, da die Ermittlungen für meinen Geschmack zu dramatische Ausmaße annehmen und mir die Protagonistin bis zum Schluss unnahbar vorkam.

Friesisches Gift | Erschienen am 28.02.2019 im Lübbe Verlag;
ISBN 978-3-40417-787-8
416 Seiten | 10,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5;
Regionalkrimi

 

Katharina Peters | Todesklippe

Ein Polizeipsychologe aus Rostock kommt bei einem Motorradsturz ums Leben. Ein Kollege glaubt nicht an einen Unfall und so wird die Privatdetektivin Emma Klar aus Wismar eingeschaltet, die erst verdeckt, aber später auch offen ermittelt. Und plötzlich kommen noch ganz andere Ungereimtheiten ans Licht…

„Todesklippe“ von Katharina Peters fand ich spannend zu lesen. Es handelt sich um einen sehr weitverzweigten Fall, bei dem die ermittelnden Beamten nicht immer den vorgeschriebenen Dienstweg einhalten, um ans Ziel zu kommen. Emma Klar als Protagonistin konnte mich ebenfalls überzeugen, nur das Ende wäre für meinen Geschmack mit etwas weniger Gewalt ausgekommen.

Todesklippe | Erschienen am 12.04.2019 im Aufbau Verlag
ISBN 978-3-74663-543-8
352 Seiten | 9,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4,0 von 5,0
Genre: Regionalkrimi

Weiterlesen: Weitere Rezensionen von Andrea zu Romanen von Katharina Peters

Rezensionen 4+5 und dazugehörige Fotos von Andrea Köster.

Abgehakt | März 2020

Abgehakt | März 2020

Unsere Kurzrezensionen zum Quartalsende 1/2020

 

Alan Parks | Tod im Februar Bd. 2

Detective Harry McCoy wird zu einem blutigen Tatort auf dem Dach eines Hochhaus-Rohbaus gerufen. Dort wurde ein junger Mann abgeschlachtet, zusätzlich eine Nachricht in seine Brust geritzt. Der Mann war Spieler bei Celtic Glasgow – und mit Elaine Scooby verlobt, Tochter eines lokalen Gangsterbosses. Schnell ist ein Verdächtiger gefunden: Ein ehemaliger Mitarbeiter Scoobys und angeblich ein verschmähter Verehrer der Tochter. Doch als weitere Morde geschehen und ein Kampf in der Glasgower Unterwelt beginnt, dämmert es McCoy, dass noch einiges mehr dahintersteckt.

Tod im Februar ist der zweite Teil der Reihe um den Glasgower Polizisten Harry McCoy und spielt nur wenige Wochen später als Teil 1 Blutiger Januar im Februar 1973. Es gibt Wiedersehen mit Harrys Kollegen Wattie, seinem väterlichen Vorgesetzten Murray und Cooper, ebenfalls Gangsterboss und Harrys Freund aus Tagen im Kinderheim. Die Atmosphäre ist wiederum düster, das Setting in Glasgow in den 70ern ist rau und schmuddelig, voller Drogen und Alkohol. Während des Falles kommt zudem Harrys und Coopers traurige Vergangenheit wieder hoch, die sie nie ganz hinter sich lassen können und die auch ihre Handlungen in der Gegenwart beeinflussen. Harry ist ein waschechter hardboiled Cop, empathisch für die Gebeutelten, grimmig gegenüber den Bösen. Seine Beziehung zu Cooper ist als Cop natürlich hochproblematisch. Und diesmal wandelt Harry nicht nur auf der Grenze zwischen hell und dunkel, diesmal wird er sie auch überschreiten.

Insgesamt ein wirklich guter, souverän erzählter, hartgesottener Krimi mit einem sehr gelungenen Schauplatz. Hoffentlich hält die Qualität der Reihe an.

 

Tod im Februar, erschienen am 28. Oktober 2019 bei Heyne Hardcore
ISBN 978-3-453-27198-2
432 Seiten | 16.- Euro
Originaltitel: February’s Son
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Noir/ Hardboiled
Wertung: 4.0 von 5.0

Auch bei uns: Rezension zum 1. Teil der Reihe Blutiger Januar

 

Oliver Buslau | Feuer im Elysium

Wien im April/Mai 1824: Die Stadt fiebert der Aufführung der neuesten, der neunten Sinfonie vom alten Meister Ludwig van Beethoven entgegen. Lange Zeit hat man von ihm nichts mehr gehört, doch das neue Werk soll etwas ganz besonderes sein. Geradezu revolutionär. Ein Wort, dass man in Wien in diesen Tagen nicht gerne hört. Und so ist vielen Reaktionären in Adel und Beamtenschaft die Uraufführung ein Dorn im Auge. In diesen Tagen kommt der junge Sebastian Reiser in die Stadt. Er sollte die Schlossverwaltung des Edlen von Sonnberg übernehmen und später vielleicht die Tochter des Hauses heiraten. Doch nach dem Unfalltod des Edlen wurde er vom Erben des Schlosses verwiesen und muss in Wien neu anfangen. Dort trifft er auf seinen alten Musiklehrer, Teilnehmer des Premierenorchesters, und einen alten Studienfreund in Diensten der Staatsmacht, der ihn als Spitzel anheuert. Reiser soll sich in die Orchestergruppe der Uraufführung einschleusen und Umstürzler und Revolutionäre denunzieren. Doch Reiser wird von der Kraft von Beethovens Symphonie mitgerissen und befindet sich längst – zunächst ohne es zu ahnen – in der Mitte einer großen Verschwörung.

Ludwig van Beethovens Geburtsjahr jährt sich in diesem Jahr zum 250. Mal. Zeit für eine große kulturelle Vermarktung des Komponisten. Warum dann nicht auch ein Beethoven-Krimi/Thriller? Für Autor Oliver Buslau, Musikjournalist, Amateurmusiker und Krimiautor (mehrere im Umfeld klassischer Musik), lag das förmlich auf der Hand. Am überzeugendsten ist dieser historische Thriller, in dem Beethoven selbst zwar nicht so häufig, aber doch regelmäßig auftritt, wenn es um die klassische Musik und den Schauplatz und die historische Lage im Deutschen Bund und im Kaiserreich geht. Der Wiener Kongress hatte die Restauration der alten Verhältnisse zur Folge, liberales oder gar revolutionäres Gedankengut wurde verfolgt. Starker Mann war der österreichische Kanzler Metternich, der ein umfangreiches Spitzelsystem etablierte. Dagegen fallen manche Teile des Plots etwas ab. Die Hintergrundgeschichte des Sebastian Reiser überzeugt nicht so ganz, vor allem die Auflösung des Komplotts erscheint arg konstruiert. Dennoch war es insgesamt unterhaltend, weitgehend spannend und mit zahlreichen interessanten Fakten versehen.

 

Feuer im Elysium | Erschienen am 23. Januar 2020 im Emons Verlag
ISBN 978-3-7408-0616-3
496 Seiten | 22.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Historischer Thriller
Wertung: 3.0 von 5.0

James Lee Burke | Straße ins Nichts Bd. 11

Die junge Letty Labiche wartet auf ihre Hinrichtung. Sie hatte einen Mann ermordet, der auf sie und ihre Schwester in der Kindheit öfters aufgepasst hatte. Dave Robicheaux kannte die Beteiligten und verdächtigte den Mann des sexuellen Missbrauchs, ohne dass dies zu beweisen war. Er will Letty vor der Hinrichtung bewahren und recherchiert ihren Hintergrund. Dabei stößt er zufällig auf einen alteingesessenen Zuhälter, der behauptet zu wissen, dass Daves lange verschollene Mutter von Polizisten ermordet wurde. Daves Mutter hatte ihre Familie verlassen, dennoch hat ihm die Ungewissheit, was mit ihr geschehen ist, lange zugesetzt. So setzt er nun alles daran, diese Spur weiterzufolgen und macht sich dadurch natürlich einige Feinde. Dave steht irgendwann vor der Frage, ob die Verantwortlichen mit normalen Mitteln zu belangen sind oder ob er selbst für Gerechtigkeit sorgen muss.

Straße ins Nichts oder Purple Cane Road im Original erschien vor genau zwanzig Jahren als elfter Band der beliebten Reihe um Dave Robicheaux, der wie immer mit seinem besten Kumpel Clete Purcel in New Orleans und Louisiana für Gerechtigkeit sorgen will und dabei in der Wahl der Mittel ein ums andere Mal die Grenzen überschreitet, was ihn allerdings für den Leser umso interessanter macht. Dieses Mal ist der Fall sogar noch eine Spur persönlicher als sonst. Autor James Lee Burke erzählt dies wie immer kraftvoll, mit vielen interessanten Figuren, eingebettet in präzisen und bildlichen Beschreibungen der Natur und Landschaft Lousianas. Es gibt sicher noch stärkere Bände der Reihe, aber Burke ist dennoch eine sichere Bank, immer empfehlenswert.

 

Straße ins Nichts | Erstmals erschienen 2000
ISBN 978-3-86532-675-1
Die Neuauflage erschienen am 15. Januar 2020 im Pendragon Verlag
436 Seiten | 20.- Euro
Originaltitel: Purple Cane Road
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Krimi
Wertung: 3.5 von 5.0

Auch bei uns: Rezensionen zu weiteren Titeln des Autors James Lee Burke

 

Oyinkan Braithwaite | Meine Schwester, die Serienmörderin

Korede ist Krankenschwester, stammt aus einer relativ wohlhabenden Familie aus Lagos in Nigeria. Korede hat auch noch eine jüngere Schwester, Ayoola. Diese ist eine absolute Schönheit und daher auch bei den Männern sehr beliebt. Im Gegensatz zu Korede. Es gibt aber ein Problem: Ayoola hat schon drei ihrer Verehrer umgebracht.
Korede ist dann die Cleanerin, sie reinigt den Tatort und lässt die Leiche verschwinden. Dass ihre Schwester in Notwehr gehandelt hat, wie sie behauptet, kauft Korede ihr schon längst nicht mehr ab, aber an die Polizei will sie sie auch nicht ausliefern. Da ergibt sich eine neue Situation: Korede ist schon länger in einen Arzt aus ihrem Krankenhaus verliebt, ohne dass es zu einem Date oder Weiterem gekommen wäre. Doch als Ayoola sie auf der Arbeit besucht, springt der Arzt direkt auf Ayoola an und beginnt, mit ihr auszugehen.

Zwei völlig unterschiedliche Schwestern, die eine die Unscheinbare, Vernünftige, die andere die Schöne, Unbekümmerte und Tödliche. Dennoch gilt die alte Regel vom Blut, das dicker als Wasser ist, was im Laufe der Geschichte aber sehr auf die Probe gestellt wird. Autorin Oyinkan Braithwaite erzählt diese Geschichte ausschließlich aus der Perspektive von Korede, was einerseits seinen Reiz hat, andererseits die Perspektive einschränkt und keinen vollen Blick auf die Dinge erlaubt. Immer wieder werden auch Rückblicke eingestreut, die teilweise einiges erhellen, so etwa das schwierige Verhältnis zum nicht liebevollen Vater, was die Schwestern zusammengeschweißt hat. Überhaupt ist dies eine ausgesprochen feminines Buch (feministisch sogar? Ich weiß nicht.), sind doch die Männer weitgehend nur Randfiguren.

Meine Schwester, die Serienmörderin war im englischsprachigen Raum bereits äußerst erfolgreich und war gar für den Man Booker Price nominiert. Die Geschichte ist durchaus reizvoll und unterhält gut. Den Hype halte ich dennoch nur bedingt für gerechtfertigt, denn ich hatte den Eindruck, dass überall noch ein paar Prozente herauszuholen gewesen wären. So schwankt die Autorin für meinen Geschmack zu sehr in der Frage, ob sie die Geschichte eher schwarzhumorig-pulpig oder mit ernsthafter Tiefe erzielen will. Dann wäre aber mehr Tiefe in der Figur der Ayoola wünschenswert gewesen. Dennoch ist dieser Roman absolut keine Enttäuschung, sondern gut geschrieben und mit originellem Plot.

Meine Schwester, die Serienmörderin | Erschienen am 10. März 2020 bei Blumenbar im Aufbau Verlag
ISBN 978-3-351-05074-0 | ISBN 978-3-841-21898-8 (eBook)
240 Seiten | 20.- Euro, 14.99 Euro (eBook)
Originaltitel: My Sister, the Serial Killer
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Psychothriller
Wertung: 3.5 von 5.0

Rezension 1 bis 4 sowie die dazugehörigen Fotos von Gunnar Wolters.

 

Caroline Eriksson | Die Beobachterin

Elena ist Schriftstellerin und vorübergehend in ein Reihenhaus eingezogen. Während sie dort am Küchentisch sitzt und arbeitet, kann sie die Familie im gegenüberliegenden Haus beobachten und ihr fallen merkwürdige Szenen auf, die sie einerseits für ihr neues Buch nutzt, die sie andererseits aber auch immer fester davon überzeugen, dass dort bald etwas Schreckliches passiert, das sie verhindern muss.

Es handelt sich hier meiner Meinung nach um einen Thriller, der sich flüssig und auch spannend liest und der zum Ende hin einige Wendungen aufweisen kann, mit denen ich nicht gerechnet habe. Aber insgesamt fesselt er mich nicht so sehr, wie ich es mir gewünscht hätte.

 

Die Beobachterin | Erschienen am 12. November 2018 im Penguin Verlag
ISBN 978-3-328-10043-0
336 Seiten | 13.- Euro
Originaltitel: Hon som vakar
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 3.0 von 5.0

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Abgehakt | Dezember 2019

Abgehakt | Dezember 2019

Unsere Kurzrezensionen zum 4. Quartalsende 2019

 

Romy Hausmann | Liebes Kind

Eine Frau wird nach einem Verkehrsunfall schwer verletzt ins Krankenhaus eingeliefert, an ihrer Seite ihre vermeintliche Tochter Hannah. Die Frau benennt sich als Lena und sofort wird die Polizei auf einen alten Vermisstenfall aufmerksam: Vor vierzehn Jahren verschwand eine Münchner Studentin spurlos. Es stellt sich heraus, das die Verletzte nicht Lena ist, aber Hannah ist Lenas Tochter. Die Frauen wurden offenbar als Gefangene gehalten und die Verletzte konnte fliehen. In einer Hütte im Wald findet die Polizei dann auch die Leiche eines Mannes und ein weiteres Kind. Doch was genau ist geschehen?

Liebes Kind ist der Debütroman der TV-Redakteurin Romy Hausmann und war dank der Platzierung des Verlags als Spitzentitel des Frühjahrs auch ein Bestseller. Der Psychothriller lebt von seinen kurzen Kapitel- und Perspektivwechseln. Drei Perspektiven werden eingenommen: Von Jasmin (zunächst als Lena identifiziert), von Hannah und Matthias, Lenas Vater und demnach Hannahs Großvater. Dabei werden die Ereignisse durch Rückblenden bei den jeweiligen Personen teilweise erhellt, wenngleich dem Leser natürlich allzu Entscheidendes vorenthalten wird und die Erzähler nicht immer ganz zuverlässig sind bzw. sich deren eigene Wahrnehmung trübt.

Das ist alles stilistisch wirklich gut gemacht, aber der Plot reißt mich nicht zu Begeisterungsstürmen hin. Zu unrealistisch erscheint mir die Polizeiarbeit und die versteckten Hinweise lassen den weiteren Verlauf der Geschichte zumindest in Teilen erahnen. Irgendwie ist das mit mir und diesen Psychothrillern keine leichte Beziehung.

 

Liebes Kind | Erschienen am 28. Februar 2019 im dtv Verlag
ISBN 978-3-423-26229-3
432 Seiten | 15.90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Psychothriller
Wertung: 2.5 von 5.0

 

Thomas Hoeps & Jac. Toes | Die Cannabis-Connection

Staatssekretär Marcel Kamrath gilt als Mann mit Perspektive innerhalb der Bundesregierung. Eine aktuelle Gesetzesinitiative zur Legalisierung von Cannabis ist zu großen Teilen sein Verdienst, scheint er sie doch gegen massive Widerstände der konservativen Kräfte seiner Partei durchzubringen. Doch kurz vor den entscheidenden Abstimmungen taucht ein alter (totgeglaubter) Freund von Kamrath wieder auf: Der Niederländer Sander van den Haag. Beide verbindet eine intensive Freundschaft zu Studentenzeiten in Amsterdam zu Zeiten von Studentenprotesten und Hausbesetzungen Anfang der 1980er. Außerdem ein nicht ganz so legales Geschäft mit Cannabis. Und eine tote junge Frau. Sander macht Kamrath mit wachsendem Druck klar, dass er nichts von den Legalisierungsplänen der deutschen Regierung hält. Es beginnt ein gefährliches Duell, bei dem Kamrath mehr zu verlieren hat als nur seinen Gesetzesentwurf.

Das Autoren-Duo Hoeps und Toes arbeitet seit Jahren erfolgreich zusammen. Beide schreiben abwechselnd ihre Kapitel, wobei Thomas Hoeps seine auf Deutsch verfasst und die Kapitel seines niederländischen Kollegen Jac. Toes ins Deutsche übersetzt. Mit Die Cannabis-Connection haben sie einen clever konstruierten Thriller verfasst, der zum einen interessante und für mein Empfinden realistisch wirkende Einblicke ins Politikgeschäft und zum anderen einen spannenden Plot bietet. Abwechselnd zum aktuellen Geschehen flechten die Autoren immer wieder Kapitel ein, die auf die Vorgeschichte in Amsterdam 1982/83 zurückblicken. Das ist alles sehr solide geplottet, durchweg spannend und mit überwiegend glaubhaften Figuren. Nur der kleine Bruch ab dem zweiten Teil zu einer Ich-Erzählerin, einer niederländischen Ex-Geheimdienstlerin und nun Politikberaterin für heikle Angelegenheiten, hat mich etwas irritiert. Letztendlich hat mich dieser (Polit-)Thriller aber wirklich gut unterhalten.

Die Cannabis-Connection | erschienen am 15. Juli 2019 im Unionsverlag
ISBN 978-3-293-00551-8
352 Seiten | 19.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 3.5 von 5.0

 

Tom Callaghan | Erbarmungsloser Herbst

Inspektor Akyl Borubaew wird vom nicht ganz koscheren Fall einer Drogentoten abgezogen, mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert und vom Dienst suspendiert. Doch sein spezieller „Freund“, der Minister für Staatssicherheit Tynalijew, verlangt von Borubaew, einen Spezialauftrag anzunehmen. Doch als sie bei einem geheimen Treffen plötzlich beschossen werden, gerät die Situation außer Kontrolle. Borubaew flieht und schießt auf der Flucht Tynalijew nieder. Doch dieser überlebt und der vogelfreie Borubaew sucht Kontakt zum mächtigen Drogenboss Alijew.

Die vierbändige, nach Jahreszeiten aufgebaute Thriller-Serie um den kirgisischen Inspektor Akyl Borubaew hat nun mit Erbarmungsloser Herbst ihr Ende gefunden. Diese hartgesottene Krimi/Thriller-Reihe punktete vor allem durch die interessanten Figuren und die schonungslose Darstellung der Autokratie Kirgisistans bei gleichzeitiger eindrucksvoller Beschreibung von Land und Leuten. Nach einem aus meiner Sicht unnötigen Ausflug im dritten Band (Mörderischer Sommer) nach Dubai, kehrt der Autor nun wieder in Borubaews Heimat zurück, daneben gibt es einen Abstecher nach Bangkok.

Das Setting, Spannungsaufbau und auch das Thema Drogenhandel haben mich diesmal wieder überzeugt, auch wenn für mich nicht alle Wendungen plausibel waren. Callaghan schreibt wieder mit Borubaew als Ich-Erzähler in einem rauen, zynischen, fatalistischen Ton. Natürlich taucht auch Borubaews Geliebte, die Topagentin Saltanat wieder auf. Letztendlich findet diese Reihe dann ihren passenden Abschluss in einer Showdownszene in der kirgisischen Nationalgedenkstätte Ata-Bejit.

Erbarmungsloser Herbst | Erschienen am 7. Oktober 2019 im Atlantik Verlag
ISBN 978-3-455-00124-2
352 Seiten | 12.- Euro
als E-Book: 8.99 Euro (ISBN 978-3-455-00661-2)
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 3.5 von 5.0

 

Frederick Forsyth | Der Fuchs

Die amerikanische Regierung ist außer sich, hat es doch ein Hacker in den am schärfsten gesicherten Geheimcomputer der NSA geschafft – ohne Schaden anzurichten. Der Hacker wird als der 18-jährige, autistische Brite Luke enttarnt, die Amerikaner verlangen die Auslieferung. Die Briten jedoch überzeugen die Amis, dass dieser Junge mit seinen unglaublichen Fähigkeiten doch viel sinnvoller genutzt werden kann. Der ehemalige zweite Mann im MI6, Sir Adrian Weston, wird reaktiviert und sucht mögliche Ziele für Hackerangriffe. Als erstes gerät der Navigationscomputer des neuesten russischen Schlachtschiffes unter Kontrolle und sorgt für eine Havarie. Die Russen schäumen vor Wut und schwören Rache. Und sie werden nicht die einzigen bleiben, denn Sir Adrian hat schon das nächste Ziel für Luke ausgemacht.

Der mittlerweile 81-jährige Frederick Forsyth ist neben seinem Landsmann John le Carré unbestritten eine lebende Legende im Genre Polit- und Spionagethriller. Seine Thriller wie „Der Schakal“ oder „Die Akte ODESSA“ wurden millionenfach verkauft. In Sachen Spannung und brisante politische Themen bleibt sich Forsysth auch beim neuen Werk Der Fuchs treu. Das Ding ist ein rasanter Pageturner. Allerdings waren die kritischen Zwischentöne noch nie so die Sache des konservativen Forsyth. Und so stößt sich der etwas kritisch denkende Leser irgendwie schon bald daran, wie locker und lässig der MI6 mit seinem Cybergenie als Glücklos hier die größten Schurkenstaaten der Welt ausmanövriert. Auch der Plot ist nur bedingt überzeugend, vielmehr hat man das Gefühl, dass Forsyth eine Liste von fiesen Gegnern (Russland, Iran, Nordkorea) abarbeitet, die unbedingt noch in die Schranken gewiesen werden müssen. Das grundlegende Handwerk beherrscht er allerdings schon noch, was letztendlich doch etwas versöhnt.

 

Der Fuchs | Erschienen am 4. November 2019 im C. Bertelsmann Verlag
ISBN 978-3-570-10385-2
352 Seiten | 12.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Spionagethriller
Wertung: 3.0 von 5.0

 

Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

 

Weitere Krimis kurz besprochen findet ihr zu jedem Quartalsende auf unserem Blog, die bisher veröffentlichten Kurzrezensionen in der Rubrik Abgehakt.

Abgehakt | September 2019

Abgehakt | September 2019

Unsere Kurzrezensionen zum 3. Quartalsende 2019

 

Hazel Frost | Last Shot

Auf einem einsamen Parkplatz in den bayrischen Alpen wird eine russische Familie von einer Killerin attackiert. Der Vater Youri, ein Bordellbesitzer, und die erwachsenen Zwillingstöchter sterben. Der Sohn Dima bleibt unversehrt, seine Tochter Mathilda überlebt und wird von der Polizei aufgefunden. Die Killerin namens November nimmt eine Tasche voll Geld und wertvoller Waffensoftware an sich. Doch eigentlich hatte sie es noch auf etwas anderes abgesehen. Die Jagd ist noch nicht zu Ende und es mischen weitere merkwürdige Gestalten mit.

Die Autorin mit dem halbherzigen Pseudonym Hazel Frost (alias Katja Bohnet) erwähnt im Nachwort, dass Last Shot zu Beginn ihrer schriftstellerischen Karriere entstand. Inspiration für diesen ungewöhnlichen Thriller – das offenbart die Autorin selbst – waren legendäre Filmthriller aus den Neunzigern wie Pulp Fiction oder Leon – Der Profi. Und so beherbergt dieser Roman einige schräge Figuren, einen rasanten und harten Plot und eine Menge Blei und Blut. Das ist vielleicht hier und da etwas „drüber“ und bizarr, aber zumeist durchaus unterhaltsam, kurzweilig und in manchen Momenten sogar melancholisch. Insofern gar nicht übel.

 

Last Shot | Erschienen am 10. September 2019 im Droemer Verlag
ISBN 978-3-426-30642-0
368 Seiten | 14.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 3.0 von 5.0

 

John Steele | Ravenhill

Jackie Shaw kehrt nach zwanzig Jahren nach Belfast zurück, um am Begräbnis seines verstorbenen Vaters teilzunehmen. 1993 war Jackie Mitglied der loyalistischen Paramilitärs der UDA – und ein verdeckter Ermittler der Polizei. Nach einem Vorfall mit drei Toten wurde auch er für tot erklärt und aus der Schusslinie gebracht. Nun erwartet Jackie bei seiner Rückkehr nicht nur der MI5, sondern auch Rab Simpsons und Billy Tyrie, Jackies ehemalige Chefs der UDA-Sektion. Beide sind inzwischen zu Gangstergrößen aufgestiegen und verlangen von Jackie, den jeweils anderen zu töten.

Belfast oder Nordirland bieten mit den gesellschaftlichen Konflikten ein unglaublich interessantes, intensives und auch vielseitiges Setting. In Ravenhill erzählt der gebürtige Belfaster John Steele die Geschichte auf zwei Zeitebenen. Einmal einige Jahre vor und dann deutlich nach dem Karfreitagsabkommen, das die Situation oberflächlich natürlich erheblich befriedet hat. Allerdings stellt Steele auch unmissverständlich klar, dass die damaligen Protagonisten zwar mit dem Terrorismus aufgehört haben, aber weiterhin Schurken sind, die sich nun in Schutzgelderpressung oder Drogenhandel verdingen. Und die auch kaum angetastet werden, um den Frieden nicht zu stören. Allerdings verlaufen die Fronten nun auch mal innerhalb der ehemaligen Organisationen, was Rückkehrer Jackie Shaw bald feststellt.

Ravenhill ist ein komplexer Noir über Loyalität und Verrat, außerdem eine Hommage an Belfast. Der Autor schreibt hart und realistisch und zeigt auf, wie brüchig der Frieden in Nordirland immer noch ist.

 

Ravenhill | Erschienen am 1. Mai 2019 im Polar Verlag
ISBN 978-3-945133-77-4
352 Seiten | 20.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Noir/Hardboiled
Wertung: 3.0 von 5.0

 

Jutta Profijt | Unter Fremden

Die Syrerin Madiha kommt als Flüchtling nach Deutschland. Zwar ist sie Analphabetin, aber da sie als Kind nach dem Tod ihrer Mutter bei einem Verwandten mit einer deutschen Ehefrau aufwuchs, spricht sie Deutsch. Auf ihrer Flucht half ihr ihr Landsmann Harun. Nun ist dieser aus dem Flüchtlingsheim verschwunden, nicht ohne Madiha den Schlüssel zu seinem Spind mit seinen wenigen Habseligkeiten anzuvertrauen. Madiha will Harun wieder aufspüren, das glaubt sie, ihm nach seiner Hilfe schuldig zu sein. So stellt sie mit den wenigen Anhaltspunkten, die sie hat, ein paar Nachforschungen an. Und ruft damit nicht nur das LKA, sondern auch andere Personen auf den Plan, die kein Interesse an Madihas Suche haben.

Unter Fremden ist ein Roman, der sich vor allem mit seiner Protagonistin und der Erzählperspektive aus der Masse abhebt. Madiha ist eine scheue, junge, gehbehinderte Frau aus einer traditionellen Familie, die es auf der Flucht vom Bürgerkrieg nach Deutschland verschlägt. Was einerseits gut ist, da sie aufgrund eines Zufalls auch Deutsch spricht, aber was sie dennoch auf eine harte Probe stellt, da sie ganz allein nun ihren Weg gehen muss und ihr Deutschland völlig fremd ist. Diese naive, scheue Madiha mausert sich im Verlauf der Geschichte und verfolgt ihr Ziel mit Beharrlichkeit und großem Herz. Ihre Suche nach Harun, der eine andere Vergangenheit hatte, als sie glaubte, führt sie zu einem Netzwerk, das den Krieg aus Syrien bis nach Deutschland trägt. Nebenbei liefert Madiha dem Leser einen Einblick in ihr Inneres und wie die Flüchtlinge unser Land und seine Bewohner empfinden könnten, den gut organisierten, aber immer rastlosen Deutschen mit ihrem faden Essen.

Spannungstechnisch stößt die Erzählperspektive aber auch an ihre Grenzen, zu mühsam ist manchmal Madihas Weg. Und gelegentlich erscheint auch Madihas Entwicklung ein wenig zu schnell zu verlaufen. Dennoch ist Unter Fremden (für den Autorin Jutta Profijt 2018 den Friedrich-Glauser-Preis erhielt) auf jeden Fall ein lesenswerter Kriminalroman mit ungewöhnlicher Perspektive.

 

Unter Fremden | Die Originalausgabe erschien am 8. September 2017,
die Taschenbuchausgabe erschien am 21. Juni 2019, beide im dtv Verlag
ISBN 978-3-423-21774-3
336 Seiten | 10.95 Euro
E-Book: ISBN 978-3-423-43227-6 | 9.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: gesellschaftskritischer Krimi
Wertung: 3.5 von 5.0

 

Remigiusz Mróz | Die kalten Sekunden

Damien Werner macht seiner langjährigen Freundin Ewa am Flussufer einen Heiratsantrag. Doch wenig später treffen sie auf eine Gruppe betrunkener Männer. Diese schlagen Werner nieder und vergewaltigen seine Verlobte. Als Werner wieder aufwacht, ist Ewa verschwunden. Und taucht nicht mehr auf. Zehn Jahre später ist es mit Werners Leben rapide abwärts gegangen, von Ewa gibt es nach wie vor keine Spur. Doch da entdeckt ein Freund von ihm Ewa auf einem Bild bei einem Konzert. Werner engagiert eine Detektei, da die Polizei keine Anstalten macht, ihm zu helfen. Als Werners Freund ermordet wird, begibt sich Werner auf eine Jagd quer durch Polen auf der Suche nach weiteren Hinweisen auf Ewa. Unterstützt wird er aus der Ferne von Kassandra Reimann, Chefin der Detektei, die allerdings diesen Fall auch aus eigenem Antrieb verfolgt.

Remigiusz Mróz ist ein absoluter Bestsellerautor in Polen und ein Vielschreiber. Seit seinem Debüt 2013 sind bis heute 25 (!) Romane von ihm erschienen. Die kalten Sekunden ist der erste auf Deutsch erschienene und ein klassischer Thriller mit einigen üblichen Zutaten, aber auch Unerwartetem. Überzeugend sind in erster Linie die Erzählperspektiven (hier wählt Mróz mit Werner und Kassandra zwei Ich-Erzähler) und die äußerst realistische Darstellung des Hauptthemas des Buches: Häusliche Gewalt. Gerade in Polen noch ein großes Problem nutzt Mróz seine Popularität, um auf dieses Tabuthema aufmerksam zu machen. Das tut er drastisch und schockierend, aber vielleicht ist das auch nötig. Allerdings muss ich auch feststellen, dass der Plot bei mir eine Menge Fragezeichen hinterlässt. Plausibel ist das alles meiner Meinung nach nicht und daher bin ich nur mittelmäßig zufrieden.

 

Die kalten Sekunden | Erschienen am 21. Mai 2019 im Rowohlt Verlag
ISBN 978-3-499-27606-4
384 Seiten | 9.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Thriller
Wertung: 2.5 von 5.0

Alle vier Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

 

Frank Goyke | Mörder im Chat

Miriam wird mit einer Machete ermordet, einziger Zeuge ist ein Schweizer, der die Tat im Chat auf seinem Computer beobachtet hat. Die Rostocker Ermittler Jonas Uplegger (alleinerziehender Vater eines Teenagers und Ja-Sager, zuletzt hat er einen ehrenamtlichen Vorsitz angenommen, den er nicht wollte) und Barbara Riedbiester (stark übergewichtig, bekämpft gerade nicht besonders erfolgreich ihre Alkoholsucht und lässt sich von Uplegger ständig irgendetwas googeln) ermitteln in dem Fall und treffen bald auf einige Ungereimtheiten im Leben des Opfers.

Mörder im Chat von Frank Goyke liest sich meiner Meinung nach durch umständliche Formulierungen und viele Fremdwörter nicht sehr flüssig. Außerdem werfen die Protagonisten mit viel Fachwissen auf unterschiedlichen Ebenen um sich. Wer sich aber in Rostock auskennt, wird seine Freude haben und an einigen Stellen konnte ich wirklich lachen.

 

Mörder im Chat | Erschienen am 27. März 2013 im Hinstorff-Verlag
ISBN 978-3-35601-574-4
336 Seiten | 12.99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Genre: Regionalkrimi
Wertung: 3.0 von 5.0

Rezension und Foto von Andrea Köster.

 

Stephan Schad | Der Fall Collini

Bei diesem Hörspiel zur Literaturverfilmung Der Fall Collini führt der Erzähler Stephan Schad souverän und mit sonorer Stimme durch die dramatische Geschichte, unterbrochen durch Original Tonmaterial aus dem Film.

Fabrizio Collini, ein seit Jahrzehnten in Deutschland lebender Italiener, erschießt scheinbar ohne Grund den angesehenen Großindustriellen Jean-Baptiste Meyer in dessen Luxus-Suite eines Hotels und traktiert den sterbenden Greis noch mit brutalen Kopftritten. Collinis Pflichtverteidigung übernimmt der unerfahrene Caspar Leinen. Dieser ist total befangen, weil der Ermordete nicht nur der Großvater seiner Jugendliebe war, auch er selbst hat Meyer viel zu verdanken. Der erfahrene Strafverteidiger Professor Richard Mattinger schlägt ihm einen Deal vor, vorausgesetzt der betagte Collini bekennt sich schuldig. Doch der schweigt eisern und so begibt sich Leinen auf die Suche nach einem möglichen Motiv. In dem italienischen Heimatdorf Collinis kommt er dabei einem großen Justizskandal der deutschen Rechtsgeschichte auf die Spur. Wenn zum Schluss im Gerichtssaal die Wahrheit ans Licht kommt, hat das Hörspiel seine besten – weil emotionalsten – Momente.

Bei meinem ersten Film-Hörspiel hatte ich die Bilder des Kinofilms nach einer Romanvorlage von Ferdinand von Schirach mit Schauspielern wie Elyas M‘Barek und Heiner Lauterbach noch im Kopf. Sonst wären mir die ca. 140 Minuten Laufzeit aufgrund der Handlungsdichte vielleicht etwas zu komprimiert gewesen. So fand ich, auch unter dem Einsatz von entsprechender musikalischer Untermalung, ein gelungenes, lebendiges, durch die Brisanz des Themas aufwühlendes Audio-Erlebnis.

 

Der Fall Collini | Das Original-Hörspiel zum Film erschien am 18. April 2019 im Jumbo Verlag
ISBN 978-3-8337-4024-4
2 Audio CDs | 15.99 Euro
Gesamtspielzeit: ca. 140 Minuten
Erzähler: Stephan Schad
Bibliographische Angaben & Hörprobe | Romanvorlage | Filmtrailer

Genre: Spannungsroman
Wertung: 3.5 von 5.0

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

 

Weitere Kurzrezensionen findet ihr in der Rubrik Abgehakt.

Abgehakt | Juni 2019

Abgehakt | Juni 2019

Unsere Kurzrezensionen zum 2. Quartalsende 2019

 

Petra Reski | Mafia. 100 Seiten

Die Mafia ist sicherlich die bekannteste kriminelle Organisation der Welt. Inzwischen hat der Begriff „Mafia“ sogar popkulturellen Status: Bücher, Filme, Videospiele, Mafiamusik, sogar eine Gastronomiekette. Doch dahinter verblasst ein wenig die Realität: Gewalt, Drogenhandel, Korruption, Mord. Für die Reihe 100 Seiten des Reclam Verlags versucht die in der Thematik bekannte Journalistin und Autorin Petra Reski mit allerlei Mythen rund um die Mafia aufzuräumen.

Die 100 Seiten werden keineswegs sachbuchartig mit Tabellen oder Grafiken gefüllt, sondern Reski schreibt in mehreren Beiträgen über Aufbau, Vergangenheit und Gegenwart der Mafia. Dabei legt sie einen besonderen Fokus auf Deutschland, das ja gern immer nur als Rückzugsraum und nicht als Operationsraum der Mafia bezeichnet wird. Diesen Beschwichtigern sagt Reski:

„Mehr als ein Jahrzehnt nach dem Mafiamassaker von Duisburg ist Deutschland für die Mafia immer noch das Paradies auf Erden: Die Mafia will nicht auffallen und die Deutschen wollen die Mafia nicht sehen. Eine Win-Win-Situation.“ (Seite 67)

Insgesamt muss man schon konstatieren, dass die Thematik in einem so begrenzten Format nur schwer unterzubringen ist. Ein wenig Stirnrunzeln musste ich, als die Autorin mehrere Bücher, Filme und Serien in Zusammenhang zu Folklore und Propaganda setzt. Aber alles in allem sicherlich eine lesenswerte Zusammenstellung.

 

Mafia.100 Seiten | Erschienen am 28. August 2018 im Reclam Verlag
ISBN 978-3-15-020525-9
100 Seiten | 10.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: True Crime
Wertung: 3.0 von 5.0

 

Jules Grant | Die Nacht ist unser Haus

Donna und Carla sind beste Freundinnen, lesbisch und leiten eine Frauengang in Manchesters rauer Unterwelt. Als Carla die Frau eines konkurrienden Gangleaders abschleppt, eskaliert die Situation. Carla wird in einem Club erschossen und hinterlässt ihre zehnjährige Tochter Aurora. Donna muss nun für Aurora sorgen und ihre Gang retten. Und natürlich sinnt sie auf Rache für Carlas Tod.

Frauen als Gangleader ist gerade ein wenig en vogue in der Kriminalliteratur (z.B. bei „Lola“ von Melissa Scrivner Love oder „River of Violence“ von Tess Sharpe). Autorin Jules Grant treibt es in diesem Roman sogar noch auf die Spitze und führt hier eine Frauengang aus lauter Lesben ein. Die Frauen haben dabei eine nette Marktlücke entdeckt: Liquid Ecstasy in Parfümflaschen. Was mich dabei aber etwas gelangweilt hat: Im Grunde verhalten sich die Ladys die meiste Zeit nicht viel anders als irgendwelche Typen – sie saufen, vögeln und prollen rum.

Ungewöhnlich und durchaus ein Pluspunkt ist die Erzählstimme. Sowohl Donna als auch Aurora (seltener) führen als Ich-Erzähler durch das Buch – schnoddrig, vorlaut und manchmal auch etwas ordinär. Auf der Rückseite prangt eine Empfehlung von Simone Buchholz („Hart und zart zugleich“). Selber schuld, wer darauf hereinfällt, mag man sagen, aber die Deutsche Krimi Preis-Trägerin ist natürlich eine Koryphäe. Und tatsächlich bemüht sich die Autorin, aber das Ergebnis vermag mich letztlich nicht so richtig zu überzeugen. Sie haut manchmal sehr auf den Putz, aber vieles ist zu vorhersehbar, zu klischeehaft und leider auch nur bedingt authentisch. Schade drum.

Die Nacht ist unser Haus | Erschienen am 11.03.2019 im Heyne Verlag
ISBN 978-3-453-43915-3
352 Seiten | 9.99 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: Gangsterroman
Wertung: 2.5 von 5.0

 

Judith Arendt | Helle und der Tote im Tivoli

Helle Jespers hat einen beschaulichen Dienst als Chefin der Polizeidienststelle in Skagen an der Nordspitze Jütlands. Da trifft die Nachricht ein, dass der pensionierte Direktor des örtlichen Gymnasiums brutal ermordet in Kopenhagen aufgefunden wurde. Das Motiv bleibt zunächst unklar, eventuell Kindesmissbrauch? Dies bestätigt sich, als ein bekannter Päderast ebenfalls von gleichen Mörder umgebracht wird. Die Mordermittler aus Kopenhagen belächeln die Dorfpolizisten, doch Helle spürt, dass die Lösung des Falls in Skagen zu finden ist und lässt sich nicht aus den Ermittlungen drängen.

„Helle und der Tote im Tivoli“ ist der Auftakt zu einer Reihe um die sympathische dänische Kommissarin Helle Jespers. Dieser Roman versucht den Spagat zwischen „hyggeligem“ dänischen Krimi und einem Rachethriller aufgrund eines alten Falls von Kindesmissbrauch. Leider geschieht dies stilistisch ziemlich konventionell und mit dem Motiv des gestörten Opfers als Serienmörder auch etwas unoriginell. Ich gebe zu, dass der Ermittler als kaputtes Wrack auch nicht gerade kreativ ist, aber die Welt der Helle Jespers mit Haus in den Dünen, halbtags arbeitendem Wikinger-Ehemann, schwulem Teenagersohn und studierender, in einer Kiffer-WG wohnender Tochter war mir dann doch auch ein wenig zuviel der modernen heilen Welt. Und wenn der Familienhund an der Ergreifung des Täters mitwirkt und am Ende herzhaft in eine Zimtschnecke gebissen wird, dann finde ich das auch dem Thema nicht angemessen. Sagen wir es mal ganz neutral: Ich gehöre nicht zur Zielgruppe dieses Krimis.

Helle und der Tote im Tivoli | Erschienen am 15. September 2018 im Atlantik Verlag
ISBN 978-3-455-00271-3
288 Seiten | 16.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: Krimi
Wertung: 2.0 von 5.0

 

Helon Habila  | Öl auf Wasser

Nigeria: Das Delta des Niger wird von Ölkonzernen konsequent ausgebeutet. Die ansässige Bevölkerung wehrt sich zunehmend dagegen und gründet Rebellengruppen, die gegen die Regierung und die Ölmultis kämpfen. Ein bewährtes Mittel zur Finanzierung ist die Entführung von ausländischen Konzernmitarbeitern oder deren Angehörigen. Der junge Reporter Rufus und sein erfahrener Kollege Zaq wittern im Zusammenhang mit der Entführung einer Engländerin eine gute Story, zudem hat auch ihr Mann die beiden um Hilfe gebeten hat. Mit Hilfe von einheimischen Bootsführern dringen die Journalistin immer tiefer ins Delta vor und damit in eine undurchsichtige, umkämpfte und zunehmend geschundene Umgebung.

Öl auf Wasser erschien erstmals 2012 im Verlag Das Wunderhorn und gewann überraschend auch den Deutschen Krimipreis. Das Besondere am Roman ist sicherlich auch das Thema, über das man in Europa zumindest in fiktionaler Form nur selten liest: Die innerstaatlichen Konflikte im nigerianischen Nigerdelta vor dem Hintergrund der dortigen großflächigen Ölexploration ausländischer Konzerne mit erheblichen negativen Umwelteffekten. Was dieser Roman denn auch sehr gut beherrscht ist die Balance zwischen politischen und gesellschaftlichen Themen und den Stimmungen der Hauptpersonen. Der Autor verzichtet auf allzu plakativen moralischen Darstellungen, schildert vielmehr die Realitäten von Gewalt und Gegengewalt und vor allem der Zerstörung einer Lebensgrundlage für die dort lebenden Menschen.

Zu Beginn erinnert der Roman an Joseph Conrad Herz der Finsternis. Eine Fahrt auf einem kleinen Boot im Nigerdelta, ölverschmutzte Ufer, verlassene Dörfer, hell leuchtende Abgasfackeln. Erzählt wird aus der Perspektive von Rufus, allerdings nicht chronologisch, immer wieder werden Einschübe aus der Vergangenheit eingeschoben. Das macht den Roman etwas sperrig und lässt die Spannungskurve abflachen. Somit ist dieses Buch weniger etwas für Fans klassischer Krimis, sondern eher für literarisch anspruchsvollere Liebhaber hintergründiger Darstellungen. Ich fand es aber auf jeden Fall lesenswert.

Öl auf Wasser | Die Taschenbuchausgabe erschien am 28. Januar 2019 im Unionsverlag
ISBN 978-3-293-20829-2
256 Seiten | 12.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: gesellschaftskritischer Krimi
Wertung: 3.5 von 5.0

 

André Pilz | Der anatolische Panther

Der Kleinkriminelle und Dealer Tarik Celal ist auf Bewährung auf freiem Fuß, als bei ihm zu Hause Diebesgut gefunden wird. Er ist gezwungen, auf einen Deal einzugehen: Er soll sich in der Moschee und im Umfeld des islamischen Hasspredigers Abdelkader al-Anbari, genannt „Der Derwisch“, einschleichen und dort Beweismaterial sammeln. Doch als Tarik in die Moschee einbricht und Geld stiehlt, überschlagen sich die Ereignisse und er ist auf der Flucht vor der Polizei und dem Derwisch.

Autor André Pilz hat ein offenbar Faible für Underdogs. Tarik Celal war mal ein vielversprechender Jungprofi bei 1860 München. Aus der Karriere ist nichts geblieben außer dem Spitznamen. Inzwischen ein kleiner Gangster mit ebenso kriminellem Freundeskreis, aber dennoch ein Sympathieträger mit großem Herz. Rettungslos verliebt in die schöne Kubanerin Nteba, zu Hause sein schwer kranker Großvater, den er pflegt. Die Stimmung ständig himmelhauchjauchzend, zu Tode betrübt.

Rund um diese tolle Hauptfigur konstruierte Pilz eine spannende, thrillerhafte Story mit vielen aktuellen Bezügen und sehr cleveren gesellschaftlichen Einblicken. Von Multikulti und Vorurteilen, islamischen Extremisten und Terrorhysterie, von Heimat und Ausgrenzung. Sicherlich einer der besten deutschsprachigen Krimis zu diesem Thema.

Der anatolische Panther  | Erschienen am 22. September 2016 im Haymon Verlag
ISBN 978-3-7099-7861-0
448 Seiten | 12.95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Genre: gesellschaftskritischer Krimi
Wertung: 4.5 von 5.0

 

Alle fünf Rezensionen und Fotos von Gunnar Wolters.

Weitere Kurzrezensionen findet ihr in der Rubrik Abgehakt.