André Pilz | Man Down

André Pilz | Man Down

Oh ja, Florian, ich liebe den Kick, den Rausch. Er hält mich am Leben und macht mich kaputt. Mit jedem Rausch verliere ich ein Stück meiner Seele und meiner Kraft und meines Willens. Verliere ich einen Teil meiner Lebensfreude. Das ist eine Kapitulation auf Raten. Der Rausch ist verlogen und hinterlistig. Er gaukelt mir vor, lebendig zu sein, voller Leidenschaft und Feuer, und ich glaube ihm, und wenn ich dann wieder runterkomme, wird mir klar, dass ich nur zu einem billigen Porno gewichst habe und dass die heiße Braut nur auf dem Bildschirm existiert.
Ich glaube nicht, dass ich Schmerz jemals ohne Drogen ertragen werde können.
Ich wünschte, ich wäre stärker, aber ich weiß, ich bin es nicht.
Ich ergebe mich lieber den Drogen als dieser Welt (Auszug Seite 100)

Kai Samweber ist gelernter Dachdecker, doch in seinem Beruf wird der Mittzwanziger nach einem Sturz vom Dach wohl nie mehr arbeiten. Seine körperlichen Beschwerden ertränkt er in Alkohol und Drogen. Hinzu kommen auch Geldsorgen. In Erwartung des ihm zugesagten, noch ausstehenden Lohns leiht sich Kai einige tausend Euro bei den zwielichtigen Brüdern seines besten Kumpels Shane. Doch sein alter Chef zahlt nicht, meldet Insolvenz an und Kai hat nun ein echtes Problem. Er muss als Drogenkurier seine Schulden abarbeiten.

Fahrstuhl nach unten

Unverschuldet hat Kais Leben eine fatale Wendung genommen. Mit körperlichen Schmerzen, völlig blank, um den letzten Lohn betrogen, lässt er sich zunehmend gehen und trifft, wenn er sich überhaupt aufrafft, die falschen Entscheidungen. Sein Leben kennt nur noch eine Richtung: Abwärts. Kai trinkt, kifft, wirft noch andere Sachen ein, lebt in den Tag hinein, feiert exzessive Partys im Studentenheim, wäscht seine Sachen nicht mehr und lässt seine Wohnung verwahrlosen. Er lernt Marion kennen, eine junge Studentin, doch die Liebe steht von Anfang an unter keinem guten Stern. Er verliebt sich Hals über Kopf, liebt wie im Rausch, aber ignoriert, dass auch Marion eine Last mit sich herumträgt. Gleichzeitig droht seine Tätigkeit als Drogenkurier jederzeit aufzufliegen,

Der Autor André Pilz wurde mir schon von verschiedenen Seiten empfohlen, so dass ich ihn endlich mal lesen wollte. Der Vorarlberger debütierte 2005 mit dem Roman „No llores, mi querida – Weine nicht, mein Schatz“. Der Autor schreibt über sozial- bzw. gesellschaftskritische Themen, so dass mehrere Romane auch fürs Theater adaptiert wurden, unter anderem das 2010 erschienene Man Down. Zuletzt erschien 2016 der Kriminalroman Der anatolische Panther.

Parental Advisory

Im Büro nebenan öffnete mir eine schockierte Frau, die aussah wie ne Sekretärin in nem billigen Porno, und irgendwie passte das sogar, irgendwie war dieses ganze verfickte Leben doch auch nichts anderes als n billiger Porno. Gott holte sich bestimmt einen runter, während er zusah, was wir da trieben. Begeilte sich an dem Schlachten und Lieben, Lachen und Weinen, an dem Blut, Dreck, Sperma, dem ganzen Wahnsinn. (Seiten 94-95).

André Pilz lässt Kai Samweber seine Geschichte selbst als Ich-Erzähler vortragen. Die Sprache ist direkt, ungeschminkt, manchmal sogar vulgär. Auf einem Tonträger würde ein Aufkleber Parental Advisory prangen. Doch die gewählte Form sorgt für eine hohe Authentizität, der Leser ist direkt bei der Hauptfigur. Als Besonderheit wird die chronologisch vorgetragene Geschichte immer wieder von Abschnitten unterbrochen, in denen Kai Briefe an seinen verstorbenen Bruder Florian schreibt. Diese Briefe nutzt Kai zur Selbstreflektion, er vertraut sich seinem Bruder an. Gleichzeitig deuten diese Briefe aber noch eine weitere Ebene an, eine Schuld, die Kai mit sich herumschleppt.

Das Buch spielt in München und zeigt eine ganz andere Seite, die man von der bayerischen Hauptstadt sonst so mitbekommt (auch in Kriminalromanen): Prekariat, Perspektivlosigkeit, Gewalt. Im Grunde genommen ist das Buch ein Noir: Einem jungen Mann wird übel mitgespielt, in seiner Not wird er kriminell und setzt einen Mechanismus zu einem bitteren Ende in Gang, das der Leser mit zunehmender Sicherheit erwartet. Die Geschichte ist auch ein Aufschrei gegen Ausbeutung und Ungerechtigkeit, allerdings sind mir die Figuren des feisten Chefs und des illoyalen Anwalts ein wenig zu plakativ geraten. Das trübt den Gesamteindruck aber eigentlich kaum, Man Down ist eine harte, schnörkellos und rasant erzählte Story und für mich absolut empfehlenswert.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Man Down | Erschienen 2010 im Haymon Verlag
Die Taschenbuchausgabe erschien am 22. August 2017, ebenfalls im Haymon Verlag
ISBN 978-3-7099-7891-7
328 Seiten | 12,95 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

3 Replies to “André Pilz | Man Down”

  1. Das klingt ja mega gut! Kommt sofort auf meine Wunschliste. Andreas Pilz habe ich ohnehin noch immer nicht gelesen, obwohl er immer wieder mal ins Gedächtnis schwirrt. Ich habe nämlich einmal gelesen, Andreas Pilz Stil sei wie der von Friedrich Ani. Und mit Friedrich Anis Bücher habe ich es schon öfter probiert und bin nie über eine Leseprobe hinausgekommen (außer bei einem Jugendbuch, da habe ich sogar bis zum Ende durchgehalten *lach*). Der liegt mir gar nicht.

    Na, auf alle Fälle hast du mich neugierig gemacht.

    1. Den Vergleich mit Ani kann ich erstmal so nicht bestätigen, aber ich habe auch nur ein Buch pro Autor gelesen.
      Ich möchte von Pilz auf jeden Fall demnächst noch „Der anatolische Panther“ lesen.

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