Monat: November 2019

James Lee Burke | Mein Name ist Robicheaux Bd. 21

James Lee Burke | Mein Name ist Robicheaux Bd. 21

Ich wollte andere Dinge mit ihm tun, die ich nicht beschreiben werde. Ich hegte Gefühle, die kein Christ je haben sollte. Dennoch waren es meine. Ich besaß sie. Und sie lebten immer noch in mir, selbst als T.J. Dartez auf einem Obduktionstisch lag, so kalt und blutleer wie alte Fleischwurst.
War ich fähig zu dem Mord draußen am Bayou Benoit? Sagt ihr’s mir. (Auszug Seite 193)

Vor knapp zwei Jahren wurde Dave Robicheaux‘ Frau Molly Opfer eines Verkehrsunfalls, bei dem Dave sich allerdings nicht ganz sicher ist, ob er sich tatsächlich so zugetragen hat wie behauptet. T.J. Dartez, der in Mollys Wagen fuhr, weil sie angeblich die Vorfahrt missachtete, wurde von aller Schuld freigesprochen. Doch jetzt wird Dave ausgerechnet von einem Gangster namens Tony Nemo auf den Unfall angesprochen – mit dem Hinweis, dass etwas faul an der Sache sei. Dave kann dies nicht auf sich beruhen lassen. Eines Abends erleidet er einen Rückfall und lässt sich volllaufen. Am anderen Tag wacht er auf und kann sich an nichts erinnern. In dieser Nacht wurde T.J. Dartez ermordet. Ist Dave ein Mörder?

Dave Robicheaux‘ Chefin im Sheriffsbüro von New Iberia glaubt nicht daran und behält ihn im Dienst. Dave soll weiter in einem merkwürdigen Fall von angeblicher Vergewaltigung ermitteln. Rowena Broussard, eine Nachbarin von Dave, beschuldigt Jimmy Nightingale, einen ehemaligen Ölmanager und aufstrebenden Politiker, der für den US-Senat kandidiert. Dave hatte Nightingale mit den Broussards erst kurz zuvor zusammengebracht, da Nightingale einen Roman von Rowena Broussards Ehemann Levon als Filmprojekt produzieren wollte. Doch die Broussards realisieren das Projekt plötzlich ausgerechnet mit Tony Nemo.

Währenddessen bearbeitet Spade Labiche, ein neuer Kollege, den Mordfall Dartez und macht ein ums andere Mal Andeutungen, dass die Indizien auf Dave verweisen. Labiche hat aber außerdem Kontakt zu Kevin Penny, einem Zuhälter und Drogendealer, der seinerseits Verbindungen zu Tony Nemo und Jimmy Nightingale hat. Wie hängt alles miteinander zusammen? Wer will hier wen aufs Glatteis führen? Dave erhält wie üblich Unterstützung von seinem Freund Clete Purcel, der gerade tief in der Kreide steht – ausgerechnet bei Jimmy Nightingale. Und Clete steckt außerdem im Clinch mit Kevin Penny, den er mehrfach als Kautionsflüchtigen aufgegriffen hat und von dem er gehört hat, dass er seinen kleinen Sohn misshandelt. Und als wäre das alles nicht genug, taucht plötzlich von irgendwoher ein ziemlich schräger, kaltblütiger Killer auf, der offensichtlich eine Todesliste abarbeitet, die von irgendeinem der Beteiligten diktiert wurde.

Manchmal kann man Außenstehenden die Kultur des südlichen Teils von Louisiana und das Dilemma seiner Menschen nur schwer erklären. Die Welt, in der sie aufgewachsen sind, ist heute nur noch eine verfallende Erinnerung, aber viele von ihnen haben keinen Platz in der Gegenwart. […}
Wie soll man also wütend auf Menschen sein, die arm geboren wurden, so schlecht Englisch sprechen, dass sie für Außenstehende völlig unverständlich sind, das Weltbild und die Glaubensüberzeugungen von mittelalterlichen Bauern besitzen, sich mit Putzen Geld verdienen und fettleibig werden wegen völlig ungesunder Massenlebensmittel, für die sie auch noch dankbar sind? (Seite 396)

Mein Name ist Robicheaux ist inzwischen der 21. Roman um den unerschrockenen, von seinen inneren Dämonen heimgesuchten Gerechtigkeitsfanatiker Dave Robicheaux und seinen nicht minder komplizierten Kumpel Clete Purcel. Damit setzt der Pendragon Verlag seine bemerkenswerte Mammutaufgabe der Wieder- bzw. Neuveröffentlichung aller Robicheaux-Romane fort. Diesmal ist wieder eine Neuveröffentlichung dran, denn im Original erschien dieser Roman erst 2018 unter dem Titel „Robicheaux. You know my name“.

Wer diesen Blog seit längerem verfolgt, weiß sicherlich, dass Autor James Lee Burke zu meinen Lieblingsautoren und Dave Robicheaux zu meinen Lieblingsprotagonisten zählt. Von daher erscheint es nicht verwunderlich, dass mich auch dieser Roman überzeugt hat. Burkes Stil mit seinen epischen Beschreibungen der Natur im Süden Louisianas steht im krassen Widerspruch zu den Verhältnissen von Kriminalität, Gewalt, Rassismus und Misogynie, gegen die Robicheaux und Purcel fast wie moderne Don Quixote und Sancho Panza ankämpfen. Doch im Gegensatz zu den mittelalterlichen Gestalten führen Robicheaux und Purcel keine Scheingefechte, sondern nehmen den Kampf gegen höchst gefährliche Gegner auf, wenngleich es sich am Ende manchmal wie ein Kampf gegen Windmühlen anfühlt.

Was James Lee Burke ebenfalls auszeichnet, sind seine komplexen und ausufernden Plots, für die andere Autoren mehrere Bücher benötigen würden, die er aber souverän beherrscht. Was ich noch nicht wusste – auch das Genre der Short Story ist kein Problem für James Lee Burke. Als Bonus enthält dieser Band die Kurzgeschichte: „The Wild Side Of Life“, in der der Autor ein Motiv aus der Hauptgeschichte aufgreift. Auch das souverän erzählt.

Ein weiterer Bestandteil seiner Werke sind seine klaren, kraftvollen Aussagen zu moralischen Fragen und gesellschaftlich-politischen Missständen in den Südstaaten oder auch im ganzen Land, die er seinem Ich-Erzähler Robicheaux in Reflexionen vortragen lässt. Hier geht es um korrupte und Frauen verachtende Polizisten, weiße Rassisten, skrupellose Gangster und populistische Politiker, die sich ohne mit der Wimper zu zucken mit den vorher genannten verbünden. Und das Problem der Menschen, diese Personen zu entlarven. So ist dieser Kriminalroman als 21. Band einer über dreißig Jahre währenden Reihe fast schon erstaunlich auf der Höhe der Zeit. Für Mein Name ist Robicheaux gibt es daher von mir auf jeden Fall eine klare Empfehlung!

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

Mein Name ist Robicheaux | Erschienen am 9. Oktober 2019 im Pendragon Verlag
ISBN 987-3-86532-658-4
600 Seiten | 22.- Euro
Originaltitel: Robicheaux. You know my name
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezensionen zu folgenden Burke-Romanen: Sturm über New OrleansGlut und AscheMississippi JamNeonregenSchmierige Geschäfte und  Zeit der Ernte

Linktipp: Die Robicheaux-Romane in der chronologisch korrekten Reihenfolge

H. Dieter Neumann | Feuer in den Dünen

H. Dieter Neumann | Feuer in den Dünen

„Was ist denn passiert?“, fragte Helene.
„In den frühen Morgenstunden hat es eine neue Brandstiftung gegeben. Diesmal in Vejers Strand.“
„Wieder ein Ferienhaus?“
„Ja, in den Dünen direkt am Strand. Völlig ausgebrannt. Die Bewohner konnten sich im letzten Moment aus dem Haus retten, liegen aber alle mit Rauchvergiftung im Krankenhaus. Eine Urlauberfamilie aus den Niederlanden mit zwei Kindern.“ (Auszug Seite 90)

Auf der Fähre von der Nordseeinsel Amrum zum Festland gibt es einen Toten. Er ist nicht an einem epileptischen Anfall gestorben, wie erst vermutet wird, sondern wurde vergiftet. Helene Christ von der Mordkommission Flensburg nimmt sich dem Fall an und muss sich für weitere Ermittlungen mit den Kollegen aus Dänemark zusammentun, denn der Tote wohnte im Nachbarland. Die Dänen haben es zur gleichen Zeit mit Brandanschlägen auf Ferienhäuser zu tun und deshalb eigentlich kein Personal frei. Doch dann ergibt sich ein Zusammenhang zwischen den beiden Fälle

Geplatzter Segeltörn

Oberkommissarin Helene Christ wohnt gemeinsam mit ihrem Freund Simon Simonsen und der Hündin Frau Sörensen am Rand von Flensburg in einem alten Haus. Die Drei segeln am liebsten mit ihrem Boot über die Gewässer und freuen sich schon auf den Urlaub in wenigen Tagen auf den schwedischen Schäreninseln, als das Boot einen Schaden erleidet und Helene den neuen Fall bekommt.

Der sechste Fall von Helene Christ

Feuer in den Dünen von H. Dieter Neumann ist bereits der sechste Fall um Helene Christ. Ein Küsten-Krimi, der vor allem in Dänemark und Flensburg spielt, die ersten Ermittlungen führen aber auch nach Amrum. Die Geschichte hat kurze Kapitel, die hauptsächlich um die Ermittlungen von Helene Christ und ihrem Kollegen Nuri Önal kreisen, einige wenige Kapitel geben allerdings auch Einblicke in die Gedanken der Täter, was dem Leser einen gewissen Vorsprung zu den Polizisten verschafft und die Handlung dadurch noch etwas spannender gestaltet.

Privat und beruflich

Helene wird in diesem Fall sehr stark eingespannt und reißt auch generell gern alle Arbeit an sich, wovon Simon gar nicht begeistert ist, also kommt es unweigerlich zum Streit. Das Private der Kommissarin bleibt aber im Hintergrund und wird eher nebenbei erwähnt, das Hauptaugenmerk bleibt auf dem Fall, was mir gut gefällt. Die Protagonistin ist mir in ihrer Handlungsweise sympathisch. Sie geht durchaus ab und zu über ihre Kompetenz und geht Risiken ein, bleibt dabei aber auf dem Boden. Sie sieht eventuelle Fehler im Nachhinein ein und gibt ihr Bestes, um es wieder geradezurücken.

Ende und gut

Die Geschichte liest sich leicht, aber durchgehend spannend. Die Polizisten müssen auch mit Rückschlägen klarkommen, es läuft also nicht immer alles glatt. Das Ende bekommt nochmal einen guten Spannungsbogen, ohne dass vom Autor zu viel gewollt wurde, auch das gefällt mir. Der Schluss bleibt eher offen, war aber zu vermuten, als die Zusammenhänge nach und nach klarer werden. Hätte ich das eigentliche Thema auf dem Klappentext gelesen, hätte ich das Buch nicht ausgesucht, aber so war es gut und ich habe es gern gelesen.

Fazit: Ein solider Küsten-Krimi, den man zwischendurch gut lesen kann, der mich aber dennoch nicht nachhaltig beeindruckt hat.

H. Dieter Neumann, Jahrgang 1949, war Offizier in der Luftwaffe der Bundeswehr und in verschiedenen internationalen Dienststellen der NATO. Anschließend arbeitete der diplomierte Finanzökonom als Vertriebsleiter und Geschäftsführer in der Versicherungswirtschaft, bevor er sich ganz aufs Schreiben verlegte. Der passionierte Segler ist verheiratet, hat zwei erwachsene Töchter und lebt in Flensburg.

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Feuer in den Dünen | Erschienen am 22. August 2019 im Grafit Verlag
ISBN 978-3-89425-630-2
288 Seiten | 12.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Jo Nesbø | Messer Bd. 12

Jo Nesbø | Messer Bd. 12

Das richtige Messer für die richtige Tätigkeit war entscheidend. Die Messer waren gut, zweckdienlich, von herausragender Qualität. Trotzdem fehlte ihnen, was Svein Finne an Messern besonders schätzte. Persönlichkeit, Seele, Magie. Bevor der groß gewachsene junge Polizist mit den störrischen Haaren alles kaputtgemacht hatte, war Svein Finne der stolze Besitzer einer stattlichen Sammlung von insgesamt sechsundzwanzig Messern gewesen. (Auszug Seite 15)

Die Rezension ist mir diesmal nicht ganz leicht gefallen. Ich bin ein großer Fan der Harry-Hole-Reihe und habe sämtliche Bände gelesen und geliebt, angefangen mit Der Fledermausmann bis zum elften Band Durst. In jenem letzten Band war Harry Hole Dozent an der Polizeihochschule und führte zusammen mit Ehefrau Rakel und Sohn Oleg nach vielen Höhen und Tiefen ein harmonisches Privatleben. Das fand ich zur Abwechslung mal ganz erfrischend, doch das holde Glück war nur von kurzer Dauer.

Harry Hole am Scheideweg

In Messer, dem zwölften Band und nur circa anderthalb Jahre später spielend, ist schon wieder alles vorbei. Harry wurde von seiner Frau rausgeschmissen, den genauen Grund erfährt man erst später. Und er ist wieder dem Alkohol verfallen, lässt sich total gehen und versinkt regelrecht in depressivem Selbstmitleid. Seinen Job als Dozent hat er verloren und arbeitet wieder in seiner alten Dienststelle, wird aber von seiner Chefin Katrine Bratt nur mit einfachen Ermittlungstätigkeiten beschäftigt. Im Laufe der zwölf Bände balancierte der schwierige Einzelgänger oft an der Grenze eines seelischen Abgrundes, aber diesmal befindet er sich endgültig auf einem Selbstzerstörungstrip. Dem wird im aktuellen Buch sehr viel Platz eingeräumt und das war teilweise wirklich schwer zu ertragen, aber ich befürchte dass es sich hierbei um eine realistische Darstellung eines alkoholkranken Menschen handelt. Ein Quartalssäufer funktioniert eine Zeitlang ganz gut und meistens auch abstinent, um dann nach einem totalen Kontrollverlust einen schlimmen Absturz zu erleiden.

Zeitgleich wird der 77-jährige Svein Finne nach langer Haftzeit entlassen. Hole war damals an seiner Verhaftung mitverantwortlich und der perverse, sadistische Serienvergewaltiger mit einer Vorliebe für Messer, schwor Harry und seiner Familie nicht nur aus diesem Grund Rache. Finne wird Der Verlobte genannt und war bekannt dafür, seine Opfer schwängern zu wollen. Er drohte den Frauen, sie umzubringen, wenn sie „sein Kind“ abtreiben wollten. Kaum entlassen, lebt er seine kranken Fantasien erneut aus und geht trotz seines fortgeschrittenen Alters sofort wieder auf die Jagd nach neuen Opfern.

Totaler Blackout

Hole wacht eines Morgens nach einer durchzechten Nacht mit blutverschmierten Klamotten und einem totalen Filmriss auf. Dann passiert etwas, was ihn endgültig aus der Bahn wirft. Einzelheiten möchte ich hier nicht spoilern, mich hat dieser Verlauf sehr geschockt und ich dachte, das kann Nesbø doch nicht machen. Aber der norwegische Autor hat keine Bedenken, den Leser zu verschrecken. So erklärte er einmal in einem Interview, dass er es nicht als seinen Job ansieht, die Erwartungen seiner Leser zu erfüllen, sondern dass ausschließlich Geschichten schreibt, die ihn selbst interessieren. Und so falsch kann er bei mittlerweile über 40 Millionen weltweit verkauften Exemplaren ja auch nicht liegen.

Messer ist ein Thriller, in dem die Gewalt deutlich weniger im Vordergrund steht als in manchen Vorgängerbänden und der sich komplett auf seinen charismatischen Protagonisten Harry Hole konzentriert, dessen Leben nun richtig aus den Fugen gerät. In einer weiteren spannenden Handlungsebene geht es um die Traumata von Soldaten eines Spezialkommandos in Afghanistan und es gibt auch ein Wiedersehen mit einigen Bekannten aus dem Harry-Hole-Kosmos, wie Kaja Solness, die Harry damals in Leopard aus der Drogenhölle Hongkongs holte.

Auch dieser Thriller ist ein düsterer Pageturner mit ständig wechselnden Erzählperspektiven, der mit vielen frappierenden Wendungen, falschen Spuren sowie melancholischer Stimmung glänzt und mit ergreifenden Emotionen überzeugt. Wenn es zum Schluss zur komplett unerwarteten aber logischen Auflösung kommt, kann man die intelligente Konstruktion nur bewundern. Wenn dann alle losen Fäden verknüpft werden, wird die Raffinesse des Plots deutlich. Selbst die sehr ausführlichen Beschreibungen über Musik haben ihre Berechtigung, denn Hole findet einen wichtigen Hinweis mitten zwischen seiner riesigen Plattensammlung, der dann sogar ihn selbst als Täter in den Fokus rückt.

Sung-mins Verdacht, dass Harry Hole im Affekt und umnachtet von Alkohol getötet hatte, war dadurch nur noch verstärkt worden. Er nahm an, dass Harry tatsächlich große Teile des Vorfalls vergessen oder verdrängt und die letzten Tage seines Lebens damit verbracht hatte, gegen sich selbst zu ermitteln. (Seite 462)

Fazit

Messer ist vielleicht der emotionalste, dramatischste Teil, für mich ein Band mit leichten Schwächen, aber für Fans der Reihe ein Muss. Nesbø zeigt sich wieder als gewiefter Meister von vertrackten Plots und rausgekommen ist ein tiefgründiger und vielschichtiger, hervorragend geschriebener Krimi der Extraklasse.

Funfact: Für seinen zerrissenen Helden Harry Hole hat Jo Nesbø die Storyline seines privaten und beruflichen Lebens schon vor Jahren festgelegt und hält sich im Groben auch an diesen Plan.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Messer | Erschienen am 27. August 2019 im Ullstein Verlag
ISBN 978-3-550-08173-6
576 Seiten | 24.- Euro
Originaltitel: Kniv
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Auch bei uns: Rezensionen zu den Jo Nesbø-Romanen Macbeth, Die Larve und Durst sowie einen Sonderbeitrag Lesung: Jo Nesbø | Blood on Snow. Das Versteck, Bericht von der Lesung in Schwerte