Dominique Manotti | Das schwarze Korps

Dominique Manotti | Das schwarze Korps

„Kommen wir zur Sache. Sie wollten mich sprechen?“
„Aus mehreren Gründen. Zunächst, um Ihnen meine heutige Sicht der Dinge auseinanderzusetzen. Nach ’36 gehörte ich zu jenen, die sich, vor die Wahl gestellt zwischen Vierzigstundenwoche und Betriebsräten einerseits und dem Naziregime andererseits, für das Naziregime entschieden haben. Deshalb habe ich 1940 ganz selbstverständlich und, seien wir ehrlich, mit einem gewissen Vergnügen kollaboriert. Das deutsche Europa kam mir zupass. Aber ein Unternehmer darf kein Fanatiker sein. Er muss in erster Linie seine Firmen am Laufen halten. Mir ist seit langem klar, dass das Naziregime besiegt ist.“
„Fazit: Schluss mit den Abenteuern und Handstreichen. Schluss mit den Tricksereien. Sie haben ein Vermögen gemacht, das will jetzt verwaltet werden.“ (Auszug Seite 243)

Paris im Juni 1944: In der besetzten französischen Hauptstadt ist die Lage noch weitgehend ruhig. Das Besatzungsregime hält die Zügel noch fest in der Hand. SS und französische Hilfseinheiten terrorisieren und raffen Besitztümer zusammen, Kollaborateure verdienen sich eine goldene Nase. In den feinen Salons treffen sich die wichtigen Personen und beäugen sich, intrigieren oder verbünden sich. Denn mit der Landung der Alliierten in der Normandie ändert sich die Lage und man muss seine Schäfchen für die Zeit nach der Besatzung ins Trockene bringen.

Mittendrin ist der Polizist Nicolas Domecq, in Wahrheit ist er vom gaullistischen Widerstand ins Sittendezernat eingeschleust worden. Er hat Zugang zum Salon von Dora Belle, einer Ex-Prostituierten, inzwischen Geliebte des SS-Hauptsturmführers Bauer, aber heimlich noch eng verbunden mit dem ranghohen Mann der französischen Gestapo Deslauriers. Dieser Deslauriers ist berechnend und skrupellos, aber ein Opportunist und dadurch für Domecq interessant.

Von Dominique Manotti habe ich jetzt schon einiges rezensiert und, ich glaube es schon mal gesagt zu haben, sie ist eine meiner absoluten Lieblingsautorinnen. Während der Lektüre las ich im Netz einen Beitrag, in dem der fehlende Stellenwert von Autorinnen im Kanon der deutschsprachigen Literatur dokumentiert wird und in dem das ewige Argument der Gegenseite nochmal erwähnt wird, dass Frauen „gefühliger“ schreiben. Darüber musste ich natürlich schmunzeln. Denn wenn es eine Autorin gibt, die ich kenne, die alles andere als empathisch über die Realitäten schreibt, ist es Dominique Manotti (na gut, sie ist auch Französin). Im Gegenteil: Manotti schreibt schnörkellos, knallhart, politisch und immer ziemlich bis sehr noir. Die Wirtschaftshistorikerin schreibt unbequem und legt immer wieder den Finger in die Wunde, wenn es um nicht ganz saubere Verstrickungen von Politik und Wirtschaft geht.

In diesem Falle hat sie sich mal wieder einen schwarzen Fleck in der französischen Vergangenheit ausgesucht. Zur Geschichte der Franzosen im zweiten Weltkrieg gehören nämlich nicht nur die Freien Französischen Streitkräfte und die Résistance, sondern auch das Kapitel der Kollaboration, am bekanntesten sicherlich das Vichy-Regime als Regierung von Hitlers Gnaden. Weniger bekannt ist die Verwicklung von Franzosen in Terror und Gräueltaten und zwar nicht nur als bürokratische Unterstützung. Davon erzählt unter anderem dieser Krimi noir. Die Carlingue war die französische Gestapo, ins Leben gerufen vom Reichssicherheitshauptamt, laut Wikipedia möglicherweise mit bis zu 32.000 Mitgliedern, darunter ein Großteil zwielichtige und kriminelle Akteure auch in leitender Position.

Der Roman beginnt am D-Day, am 6. Juni 1944, und endet am Tag der Befreiung von Paris am 25. August 1944. Jedes Kapitel ist mit einem kurzen Frontbericht überschrieben. Im Roman zeichnet Manotti ein äußerst dunkles Bild von einem Paris, in dem Nazi-Besatzer, schwarze SS-Schergen, brutale Schlägertrupps, hochrangige französische Kollaborateure und findige Industrielle hervorragende Geschäfte machen, sich kurz die schmutzigen (oder blutigen) Hände waschen, um das nächste Champagnerglas in Empfang zu nehmen. Die Brutalität ist teilweise schwer zu ertragen und doch nötig, um sich die Anarchie der letzten Tage von Paris zwischen Besatzung und Befreiung vor Augen zu führen. Mittendrin in dieser Lage ist der Spion Domecq, der für die rechte Sache agiert, aber selber nicht zimperlich sein darf und am Ende auch feststellen muss, dass einige Personen zu wichtig sind, um zur Rechenschaft gezogen zu werden. Dennoch wird am Ende von einem deutschen Offizier das resignierte Fazit gezogen: „Unsere eigene Schuld […], wir haben uns zu sehr mit den Schurken in Schwarz eingelassen.“

Dominique Manotti bietet auch in Das schwarze Korps den Lesern wieder sehr starke Noir-Kost. Sie gibt uns einen ungeschönten Einblick in das Paris der Stunde Null. Dabei sind vor allem die Figuren überzeugend, die alle möglichen Facetten abdecken: Angst, Verzweiflung, Zähigkeit, Mut, Entschlossenheit, aber vor allem auch Gier, Hemmungslosigkeit und niedrige Instinkte.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Das schwarze Korps | Erstmals erschienen 2004
Die aktuelle Taschenbuchausgabe erschien am 1. März 2016 im Argument Verlag
ISBN 978-3-86754-221-0
216 Seiten | 13.- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Diese Rezension erscheint im Rahmen des Mini-Spezials Ein langes Wochenende mit … Krimis aus Frankreich.

Weiterlesen: Gunnars Rezensionen zu weiteren Dominique Manotti-Romanen: Ausbruch, Einschlägig bekannt, Schwarzes Gold

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