Pete Dexter | Unter Brüdern

Pete Dexter | Unter Brüdern

“Ich meine, mir ist egal, ob jemand ein Großmaul ist oder ein stilles Wasser, solange ich weiß, auf welcher Seite er steht.“ Der Onkel schaut Peter wieder an. Fragend.
Peter gibt keine Antwort.
„Wenn’s hart auf hart kommt, brauchst du dir über einen Mann, der dein Feind ist, nicht groß Gedanken zu machen. Gedanken machst du dir über den, von dem du nicht weißt, ob er dein Feind ist.“ Er blickt Peter an. „Ich sag dir das, weil ich’s gut mit dir meine. Das ist der Mann, der dich ans Messer liefert – der Verräter.“
„Ich bin kein Verräter“, sagt Peter.
Sie sind zu Hause angekommen. Sein Onkel stellt den Wagen ab. Er lächelt. „Das hätte ich auch niemals von dir gedacht.“ (Auszug Seite 116-117)

Peter Flood ist acht Jahre alt, als ein tragischer Unfall seine Familie zerstört. Er wächst fortan bei seinem Onkel Phil auf, dem Boss der Dachdeckergewerkschaft. In Philadelphia des Jahres 1961 sind die irisch kontrollierten Gewerkschaften Teil eines großen korrupten Netzwerks. Immer wieder versuchen die Italiener, die die Geschäfte auf der Straße kontrollieren, den Iren die Gewerkschaften streitig zu machen. Im Laufe der Jahre eskaliert der Bandenkrieg zusehends und Peter ist inzwischen alt genug, um in diesem Sog von Gewalt und Korruption zu verschwinden.

Autor Pete Dexter war zunächst Zeitungsreporter in Philadelphia, bevor er Anfang der 1980er Schriftsteller und Drehbuchautor wurde. 1988 gewann er mit Paris Trout den National Book Award. Im Münchener Liebeskind Verlag erscheinen seit einigen Jahren alle seine Romane, teilweise in Erst- oder Neuübersetzung. Im Februar 2015 ist dort Unter Brüdern erschienen, das Original stammt aus dem Jahr 1991.

Dexter erzählt die Geschichte im Präsens und in mehreren zeitlichen Sprüngen, beginnend im Jahr 1961 und endend im Jahr 1986. Dem ersten Teil stellt er eine (fiktive) Zeitungsmeldung aus dem Jahr 1986 voran, die praktisch das Ende des Buches vorweg nimmt. Und obwohl der Leser weiß, wie alles enden wird, wird er dennoch unaufhaltsam in diese düstere, deprimierende Geschichte hineingezogen. Keine Gewaltorgie, natürlich fließt zwar auch Blut, aber Dexter erzählt in nüchternem Stil eine subtile Geschichte von Familienbande und dem organisierten Verbrechen.

Im Zentrum steht Peter Flood. Er wächst aufgrund äußerst tragischer Umstände bei seinem Onkel auf. Sein Cousin Michael ist nur ein Jahr jünger als er. Sein Onkel ist ein gerissener und krimineller Gewerkschaftsboss. Die beiden Jungen wachsen wie Brüder auf und doch sind sie völlig unterschiedlich. Peter ist ein empathischer und intelligenter Junge, aufgrund der Ereignisse still und in sich gekehrt. Michael hingegen ist zwar selbstbewusst, aber schwächlich, egoistisch und eher verschlagen als clever. Er eifert seinem Vater nach und ist von Macht, Gier und Gewalt fasziniert. Als Onkel Phil bei einem Mordanschlag stirbt, übernimmt Michael seinen Platz an der Gewerkschaftsspitze und Peter wird sein Handlanger. Obwohl er im Gegensatz zu seinem Cousin klare Moralvorstellungen hat, bleibt er in den Zwängen der familiären Bande und wird Teil der schmutzigen Geschäfte.

Michael starrt seinen Cousin an, als wäre von ihm geohrfeigt worden. Doch sein Zorn legt sich schnell. Er lächelt.
Als Peter ihn lächeln sieht, muss er an einen Samstagvormittag denken, an dem sein Onkel die beiden Jungs miteinander ringeln ließ. Peter war doppelt so stark wie Michael und drückte dessen Handgelenke so lange zu Boden, bis seinem Onkel langweilig wurde. Eine Stunde später schlug Michael mit dem Hammer auf seinen Cousin ein. Peter schlief gerade auf der Couch. Die Wunde musste genäht werden. Michael war vielleicht zwölf Jahre alt.
Peter erinnert sich an die Fahrt ins Krankenhaus. Er drückte ein Handtuch gegen seinen Kopf. Auf dem Heimweg hielt sein Onkel plötzlich an und kaufte ihnen beiden ein Fahrrad, und Michael lächelte so wie jetzt.
„Ihr seid Brüder“, sagte der Onkel.
Seitdem hat Peter Angst, in der Nähe seines Cousins zu schlafen. (Auszug Seite 212)

Pete Dexter hat hier einen beeindruckenden Roman noir geschrieben. Sachlich und mit klarer Sprache schildert er das tragische Leben des Peter Flood, das ohne Ausweg einem traurigen Ende entgegenstrebt. Und ganz nebenbei und ohne ins Detail gehen zu müssen, erzählt er vom brutalen Kampf der Gewerkschaften mit der Mafia um Macht und Einfluss.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

Unter Brüdern

Unter Brüdern | Erschienen am 16. Februar 2015 im Liebeskind Verlag
ISBN 978-3-95438-042-8
304 Seiten | 19,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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