Der ehrenwerte Mr. Duckworth vs. Der talentierte Mr. Ripley
Rezensionsprojekt oder: Ein Lese-Tagebuch
Anfang des Jahres durchstöberte ich Verlagsvorschauen und da fiel mir beim Verlag Antje Kunstmann ein Slogan ins Auge:
„Talentierter als Mr. Ripley!“
Gemeint war Morris Duckworth, Romanheld einer Trilogie von Tim Parks. „Das wollen wir doch mal sehen!“, dachte ich spontan. Zugute kam mir dabei, dass Patricia Highsmiths Held Tom Ripley auch noch ein weißer Fleck in meiner Bibliothek war. Die Idee war geboren: Ich lese Tim Parks‚ „Der ehrenwerte Mr. Duckworth“ und Patricia Highsmiths „Der talentierte Mr. Ripley“ parallel und dann schaue ich mal, wer denn tatsächlich der talentiertere ist.
Meine Eindrücke von Morris und Tom habe ich mal in einer Art Lese-Tagebuch aufgenommen.
Aber Vorsicht: Es wird hemmungslos gespoilert!
>> Die beiden Einzelrezensionen werden ohne Spoiler morgen und übermorgen auf dem Blog veröffentlicht.
Tag 1 (Duckworth S.29 / Ripley S.29)
Duckworths Geschichte beginnt in Verona. Der erste Eindruck: Morris ist hochgradig unsympathisch, eingebildet, selbstverliebt, hält sich für etwas besseres. Er kommt als Englischlehrer gerade mal so über die Runden und hofft, über Kontakte in der Veroneser Gesellschaft aufzusteigen.
Ripley hingegen begegnet wir zunächst in New York. Tom ist arbeitslos, ein Betrugssystem mit gefälschten Steuerbescheiden hat keinen echten Erfolg. Er hat Angst vor der Polizei, daher flieht er zunächst vor Mr. Greenleaf, Inhaber einer Schiffswerft. Dieser bittet ihn um Hilfe, um seinen Sohn Dickie, der in Italien weilt, zur Rückkehr in die USA zu bewegen. Tom, obwohl schnell als Betrüger vorgestellt, wirkt etwas zurückhaltender und dadurch sympathischer.
Tag 2 (Duckworth S.72 / Ripley S.100)
Tom ist nun endlich auch in Italien und nimmt seine Mission durchaus ernst. Er stößt bei Dickie aber auf Desinteresse, da dieser sich lieber mit seiner engen Freundin Marge beschäftigt. Amüsant: Erst als er seine wahre Mission enthüllt, kann er das Eis brechen.
Morris ist echt ein Kotzbrocken, eitel, selbstverliebt, selbstmitleidig und latent kriminell. Er hält sich zwei Eisen warm, um in der Gesellschaft höher zu kommen. Am vielversprechendsten ist seine Liaison mit Massimina Trevisan.
Ich bemerke in beiden Büchern ähnliche Motive: Hier in diesem Abschnitt das Abendessen bei den Trevisans/ Greenleafs inklusive Kinderfotosschauen.
Tag 3 (Duckworth S.120 / Ripley S.143)
Eine sehr interessante Entwicklung: Morris erster Erpressungsversuch scheitert kläglich, nun entführt er Massimina ohne deren Wissen. Eine ziemlich aberwitzige Nummer: Er muss sie bei Laune halten, kann sie kaum aus dem Auge lassen und gleichzeitig bereitet er eine Erpressung vor.
Zwischen Tom und Dickie herrscht prächtige Stimmung, beide werden beste Kumpels und geben Daddy Greenleafs Geld aus, sehr zu Toms Vergnügen. Leicht homoerotisch angehaucht, wobei nix passiert. Überhaupt ist Tom Ripley auffällig asexuell. Bei Morris ist das übrigens auch so ’ne Sache: Offenbar ist der tolle Hecht sexuell noch unerfahren und versucht sich Massiminas sexuelle Reize auszureden (was noch klappt, da sie mit ihrer Keuschheit noch kokettiert). Bei Tom kippt die Stimmung relativ plötzlich, als Dickie Marge wieder stärker berücksichtigt. Tom buhlt um Freundschaft und Anerkennung und ist wütend und enttäuscht als dies nicht erwidert wird. Er entwickelt Mordgelüste.
Tag 4 (Duckworth S.134 / Ripley S.205)
Bis jetzt konnte man bei Herrn Ripley noch überlegen: Wo ist der Kriminalroman? Aber hui, jetzt geht es aber flott, zwei Morde auf 60 Seiten. Das Beängstigende: Tom verhält sich, als wäre sein Handeln alternativlos. Er nimmt Dickies Platz und Identität ein, aber weitere Konflikte sind abzusehen.
Zu Morris gibt es nicht viel Neues: Bin nur ein paar Seiten weit gekommen und dann eingepennt …
Tag 5 (Duckworth S.178 / Ripley S.232)
Aha, nun schlägt Morris zurück. Ausgleich, 2:2. Im Affekt und nicht ganz der perfekte Doppelmord. Als Belohnung winkt ein erotisches Erlebnis mit Massimina, das ihn fast noch mehr aus der Fassung bringt.
Auch bei Tom läuft es nicht reibungslos. Seine Identität gerät zunehmend ins Wanken. Die Polizei hat ihn schnell als Freddies Freund ausfindig gemacht.
Wiederkehrende Motive Teil 2: Herrlich altmodisch, in beiden Büchern werden noch Briefe geschrieben, Zeitungen gewälzt und Schecks eingelöst.
Tag 5 (Duckworth S.209 / Ripley S.275)
Morris hält Massimina immer noch ahnungslos. Er wartet sehnsüchtig auf das Datum der Lösegeldübergabe. Ein Vabanquespiel. Ist die Polizei wirklich nicht involviert? Und kann sie den Doppelmord mit der Entführung in Verbindung bringen?
Tom droht sich in den Identitäten zu verheddern. Gibt sich bei Polizei als Dickie aus, um fünf Minuten später am Telefon Tom zu sein. Die Bank hat die gefälschten Unterschriften auch schon durchschaut. Sein Doppelleben ist zum Scheitern verurteilt. Und die Polizei ist ihm enger auf den Fersen als Morris.
Wiederkehrende Motive Teil 3: Sowohl Tom als auch Morris begeben sich auf einen persönlichen Giro d’Italia: Neapel, Rom, San Remo, Verona, Vicenza, Venedig, Palermo, Sardinien. Während Highsmith allerdings bevorzugt die englischsprachige Exilgemeinde porträtiert, gibt Parks einen echten Einblick in italienische Verhältnisse.
Tag 6 (Duckworth S.240 / Ripley S.319)
Morris ist krank und hilflos ans Bett gefesselt. Er merkt wie die Polizei beim Doppelmord auf ihn und Massimina gekommen ist, aber ohne ihre Namen zu wissen. Der Tag der Lösegeldübergabe bricht an. Er riskiert es – und tatsächlich kann er das Geld an sich nehmen.
Tom stellt sich als Ripley der Polizei, gibt sich ahnungslos und bleibt unbehelligt. Die Polizei sucht nun nach Dickie. Tom sucht sich eine Bleibe in Venedig und plant nach Dickies Testament zu seinen Gunsten zu fälschen. Ganz schön abgefeimt. Aber Marge besucht ihn in Venedig. Wird das gut gehen?
Wiederkehrende Motive Teil 4: Mannomann, die italienische Polizei kommt in beiden Fällen alles andere als gut weg, bei Ripley ist sie sogar der Inbegriff der Inkompetenz.
Tag 7 (Duckworth S.297 / Ripley S.383)
Morris verliert die Kontrolle und begeht einen dritten Mord. Er hat große Mühe, die Leiche verschwinden zu lassen – fast eine Slapsticknummer. Aber er kann mit dem Geld fliehen. Psychologisch ist echt erstaunlich, wie er die Schuld am letzten Mord von sich weist.
Tom hingegen entscheidet sich in letzter Sekunde gegen einen dritten Mord und kann die Situation kaltblütig retten. Er begibt sich in unmittelbare Gefahr, entdeckt zu werden und kann dennoch die Konfrontation mit Marge, Mr.Greenleaf und dem Detektiv überstehen. Eigentlich nicht zu glauben.
Tag 8 (Duckworth S.303 / Ripley S.426)
Hmm, da sind es bei Duckworth nur noch ein paar Seiten gewesen, die hätte ich auch gestern noch lesen können (der Rest war Vorschau auf die nächsten Bände). Aber nun sind beide Bücher aus und wie man angesichts mehrerer Bände mit den Protagonisten schon vorher vermuten konnte, kommen beide davon und haben auch noch einen guten Schnitt gemacht.
Und nun bleibt die Frage übrig: Wer ist denn der Talentiertere?
Schwer zu sagen, Tom Ripley ist meines Erachtens der Abgebrühtere von beiden, aber er hat auch mehr Glück als Verstand. Morris Duckworth handelt eher impulsiv und im Affekt, aber er hat auch großes Improvisationstalent. Beide Romane haben mich gut unterhalten, Mister Duckworth vielleicht aber einen kleinen Tick mehr. Autor Tim Parks hat hier einen echt miesen Typen geschaffen, dem man aber zunehmend gerne durch diesen spöttisch-makabren Roman folgt. Tom Ripley hingegen bleibt weitgehend unterkühlt, nur selten gerät er ins Schwimmen. Das wäre allerdings angesichts seiner riskanten Manöver angebracht. Er wirkt fatalistisch, bei Morris Duckworth hingegen spürt man die Panik. So lasse ich mich am Ende zu der Aussage hinreißen: Insgesamt fand ich Morris Duckworth lebendiger – und vielleicht auch ein kleines bisschen talentierter.
Dieses Lese-Tagebuch hat Gunnar Wolters geschrieben.
Anmerkung: Die bibliographischen Angaben zu den Büchern sowie weitere Verlinkungen findet ihr wie immer unter den Einzelrezensionen. Diese werden am 16. und am 17. Juni veröffentlicht.