Wolfgang Schorlau | Die schützende Hand

Wolfgang Schorlau | Die schützende Hand

„Es ist der Hammer! Stell dir vor, es gab weder an der Pumpgun noch auf den Patronenhülsen Fingerabdrücke, weder von Mundlos noch von Böhnhardt. Das Ableben der beiden geschah spurenfrei. Dabei trug Mundlos keine Handschuhe. Wenn er geschossen hat, dann mit nackten Fingern. Du hast doch das Foto gesehen…“
Olga im Halbschlaf: „Bitte erzähl es mir morgen früh.“ […]
„Keine Spuren an der Waffe. Für wie blöd halten die uns eigentlich?“
Er streckte sich aus und nahm die schlafende Olga in den Arm.
„Wieso blöd?“, murmelte sie. „Sie kommen doch damit durch. Diese Leute kommen immer durch.“ (Auszug Seite 218)

Privatdetektiv Georg Dengler ist mal wieder knapp bei Kasse. Da bietet ihm ein mysteriöser Auftraggeber unerwartet einen lukrativen, aber scheinbar ziemlich einfachen Job an. Der Auftrag lautet: „Wer erschoss Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt?“ Dengler denkt zunächst, im NSU-Fall ist derart umfangreich ermittelt worden, da braucht man doch einfach nur die Ermittlungsergebnisse zusammenfassen. Doch Dengler merkt bald, irgendwas ist faul, irgendetwas passt nicht zusammen. Je tiefer er in die Ermittlungen einsteigt, umso mehr wird ihm klar, dass er einem Staatsverbrechen auf der Spur ist.

Georg Dengler ist Privatdetektiv und lebt in Stuttgart mit der Computerexpertin Olga zusammen. Sein ehemaliger Job beim BKA holt ihn dennoch bis heute ein: Er leidet unter Alpträumen, in denen er das Attentat an Alfred Herrhausen wieder erlebt, dass er als Personenschützer mitgemacht hat. Schon damals hatte er die Ahnung, dass die staatlichen Behörden eine unrühmliche Rolle gespielt hatten. Andererseits hat er durch den früheren Beruf noch einige hilfreiche Kontakte.

Der Krimi Die schützende Hand ist inzwischen der achte Band der Reihe um den Privatermittler und Ex-BKA-Beamten Georg Dengler. Autor Wolfgang Schorlau zählt erfreulicherweise zu der Minderheit der deutschen Krimiautoren, die bevorzugt aktuelle politische und gesellschaftliche Themen in ihren Werken aufnehmen. Band 1 der Reihe, Die blaue Liste, über den Mord an Detlev Karsten Rohwedder und die 3.Generation der RAF (plötzlich wieder hochaktuell) und Band 4, Das München-Komplott, über das Oktoberfestattentat zählen für mich zu den besten deutschen Krimis der letzten 15 Jahre. Schorlau ist bekannt für seine ausgiebige Recherche, die er den Lesern zum einen im üppigen Anhang, zum anderen auf seiner Internetseite (www.schorlau.com) zur Verfügung stellt. In diesem Fall wurde Schorlau wegen seiner Recherchen sogar als Zeuge vor den NSU-Untersuchungsausschuss des baden-württembergischen Landtags geladen.

Der Autor hat die Geschichte in schnell lesbaren, kurzen Kapitel mit raschen Perspektivwechseln verfasst. Dengler konzentriert sich in seinen Ermittlungen auf die Ereignisse am 4. November 2011 im Eisenacher Stadtteil Stregda: Der mutmaßliche Suizid der beiden Rechtsterroristen Mundlos und Böhnhardt. Daneben kommen aber noch weitere Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds zur Sprache: Das Nagelbomben-Attentat in Köln 2004, der Mord an Internetcafé-Besitzer Halit Yozgat 2006 in Kassel und der Mord an Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn. Die Begegnung mit dem Steuerberater Ali Demir, der das Attentat in der Kölner Keupstraße damals miterlebte und unmittelbar nach dem Attentat zwei bewaffneten Zivilisten begegnete, deren Identität bis heute nicht geklärt ist, war für Schorlau übrigens der Anlass, sich mit dieser Thematik näher zu befassen.

Schorlau hat hier einen echten Enthüllungsroman verfasst. Er lässt seinen Protagonisten immer tiefer in den Originalakten und Protokollen stöbern und dabei kommen Punkt für Punkt die ganzen Fehler und Pannen ans Tageslicht. Der politisch interessierte Bürger wäre davon nicht völlig überrascht, aber in diesem Krimi wird letztlich deutlich: Die Ungereimtheiten haben System. Die gesamten deutschen Sicherheitsbehörden, allen voran der Verfassungsschutz, aber sogar die Amerikaner scheinen irgendwie involviert. Bloß eine wilde Verschwörungstheorie? Schorlau sagte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk:

„Es gibt so viele irrwitzige Dinge in diesem NSU-Komplex, die man entweder nur sich erklären kann, wenn man sagt, die Sicherheitsbehörden sind völlig unfähig oder sie verfolgen einen gewissen Zweck. Ich glaube, eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Und ich habe mich entschlossen zu sagen, sie verfolgen einen bestimmten Zweck.“ Die weitere Entwicklung im NSU-Prozess konnte Schorlau übrigens nicht mehr im Buch unterbringen. Erstaunlicherweise hat die Angeklagte Beate Zschäpe die (spätestens nach Lektüre dieses Buches nicht ganz unkritisch zu sehenden) Ermittlungsergebnisse der Bundesanwaltschaft weitgehend bestätigt (freilich nicht ohne die eigene Tatbeteiligung herunterzuspielen). Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Wolfgang Schorlau mag jetzt nicht der Filigranste unter den Krimiautoren sein. Das Buch wirkt durch die zahlreichen Einschübe aus Akten, Protokollen und Artikeln etwas roh, bei seinen Figuren (besonders bei den Bösen) neigt der Autor zu überspitzten Darstellungen. Aber in diesem Fall kommt es kaum negativ zum Tragen. Schorlaus Wucht und Enthüllungseifer treiben die Handlung voran, bringen den Leser ins Grübeln und machen aus diesem Buch einen überzeugenden Krimi.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

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Die schützende Hand | Erschienen am 12. November 2015 bei Kiepenheuer & Witsch
ISBN 978-3-462-04666-3
384 Seiten | 14,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Oliver Bottini | Im weißen Kreis

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