Tor Even Svanes | Ins Westeis

Tor Even Svanes | Ins Westeis

„Dir passiert hier doch nichts, weißt du. Hure. Dir passiert nichts, worum du nicht selbst gebeten hast. Was du dir nicht selbst gewünscht hast. Das weißt du. Du bittest doch seit dem Moment darum, in dem du an Bord gekommen bist.“
Dann hört sie das feilende Geräusch des Schlüssels, der ins Schloss geschoben wird, und sie denkt an den über das Eis kratzenden Haken, kurz bevor er sich in weiches Gewebe rammt. (Auszug Seite 151)

Das Robbenfangschiff M/S Kvalfjord ist unterwegs zu den Fanggebieten in Grönland. Die Mannschaft besteht nur aus Männern – und Mari, eine junge Veterinärin, die im Auftrag der norwegischen Fischereibehörde die Robbenjagd beaufsichtigen soll. Als das Schiff am Bestimmungsort eintrifft und die Jagd begeht, stellt Mari schnell Verstöße gegen Tierschutz und Sicherheitsregeln fest. Doch der Kapitän ignoriert ihre Beschwerden und die ohnehin reservierte Haltung der Männer schlägt in offene Ablehnung und Psychoterror um.

Das Buch ist ein schmales Bändchen von noch nicht mal 200 Seiten und dazu noch sehr großzügig editiert mit teilweise nur wenigen Sätzen auf einer Seite. Es beginnt damit, dass Mari nochmals gebeten wird, die Geschichte zu erzählen und dabei wird erwähnt, dass sie immer noch unter einem traumatischen Stresssyndrom leidet und daher Probleme hat, die Ereignisse in eine genaue Chronologie zu bringen. In der Tat gibt es zu Beginn einige Sprüngen in der Erzählung, die von einem personalen Erzähler vorgetragen wird, doch schließlich beginnt der Bericht mit Maris Ankunft an Bord, der Abreise aus Tromsø und dem Erreichen des Eises und der Fanggebiete.

Mari ist zum ersten Mal auf einem Fangschiff und dementsprechend unsicher, aber auch bemüht, Zugang zu der kleinen Mannschaft zu finden, was allerdings nicht so recht gelingt. Schon auf dem Weg nach Grönland passieren merkwürdige Dinge: Ihre Kleidung, die sie vor der Dusche hingelegt hat, liegt plötzlich wieder in ihrer Kabine. Sie riecht nachts Zigarettenrauch vor ihrer Tür. Außerdem bricht der Telefonmast und der einzige Kontakt nach außen ist nur über den offenen Kanal des Funkgeräts möglich. Als die Jagd beginnt und Mari sich beim Kapitän beschwert, lässt dieser klar erkennen, dass er aus Profitgründen an den bisherigen Abläufen weitgehend festhalten will. Als er zudem die Mannschaft darüber aufklärt, dass Mari die Verstöße melden will, schlägt ihr offene Verachtung entgegen. Und mit jedem Tag am Rande des Eises nimmt der Druck zu.

Neben den Ereignissen an Bord enthält der Bericht auch die Schilderungen der Robbenjagd (nach einem Hinweis des Autors im Vorwort sind Auszüge aus echten Berichten der Inspektoren der Fischereibehörden hier eingeflossen). Natürlich ist das ein blutiges Geschäft, dennoch gibt es verbindliche Regeln, um das Leid der Tiere möglichst minimal zu halten. Doch die Männer an Bord der Kvalfjord halten sich nicht an die Regeln, teils aus Inkompetenz, teils aus Profitgier und teils um Macht und Gewalt auszuüben. Eine Kritik an ihrem Verhalten ist selbstredend unerwünscht, erst recht von einer Frau.

Ins Westeis ist eine kurze Erzählung von Machtausübung und Verletzbarkeit von Mensch und Natur. Dabei nutzt der Autor die isolierte Situation auf dem Schiff und die raue Natur des Eisrands zu einer intensiven Geschichte.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

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Ins Westeis, erschienen am 01.08.2016 im Osburg Verlag
ISBN 978-3-95510-115-2
198 Seiten | 18,- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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