Robert McCammon – Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal (Band 1+2)
„Die Hexe hat so gut wie zugegeben, dass sie an den Morden an Reverend Grove und ihrem Mann beteiligt gewesen ist. Sie trägt die Merkmale und kann nicht das Vaterunser aufsagen. Sie hat den bösen Blick und – was am meisten verrät – unter einem Fußbodenbrett in ihrem Haus sind eine Anzahl Strohpuppen gefunden worden, die sie gebastelt hat, um ihre Opfer zu verhexen. Rachel Howarth ist mit Sicherheit eine Hexe, und ihr und ihrem schwarzschwänzigen Meister ist es fast gelungen, meine Stadt zu zerstören.“ (Auszug Seite 91)
Wir begleiten im Jahr 1699 den fahrenden Richter Isaac Woodward und seinen jungen Gerichtsdiener Matthew Corbett auf ihrer Reise nach Fount Royal, um einen Prozess durchzuführen. Einen Hexenprozess! Im 17. Jahrhundert siedeln viele Europäer in den Kolonien Nordamerikas an. Engländer und Spanier kämpfen um das Land und vor allem viele Briten wollen sich in Carolina ein neues Leben aufbauen. Während die Wirtschaft in den Hafenstädten bereits floriert, haben es die Kolonien in den Sumpflandschaften noch schwer. In dem neu gegründeten Örtchen Fount Royal scheint jedoch die „Neue Welt“ bereits in Gefahr. Zwei Morde, diverse Brände und etliche Missernten ließen schon einige Einwohner die aufstrebende, kleine Stadt wieder verlassen. Die verbliebenen knapp 100 Bewohner haben schon eine Schuldige gefunden. Rachel Howarth soll nicht nur für die unerklärlichen Tragödien in ihrem Dorf verantwortlich sondern auch mit dem Teufel im Bunde sein. Die Dorfbewohner mitsamt ihrem umtriebigen Bürgermeister und Gründer Robert Bidwell verlangen, dass die schöne Witwe vor Gericht gestellt und wegen Hexerei hingerichtet wird. Der seit einigen Wochen im Gefängnis sitzenden Angeklagten droht bei einer Verurteilung die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen.
Was für ein Auftakt!
Bereits auf ihrer Kutschfahrt über schlammige Straßen durch die nebelige Sumpflandschaft kommen der Richter und sein Gehilfe zu einem verkommenen, kleinen Wirtshaus und geraten an den zwielichtigen Wirt und seine Familie. Hier geraten sie in einen Hinterhalt, kommen nur knapp mit dem Leben davon und müssen sich auf ihrer Flucht durch den Wald halbnackt und ohne Gepäck bis nach Fount Royal durchschlagen. Mich hatte die Geschichte nach wenigen Seiten, ach nach wenigen Worten bereits in den Bann gezogen. Mit seinem bildgewaltigen, intensiven Schreibstil nimmt Robert McCammon den Leser an die Hand und man fühlt sich in die Epoche vor circa 300 Jahren zurückversetzt. Das historische Setting ist einfach mitreißend angelegt. Man spürt den Dreck und die feuchte Schwüle, riecht die ungewaschenen Körper und den Gestank der Sümpfe. Der Autor versteht es, eine düstere sowie bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, auch die Sprache, im Besonderen die Dialoge sind der damaligen Zeit angepasst.
Danach wird das Tempo erst mal gedrosselt und McCammon verliert sich in ausführlichen Beschreibungen der Umgebung sowie umfangreichen Figurenzeichnungen. Er nimmt sich richtig viel Zeit, die vielen Personen einzuführen. Auch die Nebenfiguren sind präzise und interessant gezeichnet, mit zahlreichen Facetten ausgestattet und bringen eine Vita mit. Das erinnert mich tatsächlich ein bisschen an Stephen King und genau wie er versteht es McCammon den Leser in die Geschichte hereinzuziehen.
Das Abenteuer beginnt
Der Richter holte den damals 15-jährigen Corbett aus einem Waisenhaus heraus und nahm ihn zu seinem Büttel. Er hegt fast väterliche Gefühle für Matthew, was der aber nicht so wahr haben will. Woodward ist ein kluger, fortschrittlicher Jurist, dem die Wahrheit sehr wichtig ist und der Rachel Howarth auf jeden Fall einen fairen Prozess machen will. Allerdings beruht das gesamte Wissen der englischen Rechtsprechung zum Teil immer noch auf mittelalterlichem Glauben. Die Hexenprozesse von Salem haben erst kurz vorher in den USA stattgefunden und trotz vieler Zweifel in Fachkreisen an der Existenz von Hexen auch Richter Woodward sehr beeindruckt. Matthew ist ein intelligenter, noch sehr junger Mann, in vielen Dingen vielleicht etwas unbedarft, was er jedoch durch einen scharfen Verstand wieder wettmacht. Eigentlich besteht seine Aufgabe lediglich darin, den Prozess zu protokollieren, aber er kann dem Drang, Dinge zu hinterfragen nicht unterdrücken. Er muss einfach überall seine Nase reinstecken und jedes Geheimnis ergründen. Schon im Waisenhaus galt er aufgrund seines Wissensdurstes als Außenseiter, vergrub sich in seinen Büchern anstatt an den rauen Spielen der anderen Knaben teilzunehmen.
Kurz nach der Ankunft in Fort Royal wird der Richter durch eine schwere Krankheit, die er sich auf der beschwerlichen Reise zugezogen hat, ans Bett gefesselt. Das zwingt Matthew zu vielen Alleingängen. Denn er zweifelt schon nach der ersten Begegnung an der Schuld der schönen Portugiesin, fragt sich sogar, ob es Hexerei überhaupt gibt. Die Beweise für Rachels Schuld scheinen erdrückend zu sein, es gibt mehrere glaubhafte Zeugenaussagen, die auch in den Details völlig übereinstimmen. Corbett versucht hinter die Fassaden der Dorfbewohner zu gucken und deckt dabei so einige Geheimnisse auf. Bei seinen Recherchen stößt er auf einigen Machenschaften, die ihn immer mehr in Gefahr bringen und kommt der Lösung langsam immer näher. Die Handlung entwickelt sich immer fesselnder und weiß mit vielen Wendungen zu überraschen. Auch Verdächtige gibt es zu genüge.
Meine Meinung
Die Geschichte wird auktorial mit Blick auf Matthew Corbett erzählt. Robert McCammon hat für seinen Roman ein noch unverbrauchtes Setting gewählt. Jedenfalls hatte ich noch nichts aus der Frühzeit der Besiedelung des amerikanischen Kontinents gelesen. Die mitunter grausame Kolonialzeit fand ich spannend dargestellt. Ich konnte völlig in der Atmosphäre versinken und in die vom Autor aufgebaute Welt mit seinen skurrilen Figuren abtauchen. Für mich ist es immer ein toller Lesegenuss, wenn ich mich als Teil der Geschichte fühle. Der historisch umfangreich recherchierte Kriminalroman ist für mich ein deftiges Leseabenteuer mit weniger gruseligen jedoch schaurigen und auch brutalen Aspekten.
Die Geschichte ist im Original in einem Buch erschienen, während der Luzifer-Verlag sie in zwei Bänden veröffentlicht hat. Das sollte einem klar sein, denn man muss dann schon beide Bände lesen, um in den Genuss der ganzen Geschichte zu kommen. Das ist der Grund, warum ich nur eine Rezension verfasst habe.
Robert McCammon wurde 1952 in Birmingham, Alabama geboren, wo er heute noch lebt. Der mehrfach ausgezeichnete Autor prägte in den 1980er Jahren zusammen mit Stephen King die Hochzeit der Horrorliteratur. Nach einer längeren Auszeit von über 10 Jahren meldete er sich 2002 mit dem ersten Roman der „Matthew Corbett“-Reihe zurück. Die historische Krimireihe ist auf neun Bände angelegt.
Foto & Rezension von Andy Ruhr.
Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal | Band 1 erschien am 23.März 2017 im Luzifer-Verlag
ISBN 978-3-958-35197-4
516 Seiten | 19,95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Band 2 erschien am 31. Oktober 2017 im Luzifer-Verlag
ISBN 978-3-958-35230-8
500 Seiten | 19,95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Originaltitel: Speaks the Nightbird (Übersetzung aus dem Englischen von Nicole Lischewski)