Ron Corbett | Cape Diamond (Band 2)
Springfield, eine fiktive kanadische Großstadt im Landesinneren an der nördlichen Wasserscheide. An einem Zaun eines Sportplatzes am Rande einer Hochhaussiedlung wird übel zugerichtet Augustus Morissey, Boss des heimischen Gangsterclans der Shiners, ermordet aufgefunden. Besonderes Detail: In seinem Mund wird ein äußerst wertvoller ungeschliffener Diamant gefunden. Detective Frank Yakabuski stößt bei seinen Ermittlungen auf viel Schweigen und wenig Interesse. Der Verdacht fällt auf die rivalisierende, kriminelle Truppe der North Shore Travellers. Auch von diesen wird kurz darauf jemand an der gleichen Stelle aufmordet aufgefunden. Es kommt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen, die Stadt gleicht einem Pulverfass, man erwartet täglich einen blutigen Bandenkrieg.
Die Shibers sind eine ursprünglich irische Schmugglerbande, die seit der ersten Besiedlung der Region (nach den Indigenen) mit den Travellers, die als Nachfahren von Sinti und Roma nach Kanada kamen, einen blutigen Bandenkrieg liefert. Beide Gruppen haben mittlerweile ihre kriminellen Aktivitäten diversifiziert. Durch den Diamantenfund kommt aber noch eine ganz andere Wendung in den Fall: Nicht allzuweit entfernt von Springfield befindet sich Cape Diamond, eine äußerst lukrative Diamantenmine. Allerdings auch mit äußerst strengen Sicherheitsvorkehrungen, sodass die Leitung der Mine es ausschließt, dass der Diamant entwendet worden sein kann.
Zudem kommt ein weiterer Erzählstrang hinzu: Von den Akteuren in Springfield unbemerkt, begleitet der Leser die Fahrt eines Killers aus Mexiko Richtung Kanada. Der kühle, rationale Mann fährt mit einem Campervan Richtung Norden und ist für alle Eventualitäten gut ausgerüstet. Bald schon zieht er eine Blutspur hinter sich her, da er alle Personen, die ihn an die Behörden verraten könnten, ausschaltet. Was der Leser bald weiß: Er hat einen Auftrag in Springfield. Doch wie hängt das mit den sonstigen Ereignissen zusammen?
Yakabuski fühlte sich wie der unter Zeitdruck geratene Künstler. Weil er das Bild einfangen wollte, bevor es ganz verschwand. Inzwischen war er überzeugt, dass in diesem Fall nichts so war, wie es auf den ersten Blick schien. Die Ermittlungen erinnerten an einen Stummfilm auf Zelluloid, als genug fürs Museum, ein Streifen in Schwarz-Weiß, ohne Anfang und Ende, sondern lediglich einem mysteriösen Mittelteil und ätzenden chemischen Emulsionen anstelle des Vor- und Abspanns. (E-Book Pos. 1842-1851)
Der zweite Teil der Reihe um den einzelgängerischen Detective Yakabuski führt wieder in die rauen, kargen Gegenden Kanadas am Rande des borealen Nadelwalds, obwohl Autor Ron Corbett mit Springfield eine großstädtisches Setting ebenfalls erschafft. Yakabuski ist ähnlich wie im ersten Roman „Preisgegeben“ eher als einsamer Wolf unterwegs, ein Ermittler, der sich wenig um Hierarchien und Polizeitaktiken schert. Von seiner Vergangenheit als Soldat mit Auslandseinsatz im Bosnienkrieg und als Untercover-Cop, der eine berüchtigte Motorradgang erfolgreich infiltriert hat, ist Yakabuski geprägt und handelt eher spontan und intuitiv, um dem Bösen die Stirn zu bieten. Gleichzeitig ist er bereit, bei seinen Ermittlungen nicht nur die ausgetretene Pfade zu benutzen und das Offensichtliche anzunehmen, sondern in die tieferen Hintergründe vorzudringen.
Der Roman erzählt viel von der Vergangenheit der Region mit Siedlern, Holzfällern, fahrendem Volk und wie sich Konflikte aus der damaligen Zeit bis in die Gegenwart erhalten haben. Der Autor erschafft einen auf Gewalt basierenden Gründungsmythos seiner fiktiven Stadt Springfield, der allerdings an echte Geschichten und Konflikten anknüpft. Interessant dabei sind auch die Wetterverhältnisse während der Handlung: Am Ende des Herbstes und zu Winterbeginn erwartet man in Springfield eigentlich Frost und Schnee. Stattdessen herrschen warme, fast sommerliche Temperaturen, die die Geschehnisse vor Ort buchstäblich nochmal anheizen.
Insgesamt hat Ron Corbett einen harten Krimi mit brutalen Gestalten und groben Gewalttaten geschrieben, der mich an manchen Stellen an James Lee Burkes Robicheaux-Romane erinnert haben, z.B. Bei den Geschichten aus der Vergangenheit und diesem Killer, der aus dem Nichts kommend auf den Plan tritt. Ein Dave Robicheaux ist Frank Yakabuski trotz ein paar Ähnlichkeiten nicht ganz. Allerdings ist auch er ein Ermittler, der die ganze Zeit versucht, auf die Zwischentöne zu achten und herauszufinden, ob hinter der ganzen Gewalt nicht noch mehr dahintersteckt. Und so viel sei gesagt – er wird recht behalten in diesem hartgesottenen kanadischen Krimi. Insgesamt eine wirklich gelungene Fortsetzung der Reihe.
Foto und Rezension von Gunnar Wolters.
Cape Diamond | Erschienen am 12.02.2024 im Polar Verlag
ISBN 978-3-948392-92-5
320 Seiten | 17,- €
Originaltitel: Cape Diamond | Übersetzung aus dem kanadischen Englisch von Harriet Fricke
Bibliografische Angaben & Leseprobe
Weiterlesen: Gunnars Rezension zu Band 1 „Preisgegeben“