Megan Abbott | Wage es nur!
Es gibt kaum etwas Amerikanischeres als Cheerleader. Athletische, gutaussehende Mädchen und junge Frauen, die in knappen Kostümen das jeweilige Sportteam supporten, die Zuschauer animieren und akrobatische Kunststücke vollführen. Dass so manches breite Lächeln dabei eher aufgesetzt ist und dieses Hobby aus harter Arbeit und vielen Entbehrungen besteht – das konnte selbst der absolute Laie vermuten. Zu welcher Dynamik aber ein Cheerleader-Team fähig ist, das lotet Megan Abbott in ihrem neuesten Noir „Wage es nur“ hinlänglich aus.
Die Geschichte wird als Ich-Erzählerin von Addy Hanlon erzählt, 16 Jahre alt. Sie ist Teil ihres High School Cheerleader Teams. Anfangs war es nur ein Zeitvertreib, wie sie selbst erklärt, um die Zeit totzuschlagen, bis endlich etwas passiert. Doch inzwischen lebt sie fürs Cheerleaden, lässt sich völlig davon vereinahmen. Ihre beste Freundin ist Beth Cassidy, das Top Girl, die Anführerin des Teams und diejenige, die sagt, wo es in ihrer Freundschaft lang geht. Zu Beginn der neuen Saison kommt nun eine neue Trainerin zum Team: Colette French. Zunächst etwas unnahbar und hart, lässt sie das Team aber auch an sich heran und verbringt auch außerhalb der Sporthalle Zeit mit ihnen. Coach Colette merkt aber bald, dass sie die Mädels nur dann vollständig hinter sich bringen und auf ein neues Level bringen kann, wenn sie die bestehenden Hierarchien aufbricht.
Weil Coach Beth als das erkennt, was sie ist, und weiß, dass sie sie stürzen muss.
Und Tacy?
Eine Schachfigur. (S.56)
Das Amt der Kapitänin wird abgeschafft, ein neues Top Girl (das bei den Figuren ganz oben steht) aufgebaut. Zudem bemüht sich Colette sehr um Addy, die sich allzu gerne darauf einlässt und die Lebenserfahrung ihrer Coachin förmlich aufsaugen will. Das lässt das Alphatier Beth natürlich nicht auf sich sitzen. Beth ist die geborene Intrigantin, sie sät Zwietracht und spinnt im Hintergrund die Fäden. Und sie weiß genau, welche Knöpfe sie drücken muss. Als Addy und sie Colette bei einem Seitensprung überraschen, ist der Angriffspunkt gefunden.
Der Roman beginnt damit, dass Colette Addy eines Nachts um Hilfe bittet. Offensichtlich ist jemand zu Tode gekommen. Die Szene wird dann in der Mitte des Romans wieder aufgegriffen. Bis zuletzt wird im Folgenden um die Umstände gerungen und wer welche Verantwortung dafür trägt, dass es so weit gekommen ist.
„Wenn man von außen schaut“, sagt sie, und ihr Mund steht erschrocken offen, „sieht es aus, als wolltet ihr euch gegenseitig umbringen, und auch euch selbst umbringen.“ (S.273)
Megan Abbott schreibt aus der Sicht von Abby und findet einen überzeugenden Ton einer Heranwachsenden, die die Schwelle zum Erwachsenwerden so langsam überschreitet und dementsprechend noch von Unsicherheit geprägt ist. Die Geschehnisse zwischen den Cheerleader-Mädchen sind geprägt von Zickenkrieg, Dominanzgehabe, Eifersucht und Manipulation. Das Cheerleadern und die Auftritte katapultieren die Mädchen auf eine andere Ebene, dafür hungern sie und ertragen Schmerzen. Sie bereiten sich akribisch vor, ihre Schminke, ihr Glitzer, ihre Kostüme sind eine Art Rüstung für ihren eigenen Gladiatorenkampf. Abbott schildert diese Atmosphäre im Locker Room eindringlich und prägnant (auch die Übersetzung durch Karen Gerwig sei an dieser Stelle gewürdigt) und dringt tief in die Psyche der Mädchen ein – ohne dass man als Leser diese Hormondurchflutung vollständig nachvollziehen könnte. Doch das diese Atmosphäre toxisch ist und auf eine Katastrophe hinausläuft, ist sofort klar. Insgesamt ein etwas anderer Noir, anregend und bedrohlich, der beweist, dass das Dunkle auch in Pompons daherkommen kann.
Foto und Rezension von Gunnar Wolters.
Wage es nur | Erschienen am 30.04.2024 bei Pulp Master
ISBN 978-3-946-58218-2
342 Seiten | 16,- €
Originaltitel: Dare me | Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Karen Gerwig
Bibliografische Angaben & Leseprobe