Jahresrückblick 2017 Gunnar und Nora
Dieses Jahr fassen wir unsere Jahresrückblicke etwas zusammen, damit wir nicht so viele Einzelbeiträge haben. In diesem Falle passt es außerdem sehr gut. Während Gunnars Schwerpunkt auf den Krimineuerscheinungen lag, war Nora dieses Jahr besonders eifrig bei den visuellen Serien-Highlights. Die Beiträge von Andrea und Andy gibt es am 6. Januar. Zunächst aber ein Blick auf Gunnars Lesejahr.
Gunnar
Eigentlich wollte ich doch 2017 etwas mehr Belletristik lesen, aber dazu bin ich kaum gekommen. Doch immerhin sind mir zwei großartige Bücher im Gedächtnis geblieben: „Montana“ von Smith Henderson und „Der Lärm der Zeit“ von Julian Barnes.
Ansonsten bin ich weitgehend den Krimis treu geblieben, von 91 gelesenen Büchern waren dann in der Tat 75 aus dem Krimigenre. Immerhin habe ich aber dieses Jahr auch ein paar etwas ältere Werke und Klassiker gelesen. Sehr viel Spaß hatte ich beispielsweise mit meinem langen Wochenende mit deutschen Krimiklassikern. Aber für meinen Jahresrückblick beschränke ich mich wie üblich auf eine Auswahl der 34 Neuerscheinungen, die ich gelesen habe. Diesmal habe ich keine Top 5-Rangliste gemacht, sondern stattdessen drei geografische Schwerpunkte herausgesucht, die mir bei der Durchsicht meiner gelesenen Bücher besonders aufgefallen sind und von denen ich jeweils zwei Bücher vorstelle.
Deutschland
Die heimische Krimilandschaft wird ja naturgemäß am kritischsten beäugt. Und oft nicht zu unrecht. Aber neben all den Fließbandproduktionen hat die deutsche Krimiszene auch einige herausragende Autoren zu bieten.
Zum einen Monika Geier, die mich mit ihrem Roman Alles so hell da vorn sehr begeistert hat. Dass ich den siebten Band einer Reihe als Erstes lese, kommt schon sehr selten vor. Und dass mich dieser derartig überzeugt wohl noch weniger. Aber diese Bettina Boll ist eine authentische Hauptfigur, der Plot um Kindesmissbrauch und Zwangsprostitution gesellschaftlich relevant und die Schauplätze regional verwurzelt, aber nicht provinziell. Meine Eindrücke habe ich so zusammengefasst:
„Dieses Buch ist genauso wie die Hauptfigur: Rau, widerborstig, etwas chaotisch, aber auch empathisch, unermüdlich, anständig, integer. Kurzum: Ein verdammt guter deutscher Krimi.“
Zum anderen Oliver Bottini. Der mir allerdings schon länger ein Begriff als exzellenter Autor ist. Zum Jahresende habe ich sein neuestes Werk Der Tod in den stillen Winkeln des Lebens gelesen und ich bin wieder hellauf begeistert. Diese Geschichte um eine tote junge Deutsche in Rumänien ist so vielschichtig und großartig geplottet. Es geht um Trauer, Wut, Schuld und gleichzeitig um den ungebremsten Kapitalismus in der Agrarindustrie. Die Rezension zu diesem Buch steht noch aus, wird aber im Januar nachgeholt. Trotzdem verdient es sich schon jetzt einen Platz in dieser Liste.
Frankreich
Das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse war bekanntlich Frankreich. Somit ist es gar nicht so abwegig, dass es auch in meinen Highlights als Schwerpunkt auftaucht. Und das, obwohl von meiner Lieblingsautorin Dominique Manotti dieses Jahr gar keine Neuübersetzung erschienen ist.
In Zeiten des Aufstiegs der neuen Rechten war ein Krimi sicherlich das Buch der Stunde: Jérôme Leroys Der Block. Ein Schlüsselroman, in dem sich die Geschichte des Front National wiederspiegelt. Vom gewählten Aufbau ist es höchst anspruchsvoll, an Handlung passiert nicht viel. Vielmehr lassen zwei Männer der rechtsextremen Partei Bloc patriotique in der Nacht, in der die Partei erstmals in die Regierung eintreten soll, ihre Geschichte Revue passieren. Mein Urteil:
„In der aktuellen Situation, in der die neuen Rechten vielerorts plötzlich salonfähig werden, ist ein solcher Roman noir ein klares politisches Statement. Der Wolf mag Kreide gefressen haben, aber er ist immer noch ein Wolf.“
Noch besser als Der Block hat mir aber ein archaisches Familiendrama, ein Country Noir aus dem Zentralmassiv gefallen. In Antonin Varennes Die Treibjagd prallen in einer Kleinstadt im Massif Centrale zwei rivalisierende Familienclans aufeinander. Mittendrin der von einem Arbeitsunfall gezeichnete Revierjäger Rémi Parrot und seine alte Liebe Michèle Messenet. Der nicht chronologische Aufbau mag den einen oder anderen schrecken, aber ich fand das sehr kunstvoll gemacht und mein Fazit war:
„Antonin Varenne gelingt es in diesem französischen „Country noir“ sehr eindrucksvoll, die Themen Liebe, Macht, Wut und Rache zu einer kraftvollen, düsteren und melancholischen Geschichte zusammenzubringen.“
Schottland
Schottland war schon immer ein Ort für hervorragende Kriminalliteratur, man denke nur an Ian Rankin oder William McIlvanny. Und doch erlebt der schottische Kriminalroman aktuell ein ziemliches Revival, gerade in Deutschland.
Graeme Macrae Burnet hat mit Sein blutiges Projekt den wohl raffiniertesten Kriminalroman des Jahres geschrieben. Ein Buch, in dem eigentlich erst am Schluss klar wird, dass es vollkommen fiktiv ist. Ein junger Mann tötet den Dorfvorsteher, der ihn vorher schikaniert hatte, und dessen Kinder. Ein eiskalter Mörder oder nicht schuldfähig? Ein Historisches Drama, ein Justizdrama. Meine Meinung:
„All das hervorragend komponiert in einem Fake-True-Crime-Gewand. Ein wirklich hervorragender Roman, von mir gibt es eine klare Empfehlung.“
Peter May hat mich mit seiner Lewis-Trilogie ebenfalls überzeugt. Der Schauplatz auf der rauen Insel der Äußeren Hebriden bietet aber auch einigen Reiz. Dieses Jahr erschien mit Moorbruch der letzte Teil der Trilogie und die Hauptfigur Fin Macleod muss sich wieder einmal mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen. Mein Gesamturteil:
„Gute (Kriminal-)Literatur braucht keine ausgefallenen Plots oder skurrile, exzentrische Figuren. „Moorbruch“ bietet authentische Figuren, ein tolles Setting, einen realistischen Plot und literarisch gehobenes Handwerk. Peter May liefert hier einen absolut exzellenten Roman ab.“
Nora
Im vergangenen Jahr habe ich mich mehr den Krimiserien gewidmet, als dass ich Krimis gelesen habe. Daher gibt es von mir einen DVD-Favoriten 2017 aus unserer Kategorie Schall und Rausch und ein Lesehighlight.
DVD-Tipp
Für krimirezensionen.de habe ich insgesamt neun Serien geschaut. Mein eindeutiger Favorit war die erste Staffel von The Missing! Auf zwei unterschiedlichen Zeitebenen wird das Verschwinden des kleinen Olivers während eines Urlaubs geschildert beziehungsweise nachgezeichnet. Dieser Fall hatte aus meiner Sicht von Beginn an einen hohen Realitätsbezug, wir ihr in meiner Rezension nachlesen könnt.
Während eines kurzen Ausflugs während eines Urlaubs in Frankreich, lässt Brite Tony Hughes seinen fünfjährigen Sohn Oliver nur einen Moment aus den Augen, abgelenkt durch eine Fußballübertragung in einer Bar, in der er für Oliver eine Limonade kaufen wollte. Alle unmittelbar eingeleiteten Suchaktionen verlaufen im Nichts; Oliver bleibt spurlos verschwunden.
Die zweite Erzählebene findet acht Jahre nach Olivers Verschwinden statt. Das Elternpaar hat sich inzwischen getrennt, Olivers Mutter Emily versuchte einen Neubeginn. Oliver kann jedoch kein Stück loslassen und kehrt immer wieder zurück an den Ort des Geschehens, immer in der Hoffnung, doch noch eine winzige Spur aufzutun. Was dies betrifft, finde ich beide Entscheidungen gut nachvollziehbar. Als Zuschauer kann man sich sowohl in den Vater als auch in die Mutter hineindenken (nicht -fühlen).
Sowohl der Aufbau der Serie als auch die schauspielerische Darstellung war für mich überzeugend und spannend, eine Serie, die ich an einem Wochenende unbedingt in einem Rutsch sehen musste, da die Autoren nicht mit den Zuschauern spielen und viele Theorien aufwerfen und man miträt, wie es oftmals der Fall ist. Bei The Missing Staffel 1 weiß man so gar nichts, muss es aber unbedingt erfahren.
Kurz danach habe ich auch The Missing Staffel 2 gesehen und fürs Blog besprochen. Auch in der Rückschau ist mir die Enttäuschung über die Ungleichheit von Staffel 2 zu Staffel 1 gut in Erinnerung. Staffel 2 befasst sich mit einem komplett anderen Fall. Olivers Geschichte fand in Staffel 1 ihren Abschluss.
Lesetipp
Mein Lesetipp ist schon ein etwas älterer Krimi, der 2004 erstmals in Deutschland verlegte Psychothriller Shutter Island von Dennis Lehane, den ich nach zahlreichen anderen Lehane-Romanen nun für unser Insel-Spezial gelesen hatte. Zwei Dinge hatten mich bisher davon abgehalten: Die große Popularität des Romans und der Trailer zu der Hollywood-Verfilmung, welcher mir eine Geschichte suggerierte, die ich als zu gruselig eingestuft hatte. Doch Lehane hat mich auch in diesem Fall nicht enttäuscht!
Detective Edward „Teddy“ Daniels und sein Kollege werden mit einer Fähre auf die Insel Shutter Island gebracht, wo sie als US-Marshalls das Verschwinden der psychisch kranken Strafgefangenen Rachel aufklären sollen. Doch schnell stellt sich diese relativ simple Aufgabe als ein Ticket ohne Rückkehr für die beiden Ermittler dar, denn es stellen sich Wahnvorstellungen ein und eine Gefangenenrevolte versetzt die gesamte Insel in einen Ausnahmezustand, Flucht unmöglich!
Die Geschichte ist äußerst spannend geschrieben und wenn man einmal drin ist, kommt man so ohne Weiteres auch nicht mehr raus. Da tut sich eine Parallele auf! Doch was man auch glaubt über das Buch und Teddys Geschichte zu wissen, wer sie noch nicht gelesen und den Film noch nicht gesehen hat, sollte sich die Lektüre auf keinen Fall entgehen lassen!
Im zweiten Teil unserer Jahreshighlights 2017 am 6. Januar erfahrt ihr, welche Titel Andrea und Andy besonders gut gefallen haben.