Harald Rudolf | Dreisamnebel
Ein Regionalkrimi aus dem Breisgau
Die Hauptfigur des Offenburger Autors Harald Rudolf ist ein etwas anderer „Ermittler“, nämlich Florian Buchmann, ein ehemaliger Fußballprofi des Sportclubs Freiburg. Sein immer noch nicht verblasster Ruhm gründet sich auf einen Hattrick beim sagenhaften 4:0 Sieg beim VfB Stuttgart. Den gab es wirklich, am 23. April 1994, allerdings schoss damals kein Freiburger drei Tore, und ein Florian Buchmann stand auch nicht auf dem Platz. Das war am 32. Spieltag der Saison, der Sportclub gewann auch die beiden folgenden Partien und rettet sich so vor dem Abstieg.
Dichtung und Wahrheit vermischen sich in seinen Krimis, Rudolf macht durchaus Anleihen bei realen Personen und tatsächlichen Ereignissen, so ließ er sich diesmal von einem Fall in Südbaden inspirieren, der in seiner Heimatstadt Offenburg verhandelt wurde (Rudolf arbeitet als Gerichtsreporter für die Badische Zeitung) sowie ein scheußliches Verbrechen, das in Hamburg begangen wurde. Und den Metzger Christoph Weinbrenner aus Endingen, ja, den gibt es dort, wenn auch unter anderem Namen, wirklich.
Bei ihm kauft Buchmann seine Wurstspezialitäten, denn nach seiner Fußballkarriere, für die er ein Germanistik-Studium geschmissen hat, baute er sich eine Existenz als Wein- und Feinkosthändler am Kaiserstuhl auf, im Winzerdörfchen „Gottratskirchen“. Er hat eine Affäre mit Ulla, der Frau des Bürgermeisters, der seinerseits notorisch fremdgeht. Florian nennt seine Beziehung lieber „Romanze“, die beiden genießen ihre Treffen in seiner Wohnung über dem Ladengeschäft am Marktplatz. Gerade sind die Verliebten dabei, die Jubiläumsfeier zur Wahl der dreißigsten Weinkönigin des kleinen Ortes vorzubereiten. Metzger Weibrenner fährt für das Gala-Dinner Delikatessen auf, um für seinen Catering-Service zu werben: Schottischen Lachs, gebratene Gänseleber, Wolfsbarsch mit Tomaten-Sugo und Parmesan-Gnocchi, gebackenes Kalbsbries, dazu Rotweinschalotten und Trüffeljus., anschließend Lammcarrée mit Basilikum-Polenta und als Dessert Mousse au Chocolat und Crema Catalana.
So ausführlich und genüsslich präsentiert Rudolf häufig die kulinarischen Köstlichkeiten, die bei diversen Gelegenheiten aufgetischt werden, sein Protagonist ist ein Genussmensch, und zu jedem Anlass wird entsprechend ein guter Tropfen kredenzt, es wird also viel gegessen und getrunken in diesem Roman. Warum nicht, mir gefällt dieser Florian Buchmann mit seinem Hang zum Dolce far niente, er ist nämlich ein großer Freund der italienischen Lebensart, hat nach dem Ende seiner Profikarriere als Fußballer eine Auszeit genommen und in der Toskana und Ligurien die Seele baumeln lassen. Das hat ihn geprägt, Italien blieb sein Sehnsuchtsland und er lässt auch im Alltag immer wieder italienische Floskeln einfließen.
Als zur Jubiläumsfeier eine der Weinköniginnen nicht erscheint, will Organisatorin Ulla den Grund für das Fehlen in Erfahrung bringen. Eva Maria, so der Name der Schönen, hat aufgrund einer Panne die Einladung nicht erhalten, sie wohnt nicht mehr unter der bekannten Adresse. Die Nachlässigkeit im Rathaus wurmt die Frau des Bürgermeisters, und so nimmt sie Kontakt zu den Eltern auf. Und zu ihrer Überraschung erfährt sie, das Eva Maria seit fünf Jahren verschwunden ist. Ihren Job in der Uniklinik Freiburg, wo sie zuletzt gearbeitet hatte, hat sie aufgegeben.
Ulla nimmt ihrem Florian das Versprechen ab, die Ex-Königin aufzuspüren. Aus seiner Zeit als Fußballprofi hat er noch Kontakte zum Klinikpersonal, und so forscht er dort nach. Er bringt in Erfahrung, dass Eva Maria mit einem Fußballer des Sportclubs liiert war und ihm nach Italien gefolgt ist. Sein Freund Thomas Hofrichter, Kriminalkommissar in Freiburg und glühender SC-Fan, erinnert sich sofort an den Fußballer: Andi Berisha, ein Kosovo-Albaner. Wechselte 2010 zum AC Florenz und später in die italienische Seria B zu Spezia Calcio, wo er noch heute spielt.
Eva Marias Eltern erzählen Florian bei einem Besuch, dass sie nicht glücklich über die Verbindung ihrer Tochter mit einem Albaner waren. Der Grund für das Verschwinden der jungen Frau? Die verzweifelten Eltern setzen alle Hoffnung in Florian, spüren, dass er ihr Mädchen finden wird, und der fühlt sich den alten Leuten verpflichtet. So schlittert er in einen Kriminalfall, der ebenso verzwickt wie verstörend ist.
Florian verbindet das Angenehme mit dem Nützlichen und fährt mit Ulla nach Italien, wo er diesen Andi Berisha aufsuchen will. Von ihm erfährt er, dass Eva Maria ihn verlassen hat, als sie erfuhr, dass der weit verzweigte Berisha-Clan in kriminelle Machenschaften verstrickt war. In Südbaden hatten die Männer aus dem Kosovo an die hundert Priester mit mitleidigen Geschichten, Druck, aber auch sexueller Erpressung um zwei Millionen Euro betrogen. Andi war selbst nicht an den Straftaten beteiligt, aber Eva Maria kehrte ihm den Rücken und wollte in ihrer Heimat erreichen, dass die Berishas das ergaunerte Geld an die Geprellten zurückgeben. Also macht sich Florian auf ins Glottertal, um bei einem der Gottesmänner Erkundigungen einzuholen. Tatsächlich findet er endlich eine Spur, aber ihm bleiben zunächst nur Vermutungen, Ahnungen, Spekulationen.
Ohne Beweise kann ihm auch sein Freund Hofrichter nicht helfen, mit dem er sich regelmäßig bespricht und betrinkt, zumal der selbst genug zu tun hat mit zwei Morden an der Dreisam in Freiburg. Und zu allem Überfluss hat man ihm auch noch einen Vermisstenfall aufgehalst. Florian vermutet einen Zusammenhang mit seiner verschwundenen Weinkönigin und fährt rastlos herum auf der Suche nach der Wahrheit, nochmal ins Glottertal, nochmal in die Uniklinik, nochmal nach Italien, nach Lörrach zu den Eltern der Vermissten, zu ihrer letzten Adresse in Freiburg. Er stellt viele Fragen und erhält wenige Antworten, und so wie er sich im Kreis dreht, kommt auch der Roman nicht recht von der Stelle. Die Geschichte wird ruhig, fast gemütlich vorgetragen, man könnte auch sagen: Behäbig. Es gibt Wiederholungen und Abschweifungen, immer wieder kurze, stimmungsvolle Schilderungen von Land und Leuten, der besonderen Atmosphäre in Deutschlands südwestlichstem Landstrich, dem einzigartigen Klima und nicht zuletzt der leiblichen Genüsse für die man sich immer wieder Zeit nimmt. Hinzu kommt, dass es nur so wimmelt von charmanten, liebenswerten, sympathischen Typen. Wie Florian, ein lässiger, cooler Typ ist, selbst in heiklen Situationen immer kontrolliert, sorgfältig abwägend, dabei voller Empathie für die Opfer und ihre Angehörigen und seinerseits sehr beliebt bei fast jedermann.
„Flohä“ schallt es ihm überall entgegen, sein Spitzname, weil Flo auf dem Fußballplatz eigensinnig war und gerne Mitspieler überhörte. Dann sagte er „häh?“ Aber der Name spielt auch an auf seine linke Klebe, ähnlich der von Heinz Flohe. Der geniale Techniker des 1. FC Köln, Weltmeister 1974, ist auch für den Autor Harald Rudolf ein Idol. Wie sein Florian Buchmann ist der Autor offenbar fußballaffin, italophil und ein Freund von gutem Wein und gutem Essen, was ja nicht unsympathisch ist. Anzumerken ist aber, dass lahme Wortspiele mit Begriffen oder Phrasen aus dem Sportreporter-Repertoire ein paar mal zu viel angestrengt werden, und die ständigen Reminiszenzen an die Profikarriere Florians mögen Nicht-Fußballfans vielleicht stören. Auch das verliebte Geplänkel der Turteltauben Florian und Ulla nimmt einen etwas zu großen Raum ein, aber es ist jedenfalls amüsant, so dass die eine oder andere Länge zu verzeihen ist. Immerhin, die Geschichte ist insgesamt wirklich gut geschrieben, das Lesen macht durchweg großen Spaß, Rudolf weiß einfach gut zu unterhalten. Sein Stil ist locker, leicht, scheinbar mühelos und ganz sicher authentisch beschreibt er das besondere Lebensgefühl, die spezielle Lebensart der Menschen im Breisgau, dabei ist das Verhältnis der Anteile des Erzählers und der Dialoge ausgewogen. Diese Dialoge sind eine Stärke des Autors, die unterschiedlichen Charaktere treffen genau „ihren“ Ton, mal recht intim, mal ziemlich distanziert, aber immer echt und glaubwürdig.
Nicht ganz so glaubhaft ist der Zufall, der Florian letztlich auf die richtige Spur bringt, so dass nach einem dramatischen, ja drastischen kurzen Knalleffekt der Roman sehr emotional und einigermaßen versöhnlich endet – schließlich wird der erste Advent gefeiert.
Rezension und Foto von Kurt Schäfer.
Dreisamnebel |Erschienen am 1. Mai 2017 im Silberburg Verlag
ISBN 978-3-84252-029-5
288 Seiten | 12.90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
18. März 2018