Kategorie: 4.5 von 5

Ian Rankin | Black And Blue (Band 8)

Ian Rankin | Black And Blue (Band 8)

Die schottische Kriminalliteratur ist vielfältig und vielstimmig – und doch ragt aktuell ein Autor bzw. ein Ermittler noch ein wenig heraus: Ian Rankins John Rebus. Als meine Schwiegereltern vor einigen Jahren zu einer Schottland-Rundreise aufbrachen und fragten, was sie uns als Souvernirs mitbringen könnten, meinte ich relativ schnell: „Black and Blue“ von Ian Rankin. Nun lag es danach noch einige Zeit bei mir herum und als ich es für dieses Schottland-Spezial nun in die Hand nahm, musste ich doch feststellen, dass mir das Lesen im englischen Original nicht mehr so leicht fällt. Besonders die feine Ironie und weitere Andeutungen im Text zu erfassen, ist mir früher besser gelungen. Nichtsdestotrotz ist mir relativ schnell aufgefallen, hier ein exquisites Stück Kriminalliteratur in der Hand zu halten.

Kurz zurück zum Autor und zur Figur. Inzwischen zu 23 Bänden (und einigen Kurzgeschichten) angewachsen ist die Reihe längst fester Bestandteil des literarischen Kanons in der Kriminalliteratur, aber auch in der schottischen/britischen Popkultur allgemein. Autor Ian Rankin schuf den allerersten Rebus-Roman „Knots and Crosses“ bereits 1987, es dauerte aber noch einige weitere Bücher bis zum endgültigen Durchbruch. Dabei war die Figur John Rebus und die Schilderung eines düsteren, von Korruption und organisiertem Verbrechen durchsetzten Edinburgh von Beginn an sehr vielversprechend. Rankin schreibt die Romane mit Rebus als Erzähler in der 3.Person, ab und an durchsetzt mit einer weiteren Perspektive. Die Bücher sind klassische „Police procedurals“ mit klarem Fokus auf der Arbeit des Ermittlers. Die Romane haben zudem einen kontinuierlichen Verlauf, haben Verbindungen untereinander (meist frühere Fälle), die Figuren entwickeln sich weiter. John Rebus ist Detective Inspector in Edinburgh, wo er zumeist in Mordfällen ermittelt. Rebus ist geschieden und hat eine Tochter. Als Polizist ist er verbissen und kompromisslos, er dehnt die Regeln und legt sich auch mit Kollegen ode Vorgesetzten an. Dies bringt ihn mehr als einmal in gehörige Schwierigkeiten. Des Weiteren spielt sowohl Musik (Rebus hört gerne Jazz und klassischen Rock), aber auch der Alkohol eine Rolle in Rebus Leben. Seine Fälle nimmt er nur allzu oft mit nach Hause und er ertränkt seine schlechten Gedanken in Alkohol. Sein Lieblingspub ist die real existierende „The Oxford Bar“ in New Town, Edinburgh.

Foto von Stefan Heidsiek / Crimealleyblog

Der achte Band „Black and Blue“ (in der deutschen Übersetzung: „Das Souvenir des Mörders“) gilt vielen als das Highlight der Reihe. Der Titel bezieht sich auf ein Album der Rolling Stones, das Rebus zu Beginn des Romans hört. „Black and Blue“ gewann 1997 den wichtigsten britischen Krimipreis, den „Gold Dagger“, und war auch auf der Short List des amerikanischen „Edgar“. Dies war letztlich der letzte Schritt von Rankin in die Riege der auflagenstärksten Krimiautoren.

Rebus hadn`t worked the case, but knew men who had; they carried with them the frustration of a job left undone, and would carry it to the grave. The way a lot of them saw it, when you worked a murder investigation, your client was the deceased, mute and cold, but still screaming out for justice. (Auszug S.51).

Der Roman beginnt mit einem Verhör. Rebus verhört einen Mann, der sich als der gesuchte Serienmörder Johnny Bible ausgibt. Allerdings ist der Mann ein Wichtigtuer und kein Mörder, was Rebus schnell entlarvt. Johnny Bible hat bereits drei junge Frauen in Aberdeen, Edinburgh und Glasgow ermordet. Eine der Frauen, eine Prostituierte aus Edinburgh, kannte Rebus sogar. Er hat also ein persönliches Interesse am Fall, allerdings spielt er nur am Rande mit, darf sich mit Falschaussagen herumschlagen. Was ihn am Fall zusätzlich fasziniert: Johnny Bible scheint eine enge Verbindung zu einem Serienmörder namens Bible John Ende 1960er/Anfang 1970er Jahre zu haben. Bible John hatte damals auch drei Frauen ermordet, tauchte dann unter und wurde nie gefasst. Was Rebus noch nicht weiß, der Leser allerdings schon: Die Verbindung zum neuen Serienmörder missfällt Bible John sehr, der befürchtet, dadurch erneut in den Fokus zu geraten. Daher beschließt er, selbst Maßnahmen zu ergreifen.

Eine echte Ermittlung für Rebus kommt aber kurz darauf: Ein Ölarbeiter namens Allan Mitchison ist von Unbekannten entführt und zur weiteren „Behandlung“ in ein heruntergekommenes mehrstöckiges Haus gebracht worden. Dort sprang der gefesselte Mitchison vor Panik aus dem Fenster und starb dabei. Die weiteren Spuren führen Rebus nach Aberdeen und auf die Ölfördertürme bei den Shetlands und überraschend gibt es auch eine Spur zu einer Glasgower Gangstergröße.

Dieser Gangster lebt von der lokalen Polizei aktuell relativ unbehelligt, was Rebus sofort dazu verleitet, einigen Glasgower Polizisten die Annahme von Schmiergeld zu unterstellen. Dumm nur, dass ausgerechnet einer dieser Polizisten, Chief Inspector Ancram, eine interne Ermittlung gegen Rebus leitet. Rebus hatte mit seinem früheren Chef Geddes einen Verdächtigen wegen Mordes verhaftet. Die Verhaftung und der Fund von Beweisen erfolgte unter merkwürdigen Umständen. Auch Rebus verdächtigte seinen Vorgesetzten, die Beweise untergeschoben zu haben, bestätigte aber dessen Version im offiziellen Verfahren. Nun ist der Verurteilte als Autor im Gefängnis zu Ruhm gekommen, hat Selbstmord begangen und mit seiner Hinterlassenschaft der Presse neues Material zugespielt, um die Polizei unter Druck zu setzen.

Jack forced a smile, lifted his glass, ‚John, tell me though, why do you drink?‘
‚It kills my dreams.‘
‚It`ll kill you in the end, too.‘
‚Something´s got to.‘
‚Know what someone said to me? They said you were the world´s longest surviving suicide victim.‘ (Auszug S.310)

Mehrere Stränge mit zwei Serienmördern, einer unangenehmen internen Ermittlung, dazu die Ölförderung als lukrativer Drogenumschlagplatz. Die Ermittlungen führen Rebus weit durchs Land: Edinburgh, Glasgow, Aberdeen, Shetlands. Einiges hatte sich Autor Ian Rankin für diesen achten Rebus-Roman vorgenommen und letztlich muss ich konstatieren, dass er diesen komplexen Plot beeindruckend beherrscht. Es geht um Drogen, Korruption, aber vor allem auch um Integrität und Loyalität. Rebus schont sich wie gewohnt nicht, geht hohe Risiken ein, setzt neben seinem Job auch sein Leben aufs Spiel, um diese Fälle zum Abschluss zu bringen. Rankin bringt Rebus wie gewohnt als unangepassten Einzelgänger in Szene, als einen Mann, der eines wegstecken muss, aber dennoch von seinem Gewissen und seiner Verbissenheit angetrieben wird. Aber Rebus ist nicht ganz der einsame Wolf, Rankin gibt ihm mehrere Figuren an seine Seite, deren Loyalität sich Rebus sicher sein kann

Foto von Stefan Heidsiek / Crimealleyblog

„Black and Blue“ ist inzwischen schon ein Klassiker des Genres. Rankin gelingt es hier beeindruckend, seine starke Ermittlerfigur in ein komplexes, aber dabei durchaus nicht realitätsfernes Setting zu integrieren. Korruption und ökonomische (Fehl-)Entwicklungen, hier bezieht sich Rankin direkt auf die damalige schottische Wirklichkeit. Hierzu kommt, dass er sich mit dem Fall des „Bible John“ auf einen wahren Kriminalfall bezieht, einen der bekanntesten, noch heute ungelösten schottischen Kriminalfälle. Das alles ergibt einen packenden, harten, spannenden und auch heute noch ungemein lesenswerten Kriminalroman.

 

Buchfoto und Rezension von Gunnar Wolters.

Black And Blue | Erstmals erschienen 1997 bei Orion Books
Gelesene Taschenbuchausgabe: ISBN 978-0-7528-8360-1
512 Seiten | £8,99
Aktuelle deutschsprachige Ausgabe im Goldmann Verlag (Übersetzung aus dem Englischen von Giovanni Bandini)
ISBN 978-3-442-48660-1
624 Seiten | 10,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Stefan Heidsieks Rezension des Romans auf Crimealleyblog

Stuart MacBride | Die dunklen Wasser von Aberdeen

Stuart MacBride | Die dunklen Wasser von Aberdeen

Kaum zweieinhalb Meter von der Stelle entfernt floss der Don vorbei; scheinbar lautlos schossen die dunklen Fluten des angeschwollenen Flusses vorüber. Kleine Lichtpunkte tanzten auf der Oberfläche – die Scheinwerfer spiegelten sich in den schwarzen Wassermassen, zitternde Gebilde, die sich im prasselnden Regen unentwegt auflösten und neu formten. Man mochte über Aberdeen sagen, was man wollte – was Regen betraf, machte der Stadt so schnell keiner was vor. (Auszug S.12)

Detective Sergeant Logan McRae ist den ersten Tag nach schwerer Verletzung und Rehabilitation wieder im Dienst der Aberdeener Kriminalpolizei, da gibt es den Fund einer Kinderleiche in einem Graben am Ufer des Don. Das Opfer ist ein seit längerem vermisst gemeldeter dreijähriger Junge, der erwürgt, missbraucht und verstümmelt wurde. Eine Ermittlergruppe der Grampian Police beginnt fieberhaft mit den Ermittlungen, ist aber noch nicht wirklich weiter, als weitere Vermisstenmeldungen eingehen. Dann wird auf einmal auf einer Müllkippe eine weitere Kinderleiche entdeckt, diesmal ein Mädchen.

Die erste Tat zeigt eindeutig die Zeichen eines sadistischen Serienmörders. Allerdings passt die zweite Leiche nicht wirklich ins Bild. Anderes Geschlecht, anderer Modus operandi. Hat man es mit zwei Mördern zu tun? Die Polizei arbeitet hart, aber wird von den Ereignissen schier überrollt. Zudem gibt es irgendjemanden innerhalb der Behörde, die Interna an die Presse weitergibt. Diese schlachtet die Fälle aus, wirft der Polizei Versagen vor und treibt die Beamten vor sich her. McRae versucht, System in die Fälle zu bringen, allerdings ist er sich stets bewusst, dass angesichts der vermissten Kinder die Zeit gegen ihn spielt.

Trotz gewisser Diversität der schottischen Kriminalliteratur war zumindest ich vom Wissen um die bekanntesten Ermittlern schon ein wenig auf die beiden Metropolen Glasgow (Laidlaw) oder Edinburgh (Rebus) ausgerichtet. 2005 brachte Stuart MacBride mit seiner Reihe um DS McRae eine weitere Stadt als Schauplatz ins Spiel, die nördlichste Großstadt der britischen Inseln – Aberdeen. Aberdeen ist eine Stadt der Fischerei und der Ölindustrie und zahlreicher Gebäude aus Granit (daher auch der Originaltitel: „Cold Granite“). Auf den ersten Blick kein Touristenmagnet, auch angesichts des Wetters. Selten habe ich ein Buch gelesen, bei dem der Schauplatz so gnadenlos kalt, verregnet und verschneit dargestellt wurde. Aber das Wetter bestimmt in diesem Fall auch das Gemüt des Buches und der beteiligten Figuren.

Logan McRae arbeitet als zweithöchster Ermittler im Team des Detective Inspektor Insch. Mehrere Monate lang war er außer Dienst, nachdem er im Einsatz schwer verletzt wurde und wohl auch sein Leben auf der Kippe stand. Zum Dank taufen ihn die Kollegen bei der Wiederkehr „Lazarus“. McRae trauert anfangs noch seiner Ex hinterher, der stets zu gut gekleideten und eher eiskalten Rechtsmedizinerin Isobel McAlister. Doch McRae lernt zunehmend die Qualitäten der ihm zugeteilten burschikosen, leicht aufbrausenden Constable Jackie Watson. Sein direkter Vorgesetzter, DI Insch, fällt durch seine Sucht nach zuckerhaltigen Süßigkeiten auf, die ebenfalls beteiligte DI Steel ist eine kettenrauchende, fluchende Lesbierin, die bevorzugt bei den Ehefrauen der Kollegen wildert. Ein durchaus spleeniges Ensemble, das um weitere spannende Nebenfiguren ergänzt wird. Dabei vermeidet MacBride aber geschickt, dass die Hauptfiguren trotz mancher Überspitzung in absurde Karikaturen abzugleiten drohen.

Ein Lächeln breitete sich auf seinen Lippen aus; wie Flammen in einem brennenden Haus. Er sollte allmählich seine Medikamente nehmen, aber nicht jetzt. Noch nicht.
Nicht, wenn es so viele tote Geschöpfe gab, an denen er sich erfreuen konnte. (Auszug S.7)

Ein Absatz aus der Perspektive des Killers? Vielleicht, aber keine Sorge. Dieser Roman ist trotz der zahlreichen Leichen und weiterer Unappetitlichkeiten keiner dieser Serienkillerthriller, bei denen abwechselnd vermeintlich versiert in die Psyche des abgründigen Täters eingetaucht wird. Der Krimi ist eigentlich ein klassischer Polizeiroman, bis auf sehr wenige Ausnahmen komplett aus der Perspektive McRaes erzählt. Eindrucksvoll schildert MacBride den unglamorösen Polizeialltag, das Klinkenputzen, vergebliche Mühen, interne Querelen und vor allem auch den harten Alltag der mittleren und unteren Dienstgrade. Da wird auch schon mal ausgiebig gekotzt und im Pub gesoffen. Der Plot ist insgesamt ziemlich komplex, es gibt tatsächlich einen Serienmörder-Fall, der aber überlagert wird von anderen Fällen, die Parallelen ausweisen oder tatsächlich überraschende gemeinsame Bezugspunkte haben. Keine leichte Sache für DS Logan McRae, auch für den Leser, aber es spricht für den Autor, die Fäden beieinander zu behalten und zu einem plausiblen Ende zu führen.

„Die dunklen Wasser von Aberdeen“ war 2006 ein weiterer Meilenstein in der Tradition der schottischen Kriminalliteratur. Ein Polizeikrimi, der sich gekonnt des Serienmörder-Themas bedient, ohne in die üblichen Schemata zu verfallen. Der außerdem gekonnt schwarzen Humor mit harten Kriminalfällen, dem alltäglichem zwischenmenschlichen Wahnsinn und menschlichen Tragödien verbindet. Inzwischen umfasst die Reihe zwölf Bände und ich habe mal wieder das alte Problem der Vielleser: Müsste ich nicht eigentlich nach diesem reizvollen Auftakt die weiteren Bände nachholen?

 

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Die dunklen Wasser von Aberdeen | Erschienen 2006 im Goldmann Verlag
ISBN 978-3-442-46165-3 | 544 Seiten
aktuell nur als E-Book erhältlich:
ISBN 978-3-641-12238-6 | 8,99 €
Originaltitel: Cold Granite (Übersetzung aus dem Englischen von Andreas Jäger)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Robert McCammon – Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal (Band 1+2)

Robert McCammon – Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal (Band 1+2)

„Die Hexe hat so gut wie zugegeben, dass sie an den Morden an Reverend Grove und ihrem Mann beteiligt gewesen ist. Sie trägt die Merkmale und kann nicht das Vaterunser aufsagen. Sie hat den bösen Blick und – was am meisten verrät – unter einem Fußbodenbrett in ihrem Haus sind eine Anzahl Strohpuppen gefunden worden, die sie gebastelt hat, um ihre Opfer zu verhexen. Rachel Howarth ist mit Sicherheit eine Hexe, und ihr und ihrem schwarzschwänzigen Meister ist es fast gelungen, meine Stadt zu zerstören.“ (Auszug Seite 91)

Wir begleiten im Jahr 1699 den fahrenden Richter Isaac Woodward und seinen jungen Gerichtsdiener Matthew Corbett auf ihrer Reise nach Fount Royal, um einen Prozess durchzuführen. Einen Hexenprozess! Im 17. Jahrhundert siedeln viele Europäer in den Kolonien Nordamerikas an. Engländer und Spanier kämpfen um das Land und vor allem viele Briten wollen sich in Carolina ein neues Leben aufbauen. Während die Wirtschaft in den Hafenstädten bereits floriert, haben es die Kolonien in den Sumpflandschaften noch schwer. In dem neu gegründeten Örtchen Fount Royal scheint jedoch die „Neue Welt“ bereits in Gefahr. Zwei Morde, diverse Brände und etliche Missernten ließen schon einige Einwohner die aufstrebende, kleine Stadt wieder verlassen. Die verbliebenen knapp 100 Bewohner haben schon eine Schuldige gefunden. Rachel Howarth soll nicht nur für die unerklärlichen Tragödien in ihrem Dorf verantwortlich sondern auch mit dem Teufel im Bunde sein. Die Dorfbewohner mitsamt ihrem umtriebigen Bürgermeister und Gründer Robert Bidwell verlangen, dass die schöne Witwe vor Gericht gestellt und wegen Hexerei hingerichtet wird. Der seit einigen Wochen im Gefängnis sitzenden Angeklagten droht bei einer Verurteilung die Verbrennung auf dem Scheiterhaufen.

Was für ein Auftakt!
Bereits auf ihrer Kutschfahrt über schlammige Straßen durch die nebelige Sumpflandschaft kommen der Richter und sein Gehilfe zu einem verkommenen, kleinen Wirtshaus und geraten an den zwielichtigen Wirt und seine Familie. Hier geraten sie in einen Hinterhalt, kommen nur knapp mit dem Leben davon und müssen sich auf ihrer Flucht durch den Wald halbnackt und ohne Gepäck bis nach Fount Royal durchschlagen. Mich hatte die Geschichte nach wenigen Seiten, ach nach wenigen Worten bereits in den Bann gezogen. Mit seinem bildgewaltigen, intensiven Schreibstil nimmt Robert McCammon den Leser an die Hand und man fühlt sich in die Epoche vor circa 300 Jahren zurückversetzt. Das historische Setting ist einfach mitreißend angelegt. Man spürt den Dreck und die feuchte Schwüle, riecht die ungewaschenen Körper und den Gestank der Sümpfe. Der Autor versteht es, eine düstere sowie bedrohliche Atmosphäre zu schaffen, auch die Sprache, im Besonderen die Dialoge sind der damaligen Zeit angepasst.

Danach wird das Tempo erst mal gedrosselt und McCammon verliert sich in ausführlichen Beschreibungen der Umgebung sowie umfangreichen Figurenzeichnungen. Er nimmt sich richtig viel Zeit, die vielen Personen einzuführen. Auch die Nebenfiguren sind präzise und interessant gezeichnet, mit zahlreichen Facetten ausgestattet und bringen eine Vita mit. Das erinnert mich tatsächlich ein bisschen an Stephen King und genau wie er versteht es McCammon den Leser in die Geschichte hereinzuziehen.

Das Abenteuer beginnt
Der Richter holte den damals 15-jährigen Corbett aus einem Waisenhaus heraus und nahm ihn zu seinem Büttel. Er hegt fast väterliche Gefühle für Matthew, was der aber nicht so wahr haben will. Woodward ist ein kluger, fortschrittlicher Jurist, dem die Wahrheit sehr wichtig ist und der Rachel Howarth auf jeden Fall einen fairen Prozess machen will. Allerdings beruht das gesamte Wissen der englischen Rechtsprechung zum Teil immer noch auf mittelalterlichem Glauben. Die Hexenprozesse von Salem haben erst kurz vorher in den USA stattgefunden und trotz vieler Zweifel in Fachkreisen an der Existenz von Hexen auch Richter Woodward sehr beeindruckt. Matthew ist ein intelligenter, noch sehr junger Mann, in vielen Dingen vielleicht etwas unbedarft, was er jedoch durch einen scharfen Verstand wieder wettmacht. Eigentlich besteht seine Aufgabe lediglich darin, den Prozess zu protokollieren, aber er kann dem Drang, Dinge zu hinterfragen nicht unterdrücken. Er muss einfach überall seine Nase reinstecken und jedes Geheimnis ergründen. Schon im Waisenhaus galt er aufgrund seines Wissensdurstes als Außenseiter, vergrub sich in seinen Büchern anstatt an den rauen Spielen der anderen Knaben teilzunehmen.

Kurz nach der Ankunft in Fort Royal wird der Richter durch eine schwere Krankheit, die er sich auf der beschwerlichen Reise zugezogen hat, ans Bett gefesselt. Das zwingt Matthew zu vielen Alleingängen. Denn er zweifelt schon nach der ersten Begegnung an der Schuld der schönen Portugiesin, fragt sich sogar, ob es Hexerei überhaupt gibt. Die Beweise für Rachels Schuld scheinen erdrückend zu sein, es gibt mehrere glaubhafte Zeugenaussagen, die auch in den Details völlig übereinstimmen. Corbett versucht hinter die Fassaden der Dorfbewohner zu gucken und deckt dabei so einige Geheimnisse auf. Bei seinen Recherchen stößt er auf einigen Machenschaften, die ihn immer mehr in Gefahr bringen und kommt der Lösung langsam immer näher. Die Handlung entwickelt sich immer fesselnder und weiß mit vielen Wendungen zu überraschen. Auch Verdächtige gibt es zu genüge.

Meine Meinung
Die Geschichte wird auktorial mit Blick auf Matthew Corbett erzählt. Robert McCammon hat für seinen Roman ein noch unverbrauchtes Setting gewählt. Jedenfalls hatte ich noch nichts aus der Frühzeit der Besiedelung des amerikanischen Kontinents gelesen. Die mitunter grausame Kolonialzeit fand ich spannend dargestellt. Ich konnte völlig in der Atmosphäre versinken und in die vom Autor aufgebaute Welt mit seinen skurrilen Figuren abtauchen. Für mich ist es immer ein toller Lesegenuss, wenn ich mich als Teil der Geschichte fühle. Der historisch umfangreich recherchierte Kriminalroman ist für mich ein deftiges Leseabenteuer mit weniger gruseligen jedoch schaurigen und auch brutalen Aspekten.

Die Geschichte ist im Original in einem Buch erschienen, während der Luzifer-Verlag sie in zwei Bänden veröffentlicht hat. Das sollte einem klar sein, denn man muss dann schon beide Bände lesen, um in den Genuss der ganzen Geschichte zu kommen. Das ist der Grund, warum ich nur eine Rezension verfasst habe.

Robert McCammon wurde 1952 in Birmingham, Alabama geboren, wo er heute noch lebt. Der mehrfach ausgezeichnete Autor prägte in den 1980er Jahren zusammen mit Stephen King die Hochzeit der Horrorliteratur. Nach einer längeren Auszeit von über 10 Jahren meldete er sich 2002 mit dem ersten Roman der „Matthew Corbett“-Reihe zurück. Die historische Krimireihe ist auf neun Bände angelegt.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Matthew Corbett und die Hexe von Fount Royal | Band 1 erschien am 23.März 2017 im Luzifer-Verlag
ISBN 978-3-958-35197-4
516 Seiten | 19,95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Band 2 erschien am 31. Oktober 2017 im Luzifer-Verlag
ISBN 978-3-958-35230-8
500 Seiten | 19,95 Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Originaltitel: Speaks the Nightbird (Übersetzung aus dem Englischen von Nicole Lischewski)

 

Charlotte Link | Ohne Schuld (Band 3)

Charlotte Link | Ohne Schuld (Band 3)

“Also ging Sascha nicht mehr in den Kindergarten, sondern blieb zu Hause bei Alice. Die wirkte inzwischen so depressiv, dass ich mir immer größere Sorgen um sie machte. Sie schlich wie ein Schatten durch den Tag. In einer völlig mechanisch wirkenden, freudlosen Form der Pflichterfüllung suchte sie mit Sascha weiterhin Logopäden, Osteopathen, Heilpraktiker aller Art auf, aber sie wirkte dabei wie jemand, der nichts Gutes vom Leben mehr erwartet.” (Seite 191)

Auf eine Frau wird in einem Zug geschossen, Sergeant Kate Linville ist zufällig auch anwesend und kann sie in letzter Minute retten. Zwei Tage später stürzt eine andere Frau mit ihrem Fahrrad über einen dünnen Draht, wird bewusstlos und hört den darauf folgenden Schuss nicht mehr. Beide Frauen stehen in keinem Zusammenhang, aber die Tatwaffe ist die gleiche. Kate Linville beginnt zu ermitteln, stößt auf ein unfassbares Geheimnis und begibt sich in tödliche Gefahr…

Neuer Fall für Kate Linville
“Ohne Schuld” von Charlotte Link empfand ich als gewohnt sehr spannend, sodass ich mich kaum von der Geschichte lösen konnte. Es handelt sich um den dritten Fall um Kate Linville, kann aber auch unabhängig von den vorherigen gelesen werden. Auch der zweite Fall, „Die Suche“, hat mich absolut überzeugt.

Frustrierende Ermittlungen
Die Ermittlungen beginnen zunächst ohne jegliche Erfolgserlebnisse für die Polizisten und man spürt beim Lesen ihre Frustration, weil einfach überhaupt nicht klar wird, was diese beiden Frauen gemeinsam haben, warum auf beide mit derselben Pistole geschossen wurde. Als dann aber doch endlich der Durchbruch folgt, nimmt die Ermittlung schnell an Fahrt auf und schon bald geht es bei mehreren Personen um Leben und Tod. Insgesamt vielleicht ein bisschen zu spektakulär für meinen Geschmack, aber durchaus fesselnd. Das Geheimnis ist wirklich schrecklich und ich kann den Rachegedanken fast nachvollziehen. Das Ende lässt mich dann allerdings etwas unbefriedigt zurück, da es offen bleibt.

Die Protagonistin
Sergeant Kate Linville ist 44 Jahre alt, hat gerade von Scotland Yard zur North Yorkshire Police gewechselt und zieht damit in das Haus ihrer verstorbenen Eltern zurück nach Scalby. Kates Kollegen beschreiben sie als verschlossen, introvertiert und undurchschaubar. In Wirklichkeit hat sie aber nur kein sehr ausgeprägtes Selbstbewusstsein. Sie leidet darunter, dass sie allein mit ihrer Katze lebt, also keinen Partner und Kinder hat und ihre Gedanken und Gefühle werden oft sehr ausführlich beschrieben, wo ich an manchen Stellen schon etwas ungeduldig wurde, weil die Handlung, die gerade an Spannung gewinnt, dadurch aufgehalten wird.

Fazit: Gewohnt spannender Kriminalroman der Autorin, in dem ein unglaubliches Geheimnis gerächt werden soll und bei dem es am Ende um Leben und Tod geht.

 

Foto & Rezension von Andrea Köster.

Ohne Schuld | Erschienen am 02. November 2020 im Blanvalet Verlag
ISBN: 978-3-764-50738-1
544 Seiten | 24,00 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Andreas Rezension zu Band 2 der Reihe („Die Suche“)

Deon Meyer | Fever

Deon Meyer | Fever

Ich will euch vom Mord an meinem Vater erzählen. Ich will euch erzählen, wer ihn ermordet hat und warum. Denn dies ist die Geschichte meines Lebens. Und es ist auch die eures Lebens, ihr werdet sehen. (Auszug Anfang)

Deon Meyer, eigentlich bekannt für seine gesellschaftskritischen Südafrika-Krimis, hat 2017 eine Dystopie geschrieben. Wobei das viel zu kurz greift. Es ist eher eine Mischung aus postapokalyptischen Endzeitroman, Coming-of-Age-Roman, Roadmovie und Abenteuerroman. Deon Meyer bedient sich eines für Dystopien klassischen Ausgangspunktes: Durch eine Fieberepidemie wurde in rasanter Geschwindigkeit 95 % der Weltbevölkerung ausgelöscht. Man vermutet, dass durch die Verschmelzung eines menschlichen Virenstammes mit dem einer kranken Fledermaus das Fieber erstmals in Afrika ausgebrochen ist.

Der dreizehnjährige Nicolaas Storm und sein Vater Willem sind einige der wenigen Überlebenden. Am Anfang des Buches sind die beiden in ihrem großen Truck in einer unwirtlichen Landschaft unterwegs. Das Land befindet sich in einem Zustand der Gesetzeslosigkeit, es gibt keinen Strom, keine Geschäfte mehr und sie sammeln alles, was sie an Nahrungsmitteln (ganz wichtig ist Kaffeepulver) und anderen Versorgungsgütern finden können in ihren Anhänger. Auch Treibstoff existiert nur noch begrenzt und beim Tanken werden sie von einer wilden und hungrigen Hundemeute angegriffen. Ein hochdramatischer, packender Anfang, der mich an „The Walking Dead“ erinnerte und unwiderruflich in die Geschichte hineinzog.

Amanzi wird gegründet
Nico und sein Vater sind auf der Suche nach einem Fleckchen Erde und in dem verlassenen Ort Vanderkloof finden sie den idealen Ort, um sich niederzulassen. Denn Willem Storm hat eine Vision: Er will eine neue Gemeinschaft gründen. Unbeirrt hält er an diesem Plan einer neuen Zivilisation fest. Flugblätter werden verteilt, um in dem weiten Land noch andere Überlebende zu finden. Doch lange tut sich nichts. Als die beiden schon fast alle Hoffnungen aufgegeben haben, setzt endlich ein Strom von Menschen ein. Aus allen Himmelsrichtungen, und das war für mich ein Gänsehautmoment, kommen große und kleine Gruppen. Immer mehr Menschen werden in die Gemeinschaft, die sich ab jetzt Amanzi nennt, aufgenommen und durch ihre unterschiedlichen Fähigkeiten und Talente entsteht eine Insel der Zivilisation in dem verlassenen Land. Völlig authentisch wirken die Herausforderungen, die aufgrund des Zusammenlebens der unterschiedlichen Charaktere entstehen. Viel Konfliktpotenzial ergibt sich wegen diverser Ansichten über Religion, Politik und ein Ringen um die alle zufrieden stellenden Strukturen und Regeln entsteht. Diesen mühsamen Wiederaufbau mit vielen Rückschlägen und internen Spannungen ist wie ein gesellschaftliches Experiment spannend und interessant zu verfolgen.

Dabei sind wilde Tiere nur eine Gefahr, die größere Bedrohung sind die Menschen und ihre Abgründe selbst. Es gibt plündernde Gangs auf Motorrädern und diese marodierenden Banden ziehen mordend und raubend durch das ganze Land und auch Amanzi wird zu ihrem Ziel. So beschließen die Einwohner von Amanzi Verteidigungsanlagen und eine eigene Sicherheitstruppe unter der Führung des ehemaligen Soldaten Domingo aufzubauen. Auch Nico lernt schießen und schließt sich gegen den Willen seines Vaters dieser Armee an.

Die Katastrophe
Der siebenundvierzigjährige Nico erzählt die Geschichte im Nachhinein und verrät gleich, dass es zu einer großen Katastrophe kommt und sein Vater ermordet wird. In weiteren Erzählperspektiven werden die Aufzeichnungen anderer Überlebender hineingestreut, die in dem von Willem Storm gegründetem Amanzi-Geschichtsprojekt Gehör finden. Storm sammelte unermüdlich Eindrücke und Erfahrungen seiner Mitmenschen und nach seinem Tod wird dieses Projekt von anderen weitergeführt. Dadurch bekommt man ein umfassendes Bild des Überlebenskampfes.

Glaubhaft und verständlich wird auch der Konflikt zwischen dem Teenager Nico und seinem Vater herausgearbeitet. Nico empfindet seinen sanftmütigen, liebevollen Vater als schwach, interpretiert seine Menschenfreundlichkeit als Manko. Der liberale Storm glaubt an das Gute im Menschen und Bildung und Wissen sind für ihn sehr wichtig. Der pubertierende Nico ist dagegen von dem düsteren, martialischen Ex-Soldaten Domingo fasziniert. Als er seinen Fehler einsieht und er und Willem sich wieder annähern, ist es fast schon zu spät.

Deon Meyer versteht es, seine Figuren mit Leben zu füllen. Alle Charaktere sind wunderbar mit viel Empathie herausgearbeitet und der südafrikanische Autor hat jedem eine Geschichte mitgegeben. Es gab so viele berührende Momente. Trotzdem folgt die Geschichte einem stabilen Aufbau, in der durch die geschickte Dramaturgie Spannung erzeugt und der rote Faden nie verloren wird. Düstere Landschaftsbilder erzeugen Atmosphäre und mit seiner bildhaften sowie poetischen Sprache wird alles vorstellbar und fesselnd geschildert.

Hastiges Ende
Selten hat mich eine Geschichte so bewegt und sind mir die Charaktere so ans Herz gewachsen. Ich habe auch auf meinem Arbeitsweg das Hörbuch, wunderbar interpretiert von Martin Bross, gehört und wollte einfach nicht aus dem Auto aussteigen und aus Amanzi auftauchen.
Bis zum Ende ist der Plot realistisch und vorstellbar. Das Zusammenbrechen der Infrastruktur, das Aufbauen einer neuen Zivilisation, das Ringen um eine neue politische und wirtschaftliche Ordnung. Zum Schluss mündet der Roman in einem actiongeladenen Finale und es kommt noch zu einem Twist, mit dem ich nicht gerechnet und den es für mich auch nicht gebraucht hätte. Auch geht alles dann sehr schnell und wird hastig abgehandelt. Deshalb muss ich ein halbes Pünktchen abziehen. Trotzdem war das Buch für mich ein Highlight, das auch nach der Lektüre noch lange im Gedächtnis blieb. Wie die Welt an den Rand einer Apokalypse gerät, wie langsam eine Siedlung entsteht, die Konflikte in der Vater-Sohn-Beziehung, das hat der Ausnahmeschriftsteller Deon Meyer in eine tiefgründige und genre-übergreifende Geschichte packend zusammengefügt.

 

Foto und Rezension von Andy Ruhr.

Fever | Erschienen am 09. Oktober 2017 bei Rütten & Loening
ISBN 978-3-352-00902-0
702 Seiten | 29,99 Euro
Taschenbuchausgabe im Aufbau Verlag:
ISBN 978-3-7466-3536-1 | 12,- €
Originaltitel: Fever (Übersetzung aus dem Afrikaans von Stefanie Schäfer)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Rezensionen zu Meyers Romanen aus der Bennie-Griessel-Reihe: Icarus, Die Amerikanerin, Beute