Deon Meyer | Die Amerikanerin

Deon Meyer | Die Amerikanerin

Dem ersten Polizeifahrzeug bot sich ein merkwürdiger Anblick, einzigartig für diesen südlichen Punkt Afrikas: Dreizehn Frauen standen in der ausklingenden Dunkelheit vor Tagesanbruch im Halbkreis um die Leiche und sangen Kirchenlieder, während der Taxifahrer daneben saß und zuschaute. (Auszug Seite 12)

Die gebleichte Leiche

In der Nähe von Kapstadt wird die Leiche einer weißen Frau aufgefunden. Sie wurde nackt auf einer Aussichtsplattform am Sir Lowry’s Pass drapiert. Todesursache war ein heftiger Schlag auf den Hinterkopf. Die Ermittlungen der örtlichen Polizei stehen auf der Stelle, auch weil die Leiche mit reichlich Bleiche gewaschen und damit sämtliche DNA-Spuren zerstört wurden.

Erst als ein Hotelangestellter sie als Gast des Hotels identifiziert, kommt Bewegung in die Sache. Bei der Toten handelt es sich um Alicia Lewis, eine renommierte amerikanische Kunstexpertin. Sie hatte sich auf die Fahndung nach verlorenen und gestohlenen Kunstwerken spezialisiert. Aufgrund dieser Brisanz werden Bennie Griessel und Vaughn Cupido von der Valke, eine Spezialeinheit der südafrikanischen Mordkommission mit dem Fall betraut.

Ein unkalkulierbares Risiko

Bennie Griessel trägt sich mit Hochzeitsplänen. Den Antrag hat er seiner Freundin Alexa noch nicht gemacht. Erst mal will er einen adäquaten Verlobungsring kaufen, was mangels Geld gar kein leichtes Unterfangen darstellt. Zusammen mit Kollege und Freund Vaughn Cupido, der der Sache eher skeptisch gegenübersteht und in der Ehe ein unkalkulierbares Risiko sieht, begeben sie sich zu einem Pfandleiher. Ausgerechnet hier ergibt sich eine erste Spur. Ein unfassbar wertvolles Gemälde eines Schülers des holländischen Malers Rembrandt soll in Südafrika aufgetaucht sein.

Griessel und Cupido kannten diese verängstigte Reaktion schon, seitdem sie Constables im Streifendienst gewesen waren – die Körpersprache eines in flagranti Ertappten. Es folgte ein Moment, in dem sich keiner bewegte. Jäger und Beute standen einander gegenüber und schätzten sich ab, bevor die Jagd begann. (Seite 21)

Die Spur führt in die Niederlande vor 362 Jahren

Der Leser begleitet die beiden Kapteins Griessel und Cupido bei ihren schrittweisen Ermittlungen. Diese finden heraus, dass die in London lebende Lewis auf der Suche nach einem lange verschollenen Gemälde eines niederländischen Malers war. Anscheinend hatte sie einen Hinweis bekommen, dass dieses Kunstwerk sich am Kap befinden soll. Lewis hatte sogar ihren gut dotierten Job gekündigt und war nach Südafrika gekommen um sich mit einem Ahnenforscher zu treffen.

Der Professor verkündete den Namen „Carel Fabritius“ wie der Moderator eines Boxkampfs einen Fighter, für den er einen Riesenapplaus erwartet. Es folgte ein ungemütlicher Augenblick, in dem tödliche Stille herrschte. Die Ermittler reagierten nicht, da sie noch nie von Fabritius gehört hatten. (Seite 105)

Es geht um Carel Fabritius, einen Schüler des niederländischen Malers Rembrandt, den die beiden Polizisten nicht kennen. Dabei hat Pulitzer-Preisträgerin Donna Tartt in ihrem weltberühmten Roman Der Distelfink Fabritius ein Denkmal gesetzt. Der fesselnde Plot wird immer wieder unterbrochen durch einen Handlungsstrang, in dem ein Mann in Delft vor seinen Verfolgern flüchtet. Dieser klärt sich erst ganz zum Schluss bei der überraschenden Auflösung.

Deon Meyer hat für Die Amerikanerin einen handwerklich soliden Thriller erschaffen, der flott zu lesen ist und, typisch für ihn, auch immer einen Einblick in die südafrikanische Gesellschaft gibt. Dabei empfand ich diesen Krimi weniger schwermütig und melancholisch als andere Werke des südafrikanischen Schriftstellers. Besonders die trockenen Dialoge haben mich begeistert. Mit bewundernswert leichter Hand skizziert er sein Figurenpersonal. Sämtliche Charaktere werden glaubwürdig und authentisch wiedergegeben. Man spürt, dass ihm alle Figuren wichtig sind und deshalb sind sie sehr menschlich mit all ihren Eigenheiten gezeichnet. Auch die Schauplätze sind mit wenigen aber treffenden Worten detailgenau beschrieben, so dass ich immer ein Bild vor Augen hatte.

Projektarbeit

Der südafrikanische Autor ist eigentlich für längere Krimis bekannt. Deshalb erstaunt es, dass Die Amerikanerin mit nur knapp 200 Seiten daherkommt. In einem Nachwort erklärt er die Gründe: Es handelt sich um eine Novelle, die er für die Spannende Boekenweek 2017 in den Niederlanden schrieb. Es war für ihn eine Ehre aber auch aufregendes Neuland, dieses Format des Geschenkbuches zu erstellen und er tritt damit in die Fußstapfen vieler literarischer Größen. Da dieser sechste Teil auch dazu dient, Griessels Privatleben ein Stück weiter zu bringen, wollte Meyer diese Entwicklung nicht nur dem niederländischen Publikum vorbehalten. Ich hatte bisher noch keinen Teil aus der Bennie-Griessel-Reihe gelesen, aber diese Novelle macht große Lust darauf.

Der „Easy Rider“ der südafrikanischen Literaturszene ist 1958 geboren und lebt mit seiner Familie in der Nähe von Kapstadt. Der 1,90 große Hüne mit einer Leidenschaft für Motorräder schreibt seine Romane auf Afrikaans, bevor sie ins Englische und dann in circa 25 weitere Sprachen übersetzt werden.

 

Rezension von Andy Ruhr.

Die Amerikanerin | Erschienen am 9. Mai 2018 bei Rütten & Loening im Aufbau Verlag
ISBN 978-3-352-00914-3
208 Seiten | 12.- Euro
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu Deon Meyers Romanen Icarus.

10. Mai 2018

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