Deon Meyer | Icarus

Deon Meyer | Icarus

Cupido stand auf. Er hasste das Herumsitzen, er konnte so nicht nachdenken. Er verließ sein Büro und ging ziellos den Gang hinunter.
Verdammter Benna: Musste er ausgerechnet jetzt saufen, wo sein Partner ihn brauchte?
Er hatte nämlich das dringende Bedürfnis, mit Griessel über den Fall zu reden. Sie waren ein Team, das Yin und Yang der Valke, Batman und Robin. Cupido dachte manchmal, sie passten so gut zusammen, weil er der Tänzer war: leichtfüßig, Pappie, blitzartige geistige Fußarbeit, er war der Ermittlungskünstler, mit allem was dazu gehörte – er war kreativ, exzentrisch, manchmal ein bisschen empfindlich. Benna dagegen war der Philosoph, der Denker, der Methodische von ihnen. Und er stand mit beiden Beinen auf dem Boden, abgesehen natürlich von seinem Alkoholproblem, aber das lag nun mal daran, dass Benna zu viel nachdachte. Zu viel grübelte. In ihrem Job war das gefährlich. (Auszug Seite 67)

An einem Strand bei Kapstadt wird der prominente Internetunternehmer Ernst Richter ermordet aufgefunden. Seine Firma verschafft ihren Kunden passende, falsche Alibis. Dementsprechend umstritten war der Tote. Zudem lief das Unternehmen nicht besonders gut, er war in akuten Geldnöten. Das Ermittlungsteam der Valke hat somit ziemlich viele Leute mit Motiv, aber kaum Ansatzpunkte. Zudem gibt es ein weiteres Problem: Kaptein Bennie Griessel hat nach einem erschütternden Erlebnis sein Alkoholproblem nicht mehr im Griff.

Südafrikas Bestsellerautor Deon Meyer legt mit diesem Roman den fünften Thriller um den Kapstadter Polizisten Bennie Griessel vor. Er besticht wie immer durch die präzise, flüssige Sprache, kurze Kapitel und mehrere Perspektivwechsel. Meyer gibt einen akkuraten und aus meiner Sicht authentischen Einblick in die polizeilichen Ermittlungen. Im Gegensatz zu den vorherigen Bänden, die in einem extrem hohen Tempo und in Form eines Thrillers konzipiert waren, schaltet Meyer bei Icarus aber deutlich mehrere Gänge zurück und liefert einen konventionellen Krimi, der im Milieu von Winzern und Internetfirmen spielt. Dafür konzentriert sich der Autor diesmal auf die Entwicklung der Figuren seiner Reihe.

Die Ermittlergruppe der Valke, der Kapstädter Kripo, bekommen viel Platz in diesem Krimi. Die Charaktere repräsentieren als Mikrokosmos die Regenbogennation Südafrika. Die Hauptfigur Bennie Griessel, ein guter Ermittler, aber voller Selbstzweifel, ist trockener Alkoholiker und lebt mit der Sängerin Alexa, ebenfalls alkoholabhängig, zusammen. Der erweiterte Selbstmord eines Kollegen bringt ihn zu Beginn der Ermittlungen völlig aus der Bahn und endet in einem Alkoholabsturz nach zwei Jahren Trockenheit. Der Rest des Buches wird ein ständiger Kampf Griessels gegen den Dämonen Alkohol.

Er hatte die Arme auf die Theke gelegt und sah das kaum merkliche Zittern seiner Hände. Er faltete sie, damit der Wirt nichts bemerkte.
„Einen doppelten Jack“, bestellte er.
„Eis?“
„Nein, danke.“ […]
Griessel zögerte nicht. Er dachte nicht an die sechshundertundzwei Tage ohne Alkohol, die hinter ihm lagen und trank das Glas in tiefen Zügen leer.
Der Geschmack war ein lange vermisster Freund, das Wiedertreffen eine Freude. Doch es berührte ihn noch nicht im Innersten.
Er wusste, dass der Trost nicht im ersten Schluck lag. Dieser sowie die Betäubung, die Ruhe, der Sinn, die Heilung, die Linderung, das Gleichgewicht, die Ordnung und jenes Einswerden mit dem Universum kamen erst später, etwa am Ende das zweiten göttlichen Glases. (Seite 24-25)

Ebenfalls weiten Raum erhält Griessels Partner Vaughn Cupido, eher der draufgängerische, ruppige, unangepasste Typ. Er darf sich als Leiter der Ermittlungen im Mordfall Richter beweisen, muss gleichzeitig Griessels Alkoholproblem decken und verguckt sich auch noch in eine wichtige Zeugin. Doch im Laufe des Buches gewinnt Cupido erheblich an Profil.

Eine besondere Perspektive schafft Meyer durch die Kapitel, in denen der Winzer François du Toit sich seiner Rechtsanwältin offenbart. Er gibt Einblick in die wechsel- und schicksalshafte Geschichte einer südafrikanischen Winzerfamilie. Gleichzeitig nähert man sich Schritt für Schritt dem Motiv für den Mord an Ernst Richter.

Deon Meyer ist wohl eher der Konservative unter Südafrikas Krimiautoren. Seine Gesellschaftskritik kommt eher unterschwellig daher, nicht so brachial wie bei manch anderem Kollegen. Trotzdem bestachen die Vorgängerbände durch das hohe Tempo und die Action. Dies vermisse ich ein klein wenig bei Icarus. Nichtsdestotrotz ist der Roman aber ein grundsolider und gut erzählter Krimi, der die Freunde der Reihe durch die Weiterentwicklung der Figuren gut unterhält.

 

Rezension und Foto von Gunnar Wolters.

 

20151223_130146-2Icarus | Erschienen am 12. Oktober 2015 bei Rütten & Loening
ISBN 978-3-352-00671-5
432 Seiten | 19,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe

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