Autor: Nora

Martina Aden | Der falsche Friese (Band 2)

Martina Aden | Der falsche Friese (Band 2)

„Ich stieg auf den Deich und sah dem Spiel der Wellen zu, die träge an Land schwappten. Ich schloss die Augen und genoss die wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner Haut. Die Nordsee ist wie eine alte Freundin für mich. Ich muss nicht ständig bei ihr auf der Matte stehen, aber ich weiß, dass sie da ist.“ (Seite 196)

Elli Vogel ist Autorin, da sich ihre eBooks aber nicht sehr gut verkaufen, nimmt sie einen Job beim „Ostfriesland-Reporter“ an. Bei der Recherche für ihren ersten Artikel trifft sie auf das Schicksal von Andreas Kalski, der vor vierzig Jahren plötzlich spurlos verschwunden ist. Ellis Neugierde ist geweckt und sie beginnt nach neuen Hinweisen zu suchen. Dabei wird es nicht nur für sie gefährlich…

Fall zwei für Elli
„Der falsche Friese“ von Martina Aden ist der zweite Fall um die Schriftstellerin und Hobby-Detektivin Elli Vogel. In dieser Geschichte wird zum ersten Fall immer wieder Bezug genommen. Ich konnte auch ohne Vorkenntnisse gut folgen, trotzdem empfehle ich mit Teil eins zu beginnen. Die Handlung liest sich sehr flüssig, ich empfand keinerlei Längen.

Sehr sympathische Protagonistin
Die Protagonistin Elli ist 32 Jahre alt, wohnt mit ihrer Katze O’Malley in einer Wohnung in Aurich, hat gerade ihr zweites Buch veröffentlicht und ist mit dem Münchner Polizisten Phil zusammen. Der Roman ist in Ich-Form aus Sicht von Elli geschrieben, was ich persönlich sehr mag, weil man sich einfach gleich viel mehr mit der Person identifiziert. Besonders toll finde ich die teilweise ironischen Gedanken zu allem, was Elli passiert. Ich konnte einige Male schmunzeln und das lockert die gesamte Handlung auf, ohne dass es lächerlich wird. Mir ist Elli sehr sympathisch.

Manchmal etwas dick aufgetragen
Die Ermittlungen haben sich für mich realistisch gelesen, auch wenn die Polizei kaum eine Rolle dabei spielt und es mir manchmal so vorkam, als wenn diese nur auf Ellis Ergebnisse wartet. An einigen Stellen, auch in Bezug auf den ersten Fall, fand ich die Geschehnisse etwas dick aufgetragen. Für die Spannung hätte es nicht so viel Gefahr und Action gebraucht.

Fazit: Eine frische, selbstironische Protagonistin und eine interessante Ermittlung in Ostfriesland.

Martina Aden, Jahrgang 1982, lebt mit ihrem Mann, ihrem Sohn, ihren Pferden und Katzen im Herzen Ostfrieslands. Sie ist Mitglied bei den Mörderischen Schwestern und im Syndikat. (Verlagsinfo)

 

Rezension und Foto von Andrea Köster.

Der falsche Friese | Erschienen am 23. Juli 2020 im Emons Verlag
ISBN: 978-3-740-80756-6
288 Seiten | 13,00 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Natasha Korsakova | Römisches Finale Bd. 2

Natasha Korsakova | Römisches Finale Bd. 2

In Band 2 Ihrer Rom-Krimi-Reihe lässt die Autorin ihren Commissario Di Bernardo erneut in der Musikszene ermitteln: der weltberühmte Pianist Emile Gallois wird nach einer Orchesterprobe zum Zweiten Klavierkonzert von Rachmaninow OP. 18 (spielt in der Handlung immer wieder eine Rolle) erschossen aufgefunden. Der Mörder hat es allerdings nicht bei den Schüssen in Herz und Kopf belassen, die rechte Hand des Pianisten wurde anschließend noch zertrümmert – ein Zeichen oder blanker Hass?

Die Handlung
Auch in diesem Buch spielt – wie im ersten Band – die Vergangenheit eine Rolle. Zu Beginn wird ein Hinweis auf die Mafia eingestreut, doch lässt sich zunächst keine Verbindung zu dem Mord feststellen (der im Übrigen nicht der einzige bleibt).
Gleich zu Anfang der Ermittlungen stellt sich heraus, dass die Ehe von Emile Gallois mit Cristina, die aus einer hochangesehenen und erzkatholischen Familie stammt, nicht das war, was sie nach Außen hin zu sein schien. Bei der Vernehmung von Ephraim Azzaria, der Dirigent des letzten Konzerts von Emile Gallois, erfährt Commissario Di Bernardo, dass Emile schwul war und er nicht nur ein Verhältnis mit Azzaria hatte, sonder sogar eine Hochzeit geplant war. Ein Motiv für Cristina Gallois? Diese behauptet jedoch, schon lange davon gewusst zu haben, aber auch, dass Emile stets versichert hatte, dass er keine Trennung wollte.
Die Ermittlungen gestalten sich für den Commissario immer mehr zum Verwirrspiel; weitere Verdächtige werden bekannt – doch vorläufig führen alle Hinweise in Leere.
Doch dann ergeben sich durch die Erzählungen von Emils ehemaligem Klavierlehrer neue Erkenntnisse.
Obwohl noch weitere Ereignisse aus der Vergangenheit in die Handlung eingestreut sind, die auf das Motiv hinweisen könnten, bleibt man als Leser doch bis zum Schluss im Ungewissen.
Trotz einiger Vermutungen kommt es zum Schluss anders als gedacht (bei mir jedenfalls).

Meine Meinung
Die Autorin hat hier aus verschiedenen, tatsächlichen und vermeintlichen Motiven ein Handlungsgeflecht erdacht, das die Taten der handelnden Personen einerseits menschlich verständlich macht, gleichzeitig aber auch darauf hinweist, in wie weit (falsche) Handlungen in der Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen können. Ich finde die Handlung spannend, aber auch raffiniert aufgebaut. Man vermutet zwar, wer der Täter sein könnte, kann sich aber nie ganz sicher sein – was u. a. ja auch den Reiz des Buches ausmacht.
Gefallen haben mir auch die Episoden aus dem Privatleben des Commissarios und seines Assistenten, sie lockern das Ganze auf und man hat fast das Gefühl, die Beiden persönlich zu kennen.

Fazit
Mir hat dieses Buch fast noch besser gefallen als das erste; außer den handelnden Personen lernt man auch Rom und Umgebung kennen und ist bis zum Schluss gespannt, wie sich der Fall wohl auflöst. Bitte weiter so!!

Die Autorin
Natasha Korsakova spielt seit dem 5 Lebensjahr Violine, sie studierte zunächst am Moskauer Konservatorium, später dann auch in Nürnberg und Köln. Bereits in jungen Jahren erhielt sie mehrere Preise, ab 1994 folgten ihre Debüts u.a. an der Berliner und Kölner Philharmonie und dem Leipziger Gewandhausorchester. Auch international wurde sie bekannt, u.a. wurde sie 1998 in Chile als Künstlerin des Jahres ausgezeichnet. Sie lebt im Süden der Schweiz, ist jedoch auch immer wieder in Rom, dem Schauplatz ihrer Kriminalromane.

Foto und Rezension von Monika Röhrig.

Römisches Finale | Erschienen 14.09.2019 im Wilhelm Heyne Verlag
ISBN 987-3-453-42363-3
380 Seiten | 12,99 EUR
Bibliographische Angaben & Leseprobe

Denise Mina | Klare Sache

Denise Mina | Klare Sache

„Wenn man müde ist und jung und verängstigt und einen die ganze Welt hasst, dann ist es ein Luxus, den Mund zu halten.“ Auszug Seite 8

Anna McDonald ist auf den ersten Blick eine ganz normale Hausfrau, Mutter zweier Mädchen, die sie über alles liebt und mit einem angesehenen Rechtsanwalt verheiratet. Die große Leidenschaft der schottischen Ich-Erzählerin sind True-Crime-Podcasts. Besonders früh morgens, wenn außer ihr noch keiner auf ist, liebt sie es, für kurze Momente aus der Realität zu flüchten.

Der Tod und die Dana
An diesem Morgen beginnt Anna mit einer neuen True-Crime-Geschichte, die sich um den Fall eines gesunkenen Luxusschiffs handelt: Der Tod und die Dana. Ebendiese Dana ist eine Privatyacht, die bei ihrem Untergang vor der französischen Westküste den wohlhabenden Geschäftsmann Leon Parker und seine zwei bereits erwachsenen Kinder mit in den Tod riss. Auf dem Schiff war es auf hoher See aus bisher ungeklärten Umständen zu einer Explosion gekommen, die das Schiff zum Kentern brachte.

Außerdem rankt sich schon seit Jahren ein Fluch um die Dana, denn sie scheint allen Besitzern und ihren Familien nur Pech und Verderben zu bringen. Noch unheimlicher wird die Geschichte dadurch, dass bei einem späteren Tauchgang zu dem Schiffswrack der Taucher ums Leben kam. Das alleine klingt schon schaudernd und spektakulär, doch Anna ist zutiefst aufgewühlt, denn der ertrunkene Leon Parker ist ein Bekannter aus früheren Tagen. Eine dunkle Vergangenheit, die sie vor allen verheimlichen wollte und in der sie noch unter einem anderen Namen ein ganz anderes Leben geführt hatte.

„Der Tag, an dem mir mein Leben um die Ohren flog, fing gut an“ Auszug Seite 9

Noch bevor Anna alles richtig realisieren kann, kommt der nächste Schock: Ihr Ehemann teilt ihr mit, dass er schon seit längerem ein Verhältnis mit ihrer besten Freundin hat. Er will Anna verlassen und, um ihr Zeit zu geben, das Ganze zu verdauen, erst mal mit Estelle in den Urlaub nach Portugal fahren. Die beiden Töchter nimmt er mit. Er lässt eine verzweifelte Anna zurück, deren sorgsam aufgebautes Leben grade völlig aus den Fugen gerät und die erst mal zur Ablenkung und Betäubung in ihren Podcast flieht.

Doch nicht lange, denn dann steht Fin Cohen vor der Tür, Estelles völlig verzweifelter Ehemann. Der magersüchtige, ehemalige Popstar war Frontman einer Band, die nach ihrer Auflösung „nur noch eine Fußnote der Musikgeschichte“ ist. Fin hadert schon lange mit seinem Leben und seinem kurzen Ruhm, der nur noch auf Instagram stattfindet, und dass Estelle ihn abservierte, hat ihm den Boden unter den Füßen weggezogen.

Wilde Odyssee durch halb Europa
Anna kann nicht anders, sie will die Wahrheit über das Schiffsunglück und den Mord an Leon Parker herausfinden. Im Gepäck immer den labilen Fin, den sie zumindest anfänglich versucht loszuwerden. Anna ist ein schwieriger Charakter, wirkt oft sehr schroff, was durch ihre schlimmen Erlebnisse in ihrer Vergangenheit begründet ist, sie hat aber auch eine empathische Seite. Die beiden machen sich überstürzt auf eine rasante Odyssee durch halb Europa, angefangen in Schottland Richtung Ile de Ré, dem Ort des Schiffsunglücks, über Venedig und Lyon wieder nach Glasgow. Dabei lösen sie unzählige, weitere Verwicklungen aus und geben sich mehr als einmal in tödliche Gefahr. Die Geschichte steckt voller Überraschungen und Katastrophen, die mühelos miteinander verwoben werden. Dabei machen sich die beiden oft zu Nutze, dass Fin immer noch prominent, oft erkannt wird und viel öffentliche Aufmerksamkeit genießt.

Meine Meinung
„Klare Sache“ heißt der letztjährige Krimi der schottischen Autorin und bekennenden Feministin (der neueste in deutscher Übersetzung ist gerade erschienen), aber klar ist in diesem Krimi mal gar nichts. Denise Mina ist ja für realistische und düstere schottische Kriminalliteratur bekannt, Tartan Noir eben. „Klare Sache“ ist eine bunte Mischung, wunderbar durchgeknallt, die temporeich und pointiert erzählt wird. Ich würde den Krimi mal unkonventionell nennen. Mina muss einen unbändigen Spaß gehabt haben, diesen sprunghaften Plot zu kreieren. Es sind viele komische Elemente vorhanden, trotzdem werden die Figuren nicht als Witzfiguren dargestellt, sondern sind originell und mit Tiefe ausgestattet. Es passiert immer wieder Unerwartetes, man kommt kaum hinterher und kann nur staunen über dieses Potpourri an launigen Einfällen.
Spannung entsteht auch, weil die Ich-Erzählerin Anna nur scheibchenweise mit allem herausrückt und die Geheimnisse ihrer Vergangenheit so lange wie möglich für sich behält.

Mina packt so viele Themen in den Krimi, es geht um die Opfer von sexueller Gewalt und wie mit ihnen umgegangen wird, es geht um die Macht der Sozialen Medien, es geht um Fußball, um Popkultur und um das Geschichtenerzählen. Es geht auch um die Faszination von True-Crime und wie ein guter Podcast einen Sog entwickeln kann. Dabei ist der Krimi clever und raffiniert, mit bissigem Humor und auch ein bisschen abstrus.

Klare Sache | Erschienen am 12. August 2019 im Argument Verlag mit Ariadne
ISBN 978-3-86754-242-5
352 Seiten | 21,- Euro
Originaltitel: Conviction
Bibliografische Angaben

Abgehakt | Oktober 2020

Abgehakt | Oktober 2020

Unsere Kurzrezensionen zum Ende Oktober 2020

 

Thomas Mullen | Die Stadt am Ende der Welt

Winter 1918: Der erste Weltkrieg ist noch nicht beendet. Die Amerikaner sind letztlich doch auf Seiten der Alliierten in den Krieg eingetreten und müssen Verluste auf dem Schlachtfeld verkraften. Die USA sieht sich allerdings durch die Pandemie der Spanischen Grippe einer neuen Bedrohung ausgesetzt. Tief in den Wäldern des Staates Washingtons liegt die junge Holzfällerstadt Commenwealth. Gründer Charles Worthy hat die Stadt bewusst als Gegenentwurf zum ausufernden kapitalistischen System gegründet. Nun finden sich dort ehemalige Gewerkschafter, Anarchisten, Kommunisten, Kriegsdienstverweigerer. Als die Grippe immer näher kommt, entschließt sich Worthy und die Gemeinschaft zu einem radikalen Schritt: Die Stadt begibt sich in Isolation und schottet sich von der Außenwelt ab. Das Betreten der Stadt von Fremden soll unter allen Umständen verhindert werden. Da nähert sich aus den Wäldern kommend ein Soldat den Absperrungen.
„Die Stadt am Ende der Welt“ ist der Debütroman von Thomas Mullen aus 2006, der in Deutschland zuletzt durch die Reihe um schwarze Polizisten in Atlanta bekannt wurde. Dieser Roman hier wurde natürlich durch die aktuelle Corona-Pandemie wieder schlagartig interessant und dadurch erneut auf Deutsch veröffentlicht.

Der Roman folgt über weite Strecken bekannten Muster von Pandemie-Thrillern oder Dystopien. Eine Gemeinschaft wird durch die Bedrohung stark auf die Probe gestellt und die Harmonie und Solidarität weicht nach und nach Angst, Misstrauen und Panik. Das ist aus meiner Sicht passabel und solide dargestellt, ohne allerdings aus meiner Sicht herauszuragen. Auch die zahlreichen Rückblenden auf die Vorgeschichten der Figuren verlangsamen den Erzählfluss. Was mich allerdings überzeugt hat, ist die Verbindung, die Mullen zwischen den Kriegsanstrengungen der USA und der Pandemie zieht. Tragisch und absurd wie bei der Situation einer nationalen Tragödie wie der Spanischen Grippe auch noch der letzte Kriegsdienstverweigerer aus den Wäldern geholt werden soll.

Die Stadt am Ende der Welt | Erschienen am 29.09.2020 im Dumont Verlag
ISBN 978-3-8321-8151-2
480 Seiten | 18,- €
Originaltitel: The Last Town on Earth
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3,0 von 5,0
Genre: Spannungsroman

Weiterlesen: Gunnars Rezension zu Thomas Mullens Roman „Darktown

 

Don Winslow | Broken

Don Winslow ist bekannt für ausufernde Thrillerepen, beispielsweise seine Kartell-Trilogie. Nun hat er sich an eine Kurzform gewagt. „Broken“ ist eine Sammlung von sechs Novellen, in denen Winslow außerdem viele alte Bekannte aus früheren Büchern wieder zurückholt.

„Broken“ erzählt die Geschichte von Drogencop Jimmy McNabb in New Orleans, der eine Fehde mit einem brutalen Drogendealer austrägt. „Crime 101“ erzählt ein Raub-Story entlang des Pacific Coast Highway mit Steve McQueen-Reminiszenzen. In „The San Diego Zoo“ wird aufgeklärt, wie ein Affe im Zoo an eine geladene Waffe kam. In „Sunset“ ist Kautionsbürge Duke Kasmajian auf der Suche nach einem Kautionsflüchtling. „Hawaii“ erzählt eine Geschichte von Ben, Chon und O (bekannt aus Savages), als sie auf Hawaii Revierkämpfe mit lokalen Gangs geraten. Zuletzt kommt „The Last Ride“, in der der Grenzschützer Cale Strickland ein Mädchen aus einem Auffanglager gegen die Vorschriften mit seiner Mutter wieder vereinen will.

Sechs Geschichten über Gewalt, Drogen, Loyalität und Moral. Geradlinig und kurzweilig erzählt, von hartgesotten, lässig bis berührend bieten diese Storys eine faszinierende Bandbreite. Absolutes Highlight ist „The Last Ride“. Winslow zeigt sich mit diesen Geschichten in Topform.

Broken | Erschienen am 24.03.2020 bei HarperCollins
ISBN 978-3-95967-489-8
512 Seiten | 22,- €
als E-Book: ISBN 978-3-95967-488-1 | 14,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 5 von 5;
Genre: noir/hardboiled

Weiterlesen: Weitere Rezensionen zu Romanen von Don Winslow

 

Vincent Hauuy | Der Dämon von Vermont

Vor einigen Jahren verlor Profiler Noah Wallace bei der Jagd auf einen Serienmörder seine Frau bei einem Autounfall und wurde selbst schwer verletzt. Nun fristet er mit großen körperlichen und psychischen Problemen ein zurückgezogenes Leben. Da holt ihn sein ehemaliger Partner überraschend ab und fährt mit ihm zu einem Mordschauplatz im benachbarten Kanada. Der Täter hat eine Nachricht an Noah hinterlassen. Die gesamte Vorgehensweise deutet wieder auf den „Dämon von Vermont“ hin. Doch der ist doch damals beim Unfall ebenfalls verstorben. Oder etwa nicht?

Serienmörder-Thriller sind so eine Sache. Eigentlich nicht mehr mein bevorzugtes Subgenre, gibt es da doch viel Schund. Aber es gibt auch Ausnahmen. Leider zählt dieser hier nicht dazu. Was man zumindest noch positiv sagen kann: Es ist halbwegs spannend. Und der Hintergrund der Story, das MKULRA-Programm der CIA zu Bewusstseinskontrolle, ist nicht uninteressant. Die Umsetzung ist aber nur mäßig, der Plot ist für meinen Geschmack zunehmend abstrus. Auch was die handwerklichen Dinge betrifft, reißt mich das Ganze nicht vom Hocker. Maue Dialoge und vom personalen Erzähler zäh vorgetragene Gedanken der Figuren machen die Lektüre nicht besser. Der Kanadier Vincent Hauuy gewann mit diesem Debütroman einen vom französischen Bestsellerautor Michel Bussi gestifteten Literaturpreis. Warum auch immer.

Der Dämon von Vermont | Erschienen am 19.09.2020 im Tropen Verlag;
ISBN 978-3-608-50473-6
448 Seiten | 17,- €
Originaltitel: Le tricycle rouge
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 1,5 von 5;
Genre: Thriller

 

Rezension 1 bis 3 sowie die dazugehörigen Fotos von Gunnar Wolters.

 

Wolf S. Dietrich | Friesisches Gift

Auf der ostfriesischen Insel Langeoog werden Heroin-Päckchen angeschwemmt, aber als die Polizei diese sicherstellen möchte, sind sie verschwunden. Dann wird ein Journalist vermisst, der unter anderen über diese Angelegenheit berichten wollte und den Dieben offenbar zu nahe gekommen ist. Rieke Bernstein vom LKA ermittelt in beiden Fällen.

Der dritte Fall um die Kommissarin Bernstein hat sich für mich flüssig gelesen, der Schauplatz bringt Urlaubsfeeling mit und die Geschichte ist spannend geschrieben. Trotzdem konnte der Fall mich nicht völlig überzeugen, da die Ermittlungen für meinen Geschmack zu dramatische Ausmaße annehmen und mir die Protagonistin bis zum Schluss unnahbar vorkam.

Friesisches Gift | Erschienen am 28.02.2019 im Lübbe Verlag;
ISBN 978-3-40417-787-8
416 Seiten | 10,- €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 3 von 5;
Regionalkrimi

 

Katharina Peters | Todesklippe

Ein Polizeipsychologe aus Rostock kommt bei einem Motorradsturz ums Leben. Ein Kollege glaubt nicht an einen Unfall und so wird die Privatdetektivin Emma Klar aus Wismar eingeschaltet, die erst verdeckt, aber später auch offen ermittelt. Und plötzlich kommen noch ganz andere Ungereimtheiten ans Licht…

„Todesklippe“ von Katharina Peters fand ich spannend zu lesen. Es handelt sich um einen sehr weitverzweigten Fall, bei dem die ermittelnden Beamten nicht immer den vorgeschriebenen Dienstweg einhalten, um ans Ziel zu kommen. Emma Klar als Protagonistin konnte mich ebenfalls überzeugen, nur das Ende wäre für meinen Geschmack mit etwas weniger Gewalt ausgekommen.

Todesklippe | Erschienen am 12.04.2019 im Aufbau Verlag
ISBN 978-3-74663-543-8
352 Seiten | 9,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Wertung: 4,0 von 5,0
Genre: Regionalkrimi

Weiterlesen: Weitere Rezensionen von Andrea zu Romanen von Katharina Peters

Rezensionen 4+5 und dazugehörige Fotos von Andrea Köster.

Éric Plamondon | Taqawan

Éric Plamondon | Taqawan

Sie verlor das Zeitgefühl. Jede Sekunde dehnte sich endlos, wurde zu einer Stunde. Der Schmerz schien von einem Ort weit ausserhalb ihrer selbst zu kommen. Sie spaltete sich von ihrem Körper ab, Überlebensmechanismus, liess sich ins Dunkel sinken und spürte nur noch eine diffuse Mischung aus Angst, Hass, Wut, Demütigung, hörte, wie die Stimmen sie beleidigten, ohne sie auseinanderhalten zu können, ohne zu begreifen. (E-Book, S.111)

Provinz Québec am 11.Juni 1981: Die 15jährige Océane fährt mit dem Bus von der Schule nach Hause in das Dorf und Reservat der Mi’gmaq. Auf der Brücke über den Restigouche wird der Bus von der Polizei gestoppt und die Schüler sehen von dort mit an, wie die Polizei eine brutale Razzia durchführt und die Fischernetze der Mi’gmaq beschlagnahmt. Es kommt zu gewalttätigen Krawallen, viele Männer, darunter Océanes Vater werden verhaftet. Kurze Zeit später findet der ehemalige Ranger Ives Leclerc Océane im Wald schwer verletzt auf, mehrfach wurde sie vergewaltigt. Ives sucht Hilfe beim Mi’gmaq William, der als Einsiedler im Wald lebt, und seiner Ex-Freundin Caroline, einer jungen Lehrerin aus Frankreich. Gemeinsam versuchen sie, Océane zu heilen und stellen dabei fest, dass sich das Mädchen immer noch in akuter Gefahr befindet.

Der Romanhintergrund basiert auf den tatsächlichen Ereignissen des sogenannten „Salmon Raid“ 1981. Die Mi’gmaq zählen zu den zahlreichen First Nations Kanadas, den Ureinwohnern. Sie leben in den östlichen Provinzen Kanadas, unter anderem auf der Halbinsel Gaspésie im Osten Québecs. Seit Jahrtausenden leben sie vom Fischfang, insbesondere Lachsfang. Die Fangrechte der Mi’gmaq waren seit der Kolonisierung immer wieder umstritten und bedroht. Im Jahr 1981 versuchte die Québecer Provinzregierung, die Fischereirechte einzuschränken und wollte dies auch mit polizeilichen Mitteln durchsetzen. Der Aufruhr erschütterte ganz Kanada und war auch ein Stellvertreterkonflikt, den die Regierung in Québec gegen die der kanadischen Regierung unterstellten Reservate führte.

Er war sieben Jahre alt, und er konnte seiner Grossmutter stundenlang beim Nähen zusehen. […] Eines Tages erklärte sie ihm den Fadenlauf. […] Für Ives`Kinderseele lag darin etwas Magisches. Später, wenn er in einer schwierigen Lage war und das Gefühl hatte, den Faden zu verlieren, suchte er nach dem Fadenlauf. […]
Jetzt, wo er gekündigt hatte und eine junge Mi’gmaq beschützen musste, zwei Männer tot waren und ein Teil der Québecer Bevölkerung die Indianer ein für alle mal loswerden wollte, hatte Leclerc mehr denn je das Gefühl, den Faden verloren zu haben. (E-Book, S.122-124)

Ein Taqawan ist übrigens die Bezeichnung der Mi’gmaq für einen Lachs, der zum ersten Mal nach seiner Geburt zum Laichen wieder zu seinem Geburtsfluss zurückkehrt. Dies ist aber nur eine von zahlreichen Erläuterungen und Einschüben, die Autor Éric Plamondon, ein gebürtiger Québecer, in seinen Roman einflechtet. Die Kapitel sind kurz, manchmal weniger als eine Seite. Plamondon fügt viel Dokumentarisches ein: Erläuterungen zum Lachs und Lachsfang, die Kolonialgeschichte Kanadas und der Provinz Québec, Mythen und Erzählungen der Mi’gmaq und deren schwieriger Kampf um ihre Identität. Dabei bezieht der Autor ganz klar Stellung für die Ureinwohner.

Der Kriminalplot ist dabei recht kurz und knackig und ziemlich noir. Man wirft zahlreichen Autoren immer gerne etwas Geschwätzigkeit vor, hier hatte ich im Gegensatz dazu das Gefühl, dass man den Plot sicherlich noch ausdehnen hätte können. Erstaunlicherweise gelingt dem Autor auf den wenigen Romanseiten aber auch eine gute Zeichnung seiner Hauptfiguren (die Nebenfiguren und die „Bösen“ bleiben allerdings etwas diffus) und vor allem der Ambivalenz und die Zerrissenheit zwischen Québec und Kanada und auch zwischen den Québecern und den Ureinwohnern.

In Québec haben wir alle Indianerblut. Entweder in den Adern oder an den Händen. (E-Book, S.87)

Insgesamt ist „Taqawan“ ein anregender Roman noir mit viel Hintergrundinformation über einen Teil der kanadischen Geschichte. Allerdings muss ich gestehen, dass es mir für eine Topbewertung wegen der zahlreichen Einschübe doch zu fragmentarisch aufbereitet war. Nichtsdestotrotz war es ein bemerkenswerter und lesenswerter Roman.

Foto und Rezension von Gunnar Wolters.

Taqawan | Erschienen am 29.09.2020 im Lenos Verlag
ISBN 978-3-03925-004-2
208 Seiten | 22,- €
als E-Book: ISBN 978-3-85787-985-2 | 16,99 €
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weitersehen: Dokumentarfilm „Incident at Restigouche“ der Regisseurin Alanis Obomsawin aus dem Jahr 1984 über die „Salmon Raids“ 1981

Diese Rezension erscheint im Rahmen unseres .17special Ein langes Wochenende mit… Krimis aus Kanada.