Tag: 19. Oktober 2021

Stephen King | Billy Summers ♬

Stephen King | Billy Summers ♬

In Stephen Kings aktuellem Roman, der ganz ohne übersinnliche- und Horrorelemente auskommt, geht es um Billy Summers, einen intelligenten und empathischen Mittvierziger. In der Vergangenheit war er bei den Marines und profilierte sich als exzellenter Scharfschütze. Aktuell verdient er sein Geld als Auftragskiller. Allerdings ein Auftragskiller mit Moralkodex, denn er liquidiert nur „schlechte“ Menschen.

Der letzte große Coup
Jetzt will er nach einem letzten großen Coup aus dem Geschäft aussteigen. Für diesen Auftrag nimmt er eine Scheinidentität als Schriftsteller an. Erst als Tarnung gedacht, entwickelt der Ex-Marine immer mehr Leidenschaft für die Tätigkeit und schreibt tatsächlich an einer Autobiografie. In dieser Parallelerzählung erfahren wir mehr über seine traumatische Kindheit und die Zeit im Irakkrieg, besonders über die schrecklichen Erlebnisse im Kriegsgebiet Falludscha. Dieses Stilmittel, die Geschichte in der Geschichte, nutzt King, um uns die Figur Summers in aller Ausführlichkeit näher zu bringen, lähmt damit aber auch immer wieder den Erzählfluss. Der Kriegsveteran ist ein komplexer vielschichtiger Charakter, der sich und sein Handeln oft kritisch reflektiert. Obwohl er vor seinen Auftraggebern stets den Simpel mimt, ist er doch sehr belesen und weiß aus Literatur und Film, dass letzte große Coups ja oft in die Hose gehen. Aber die große Geldsumme von 2 Millionen US-Dollar lockt und die Aufgabe, einen angeklagten Doppelmörder und Vergewaltiger per Kopfschuss zu erledigen, bevor dieser vor Gericht einen Deal aushandeln kann, scheint machbar.

King nimmt sich sehr viel Zeit, um zu erzählen, wie Billy den Auftrag akribisch vorbereitet. Wir begleiten ihn über etliche Stunden im Hörbuch und erfahren, wie er sich zur Tarnung in dem kleinen Örtchen einlebt, Freundschaften schließt und ein Bestandteil der Nachbarschaft wird. Dieser Teil hat mich an ein anderes Werk von King erinnert, und zwar an ‚Der Anschlag‘ aber während ich dieses großartig fand, war ich bei ‚Billy Summers‘ wirklich irgendwann latent genervt und wollte nicht noch mal über Grillabende oder Monopolyspielen mit den Nachbarskindern hören. Ich war gut unterhalten, aber es entstand nicht der große Sog, um unbedingt wissen zu wollen, wie es weitergeht.

Der Rache-Road-Trip
Der Auftrag wird dann auch ziemlich schnell sowie unspektakulär erledigt, jedoch wie schon von Summers befürchtet, wollen ihn seine Auftraggeber reinlegen. Er ist schlau genug und hält sich nicht an den vorgegebenen Fluchtplan und es gelingt ihm, unterzutauchen. Auf seiner Flucht trifft er zufällig auf ein junges Mädchen, das bewusstlos auf der Straße liegt. Die junge Alice Maxwell wurde von drei Männern schwer misshandelt und vergewaltigt. Billy stellt seine eigenen Interessen zurück und rettet ihr das Leben. Im letzten Drittel schließen die beiden sich zusammen und gehen auf einen mörderischen Rachepfad. Summers will herausfinden, wer ihn ausschalten will und warum. Die Motivation von Alice blieb für mich weitestgehend unklar.

Die Geschichte nimmt hier nicht nur eine enorme Wendung und wird rasant und actiongeladen mit einem spannenden Showdown. Mir schien dieser Teil völlig losgelöst vom ersten Teil. Wie zwei unterschiedliche Geschichten, die nicht homogen zueinanderpassen.

Der gute Killer
Trotz seiner detaillierten, fast betulichen Ausführlichkeit im ersten Drittel, in der wir tiefe Einblicke in das Leben und die Gedankenwelt eines Killers bekommen, trotz einer fast treuherzigen, naiven Weltanschauung bezüglich der Moral eines Auftragskillers beeindruckt Stephen King mich wieder mit seiner hohen Erzählkunst sowie seinen tiefgehenden Charakterzeichnungen. Er kann einfach unheimlich gut Figuren zum Leben erwecken und ihre Beziehungen zueinander darstellen. Man kann sich gut in Summers einfühlen und hofft und bangt mit ihm und Alice mit. Wobei der Protagonist Summers als Außenseiter mit maximaler Traurigkeit dargestellt wird. Es zog sich eine große Melancholie durch den ganzen Roman und King hat hier mal ein gutes sowie passendes Ende geschrieben.

Wie in anderen King-Werken befasst sich auch ‚Billy Summers‘ mit dem Schreiben an sich und man spürt Kings große Liebe zur Literatur. Nicht verbergen kann der amerikanische Autor allerdings seine Aversion gegen den ehemaligen republikanischen US-Präsidenten, denn einige Spitzen gegen Trump und an der amerikanischen Politik konnte er sich mal wieder nicht verkneifen. Ich fand es aber ganz amüsant, wenn Summers sich bei einer gewaltvollen Aktion eine Melanie-Trump-Maske aufsetzt. Mehr gestört hat mich, dass hier Selbstjustiz unreflektiert gefeiert wird. Natürlich dürfen auch seine Querverweise zu früheren Werken nicht fehlen, ich habe zumindest einen erkannt.
Billy Summers ist ein Spiel mit den unterschiedlichen Identitäten, es geht um die Macht der Literatur, um Freundschaften und immer wieder um Gut und Böse. Und wie schön gestaltet ist eigentlich dieses Cover?

Der Sprecher
Ich kann mir kaum einen besseren Hörbuch-Sprecher als David Nathan vorstellen. Seine Interpretationen der King-Stoffe lassen meine Wertungen immer ein halbes Pünktchen erhöhen. Mit viel Feingefühl setzt er die dramatischen, tragischen aber auch die komischen Akzente an die richtigen Stellen, lässt die Figuren nahezu real werden und den Hörer in die Geschichte eintauchen.

 

Foto & Rezension von Andy Ruhr.

Billy Summers | Erschienen am 09.08.2021 bei Random House Audio
ISBN 978-3- 8371-5718-5
ungekürzte Lesung von David Nathan  | Gesamtspielzeit: ca. 19 Stunden 32 Minuten
3 MP3-CD | 20,45 Euro
Originaltitel: Billy Summers (Übersetzung aus dem Amerikanischen von Bernhard Kleinschmidt)
Bibliografische Angaben und Hörprobe

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