Francis Durbridge | Paul-Temple Die große Box ♬

Francis Durbridge | Paul-Temple Die große Box ♬

Sechs Hörspiele in den Original-Radiofassungen

Heutzutage sind die meisten Protagonisten eines Krimis, die Ermittler, Detektive oder Kommissare oft irgendwie beschädigt, kaputt oder zumindest traumatisiert. Sie kämpfen mit Alkohol- und Drogenproblemen, ihren inneren Dämonen oder sind zumindest etwas schrullig.

Beim Morpheus!

Ein ganz anderes Kaliber ist der fiktive Kriminalschriftsteller und Hobbydetektiv Paul Temple, der Ende der 1930er Jahre von dem britischen Schriftsteller Francis Durbridge erfunden wurde. Der kultivierte Gentleman löst seine Fälle mit lässigem Charme, ist scharfsinnig, souverän und bleibt einfach immer smart. Es kommt höchstens mal ein „Beim Morpheus!“ wenn er überrascht wird.

Ihm zur Seite steht Steve, seine zauberhafte, stets gut gelaunte, immer topmodisch gekleidete Ehefrau. Als Sidekick für humorige, geschliffene Dialoge unverzichtbar! Paul ist als Schriftsteller sehr erfolgreich und so gehören die Temples eher zur Upperclass und können sich in ihrer Londoner Wohnung einen Diener leisten. In jeder Folge dabei ist der britisch stocksteife Charlie mit den flapsigen Ausdrücken. Temple arbeitet eng mit Scotland Yard zusammen und Sir Graham Forbes bittet ihn oft um Unterstützung und bringt ihm die Fälle praktisch ins Haus. Und das würde ich doch auch machen, denn Paul löst die richtig verzwickten Fälle.

„Oh Paul, er ist in einem fürchterlichen Zustand!“

Verschiedene Zutaten findet man in leicht abgeänderter Form in jeder Folge. Das sind zum Beispiel der ominöse Nachtclub, das einsame Landhaus oder der geheimnisvolle Megaverbrecher, den noch keiner gesehen hat und jeder nur unter seinem Pseudonym kennt. Oft ruft eine Person Temple an und will etwas Wichtiges zur Aufklärung mitteilen, aber auf keinen Fall sofort am Telefon. Es wird ein Treffpunkt vereinbart, und man kann davon ausgehen, dass die Person vorher beseitigt und oft vom Ehepaar Temple aufgefunden wird. Fast inflationär oft fällt dann von Steve der Satz: „Oh Paul, er / sie / das Opfer / die Leiche ist in einem fürchterlichen Zustand.“ Immer steht ein gewöhnlicher, aber für den Fall mysteriöser Gegenstand im Mittelpunkt, um den sich der Hörer die meisten Gedanken machen kann.

In Paul Temple und der Fall Vandyke führt eine Puppe die Temples nach Paris, wo sie nach einem verschwundenen Baby suchen und einen Drogenhändlerring ausheben, dabei wird eine handgeschriebene Notiz mit dem Vermerk: „Ein Mr. Vandyke hat angerufen; keine Bestellung hinterlassen“ gefunden.

In Paul Temple und der Fall Jonathan verwundert neben einem Siegelring eine Postkarte mit dem Text: „Wir amüsieren uns glänzend. Viele Grüße Jonathan“, die neben der verstümmelten Leiche eines amerikanischen Studenten gefunden wird.

In Paul Temple und der Fall Madison gibt ein verschwundener Penny an einer Uhrenkette Grund für Spekulationen. Bei dem Fall um einen undurchsichtigen Privatdetektiv namens Madison geht es um Erpressung und eine große Falschmünzerbande.

Als Paul und Steve in Paul Temple und der Fall Spencer den Mord an einer jungen Schauspielerin untersuchen, hilft ihnen als Anhaltspunkt eine mysteriöse Schallplatte in der Londoner Wohnung der Toten mit dem Begleitschreiben: „Es war ein Genuss! Herzlichst Spencer“.

Ein blaues Kleid und einige Cocktailstäbchen bringen den charmanten Detektiv in Paul Temple und der Fall Conrad auf die richtige Spur. Hier verschwindet die Tochter eines berühmten Psychiaters aus einem bayrischen Eliteinternat.

In einem Mantel der Firma „Margo“ gehüllt wird in Paul Temple und der Fall Margo die Tochter eines amerikanischen Verlegers tot aus der Themse gezogen.

Für die Begrüßung nehmen sich alle immer viel Zeit, wobei „Hello“ lustigerweise immer englisch ausgesprochen wird. Bei all den kriminellen Machenschaften bleibt auch immer noch Zeit für einen Drink oder zwei. Zum Schluss treffen sich alle Verdächtigen oft zum gepflegten Drink am Abend und Paul Temple entlarvt den Täter.

Aber es gibt auch unterhaltsame Actionszenen, zum Beispiel in Paul Temple und der Fall Madison wird Steve auf einen Kabinenkreuzer verschleppt und kann sich ganz knapp auf einem Polizeiboot in Sicherheit bringen, bevor eine Bombe detoniert. In Paul Temple und der Fall Vandyke entgeht das Ehepaar Temple nur knapp einem Attentat in einem Pariser Straßencafé, in Paul Temple und der Fall Conrad werden sie in den bayerischen Alpen von der Straße abgedrängt und in dieser Folge war für mich auch einer der spannendsten Szenen, als Paul sich mit einem Informanten in einer alten Lagerhalle am Nordufer der Themse trifft, diesen sterbend vorfindet und nachdem ein Feuer ausbricht sich nur durch einen Sprung in die Themse retten kann.

Paul Temple war sein Durchbruch

Francis Durbridge hatte die Krimis rund um Paul Temple nur fürs Radio konzipiert, es gab keine Romanvorlage. Der britische Autor achtete beim Schreiben speziell auf Spannung und Effekte für den Hörer und das Publikum musste immer nach einem spektakulären Cliffhanger eine Woche auf die Fortsetzung warten. Während heute alle Toneffekte digital hinzugefügt werden, agierten die Schauspieler rund um René Deltgen damals noch in echten Räumen und durch die spielerischen Inszenierungen wirkt alles handgemacht. Wenn die Schausprecher Treppen hochlaufen, Türen zuschlagen, Tee eingießen oder live mit Schreckschusspistolen schießen, wirkt alles sehr lebendig und man hört heute noch den Spaß, den das gemacht haben muss.

Ab 1938 produzierte die englische BBC 29 PT-Hörspiele und in Deutschland konnten sich begeisterte Krimihörer ab 1949 an den vom WDR ganz nach dem Vorbild der BBC produzierten Hörspielen vergnügen. Bis 1967 faszinierten 13 Fortsetzungsserien eine ganze Generation von Krimiratefreunden.

Bei den in der Box befindlichen sechs Hörspielen handelt es sich um die Original-Radiofassungen des WDR. Den besonderen Charme macht auch aus, dass hier nichts geschnitten wurde und man auch die damaligen An- und Absagen hört. Es sind zeitlos spannende, nostalgisch anspruchsvolle, raffinierte Kriminalfälle, wobei auch die Originalmusik von Hans Jönsson beiträgt.

 

Rezension und Foto von Andy Ruhr.

Paul Temple Die große Box | Erschien am 18. April 2019 im Audio Verlag
ISBN 978-3-7424-0953-9
6 mp3-CDs| 29,99 Euro
Bibliographische Angaben & Hörprobe

2 Replies to “Francis Durbridge | Paul-Temple Die große Box ♬”

  1. An Paul Temple kann ich mich nur erinnern, weil mein Vater die regelmäßig gehört hat und meine Mutter ihn deswegen immer ein bisschen belächelt hat 🙂 War „Das indische Halstuch“ (oder so ähnlich) nicht auch von Durbridge? Oder doch von Edgar Wallace? Egal – ich mag diese alten Krimis 🙂

    LG
    Tina

  2. Liebe Tina,
    danke für Deinen Kommentar.
    Ja, lächeln musste ich auch oft bei den Paul-Temple-Hörbüchern. Aber für mich haben die Geschichten einen Charme und so zwischendurch kann ich das immer mal wieder hören.
    DAS HALSTUCH war eine Fernsehserie von Durbridge. Auch wenn ich schon etwas älter bin, kann ich mich daran nicht mehr so richtig erinnern, aber man sprach doch immer von einem Straßenfeger, weil alle vor dem Fernseher saßen und das verfolgten.
    Ich glaube, von Edgar Wallace gibt es einen ähnlichen Titel.
    LG Andy

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