Dominique Manotti | Einschlägig bekannt
„Noch mal ganz von vorn, wie viele Vertreter der Staatsgewalt waren an dem Einsatz beteiligt?“
Die Antwort kommt von Genêt, er hat schon mehrmals nachgerechnet. 32 Polizisten waren auf dem Vorplatz. Viele für ein Handy, von dem zu allem Überfluss nicht einmal sicher ist, dass es gestohlen wurde.
„Kam es zu Tätlichkeiten gegen diese Polizisten?“
Betretenes Schweigen. Beschimpfungen ja, viele. Aber keine Tätlichkeiten, nicht im eigentlichen Sinne. Verletzte auf Polizeiseite gab es nur durch die Tränengasgranaten der Kollegen. Paturel ist schwer verletzt, sieben andere Polizisten leicht.
Der Lieutenant überlegt einen Moment. „Und darf man erfahren, warum ihr all diese Frauen festgenommen habt?“
Marty, der knapp Davongekommene, versucht eine Erklärung. „Weil sie Handschellen trugen.“
„Und warum trugen sie Handschellen?“
„Um die Lage zu stabilisieren.“
Schweigen.
„Verstehen Sie, alles war voller Leute, wohin man auch sah, starker Tränengasbeschuss, sehr wenige Uniformierte, man wusste nicht, wer Angreifer und wer Kollege war. Dadurch, dass wir denen, die keine Polizisten waren, Handschellen angelegt haben, hatten wir einen besseren Überblick.“
In diesem Moment ist dem ganzen Kommissariat klar: Wir haben Scheiße gebaut, und zwar richtig. (Auszug Seite 78-79)
Eine Pariser Vorstadt, die berühmt-berüchtigten Banlieues: Eine trostlose Schlafstadt mit den üblichen architektonischen Todsünden. Wohnblocks, besetzte Häuser, Gewerbegebiete mit Straßenstrich, schwelende Konflikte, hohe Kriminalität. Hier liegt einiges im Argen. Das trifft auch auf das örtliche Kommissariat zu. Die junge Chefin Le Muir ist eine Hoffnungsträgerin des Innenministers und fährt dessen „Null-Toleranz-Strategie“. Dabei kommen jedoch buchstäblich einige unter die Räder. Auch die unteren Dienstgrade machen sich den neuen Kurs zu eigen und nutzen diesen für eigene Zwecke. Spezialermittlerin Noria Ghozali nimmt das Kommissariat ins Visier.
Autorin Dominique Manotti ist so etwas wie die Grande Dame des französischen Krimi noir. Manotti, bürgerlich Marie-Noëlle Thibault, ist Historikerin, war vor ihrer späten Karriere als Schriftstellerin Lehrerin und Gewerkschafterin. Und wer ihre Krimis liest, der merkt schnell: Ihr Herz schlägt links. Ihre Krimis sind durchweg politisch und sozialkritisch. Einschlägig bekannt ist ein waschechter Polizeikrimi, hart, schnell, auf den Punkt gebracht. In der Tradition amerikanischer Polizeiromane begleitet sie viele unterschiedliche Personen des Kommissariats durch den Roman. Dabei kommt es zu einem Wiedersehen mit Noria Ghozali. Diese hat als junge, zornige Kommissarin mit ihrer Entschlossenheit und ihrem Ehrgeiz im Roman Roter Glamour den eiskalten, machtgierigen Präsidentenberater Bornand zur Strecke gebracht. Nun ist sie zwanzig Jahre später im Polizeiapparat aufgestiegen. Ghozali beeindruckt immer noch durch ihre hohe moralische Integrität, doch sie kämpft diesmal einen schweren Kampf, denn in Pantueil ist nahezu das ganze Kommissariat abgestumpft, zynisch, moralisch korrumpiert oder selbst kriminell. Blutjunge Neulinge werden schnell verheizt und ihnen die Flausen ausgetrieben. Anzeigen werden zur Statistikverbesserung gar nicht erst aufgenommen. Straftaten der Kollegen werden gedeckt, auf die Polizeigewerkschaft ist auch Verlass. Und wenn die Öffentlichkeit doch aufmerksam wird, wird die alte Taktik verfolgt:
„Das Kommissariat von Pantueil gründlich ausmisten, um alle Spekulationen im Keim zu ersticken, bei den kleinen Fischen schnell und hart durchgreifen und dafür sorgen, dass die oberen Etagen unbeschadet bleiben, das ist das A und O. Dann warten wir ab, bis die Aufregung sich legt, und ihr werdet sehen, das tut sie. Schneller als ihr denkt.“ (Seite 223)
Der Ort Pantueil ist fiktiv, doch natürlich hat die Geschichte einen wahren Hintergrund. Der Innenminister kommt im Roman selbst nicht vor, doch seine politischen Parolen von „Null Toleranz“ und „Säuberung mit Hochdruck“ fallen bei einigen auf fruchtbaren Boden und bei der Polizei in Pantueil führt dies zu einer Atmosphäre von Überforderung, Rechtsbeugung, Polizeiwillkür und Polizeigewalt. Nicht schwer zu erraten, welcher Innenminister und spätere Präsident hier gemeint ist. Nicolas Sarkozys Satz vom „Abschaum“, den man „wegkärchern“ müsse, haben sicherlich noch einige im Hinterkopf. Der Roman spielt im Sommer 2005 und ist als eine Art Prolog zu verstehen, der Hinweise und Begründungen liefert, warum es im November 2005 dann zu den gewalttätigen Unruhen in Frankreich kam, die sich von der Pariser Banlieue auf die grauen Vorstädte im ganzen Land ausweiteten.
Wieder einmal ein überzeugender, harter Krimi von Dominique Manotti, die einen unbarmherzigen Blick auf die politischen und sozialen Fehlentwicklungen der Grande Nation (und nicht nur dort) wirft.
Rezension und Foto von Gunnar Wolters.
Einschlägig bekannt | Erschienen am 10. August 2011 im Argument Verlag
ISBN 978-3-86754-198-5
256 Seiten | 13,- Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
2 Replies to “Dominique Manotti | Einschlägig bekannt”
Heute muss ich mal das Foto loben. Die sind zwar immer gut, aber das hier gefällt mir außerordentlich gut. Mal ganz abgesehen, dass die Grande Dame des Noir nichts falsch machen kann. Das Buch steht bei mir noch im Regal, aber bald… 🙂
Zufällig ging während der Lektüre ein kleine Scheibe kaputt. Das musste ich direkt ausnutzen…;-) Viel Spaß mit dem Buch!