Sven Koch | Dünentod
Der zweite Fall für das ostfriesische Ermittlerduo Tjark Wolf und Femke Folkmer:
Ein Mann ohne Fingerabdrücke, ein Raum voller Leichen – die Polizei jagt einem Phantom nach, einem Wahnsinnigen, der ein Arsenal von Waffen und Sprengstoff an sich gebracht hat und ein Massaker plant. Bevor die Polizei den Gesuchten fassen kann, entführt er eine voll besetzte Nordseefähre, um sie in die Luft zu jagen. Ermittler Tjark Wolf schafft es in letzter Sekunde, an Bord zu gelangen. Ein perfides Spiel beginnt: Der Attentäter gibt Tjark eine Stunde Zeit, dann will er die Fähre in die Luft jagen…
Wie so oft in Kriminalromanen ist Rache das zentrale Motiv in »Dünentod« – ein Titel, der mit der Geschichte gar nichts zu tun hat und wohl nur auf den Umstand hinweisen soll, dass es sich hier um einen „Küsten-Krimi“ handelt. Genauer gesagt, um einen Roman, der in Friesland spielt, in Ostfriesland. Land und Leute werden ausgiebig geschildert, um die entsprechende raue aber herzliche Atmosphäre der Küste und ihrer Bewohner zu schaffen. Zumindest die Topografie wird akribisch genau bis in alle Einzelheiten beschrieben, wirkliche Friesen hingegen erleben wir eigentlich nur in ein paar wenigen Nebenfiguren, dann allerdings wie aus dem Bilderbuch. Im Übrigen sprechen die Personen zwar manchmal „nordisch“, sind aber eher beliebig.
Im Mittelpunkt stehen die „Fantastic Four“, so nennt Tjark, der Held, nein „Superheld“ der Geschichte, eine verschworene Gemeinschaft von vier Kriminalisten, die zunächst vor der heiklen Aufgabe stehen, einen Mordanschlag auf eine der Ihren aufzuklären und zu sühnen. Kollegin Ceylan wurde auf einem Volksfest niedergestochen und die übrigen drei lassen natürlich nichts unversucht, den Täter zu fassen, mit allen (auch ungesetzlichen) Mitteln. Dabei dürfte Tjark eigentlich gar nicht ermitteln, er befindet sich nämlich in einem Sabbatjahr, aber der Angriff auf jemand von „seinen Leuten“ bringt ihn sofort auf den Plan. Seine Nachforschungen führen ihn ins Rocker-Milieu, und der Autor Sven Koch nutzt die Möglichkeit, an dieser Stelle Tempo in die Erzählung zu bringen, es geht zur Sache und trotzdem finden sich auch hier tatsächlich witzige Passagen.
Dann aber hat der Roman Längen: Eine Liebesgeschichte der Protagonisten muss noch umständlich untergebracht werden, und die Vorbereitung und Begründung der eigentlichen, im Klappentext angekündigten Handlung nimmt viel Raum ein. Ein zu allem entschlossener Attentäter kapert eine Inselfähre und ist entschlossen, das Schiff in die Luft zu jagen und möglichst viele Reisende in den Tod zu schicken. Bis es aber dazu kommt, strecken Unbedeutendes und Nebensächliches den Roman, Selbstverständliches wird eingehend erklärt. Das ist an wenigen Stellen wichtig für die Geschichte, zeigt aber immerhin, dass der Autor seinen Roman außerordentlich gründlich vorbereitet hat und das eine oder andere Detail mit großem Aufwand recherchiert hat.
Und Sven Koch schreibt auch über weite Strecken so, dass die Geschichte sich wirklich angenehm liest, leicht und locker in einem angenehmen Wechsel von ernsthafter Beschreibung der Polizei-Routine und einer einfühlsam und durchaus mit Humor vorgetragenen Schilderung der privaten Befindlichkeiten aller Beteiligten. Auch wenn man ihn vorausahnt, freut man sich auf den nächsten Schritt und ist interessiert am Schicksal der Figuren. Leider entstehen dabei allerdings hin und wieder ziemlich schräge Bilder, unsichere, ungeschickte und wenig elegante Formulierungen bis hin zu tatsächlich falscher Wortwahl, die das Lesevergnügen kurzfristig trüben. So schleichen sich sogar Syntaxfehler und sachliche oder logische Patzer ein.
(Was dem Autor nicht anzulasten ist, aber irgendwie passt, ist der Umstand, das zu allem Überfluss auch noch Fehler im Druck und Satz vorkommen, das ist einfach ärgerlich und sollte nicht passieren.)
Was man aber dem Autor vorhalten kann, ist die Erkenntnis, dass eine oder zwei interessante Ideen allein letztlich nicht einen Roman von 400 Seiten tragen. Zumal der recht eindimensionale Plot überschaubar und der Ausgang deshalb ziemlich vorhersehbar ist. Die Spannung hält sich bei allem Bemühen, durch Verzögerung und Verschleierung im Wechsel mit Forcierung und Enthüllung des eigentlich Offensichtlichen in Grenzen. Wirklich spannend und absolut lesenswert ist dann aber das Showdown, bei dem an nichts gespart wird: Da erleben wir eine fulminante Schilderung der komplizierten Zusammenarbeit aller Kräfte, die zur Verbrechensbekämpfung in einer Großgefahrenlage aufgeboten werden können: LKA, SEK, Bundeswehr mit Kampftauchern und Hubschraubern, Technisches Hilfswerk, Feuerwehr, Rettungswagen und Seenotrettungskreuzer geben sich ein Stelldichein und sorgen für totale Action und größtmögliche Hektik.
Bei solchem Aufwand muss natürlich auf den letzten Seiten doch noch ein gewisser Thrill entstehen Die Situation hat sich immer weiter zugespitzt, die Dramatik hat mehr und mehr zugenommen, unser Superheld kann jetzt als Einzelkämpfer zeigen, was in ihm steckt. Er stellt sich in einem verzweifelten und absolut ungleichen Duell gegen den Superschurken, der eigentlich ein Getriebener ist, ein Verzweifelter, hochbegabt aber verkannt und verfolgt.
Ein tragisches Schicksal, eigentlich bedauernswert, aber man empfindet dennoch kein Mitleid mit dem verzweifelten Attentäter. Vergeltung, Rache, durchaus begreifliche Gedanken, nachvollziehbare Emotionen, aber Gewalt ist der falsche Weg, die falsche Entscheidung und daran scheitert folgerichtig und gerechterweise der Böse, letztlich, weil auch der Gute ihn mit nicht viel lauteren Mitteln bekämpft und besiegt.
Damit ist nicht zuviel verraten, die Geschichte endet, wie sie enden muss, und zum guten Schluss landen wir wieder bei der Vorgeschichte und erfahren, dass in diesem Fall längst nicht alles klar, geschweige denn geklärt ist. Tjark verspricht uns allerdings, auch dieses Rätsel noch zu lösen. Vielleicht gibt es ja eine Fortsetzung mit den „Fantastic Four“, die zum Ende des Romans gemeinsam zu einer Sonderkommission versetzt werden. Ich würde die sympathischen Ermittler ganz gerne in einem neuen Fall wieder erleben, obwohl ich dem »Dünentod« auf Grund der aufgezeigten Schwächen nur drei von fünf Sternen zugestehen kann.
Rezension von Kurt Schäfer.
Dünentod | Erschienen am 2. Mai 2014 bei Droemer Knaur
ISBN 978-3-426-51441-2
432 Seiten | 8,99 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe