Ross Thomas | Fette Ernte

Ross Thomas | Fette Ernte

Seit nunmehr 15 Jahren bemüht sich der Alexander Verlag aus Berlin um eine Reputation eines Autors, der international als einer der wichtigsten Autoren des Politthrillers gilt. Ross Thomas war vor seiner Karriere als Schriftsteller, die er Mitte der 1960er im Alter von 40 Jahren begann, als Journalist, Gewerkschaftssprecher, PR- und Wahlkampfberater tätig. Ein reicher Fundus an Erfahrungen, die er in 25 Romane umsetzte. Zweimal gewann er den Edgar Award, gar viermal den Deutschen Krimipreis. 1995 verstarb Ross Thomas. Seine Leser im deutschsprachigen Raum musste allerdings leider zumeist mit mehr oder weniger stark gekürzten Übersetzungen vorlieb nehmen. Seit 2007 erscheint allerdings nun sein gesamtes Werk auf Deutsch vollständig nach und nach in überarbeiteten oder neuübersetzten Fassungen.

Der vorliegenden Stand-Alone „Fette Ernte“ beginnt mit dem 93 Jahre alten, aber noch recht rüstigen ehemaligen Politikberater William „Crawdad“ Gilmore. Gilmore ist mit allen Wassern gewaschen, hat so manche Schweinerei mitgemacht oder wurde als Mitwisser über Konspirationen zum Schweigen verdonnert. Auf der Toilette des Cosmos Club wurde er aber nun unfreiwillig zum Mithörer einer Verschwörung, über die er nicht zu Schweigen braucht. Er will die Sache seinem Anwalt Ancel Easter erzählen und bittet, ihn morgens abholen zu lassen. Dummerweise wird Gilmore im Morgengrauen vor seiner Haustür von zwei Räubern erschossen. Gibt es solche dummen Zufälle? Ancel Easter weiß keinerlei Details, aber die Tatsache, dass Gilmore ihm ein Geheimnis anvertrauen wollte, lässt ihm keine Ruhe. Er beauftragt Jake Pope, privater Ermittler mit millionenschwerem Erbe, sich die Sache mal näher anzusehen. Die einzige Spur führt zu einem Datum: Der 11.Juli. Aber am 11.Juli passiert nichts Wichtiges in Washington. „Highlight“ des Tages ist die jährliche Prognose der Weizenernte durch das Landwirtschaftsministerium. Haha, von wegen Highlight. Hmm, Moment – könnte das vielleicht doch das Ziel der Verschwörung sein?

Er wußte, daß man in dieser Stadt ganz früh am Morgen mit dem Konspirieren begann, damit man es zum Mittagessen erledigt hatte. Man konspirierte, um sich persönlich zu bereichern, um gesetzliche Vorteile zu erlangen, nationale oder internationale Macht und manchmal nur zum Spaß. (Auszug S.8)

Diese desillusionierte Sicht auf den poltischen Betrieb Washingtons ist ein typisches Merkmal der Werke von Ross Thomas. Er beschreibt das Spiel der Macht fast lakonisch, gönnt sich aber dennoch die eine oder andere Spitze. Etwa bei der Beerdigung von Crawdad Gilmore, als er den Besuch des Präsidenten, „kein übermäßig intelligenter Mann“, als plumpe politische Geste entlarvt und der Präsident eine erschreckend belanglose Konversation mit dem „klügsten Mann Washingtons“, Ancel Easter, führt. Thomas stellt heraus, dass sich im „Dschungel Washingtons“ allerhand Personen tummeln, die einen ausgeprägten Willen besitzen, die eigene Macht und das eigene Konto zu vergrößern. Die Verbindungen zum organisierten Verbrechen sind nicht weit, oft nur einen Strohmann entfernt.

In diesem Roman ist tatsächlich die Verkündung der Ernteschätzungen der Fokus der kriminelle Energie. Etwas unbemerkt von sonstigen Börsengeschäfte lässt sich am Rohstoffmarkt tatsächlich im großen Stil spekulieren. Mit Warentermingeschäften lassen sich mit dem richtigen Hintergrundwissen und etwas illegalen Insidertricks enorme Gewinne machen (Ganz aktuell ist der Weizenmarkt aufgrund des Krieges in der Ukraine auch ein Tummelplatz für Spekulanten). Und für diese geht man auch gerne über ein paar Leichen.

Was diese Ausgabe insbesondere spannend macht, ist die Geschichte der deutschen Übersetzung, die im Nachwort des Neuübersetzers Jochen Stremmel erläutert wird. Ross Thomas wurde in den 1970ern bei Ullmann in der „gelben Reihe“ verlegt. Die Vorgabe des Verlags damals: Kein Krimi durfte länger als acht Druckbögen (8×16=128 Seiten) sein. Um diese Vorgaben einzuhalten, wurden Originalausgaben teilweise radikal gekürzt. Mit einigen Beispielen beschreibt Stremmel die Auswirkungen auf den vorliegenden Roman, der an zahlreichen Stellen arg beschnitten und damit ein großes Stück Atmosphäre geraubt wurde. Immerhin bedauert Stremmel die damalige Übersetzerin Ute Tanner, die eine wahrlich undankbare Aufgabe hatte.

Durch die Neuübersetzung wird auch nochmal deutlich, wie präzise Ross Thomas auch die Szenerie und die Hintergründe beschreibt. Für die Figurenbeschreibungen nimmt er sich ausgiebig Zeit. Die Dialoge sind zudem herausstechend. Für mich war der Plot diesmal nicht ganz so herausragend, dennoch ist das Jammern auf hohem Niveau. „Fette Ernte“ ist zwar inzwischen fast ein halbes Jahrhundert alt, doch die Mechanismen sind doch immer dieselben. Sehr akribisch analysiert Thomas das Machtgeflecht und die schmutzigen Geschäfte im Politbetrieb. Und man spürt als Leser, dass sich hier niemand etwas aus den Fingern saugt, sondern aus dem Nähkästchen plaudert. Das Ganze ziemlich trocken, aber mit einem Schuss Verachtung serviert. Ein Klassiker, der immer eine Lektüre wert ist.

 

Foto & Rezension von Gunnar Wolters.

Fette Ernte | Erstmals erschienen 1975
Die vollständige deutsche Ausgabe erschien am 12.08.2014 im Alexander Verlag Berlin
ISBN 978-3-89581-317-7
384 Seiten | 12,- €
Original: The Money Harvest (Übersetzung aus dem Englischen von Jochen Stremmel)
Bibliografische Angaben & Leseprobe

Weiterlesen: Gunnars Rezension von Ross Thomas‘ „Porkchoppers“

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