Robert Preis | Der Engel von Graz
Als eine Leiche ohne Herz auftaucht, wird schnell klar: Eine Mordserie nach historischen Vorbildern erschüttert Graz. Doch Ermittler Armin Trost hat noch ganz andere Probleme, denn sein Partner ist unauffindbar. Eine neue Facette seiner inneren Ängste kommt zum Vorschein, und er muss sich fragen: Wie nah sind sich Himmel und Hölle wirklich?
Vor einem Jahr hat mich Robert Preis mit Die Geister von Graz ziemlich begeistert, so dass meine Erwartungen an die Fortsetzung recht hoch waren. Der Engel von Graz hat mich keineswegs enttäuscht, aber ich fand diesen Fall nicht ganz so überzeugend, nicht so vollkommen rund und absolut glaubhaft wie den Vorgänger. Insgesamt greift Preis in seinem neuen Buch auf Bewährtes zurück, Trost-Fans werden einiges Bekanntes, manches Vorhersehbares finden.
Wieder einmal treibt ein Serienmörder in Graz sein Unwesen, und wieder einmal sind es „historische“ Morde, die er nachstellt. Der erste geschieht im Freilichtmuseum Stübing. Das Opfer, eine junge Journalistin, ist brutal zerfetzt worden, ihr Herz herausgerissen. Bald wird der Täter weitere grausame Verbrechen begehen, grauenhafte Mordtaten neu inszenieren, die vor langer Zeit in der Steiermark geschahen und heute Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen sind.
Professor Ferdinand Tadelmann ist so einer, der sich mit dem Verbrechen in all seinen Facetten auseinandersetz und darüber doziert, über das Böse an sich, über die „Kulturtechnik des Bösen im 17. und 18. Jahrhundert“ und ähnlich merkwürdige, abseitige Themen. Von ihm erhofft sich Armin Trost Hinweise auf den psychopathischen Mörder, der aktuell seine Spur des Schreckens durch Graz zieht.
Trost ist Chefinspektor und Chefermittler, ein Star in Graz und eine nicht unumstrittene Figur, der auf seiner Dienststelle die Meinungen ebenso spaltet wie in der Öffentlichkeit. Er beschreibt sich selbst als einen Mann, der in einem Baumhaus lebte. Der eine Familie hatte, die ihn aber nicht in sein Haus ließ. Weil er sich zu wenig kümmerte. Weil er merkwürdige Dinge tat. Sich seinem Leben hingab, als befände er sich auf einem Egotrip. Dabei nicht auf die Gefühle seiner Mitmenschen achtete. Sich selbst in Gefahr begab. Und nun sogar andere Frauen küsste.
Es ist eine andere Frau, nämlich seine Kollegin Annette Lemberg, und es ist ein eher zufälliger Kuss, aber tatsächlich knistert es ständig zwischen den beiden, nur sind beide sich total unsicher, unklar über ihre Gefühle füreinander, quälen sich im täglichen Umgang miteinander, wissen nicht so recht was ist und was werden soll. Aber nicht nur Trost ist hin- und hergerissen, der „Graf“, ein Ermittler aus dem ländlichen Umfeld der Landeshauptstadt ist geradezu besessen von der hübschen Polizistin und stalkt sie geradezu. Dieser Graf, er hat irgendwann seinen Namen ändern lassen und heißt jetzt Rainer Maria Hinterher, ist nur eine merkwürdige Gestalt in einer ganzen Riege von seltsamen Figuren mit albernen Namen, offensichtlich eine Marotte des Autors. Skurrile Personen, zwielichtig und zwiespältig, lichtscheue Gestalten, gebrochene Typen, mal unheimlich, mal unscheinbar, oft unsympathisch.
So begegnen uns der Redakteur Franz Schmalrund und ein weiterer Journalist, Martin Anfänger, der wirklich einer ist, ein Grünschnabel, kaum über das Volontariat hinaus, aber eifrig, clever, einer mit Biss, ein Investigativer, der sich Trost an die Fersen heftet, um an exklusive Informationen zu gelangen. Der Journalist Preis wirft einmal mehr einen kritischen Blick auf die Medien, den Zustand vor allem der Presselandschaft, deren veränderte, schwieriger werdenden Bedingungen er ja aus der täglichen Arbeit beim in der Steiermark viel gelesenen Blatt Kleine Zeitung kennt. Für seinen Roman hat er die Große Tageszeitung erfunden, deren Mitarbeiter den tiefgreifenden Wandel des Pressewesens hautnah zu spüren bekommen, wachsenden Druck und zunehmende Hektik durch die immer stärker werdende Konkurrenz der Onlineangebote, der Internet-Nachrichten und Newsticker, die es gleichzeitig mit der gedruckten Ausgabe auch ständig zu bedienen gilt.
Ein Serienmörder in Graz ist natürlich ein gefundenes Fressen, Trost bekommt mächtig Druck, nicht nur von der Öffentlichkeit, sondern natürlich auch von seinem ungeliebten Vorgesetzten. Dabei hat Trost eigentlich andere Sorgen: Johannes Schulmeister ist verschwunden, sein alter Kollege, von jetzt auf gleich, spurlos. Trost kann sich das Verschwinden nicht erklären, und er findet auch keinen Ansatzpunkt für eine Suche. Diese Unfähigkeit, den Kollegen aufzuspüren, nagt an seinem Selbstbewusstsein, denn er spürt genau: dieses Rätsel wird er nicht lösen können. Und das ist es, was für ihn zuallererst und eigentlich ausschließlich zählt: seinen Fall aufzuklären. Trost konzentriert sich unbedingt auf den persönlichen Erfolg, die Opfer sind ihm egal, seine Familie tritt in den Hintergrund, für sie ist er nach Meinung seiner Frau nie da, weshalb sie mit den Kindern ausgezogen ist.
Tadelmann beschreibt Trost als einen, der andere verachtet, wahrscheinlich die ganze Welt, weil er glaubt aufgrund seines Berufs, der ihn tief in die Abgründe menschlicher Seelen blicken lässt, mehr als alle anderen vom Leben zu verstehen. Dennoch plagen ihn gerade viele Selbstzweifel, die ungeklärten Fragen bringen Trost von seiner üblichen geraden Linie ab, lassen ihn zaudern, zögern, er windet sich unter den Vorstellungen der Schreckensbilder der vergangenen und der gegenwärtigen Morde mit all den Ängsten, die sie hervorrufen und all ihren Horrorvisionen. Selbst religiöse Darstellungen jagen ihm Angst und Schrecken ein, erzeugen fast körperliche Pein, rufen Erinnerungen an Hexenverfolgungen wach, an irre Mönche, die Frevler reihenweise verbrennen lassen und mit dem Kruzifix auf die Leute losgehen, wie mit einem Schwert.
Trost ist diesmal nicht nur in sich gekehrt und zuweilen völlig abwesend, er wirkt darüber hinaus des Öfteren äußerst zerstreut und irritiert, gar desorientiert. Sind es die privaten Katastrophen, die ihm zu schaffen machen, seine Familie, die offenbar zerfällt, seine Ehe, die vor dem Aus steht? Er will natürlich wieder seinen Dickschädel durchsetzen, aber er kommt nicht recht voran, kann sich nicht mehr auf seine Intuition verlassen, das berühmte Bauchgefühl. Das steht gemeinhin am Anfang, sein Instinkt, der ihn lenkt, und der sein Handeln bestimmt, das er erst im Nachhinein deuten muss, wenn er manchmal stundenlang regungslos dasitzt, vor sich hin starrt, und vor seinem inneren Auge einen Film ablaufen lässt, vor- und zurückspult, Details heranzoomt, Szenen vergleicht.
Preis bedient sich weitgehend einer Ausdrucksweise, die knapp ist, präzise, ein Erbe seines journalistischen Schreibstils möglicherweise, aber ausgesprochen gut passt zu seinen Geschichten und seinen Figuren, vor allem charakteristisch ist für Trost, den knorrigen, knurrigen, wortkargen Typen, der nicht viel sagt. Aber was er sagt, bringt er auf den Punkt. Präzise, treffend, bestimmt und endgültig, das duldet keine Widerrede. So einsilbig Trost in seinen Äußerungen ist, so ausschweifend sind oft seine Gedankengänge, Preis lässt uns intensiv teilhaben an den Überlegungen seines Helden, an seinen Eingebungen und Einbildungen, seinen Intuitionen und Inspirationen, Vorstellungen und Erkenntnissen, oft genug verworren und verwirrend und nicht immer unmittelbar nachvollziehbar.
Begegnet Trost allerdings seiner Frau oder seinen Kindern, wird der Ton anders, die Sätze länger und lyrischer, der Ausdruck emotional, ja sentimental, ergreifend. Ebenso im Gegensatz zu den nüchternen, manchmal etwas dürren Dialogen stehen die üppigen, manchmal überbordenden Schilderungen der Schauplätze, die bildmächtige Darstellung der Kulissen, oft genug spektakulär, immer besonders schön oder besonders hässlich, jedenfalls besonders.
Die Stimmung in Preis‚ Romanen ist häufig traurig, trübsinnig, dunkelgrau ist die Grundfarbe, manchmal schwarz, einige der effektvollsten Szenen spielen nicht zufällig nachts. Aber es gibt auch Passagen und Szenen voll Witz und Humor, launige Bemerkungen, trocken, treffend, triefend vor Sarkasmus mitunter, die Spaß machen und auflockern. Ich weiß nicht, ob es einen speziell steirischen Humor gibt, aber der österreichische ist ja speziell genug, mir gefallen diese Seitenhiebe. Schön auch, dass Preis den regionalen Charakter seiner Romane durch Dialekt betont, den er vielen Figuren an passender Stelle immer wieder in den Mund legt.
Abgesehen von den Ausflügen in die mörderische Vergangenheit seiner Heimat erzählt Preis die Geschichte schnörkellos, Aufbau und Entwicklung führen geradlinig und folgerichtig zu einer zwar nicht ganz überraschenden aber nachvollziehbaren Auflösung, wenn auch das Tatmotiv etwas schwach ist. So rollt das Geschehen schließlich in einem Höllentempo auf das finale furioso zu, in dem Preis einmal mehr nichts auslässt. Hochspannung und Nervenkitzel sind garantiert, Trost zieht alle Register und gerät wieder in ärgste Bedrängnis und höchste Lebensgefahr, und er steckt eine Menge ein, mehr als menschenmöglich ist. Wieder einmal wird er zum Superhelden, zu einem Übermenschen, den nichts und niemand stoppen kann.
Wenn man sich einlässt auf diese Geschichte mit ihrer ganz besonderen Stimmung, der packenden Milieuschilderung und den faszinierenden Figuren und wenn man einfach akzeptiert, dass einiges zwar übertrieben, manches unwahrscheinlich, ja unrealistisch ist, aber gerade dieses Märchenhafte, Sagenhafte, ja schaurig Beklemmende den speziellen Charme der Preis-Krimis ausmacht, dann wird man großartig unterhalten durch einen Krimi, der vieles ist: rätselhaft und geheimnisvoll, mit zum Teil sarkastischem Unterton, mit Witz und schwarzem Humor, aber auch schwermütig bis tragisch, spannend und dramatisch allemal und an keiner Stelle langweilig. Dafür diesmal vier Sterne.
Rezension von Kurt Schäfer.
Der Engel von Graz | Erschienen am 15. Oktober 2015 bei Emons
ISBN 978-3-95451-722-0
Seiten | 9,90 Euro
Bibliographische Angaben & Leseprobe
2 Replies to “Robert Preis | Der Engel von Graz”
Verflixt nochmal. Und ich hab immer noch nicht „Die Geister von Graz“ gelesen… jetzt wird es aber mal langsam Zeit!
Soll sich ja lohnen …;-)